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Lachmund oder: Das Zaudern der Radiorecken

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Am 29. Juni feierte Ror Wolf seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag. Aus diesem hohen Anlaß las Christian Brückner im Großen Bismarcksaal der Mainzer Sektkellerei Kupferberg wunderbar bedachtsam aus Ror Wolfs Prosa- und lyrischem Werk, und danach saßen wir, wie es sich gehört, lange und vergnüglich in kleiner Runde beisammen, auch, um über Fußball zu plaudern.

Ror Wolf ist – vollkommen zu Recht – wiederholt als »Deutschlands Fußballpoet Nummer eins« gerühmt worden, und Bundespräsident Horst Köhler ließ es sich nicht nehmen, ihm zum Wiegenfest ein Glückwunschschreiben u. a. folgenden Wortlauts zu schicken:

»Sehr geehrter Herr Wolf, zu Ihrem Geburtstag sende ich Ihnen alle meine guten Wünsche. Mit Ihrem Werk haben Sie sich in der deutschen Literatur eine einzigartige Stellung erschrieben. Ihr Ton ist unverwechselbar. Niemand sonst vermag es so wie Sie, im Alltäglichen und Trivialen das Komische, Absurde und auch Abgründige zu sehen und darzustellen. […] Nicht zuletzt dem Fußball haben Sie unvergeßliche literarische Denkmäler gesetzt – und in Ihren Hörspielen nicht nur die Sprache des Fußballs seziert und neu montiert, sondern, quasi nebenbei, die Stimmen der Reporter bewahrt, die uns in jüngeren Jahren die Bundesliga im Radio erleben ließen.«

Das ist alles weithin korrekt und schön gesagt, doch müssen wir uns mit wachem Blick auf die Gegenwart, das heißt im Hinblick auf die neue, die fünfundvierzigste Fußballbundesligasaison gewissenhaft ein paar nicht-präsidiale Fragen stellen. Was hat sich verändert, seit Ror Wolf in den siebziger Jahren seine fabelhaften O-Ton-Collagen produzierte? Wo steht der Bundesligafußball heute? Ist er besser als vor dreißig Jahren? Und wie sieht es mit den allgemeinen Bodenverhältnissen aus?

Früher sind die Bodenverhältnisse im Fußball stets ein Thema von übergeordneter Bedeutung gewesen. Oft war mit ihnen nicht sonderlich zu spaßen, nein, nicht selten war es, wie wir in Ror Wolfs akustischen Kunststücken erfahren, um sie durchaus ganz und gar fürchterlich bestellt.

Der »Boden – Ohoo! Rohrbach geht zu Boden. Ooohooo!« –, der Boden zum Beispiel in Bremen war außerordentlich tückisch. »Hier in Bremen ist das Weserstadion, ist der Rasen hier natürlich glatt und rutschig«, hieß es, denn: »Es regnet auch jetzt wieder hier in Bremen, der Boden ist glatt und rutschig.«

Selbstverständlich änderte sich an diesen Bremer Bodenbedingungen im Grunde nie etwas: »Es regnet jetzt in Strömen hier in Bremen, die Bodenverhältnisse werden immer schlechter, der Rasen ist glatt und rutschig.«

Aber auch jenseits von Bremen fristete die Bundesliga ein bedrückendes Dasein: »Dunkle, tiefe Regenwolken liegen über dem Wuppertaler Zoostadion. Man rutscht mir ein wenig zuviel da auf dem nassen Rasen, auf dem glatten, auf dem tiefen Boden hier, und ich darf Ihnen noch sagen, daß dieser Boden recht schwer bespielbar ist.«

Heutzutage haben wir dank der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr überall beste Bodenverhältnisse und von Gelsenkirchen bis Frankfurt Stadiondächer, durch die kein Regen rinnt und dringt – vorbei mithin die Zeiten, in denen die Reporter ausdauernd ihr Bedauern zum Ausdruck bringen mußten:

»Oh, es ist sehr glatt da unten, ja, die Männer dort unten auf dem Rasen tun mir leid.«

Wer an den modernen, griffigen Rasen in Dortmund oder an den gerollten, gewickelten, gestriegelten Rasen auf Schalke denkt, erkennt sofort, welche Fortschritte der Bundesligafußball also zu machen vermochte. Doch nicht nur der Rasen hat sich stark verbessert, auch in klimatischer Hinsicht ist für die oberste Spielklasse eine segensreiche Epoche angebrochen.

»Ungünstige Verhältnisse, am Vormittag Schneeregen, dann Schneefall, unangenehm kühle Temperaturen, ein schneebedeckter, glitschiger Rasen«, das war einmal. »Tief, sehr tief ist jetzt das Gras hier geworden nach diesem pausenlosen Regen seit heut’ morgen, gelegentlich schon gestern«, so hörte sich das an. Und wenn der Himmel gelegentlich seine Schleusen schloß, mußte von anderen Mißlichkeiten berichtet werden. »Die Nässe verdampft«, vernahm man dann deprimiert, scheußlich schwül war’s plötzlich, schwer lagen die Dunstglocken über den Fußballfeldern – bis es wieder von vorne losging:

»Und es regnet in Düsseldorf, es regnet seit etwa sechs, sieben Minuten.« – »Es werden Schirme aufgespannt. Es regnet, es regnet erneut, auch das noch!« – »Wie ein Perlenvorhang hängt der Regen hier vor unserem Tribünendach herunter«, »der Ball erstickt im Wasserstrudel«, »die Tiefstrahler sind immer noch an und täuschen uns einen Sonnenschein auf dem Grün des Rasens vor.«

Kurzum, »einmal regnet’s, einmal schneit’s, einmal scheint die Sonne«, das war die traurige Wetterregel, und das Klagen kannte kein Ende: »Wäre der Boden doch trockener – diesen Seufzer müssen wir immer wieder tun.«

Ror Wolf hat der unermeßlichen Ausweglosigkeit der einstigen Wetterverhältnisse auch einen Vierzeiler gewidmet: »es schneit, dann fällt der regen nieder, / dann schneit es, regnet es und schneit; / dann regnet es die ganze zeit, / es regnet, und dann schneit es wieder.«

Heute müssen wir Gott sei Dank nicht länger mit einem derart ungebührlichen, wechselhaft-wetterwendischen Wetter hadern. Angela Merkel sorgt ganz im Sinne von Franz Beckenbauer, Franz Müntefering und Max Merkel sel. ganzjährig für nahezu gleichbleibend schönes, gutes, wahres Fußballwetter. Im Winter schneit es nicht mehr, und es fallen keine Spiele mehr aus – etwa wegen nimmer endenden Schnür- oder Sturzregens –, so daß wir während der gesamten Spielzeit 2007/2008 beseelt werden ausrufen können:

»Mein Gott, welches Wetter!«

Gleichfalls in der Frage der Spielernamensnennung sind, die Interjektionen, die begeisterten Ausrufe der Reporter, hier beiseite lassend, ungeheure Verbesserungen erzielt worden. Lange haben wir uns begnügen müssen mit »Müller. Grabowski. Müller. Grabowski. Grabowski.« – »Weber. Oder Cullmann. Oder wer auch immer.« Oder einfach mit: »Hoeneß.« Beziehungsweise mit solch schlichten Stafetten: »Das ist die Nummer sechs, das ist Brei! Und jetzt ist Rummenigge – nein, Beckenbauer ist es!« – »Jetzt wieder mit Dürnberger, nein, das ist Hoeneß!« – »Nein, das ist Dürnberger.« – »Zu Vogts. Zuu Overath. Zuu Hoeneß. Zu Breitner.«

Breitner, Dürnberger, Brei – was für einfallslose Namen, ohne Schwung, ohne Esprit! In den aktuellen Kadern der Oberhäusler hingegen glänzen haufenweise magisch-mondäne Namen wie Ribéry, Altintop, Ottl und Bommel, Gledson und Osorio, Pischorn, Perchtold und Pfertzel, Pander und Lövenkrands, Wiese und Mertesacker, Glauber und Auer, Degen und Heerwagen, Wallschläger und Fahrenhorst, Huszti, Pinto und Zizzo und viele andere mehr.

Während die Namensqualität in der Bundesliga demzufolge um dreiundsiebzig Prozent gestiegen ist, hat sich auch das Verhältnis zur Zeit verändert – zum Besseren, versteht sich. Machten uns die Männer an den Mikrophonen ehedem durch eine gewaltig zu nennende Verwirrung im Geflecht der Zeitkategorien kirre – »Wir haben noch neun Minuten zu spielen. Noch etwa sieben Minuten zu spielen. Noch neunzig Sekunden zu spielen, wenn hier nicht nachgespielt wird«, »noch fünfzehn Minuten sind zu spielen, wobei ich wirklich nicht weiß, weshalb«, »52. Minute, äh, nee, 72. Minute muß es ja wohl heißen« –, so gehen unsere gegenwärtigen Mediencracks die Angelegenheit mit der Zeit abgeklärt und souverän an, denn sie haben allein bei geschätzten hundertzwanzig Fußballfernsehübertragungs stunden pro Woche viel mehr Zeit, sich mit der Zeit zu beschäftigen, und bringen deshalb die Minuten und Sekunden überhaupt nicht mehr durcheinander.

Das kommt der allgemeinen geistigen Reife und Stabilität ungemein zugute. In den Köpfen der Altvorderen herrschte unablässig eine furchtbare Konfusion, kombiniert mit einer erheblich gestörten Realitätswahrnehmung:

»In diesem Moment sehe ich es. Ja, es scheint so. Und ich bin nicht sicher, und ich muß erst einmal schauen, jeder hat einen anderen Standpunkt, ganz gleich, woher er auch immer kommen mag. Wer weiß es schon, wer kann es von hier oben beurteilen. Ich muß einmal schauen. So sieht es von hier aus. Jedenfalls optisch sieht das alles so aus.« – »Und Apel ist es gewesen, wenn ich es richtig gesehen habe. Apel, damit wird das Ganze natürlich noch einmal interessant, oder es kann auch Herget gewesen sein. Ich muß es noch einmal genau – Herget ist es gewesen.« – »Von hier, unserem Standpunkt aus, konnte man, glaubte man, erkennen zu können. Das ist jetzt auch geklärt.«

Das Zaudern, das lausige Lavieren der Radio- und Fernsehrecken ist endlich und endgültig passé. Heute becircen uns televisionäre Zupacker und Klarsprecher wie Waldemar Hartmann, Hans Waldmann, Wolf-Dieter Poschmann und Reinhold Beckmann.

»Warum nicht ein wahres Wort dort, wo es angebracht ist?« lautet ihr Motto, und ihre Unbestechlichkeit, gepaart mit Sachverstand und Wortgewandtheit, hat die Fußballreportage und -moderation auf eine nie gekannte zivilisatorische Stufe gehoben.

»Eine Meldung ist eben eingetroffen, in der es heißt: Am Wochenende tut sich gar nichts« – mit einer solch faden Nachricht werden wir im Verlauf der gerade angelaufenen Saison 2007/2008 nicht behelligt werden, und unser irisierendes, prächtiges Fußballfernsehdecoderzeitalter wird auch nicht mehr aufwarten mit schmählichen Peinlichkeiten, wie sie Ror Wolf, der große, melancholische Historiker des deutschen Fußballs, in seinem Hörspiel Schwierigkeiten beim Umschalten leider, leider hat verewigen müssen:

»Verbunden bin ich wieder mit meinem Kollegen Fritz Danko im Moselstadion in Trier. Wie lautet das Endresultat? – – Fritz Danko? – Ja, hier ist Lachmund! Ich möchte wählen hier am Apparat! – Oh, ja, dann ist das eine Fehlschaltung. – Das is’ ’ne Fehlschaltung, ja. – Dann entschuldigen Sie bitte. – Bitte. – Äh. – Hallo? – Ja, Fritz Danko? – Hallo? – Hallo? – Ja, ich hör’ Sie. – Jaa, äh, wir hatten eine Fehlschaltung eben, äh, wie, äh, lautet das Schlußresultat? – Die Tore nannte ich Ihnen bereits, ein verschossener Elfmeter von Blechschmidt in der ach … – Hallo? Ja, also, meine Damen und Herr’n, ich glaube, da im Trierer Moselstadion klappen die Leitungen … – zu diesem 3:0 gekommen ist, man muß sagen, sondern es ist eben psychologisch einfach heute alles gelaufen, und aus diesem Grunde hatte [N. N.] auch nicht mehr die Mittel, gegen diese Betondeckung der Trierer erfolgreich zu sein, zumal … – Ja, schönen Dank, Fritz Danko! – … ein hervorragender Mann im Tor stand. – Ja, schönen Dank für diesen Kurzbericht.«

Nichts zu danken. Denn früher war wirklich alles schlechter.

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