Читать книгу Deep Purple - Jürgen Roth - Страница 17

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„Was haben wir gelacht, weil der Text so blöd war!“

Das sechste Kapitel, in dem nun endlich der Hard Rock erfunden, die Single abgeschafft und wieder eingeführt wird, Ian Gillan zuviel Geld fordert, um Messias zu werden, und wir über ihn noch einiges erfahren

Wir sind immer noch am Beginn der Evolution. Wir sind den Tieren immer noch sehr ähnlich. Der einzige Unterschied ist, daß Gott uns die Stimme gab.

Franz Beckenbauer, 2004

„Wenn es nicht dramatisch und aufregend ist, hat es auf unserer Platte nichts zu suchen“, lautet Ritchie Blackmores kolportiertes Motto für jedes Stück Musik, das in den sporadischen Studiosessions ab Oktober 1969 entsteht. Und wenn etwas dramatisch und aufregend werden soll, heißt die Arbeitsvorgabe für die beteiligten Musiker: reinhauen, reindreschen, reintreten und alle Regler so weit aufreißen, wie es geht. „Wir spielten unsere Instrumente so hart wie möglich“, sagt Roger Glover. „Verstärker und Lautsprecher bogen sich.“

Nicht nur die. Ritchie Blackmore nämlich hat entdeckt, wie vorzüglich und effektvoll man sich an einem Vibratohebel abreagieren kann. „Ich bin da ­richtig durchgedreht“, sagt er später. „Ich ließ mir viertelzolldicke Hebel anfertigen, weil ich die normalen immer abriß. Mein Gitarrenbauer schaute mich komisch an und fragte: ‚Was genau machst du eigentlich mit den Tremolos?‘ Schließlich baute er mir einen riesigen Tremoloarm dran, aus massivem Stahl, halbzolldick, und sagte: ‚Da. Wenn du das Ding abbrichst, will ich nichts davon wissen!‘ Drei Wochen später kam ich wieder in den Laden. Er sah mich an und sagte: ‚Nein – hast du nicht!‘ – ‚Doch‘, sagte ich, ‚hab’ ich.‘ Bildlich genau beschrieb ich ihm, wie ich die Gitarre an dem Hebel herumwirble, sie auf den Boden schmeiße, mit dem Fuß draufsteige und den Hebel mit zwei Händen abreiße. Er war ein bißchen ein Purist, drum hat ihn das nicht amüsiert.“

Befremdet ist auch ein Toningenieur im Studio, als Blackmore darangeht, das abschließende Solo zu „Hard Lovin’ Man“ einzuspielen: „Wenn ich mich recht erinnere, schlug ich meine Gitarre gegen eine Tür im Regieraum, rauf und runter. Der Ingenieur, ein typischer Mann der alten Schule, sah mich sehr eigenartig an.“ Das musikalische Konzept, auf jede nur erdenkliche Weise soviel Lärm wie möglich zu erzeugen, ist ihm neu. „Die Tonbänder“, sagt Roger Glover, „waren regelrecht gesättigt mit Lärm.“ Die Nadeln der Anzeigen am Mischpult kleben am rechten Anschlag und verlassen den roten Bereich nur in einer der seltenen Pausen, wenn Deep Purple und ihr jeweiliger Mann am Mischpult (produzieren will die Band diesmal selbst) die Ohren lüften müssen, um überhaupt noch was zu hören. Daß die britische Musikpresse die Auftritte der Band mittlerweile nicht bloß wohlwollend registriert, sondern immer öfter begeistert ­feiert, steigert den Enthusiasmus. Blackmore hat zur Orientierung noch eine zweite Vorgabe gesetzt. „Ich war beeindruckt von Led Zeppelin“, sagt er Jahre später rückblickend, „und ich wollte auch solche Sachen machen. Erst als Led Zeppelin auf den Plan traten, fanden wir unsere Richtung.“

Das bleibt eines seiner Hauptprobleme, die Triebfeder vielleicht auch der trotzigen Boshaftigkeit, mit der er sich in den Jahren danach auf die Bühne, die Musik und sein Publikum stürzt. Denn alte Fehler lassen sich nicht ausbessern, die Vergangenheit von Deep Purple läßt sich nicht wegredigieren, und nichts ist daran zu ändern, daß Led Zeppelin (die eben keine „Jugendsünden“ wie ­Shades Of Deep Purple mit sich herumschleppen und auch keine Fehl- und folgenden Umbesetzungen verkraften und rechtfertigen müssen) solcherart unbelastet und mit einem möglicherweise größeren Talent zur figürlichen Selbstdarstellung ausgestattet, mittlerweile im Bewußtsein des US-Publikums so etwas wie das „Ur-Böse“ der Rockmusik geworden sind – ein Sex-Drogen-Lärm-Höllenspektakel als überlebensgroßes Gesamtkunstwerk, halb inszeniert von Peter Grant, der als Manager zweifellos ein anderes, ähem, Kaliber ist als die Herren Edwards und Coletta, halb aus der Inszenierung spontan entwachsen. Daran ist einfach nicht vorbeizukommen. Nicht mit Musik, mag sie auch virtuoser, schneller, lauter, vielseitiger sein – all diese Vorzüge werden sich an irgendeinem Punkt der Konkurrenzhistorie als Nachteile erweisen – als die zusammengeklauten und monströs aufgepumpten Blues- und Folk-Relikte auf den ersten fünf oder sechs Led-Zeppelin-Platten. Schon gar nicht aber ansonsten: der schiere Name, das Image, die bombastischen, enigmatischen Cover-Inszenierungen (Led Zeppelin III mal gnädig übersehen), die Bühnenakrobatik mit Hodenquetschungs-Qualposen, John Bonhams artillerieähnlichem Kesselgepauke, Geigenbogen und zwei- bis dreihalsigen Gitarren. Und wenn über Ritchie Blackmore angefinsterte Gerüchte bezüglich Schwarzer Magie kursieren, dann kauft sich Jimmy Page, ansonsten mindestens ebenso geizig wie ehrgeizig, eben 1970 das Boleskin House am Ufer des Loch Ness, die einstige Residenz des satanischen Sex-&-Drogen-Großmeisters Aleister Crowley, läßt dessen Maxime „Tu, was du willst, dies sei das ganze Gesetz“ in verkürzter Fassung in die Auslaufrille des dritten Albums gravieren – und hat schon wieder gewonnen.

Aber man kann es ja versuchen. In der dritten Oktoberwoche 1969 entstehen als erste Aufnahmen „Living Wreck“ und „Speed King“, auf der Tonbandschachtel immer noch „Kneel And Pray“ genannt und später noch mal neu aufgenommen. Das IBC-Studio A ist ein altes, ehemals zweistöckiges Gebäude; die Zwischendecke wurde herausgerissen, so entstand ein Aufnahmeraum, der an ein überdimensionales Wohnzimmer erinnert (samt offenem Kamin in der Ecke) und einen Schlagzeugsound nach dem Geschmack von Ian Paice erzeugt: „lebendig, metallisch, hart und böse“. Die anderen sind weniger leicht zufriedenzustellen. „Living Wreck“, beschließen sie vorläufig, ist nicht aufregend und dramatisch genug fürs Album, und eine zweite „Speed King“-Version mit Piano statt Orgel taugt höchstens als B-Seite für die Niederlande.

Anfang November geht die Arbeit weiter, zunächst an einer – freilich dramatischen – instrumentalen Einleitungssequenz zur Eröffnung des Albums mit dem Arbeitstitel „Woffle“, die erst wird, was sie ist, als Jon Lord bei seinem Einsatz die richtige Taste verfehlt und das Beste aus dem Mißgeschick macht. Es folgt „Child In Time“, das am 15. Juli aus einer spontan improvisierten Coverversion des Songs „Bombay Calling“ von It’s A Beautiful Day entstanden und bereits bühnenerprobt ist. „Die Hölle war los, und ich kreischte, das war alles. Durch den Song – und mit Hilfe meiner engen Hose – erfand ich meinen speziellen Schrei“, berichtet Ian Gillan, der sich zwischendurch, wenn die anderen damit beschäftigt sind, die Hölle am Sich-wieder-Einkriegen zu hindern, mit Groupies vergnügt. Ende November entstehen „Into The Fire“ und ein Instrumental namens „Jam Stew“, zu dem Ian Gillan kein vernünftiger Text einfällt, so daß es liegenbleibt, bis Ritchie Blackmore und Ian Paice 1970 auf dem Green-Bullfrog-Album, einem All-Star-Nebenprojekt mit Tony Ashton, Albert Lee, Big Jim Sullivan, Chas Hodges und anderen, Platz dafür finden. Am Neujahrstag kommt im De-Lane-Lea-Studio „Hard Lovin’ Man“ hinzu, erstmals mit „Concerto“-Toningenieur Martin Birch am Mischpult. „Die Chemie zwischen der Band und Martin stimmte sofort“, schwärmt Roger Glover. „Er wurde einer von uns. Die anderen Mixer waren alle todlangweilige Idioten, die die ganze Zeit damit beschäftigt waren, alles zu zerstören, was man zu tun versuchte – durch Unfähigkeit, Vergeßlichkeit, Bosheit.“ Auf dem Albumcover wird Martin Birch als „Katalysator“ gewürdigt werden.

Aber die Arbeit ohne Produzenten sorgt für ein gewisses Kompetenzgerangel im Studio. „Alle hingen über dem Mischpult“, erinnert sich Ian Gillan, „und brüllten: Ich höre dies nicht, ich höre das nicht! Als ich sagte, ich könne den Gesang nicht richtig hören, sagte der Arsch Blackmore zu mir: ‚Wer zum Teufel glaubst du, daß du bist? Tom Jones?‘“ Der fünfstimmige Chor fordert von Martin Birch nur eines, das aber immer wieder: Mach alles lauter als alles andere!

Anfang Januar ist das Album zumindest als Konzept rund und ausgearbeitet, die Konzerte zwischen den Aufnahmen erweisen sich als Glücksfall – am Abend ausprobiert, am nächsten Tag umgesetzt. „Diese abenteuerliche Atmosphäre, die auf der Bühne entstand, reproduzierten wir im Studio“, sagt Ian Paice. „Später wurde das schwieriger, weil es nicht mehr diese Aufnahme-Gig-Aufnahme-Gig-Situation gab.“ Mitte Januar ist nach mehr als dreißig Versuchen „Cry Free“ im Kasten, nur um am Ende weggelassen zu werden, und am 11. März ist das Album mit „Flight Of The Rat“ endgültig fertig, „Bloodsucker“ ist irgendwann vorher in den Abbey-Road-Studios aufgenommen worden. Um sich vom Etikett „Deep Purple in Concert“ (heißt: mit Orchester) abzusetzen, soll es Deep Purple In Rock heißen. Womit Tony Edwards auch gleich eine ebenso blöde wie genial anmutende Idee für die Covergestaltung hat.

Um dem verdienten Erfolg der Platte einen fruchtbaren Boden zu bereiten und den Anschluß an den Underground nicht zu verlieren, nimmt die Band auch nach dem Ende der Aufnahmen alle Auftrittsmöglichkeiten wahr, die sich bieten. Nach einer Schottlandtournee Ende März und einem Auftritt im Londoner Roundhouse am 28. März fährt sie nach Berlin zum Peace Pop World Festival am 30. in der Sporthalle mit Achim Reichels Band Wonderland (die von der Bühne gepfiffen wird), Hardin & York, der Spencer Davis Group und The Nice, deren Keyboarder Keith Emerson sich für die Oldies-Zugaben „Walking On Down The Line“ und „Lucille“ zu Deep Purple ans Piano gesellt. Das friedensbewegte Berliner Publikum ist von der wenig friedlichen Darbietung der „ersten Hard-Rock-Band“ (so ein Augenzeuge rückblickend) ebenso begeistert wie zuvor das schottische und das am 4. April in Köln und zwei Tage später das in Wien – es fehlt nur noch das Album, um die Früchte der Live-Mühen zu ernten.

Die Platte kann aber noch nicht erscheinen, denn, wir erinnern uns: Deep Purple haben in den USA kein Label mehr, und trotz unablässiger Bühnen-arbeit ist der Schuldenstand immer noch fünfstellig. Das erfordert geschicktes Geschäftsgebaren von den Herren Edwards und Coletta, um das Unternehmen endlich in die schwarzen Zahlen und die nach wie vor als Lohnsklaven angestellten Musiker aus der Schuldknechtschaft zu bekommen. Oder um den ganzen Laden überhaupt zu retten, denn mittlerweile ist auch die Firma HEC in Schwierigkeiten geraten: Geschäftspartner Ronald Hire hat wegen Hehlerei die Polizei am Hals und will seine Anteile aber nur gegen Bares an Edwards und Coletta abgeben. Der Konzern Warner Brothers wirft schließlich den Rettungsanker aus, kauft die Tetragrammaton-Künstler aus der Konkursmasse auf und bezahlt die ausstehenden Tantiemen.

Deep Purple

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