Читать книгу Gazprom-Das unheimliche Imperium - Jürgen Roth - Страница 10
Pipelines für Gazprom – die Gelddruckmaschine
ОглавлениеEine Öl- oder Gaspipeline ist in Russland mehr als ein Stahlrohr, sie ist fast so etwas wie ein großer Lottogewinn. Tatsache ist, dass dort bei dem Bau und der Verlegung von Pipelines ungewöhnlich viel Geld verdient wird und gleichzeitig Personen versorgt werden, die zu Putins Freunden gehören. 140 000 Rohre für die beiden Leitungsstränge wurden von der Firma Europipe in Mühlheim produziert, schreibt Nord Stream in seinem Prospekt »Die Logistik für die Pipeline«. Auffällig ist, dass ein Teil des Auftrags über das Handelshaus Eurotube in Kaarst abgewickelt wurde. Über dieses gelang es Europipe, insgesamt 97 000 Tonnen Großrohre für Russland zu buchen. Doch warum benötigt ein so seriöses Unternehmen wie Europipe die Vermittlung eines vergleichsweise eher bescheidenen Handelshauses? Und wer verbirgt sich dahinter?
Das Unternehmen Eurotube GmbH wurde im Jahr 2005 gegründet, als auch der Bau von Nord Stream beschlossen wurde. Interessant wird es, wenn man sich die Eigentümer des Unternehmens im deutschen Handelsregister anschaut. Da tauchen zwei deutsche Minderheitsaktionäre auf, die bereits für Mannesmann aktiv im Röhrengeschäft mit der Sowjetunion tätig waren. Und dann gibt es drei Unternehmer aus Russland, die zusammen eine Beteiligung von 46 Prozent an der Eurotube GmbH in Kaarst halten, also die faktische Mehrheit.
Einer dieser Unternehmer ist Igor Schabalow. Er ist Vorsitzender der Vereinigung des Rats der russischen Röhrenproduzenten und war zuvor Generaldirektor der Firma Gaztaged, die von Boris Rotenberg, ebenfalls ein Miteigentümer von Eurotube, kontrolliert wurde. Der Vereinigung gehört unter anderem eines der weltweit führenden Unternehmen auf dem Gebiet des Röhrenmarktes an. Aber nicht deren Repräsentanten erhielten den Vorsitz der Vereinigung, sondern der frühere Generaldirektor von Gaztaged.
Gleichzeitig taucht Igor Schabalow in Deutschland in einem weiteren Unternehmen auf: der Luxburg GmbH in Gelsenkirchen. Geschäftszweck ist die Investment- und Anlageberatung. Schabalow hält fünfzig Prozent an der Luxburg GmbH. Betrug die Bilanzsumme im Jahr 2006 noch magere 25 000 Euro, waren es ein Jahr später acht Millionen. Und für das Jahr 2010 wurde eine Bilanzsumme von zehn Millionen Euro genannt. Mit welchen Investitionen dieser Gewinnsprung erreicht wurde, ist aus den veröffentlichten Bilanzen nicht zu ersehen.
Die wichtigsten Eigentümer von Eurotube sind jedoch die Brüder Arkadi und Boris Rotenberg, die je 16,675 Prozent halten, während Igor Schabalow 16,65 Prozent besitzt.
Die beiden Rotenberg-Brüder gelten als enge Freunde Wladimir Putins seit ihrer gemeinsamen Zeit in Sankt Petersburg in den neunziger Jahren. Der heutige Multimillionär Arkadi Rotenberg war einer der Gründer des Petersburger Judoklubs Jawara-Newa, in dem Putin Ehrenmitglied war. Arkadi Rotenberg und sein Bruder Boris sind nicht nur Besitzer der Bank Severny Morskoy Put. Im Jahr 2000 gründete Arkadi Rotenberg ein weiteres Unternehmen in Moskau, das sechs Jahre später wieder liquidiert wurde. Das Unternehmen verkaufte offiziell Lebensmittel, während ein ehemaliger Direktor berichtete, in Wirklichkeit sei Gas verkauft worden.
Gazprom verkaufte an Arkadi Rotenberg im Jahr 2008 fünf Firmen. Journalisten der Nowaja Gazeta, die bei Gazprom um nähere Auskünfte baten, erhielten zur Antwort, dass diese Vermögenswerte in einer offenen Auktion vergeben worden seien und dass eben der Höchstbietende die Anteile bekommen hätte.22
Im Jahr 2008 verkauften die Besitzer des Seehafens Nowosibirsk zehn Prozent des Hafenbetriebes an die Rotenberg-Firmen, und im gleichen Jahr verkaufte Gazprom fünf Baufirmen ebenfalls an Arkadi Rotenberg. Diese Firmen wiederum hielten Anteile an Mittlerfirmen, die Pipelines und Ausrüstungsmaterial an Gazprom lieferten. Der ehemalige Direktor einer dieser Firmen wurde Direktor der Bauabteilung und Mitglied des Aufsichtsrats von Gazprom. So konnten viele bedient werden, wobei Gazprom diese Zwischenfirmen eigentlich überhaupt nicht benötigen würde, sondern alles in eigener Regie abwickeln könnte. Aber die vielen Freunde müssen ja irgendwie zufriedengestellt werden.
Boris Rotenberg ist ebenfalls ein Judofan, der gern mit Wladimir Putin trainierte. Ihm gehören zwei Unternehmen, die Pipelines und Ausrüstungsmaterialien für Gazprom liefern. Eine dieser Firmen ist wesentlich am Unternehmen Gaztaged beteiligt, das wiederum zu 75 Prozent von einer Gazprom-Tochtergesellschaft kontrolliert wird. Die Rotenberg-Brüder haben quasi ein Monopol für die Lieferung von Pipelines, die aus einem besonders hochwertigen Stahl produziert werden und in der Lage sind, sogar Gas aus dem arktischen Eis zu transportieren. Auch Pipelines für Nord Stream wurden von ihnen geliefert. Im Jahr 2010 verkauften sie über 1,5 Millionen Tonnen Röhren im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar mit einem Gewinn von 266 Millionen US-Dollar. Wenn irgendwohin Pipelines verlegt wurden, dann profitierten die beiden Brüder Rotenberg aufgrund ihrer bisherigen engen Geschäftsbeziehungen zu Gazprom in hohem Maß davon.
Nein, sagte Arkadi Rotenberg in einem Interview, Putin habe ihm bei seinem geschäftlichen Erfolg nicht geholfen. »Wir sind noch freundschaftlich verbunden, obwohl wir uns nicht mehr so häufig treffen wie früher.«23 Arkadi Rotenbergs Vermögen wird auf 1,28 Milliarden Euro geschätzt, ebenso das seines Bruders.24
In der Dokumentation des Finanzinvestors William Broweder aus dem Jahr 2003 wurde bereits die Verlegung einer anderen Pipeline heftig kritisiert. Es geht um Blue Stream. Das ist eine Gaspipeline, die von der nahe der Schwarzmeerküste gelegenen Stadt Izobilny durch das Schwarze Meer nach Samsun in die Türkei bis nach Ankara führt. Die Bauarbeiten waren im Oktober 2002 zu Ende, und seit Februar 2003 floss das Erdgas in die Türkei. Die Kosten betrugen 3,2 Milliarden Euro. Der Finanzinvestor hatte ausgerechnet, dass die Pipeline, wäre sie mit türkischer Effizienz für den russischen Teil gebaut worden, für Gazprom mindestens 596 Millionen US-Dollar billiger gewesen wäre. Denn die 444 Kilometer auf türkischem Boden zwischen Ankara und Samsun kosteten 1,35 Millionen US-Dollar pro Kilometer, während die kürzere Strecke in Russland über 373 Kilometer 2,95 Millionen US-Dollar pro Kilometer kostete. Schließlich musste ja das russische Pipeline-Unternehmen Stroitransgas bedient werden, quasi ein Familienunternehmen von Gazprom-Managern.25
Bei dem Projekt der Trans-Kaspischen Pipeline von Turkmenistan durch das Kaspische Meer nach Europa hingegen kam heftiger Widerstand aus Moskau. Die Pipeline unter dem Kaspischen Meer hätte unübersehbare ökologische Folgen, außerdem drohten dort heftige Erdbeben. Denn das Kaspische Meer sei ein geschlossenes System ohne Verbindungen zu den Meeren der Welt, wurde argumentiert.26 Bei Blue Stream lagen die Dinge noch anders, aber da war Russland ja beteiligt. Auf jeden Fall scheinen die Herstellung und der Vertrieb von Röhren eine ständig sprudelnde Geldquelle zu sein. Das belegen auch andere Beispiele. Im Jahr 2006 veröffentlichte Gazprom auf seiner Webseite, dass die 2 800 Kilometer lange Gaspipeline von Westsibirien nach China, das Altai-Projekt, gebaut werde. Sie kostet einschließlich der Kompressorstationen pro Kilometer zwischen 1,3 und 1,4 Millionen Euro.27
Und nach offiziellen Angaben von Gazprom aus dem Jahr 2005 plante das Unternehmen damals bereits den Bau einer 144 Kilometer langen Pipeline von Gryazovets nach Wyborg – von wo aus seit Dezember 2011 das Gas nach Deutschland gepumpt wird. Die Kosten sollten pro Kilometer jedoch vier Millionen Euro betragen.28 Das heißt, die Pipeline nach Wyborg ist viermal teurer als die nach China, deren Bau unter ungleich ungünstigeren geographischen Bedingungen durchgeführt werden wird.
»Bemerkenswert ist, dass die Kosten für einen Kilometer der OPAL-Pipeline zwischen Lubmin bei Greifswald und Olbernhau an der deutschtschechischen Grenze nur 2,1 Millionen Euro betragen, so Mikhail Korchemkin, ein renommierter amerikanischer Experte für den russischen Gassektor.«29 In einer Studie über die »Inflation der Baukosten bei Gazprom« nennt er ein anderes Beispiel: »Im März 2008, vor der Wirtschaftskrise und den hohen Preisen für Materialien und Dienstleistungen, errechnete das russische Unternehmen Piter Gaz Engineering30, dass die Kosten für die Sotschi-Gas-Pipeline einschließlich der Kompressorstationen zwischen 190 und 250 Millionen Euro betragen würden.«
Im September 2009, als die Preise für Stahlrohre und andere Materialien niedriger als vor der Krise waren, erklärte der Vorstandsvorsitzende von Gazprom, Alexei Miller, dass die Kosten für diese Pipeline 650 Millionen Euro betragen würden.31 Fazit dieser Studie? »Die Verantwortlichen von Gazprom genehmigten ihren Kontraktfirmen und Brokern anscheinend hohe Gewinnmargen, so dass die Kosten für die Pipelineprojekte vier- bis fünfmal höher sind als normal.«32
Und nicht viel anders dürfte es bei dem Projekt Nord Stream abgelaufen sein. Doch darüber redet in Deutschland niemand, und die Verbraucher bezahlen das letztlich alles mit den entsprechend hohen Gaspreisen. Am 26. Oktober 2011 startete die Föderale Antimonopolagentur (FAS) Ermittlungen gegen Unternehmen der Brüder Rotenberg wegen des Vorwurfs der Kartellbildung und Preisabsprachen zu Lasten von Gazprom. »Die FAS sieht Anzeichen für Verletzungen des Antimonopolgesetzes bei russischen Herstellern von Rohren mit großem Durchmesser … In der Tat weigerten sich die Marktteilnehmer zu konkurrieren und koordinierten ihre Aktivitäten, was mit Sicherheit zu Einschränkungen des Wettbewerbs führte.«33 Das erklärt dann auch vielleicht, warum bei Ausschreibungen von Gazprom »fast immer Firmen gewonnen hatten, die zum Rotenberg-Konzern gehörten«.34 Und da Rotenberg ja freundschaftlich mit dem russischen Zar Wladimir Putin verbunden ist, dürfte das Ergebnis der Antimonopolagentur feststehen: Es wird im Sande verlaufen.