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2 Die vielen Geheimnisse, die sich hinter Gazprom verstecken

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Entstanden ist Gazprom als das Werk zweier befreundeter und sehr fähiger Gasexperten aus den Zeiten der UdSSR: Rem Wjachirew und Viktor Tschernomyrdin. Beide machten in der Sowjetzeit als Gasdirektoren Karriere. 1985 ernannte Michail Gorbatschow Tschernomyrdin zum Gas- und Industrieminister, dessen Stellvertreter wurde Rem Wjachirew. 1989, nach dem Ende der UdSSR, wurde das Gasministerium in ein Staatsunternehmen namens Gazprom umgewandelt, und 1992 wurde aus dem Staatsunternehmen eine private Aktiengesellschaft. Die alte Führung blieb bestehen, und Tschernomyrdin leitete auch den neuen Gazprom-Konzern.

Im Dezember 1992 ernannte Boris Jelzin Viktor Tschernomyrdin zum Ministerpräsidenten, der damit an die Schalthebel der Macht kam. Tschernomyrdins Nachfolger bei Gazprom wurde wiederum sein einstiger Stellvertreter Rem Wjachirew.

Tschernomyrdins enge Verbindungen zu Gazprom nach seinem Eintritt in die Regierung sind medienbekannt. Seine wichtigste Rolle bestand unter anderem darin, dafür zu sorgen, dass der Gasriese minimale Steuern bezahlte. Als Gegenleistung habe Gazprom unter anderem seinen Wahlkampf im Dezember 1995 mitfinanziert. Nach seinem Ausscheiden aus dem Ministerpräsidentenamt 1998 kehrte Tschernomyrdin als Aufsichtsratsvorsitzender zum Gazprom-Konzern zurück und blieb bis 2001 in diesem Amt, als er als Botschafter in die Ukraine versetzt wurde.

In seiner Zeit bei Gazprom begann die hemmungslose Bereicherung. »Das Topmanagement hat den staatlichen Gazprom-Konzern buchstäblich wie einen Familienbetrieb geführt und durch Firmengründungen die lukrativsten Teile in Familienbesitz gebracht. Während Gazproms Gewinne sanken, wuchsen die Einnahmen der Vertragspartner, die in den Händen der Manager lagen.«1 Die Geschäfte im Konzern liefen ähnlich ab wie zu Sowjetzeiten, als die roten Fabrikdirektoren lukrative Einnahmequellen erschlossen. Gazprom lieferte das Erdgas zu sehr niedrigen russischen Preisen an private Handelsfirmen, die im Besitz des Managements oder von befreundeten Unternehmern waren. Diese Handelsfirmen wiederum verkauften das Erdgas mit sehr hohen Profiten zu Weltmarktpreisen. Die Erlöse landeten auf ausländischen Konten, insbesondere in Zypern, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz.

Bereits 1995 lieferte der amerikanische Geheimdienst CIA dem Weißen Haus in Washington einen geheimen Bericht, in dem die korrupten Praktiken des damaligen russischen Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin aufgelistet wurden. Der private Besitz, den er sich in seiner Regierungszeit angeeignet hätte, soll demnach mehrere Milliarden US-Dollar betragen haben. Als der vertrauliche Bericht dem US-Vizepräsidenten Al Gore übergeben wurde, lehnte der ab, die Dokumentation überhaupt anzunehmen und schickte sie mit den Worten BULL*** der CIA zurück.2

Damals bezeichnete sich Al Gore als Freund Tschernomyrdins. »Freunde haben das Recht, stolz auf ihre Freunde zu sein. Je länger man mit ihm zusammenarbeitet, umso tiefer wird der Respekt für seine Fähigkeit, die Dinge zu tun.«3 Irgendwie erinnert diese Erfahrung ein wenig an Gerhard Schröder und sein Verhältnis zu Wladimir Putin.

Dabei waren Teile der Vorwürfe der CIA bereits ausführlich in den US-amerikanischen Medien beschrieben worden. Peter Reddaway, Politikwissenschaftler an der George-Washington-Universität und ehemaliger Direktor des Kennan Institute für russische Studien, schrieb darüber in der Washington Post einen ausführlichen Artikel. Er zitierte den stellvertretenden russischen Finanzminister Boris Fjodorow. Demnach habe Tschernomyrdin illegal große Anteile an Gazprom während der Privatisierung des Konzerns erhalten. »Er bezeichnete die Privatisierung von Gazprom als den größten Raubzug der Geschichte.«4

1998 dokumentierte der russische KGB-Oberst Valery Streletsky in seinem Buch ausführlich die Tolerierung der Korruption durch Tschernomyrdin. Der Autor gehörte einer Ermittlungseinheit an, die Regierungskorruption untersuchte. Er behauptete, dass Tschernomyrdins langjähriger Stabschef, Gennadi Petelin, Millionen US-Dollar auf ausländische Bankkonten transferiert hatte.5 Vor einem Moskauer Gericht musste Tschernomyrdin zudem über seine Rolle beim illegalen Export von Diamanten und Gold im Wert von 180 Millionen US-Dollar während seiner Regierungszeit aussagen. Konsequenzen hatte das für ihn nicht, weil er die Aussage verweigerte. In der russischen Presse wurden zudem Schweizer Polizeiquellen zitiert, wonach Tschernomyrdin Hunderte Millionen US-Dollar auf Schweizer Bankkonten transferiert habe, die von ihm kontrolliert wurden.6

Nach Medienberichten wurde für die Tochter von Gazprom-Chef Rem Wjachirew und einen Sohn seines Stellvertreters, Wjatscheslaw Scheremet, für einen symbolischen Betrag von wenigen Dollar eine Firma gekauft, die Gazprom mit Industrieausrüstung beliefert. In anderen Fällen wurde den Kindern der Topmanager eine Tarnfirma übertragen, die ein Zehntel des Gasexports nach Ungarn kontrollieren soll. Einer der davon profitierte, ist ein Sohn Viktor Tschernomyrdins. Vorgeworfen wurde ihm, Anteile an anderen Unternehmen systematisch in ein Netzwerk nebulöser Offshore-Holdings transferiert zu haben. Nach Aussagen des Gazprom-Vorstandsmitglieds Boris Fjodorow gehen jedes Jahr »zwei bis drei Milliarden Dollar bei Gazprom durch Korruption, Nepotismus und einfach durch Diebstahl verloren«.7

Doch dann geschah zum ersten Mal genau das, was bis zum heutigen Tag die Kreml-Politik unter Wladimir Putin charakterisierte. Rem Wjachirew verweigerte bei der Präsidentenwahl im Jahr 2000 Putin seine Unterstützung und favorisierte stattdessen den damaligen Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow. Damit war sein Schicksal bei Gazprom besiegelt. Er verlor den Job als Vorstandsvorsitzender und sein Sohn den Posten bei der Tochtergesellschaft Gazexport.

Es ist der 30. Mai 2001. Rem Wjachirew ist auf dem Weg zu Präsident Wladimir Putin. »Im Kreml dankte Putin Wjachirew kurz für die gute Arbeit und teilte ihm mit, Gazprom werde von nun an ein junger Mann leiten, der ›mein Vertrauen hat, der unternehmerische Erfahrung besitzt und sich in modernen Leitungsmethoden auskennt‹. Von dem neuen Gazprom-Chef erwartete Putin ›die Stärkung und den Ausbau der Beteiligung des Staates an Gazprom‹. Wjachirew verließ das Büro des Präsidenten mit versteinerter Miene.«8

Die Personen und die Günstlinge wurden ausgewechselt – am System als solchem änderte sich jedoch nichts. Nachfolger wurde Alexei Miller, ein Absolvent des finanzökonomischen Instituts in Sankt Petersburg. Er arbeitete von 1991 bis 1996 im Außenhandelskomitee des Bürgermeisteramts der Stadt, vier Jahre davon unter Wladimir Putin, der in dieser Zeit Vorsitzender des Außenhandelskomitees war. Von 1996 an war Miller drei Jahre Direktor der Aktiengesellschaft Seehafen Petersburg, danach Generaldirektor des Petersburger Konzerns Baltisches Wasserrohsystem.

Es ist ein altes Lied. So viel wie bei Gazprom, wird ein Bauunternehmer in den Medien zitiert, werde sonst nirgends bei der Auftragsvergabe gestohlen. Der Bauunternehmer hatte für Gazprom gearbeitet. »Beim Bau der ›Blue Stream‹ genannten Pipeline durch das Schwarze Meer hat der russische Streckenabschnitt nach Angaben des russischen Rechnungshofs 119 Prozent pro Kilometer mehr gekostet als der türkische Teil. Bei Pipelinebauten ist Gazprom mittlerweile der teuerste Konzern Europas. Der Energiemulti hat zudem 57 Prozent höhere Bohrkosten als Firmen im klimatisch ähnlichen Kanada.«9

Am 3. November 2010 starb Tschernomyrdin an einer Krebserkrankung in Moskau. Drei Jahre zuvor, im Sommer 2007, hielt sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder in Jalta auf, anlässlich einer Konferenz über die Ukraine und ihr Streben nach Europa. Die Süddeutsche Zeitung schrieb über diese Jalta-Konferenz, dass »Gerhard Schröder so eifrig für Russland geworben habe, wie es der entspannt in Reihe eins sitzende Viktor Tschernomyrdin nicht besser hätte machen können«.10

Gazprom-Das unheimliche Imperium

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