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Idylle am Strand, das Geschrei der Möwen und Nord Stream

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Die Gemeinde Lubmin liegt am östlichen Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern. Einst stand hier zu Zeiten der DDR ein Atomkraftwerk russischer Bauart. Nach der Wende sollte es eigentlich abgebaut werden, von 2012 an nur noch eine grüne Wiese zu sehen sein. Die Gebäude mit den hohen Schornsteinen stehen noch. Aber heute ist ein Teil des ehemaligen AKW ein Museum. Zu besichtigen ist Block sechs, der kurz vor der Inbetriebnahme war. Inzwischen steht am Rande des ehemaligen Kernkraftwerks eine riesige Halle, die direkt an ein Naturschutzgebiet angrenzt, das neue Zwischenlager für abgebrannte Brennstäbe und Kastoren.

Seit Herbst 2011 kam Nord Stream hinzu, in Sichtweite des alten Atomkraftwerks und des Kastorzwischenlagers. Am neu gebauten Industriehafen, der wie ausgestorben wirkt, blickt der Besucher auf die silbern glänzenden Kompressorenanlagen mit drei hochragenden Schornsteinen, die Verdichterstation und das Erdgas-Druckerhöhungswerk. Von hier aus wird das russische Erdgas weitergeleitet.

Gesteuert wird alles nicht hier in Lubmin, sondern von einem Kontrollzentrum im schweizerischen Zug aus, dem Sitz von Nord Stream. Über eine Satellitenverbindung steht das Kontrollzentrum mit der Anladestation in ständiger Verbindung. Nord Stream ist ein internationales Joint Venture von fünf Unternehmen, das zur Planung, zum Bau und zum Betrieb der Erdgaspipeline durch die Ostsee gegründet wurde. Hauptaktionär ist Gazprom mit einer 51-Prozent-Beteiligung. Die deutschen Energiefirmen Wintershall Holding und E.ON Ruhrgas AG sind mit jeweils 15,5 Prozent an dem Projekt beteiligt. Die anderen beiden Unternehmen sind die niederländische Gasunie und die französische GDF Suez mit jeweils neun Prozent.

Nicht weit von der Nord-Stream-Anladestation entfernt hat die Bundespolizei ein zweistöckiges Gebäude errichtet. Von hier aus sollen jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas transportiert werden, um den Energiebedarf, so Nord Stream, von mehr als 26 Millionen europäischen Haushalten zu decken. Eingebettet sind die Industrieanlagen hier in ein Naturschutzgebiet von hoher Qualität: zwei ausgewiesenen EU-Vogelschutzgebieten und einem nationalem Schutzgebiet.

Derjenige, der die Industrialisierung in der Region maßgeblich angetrieben hat, wohnt nicht weit vom Industrie- und Gewerbegebiet Lubminer Heide entfernt im Seebad Lubmin, der Perle am Greifswalder Bodden, wie es in den Werbebroschüren der Kurverwaltung steht. Dieter Rittscher, Chef der Energiewerke Nord (EWN) und anderer Unternehmen, residiert in einem langgezogenen weiß verklinkerten, etwas spießig wirkenden Bungalow. Beeindruckend ist das große Gelände hinter dem Bungalow, wo einst einmal Kiefernwald war. Und bis zum weißen Strand der Ostsee sind es nur wenige Schritte.

Der Name Dieter Rittscher ist untrennbar verbunden mit »strahlendem Abfall in der Republik«.8 Als Vorsitzender der Geschäftsführung der EWN ist er unter anderem für den Rückbau des Kernkraftwerks Greifswald zuständig. Ein Mann mit langjährigen Erfahrungen. Medienberichte, wonach die Bundesregierung plant, Atommülllager zu privatisieren und die Verantwortung dafür den Energiewerken Nord (EWN) zu übertragen, hatten bei der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag helle Empörung ausgelöst. »Es verschlägt einem die Sprache! Ein Mitverantwortlicher für die Asse-Schande, ein Mann, der aktiv daran mitgewirkt hat, dass wir in der Asse diese Situation haben, so ein Mann soll Verantwortung tragen für den sorgsamen Umgang mit den gefährlichsten Giften, die die Menschheit kennt. Das wäre ein unglaubliches Bubenstück«, sagte Detlef Tanke, stellvertretender Vorsitzender und umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, im September 2010 in Hannover. Seine Kritik entzündete sich vor allem an der Person des EWNGeschäftsführers Dieter Rittscher.9

»Zahlreiche fehlerhafte Einlieferungslisten für die Asse aus den siebziger Jahren tragen Rittschers Unterschrift. Die Erkenntnisse des Asse-Untersuchungsausschusses des Landtags sowie der vor kurzem vorgelegte Bericht der Arbeitsgemeinschaft Asse-Inventar belegen, wie fahrlässig damals bei der Einlagerung von Atommüll verfahren wurde. Herr Rittscher war daran beteiligt. Und nun soll er Zugriff auf (…) Atommülllager bekommen. Damit würde man tatsächlich den Bock zum Gärtner machen«, sagte Tanke.10 Auf meine Nachfrage bei dem inzwischen pensionierten Dieter Rittscher, was er zu den Vorwürfen des SPD-Abgeordneten Detlef Tanke sage, antwortete er mir: »Diese Aussagen bewerte ich gar nicht. Das ist Unsinn. An den ganzen Vorwürfen ist nichts dran.« Der Plan, Atommülllager zu privatisieren, wurde inzwischen fallengelassen.

Nord Stream schien auch Valeri Jasew zu begeistern, den Vizepräsidenten der russischen Staatsduma und auf russischer Seite für das Vorantreiben der Ostee-Pipeline zuständig. »Es ist großer Bahnhof auf dem Gelände der Energiewerke Nord (EWN), als der Hubschrauber aus Berlin landet. Doch der Gast, der aus dem Chassis springt, macht sich nichts aus Formalitäten. Valeri Jasew trägt eine Freizeitjacke, schüttelt allen die Hand und eilt mit EWN-Chef Dieter Rittscher zum Ostseestrand. Anpacken und los! Das soll sein Auftritt vermitteln, und so sagt er es auch in die russischen TV-Kameras, die er gleich mitgebracht hat: Keine Probleme, alles läuft nach Plan«, berichtete das Neue Deutschland im Juni 2009.11

Das schmucke Seebad Lubmin. Mit vielen bunten Werbebroschüren sorgte Nord Stream in der Vergangenheit dort für gute Stimmung. Selbst in der Kurverwaltung konnte Nord Stream seine Prospekte auslegen. Beim großen Seefest 2010 wurden von Nord Stream an der Seebrücke die Werbebroschüren verteilt. »Sie waren innerhalb einer halben Stunde weg«, erzählt mir der ehrenamtliche Bürgermeister Axel Vogt in seinem Büro im alten Bahnhofsgebäude des Seebades Lubmin. Einwände gegen das Projekt Nord Stream habe es nicht gegeben. Schließlich habe Lubmin während der Bauzeit von Nord Stream profitiert, weil Zimmer an die Angestellten und Arbeiter von Nord Stream vermietet werden konnten.

Auf die Frage, ob denn unter den Lubminer Bürgern nicht einmal der Zusammenhang zwischen Gazprom und der fehlenden demokratischen Kultur und der grassierenden Korruption in Russland diskutiert wurde, meinte Axel Vogt, dass die Menschen ja schon zu Zeiten der DDR mit dem Kernkraftwerk ganz gut gelebt hätten. Ja, man erinnert sich: »Die Geschichte der vier Reaktorblöcke vom sowjetischen Typ WWER 440, die seit 1973 nacheinander ans Netz gingen, gleicht einer Horrorchronik. Nach bis Anfang dieses Jahres geheimgehaltenen Berichten und Dokumenten, die dem Spiegel vorliegen, gab es im Kombinat ›Bruno Leuschner‹ nahe dem Dorf Lubmin, 22 Kilometer von Greifswald, immer wieder schwere Störfälle und fortwährend Verstöße gegen auch nur minimale Anforderungen an den Strahlenschutz.«12

Vier Tage lang, vom 22. Juni 2009 bis 25. Juni 2009, dauerte der Erörterungstermin in Stralsund über die vierzig Einwendungen von Verbänden, Institutionen und Privatpersonen gegen das deutsche achtzig Kilometer lange Teilstück der geplanten Ostsee-Pipeline. Die Frage der Umweltzerstörung spielte dabei eine besondere Rolle. Denn was bedeuten die Anladestation und die Pipeline tatsächlich für die Umwelt?

»Verlust teils hochwertiger Böden, Beeinträchtigung von hochwertigen Sandstandorten, Verlust von hochwertigen Biotoptypen (Kiefernwald et cetera), Verlust von Habitatsstrukturen für Brutvögel, erhebliche Beeinträchtigung für Seeadler, Rotmilan, Schwarzspecht, Heidelerche durch dauerhaften Funktionsverlust von Brutrevieren«, klagten engagierte Naturschützer wie der Biologe Günther Vater aus Greifswald, der seine Einwände bei dem Erörterungstermin im Juni 2009 dokumentierte.13

Das Bergamt Stralsund, zuständig für das Genehmigungsverfahren, hatte alle diese Beeinträchtigungen bestätigt. Im Planfeststellungsbeschluss heißt es dazu jedoch: »Die Verträglichkeitsprüfung ergab, dass der Bau und Betrieb der Anladestation geeignet sind, das EU-Vogelschutzgebiet Greifswalder Bodden und südlicher Strelasund erheblich zu beeinträchtigen, und dementsprechend das Projekt insoweit zunächst unzulässig ist. Aber die Beeinträchtigungen der Vogelarten rechtfertigen nicht die Ablehnung des für die Energieversorgung Deutschlands und Europas bedeutsamen energiewirtschaftlichen Projekts. Müsste auf den Bau der Anladestation an vorgesehener Stelle verzichtet werden, kämen dadurch die beantragten Projekte NEL14 und OPAL15 sowie auch das Projekt Nord Stream zu Fall.«16 Am 31. März 2011 gab Nord Stream in einer Presseerklärung bekannt, dass eine Naturschutzstiftung Deutsche Ostsee gegründet wurde und Nord Stream ein Stiftungskapital von zehn Millionen Euro einbringt. Bemerkenswert ist, wer zu der Stiftung gehört. Es sind die Umweltverbände BUND Mecklenburg-Vorpommern und der World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland.

Es ist der 6. September 2011. An diesem Tag wurde in Lubmin ein Jahrhundertereignis gefeiert – zum Wohle der sicheren Energieversorgung Deutschlands und Westeuropas, versteht sich. Es findet der Probelauf für die Erdgasleitung Nord Stream statt. Durch diese Pipeline wird nun das russische Gas aus den Gasfeldern Sibiriens nach Wyborg (nahe der russisch-finnischen Grenze) und von dort durch die Ostsee nach Lubmin gepumpt. Anwesend sind unter anderem der russische Ministerpräsident Wladimir Putin, Repräsentanten der deutschen Energiekartelle und Altbundeskanzler Gerhard Schröder, Vorsitzender des Aktionärsausschusses der Gazprom-Tochter Nord Stream. Mit verschmitztem, breitem Lächeln marschiert Gerhard Schröder, leger gekleidet im Sakko mit offenem himmelblauem Hemd, auf den zweitmächtigsten Mann der Welt zu: auf Wladimir Putin. Gerhard Schröder herzt Wladimir Putin auf eine Art und Weise, die man unter Umständen als ausgesprochen innige Beziehung interpretieren könnte.17 In Russland gilt diese Form der Umarmung als Ausdruck kameradschaftlicher Nähe und Brüderlichkeit.

In einem strategischen Analysebericht des Schweizer Bundesamts für Polizeiwesen vom Juni 2007 – Titel des Analyseberichts: »Organisierte Kriminalität und Nachrichtendienste aus der GUS« – wird auf Nord Stream hingewiesen. Dort wird unter anderem behauptet: »Generell lässt sich feststellen, dass die Nachrichtendienste bei Geschäften im Ausland vermehrt ihren Einfluss geltend machen und dabei auch auf nachrichtendienstliche Verbindungen mit anderen Staaten zurückgreifen Das lässt sich beispielsweise bei der im Jahr 2005 in Zug gegründeten Firma Nord Stream veranschaulichen.«

Der Bericht nimmt dabei Bezug auf den im Jahr 2005 einzigen Verwaltungsrat der Pipeline-Betreibergesellschaft Northern European Gas Pipeline Company, die später in Nord Stream umbenannt wurde. Er saß von 1987 bis 1990 im Verwaltungsrat einer Zuger Firma, die unter Umgehung der Embargobestimmungen gegen die DDR den Beschaffungshandel von Waren für die DDR organisierte. In dieser Zeit soll Urs Hausheer, laut dem Bericht des Bundesamts für Polizeiwesen, mit Wladimir Putin in Dresden »in Kontakt gestanden haben«.18 Das Unternehmen Asada galt für die DDR als Schwerpunkt bei der Beschaffung von Embargowaren. Urs Hausheer bestritt, Kontakte in die DDR oder die Sowjetunion gehabt zu haben.

Gazprom-Das unheimliche Imperium

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