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Wie Milliarden verschoben werden
ОглавлениеAuf den Kapverdischen und den Kanarischen Inseln waren im Sommer 2002 zwei Männer unterwegs, Jouri M. und Leonid Ch. Sie investierten Hunderte von Millionen Euro in Immobilien – das jedenfalls erzählten sie anderen Immobilienhändlern.
»Woher kommt das Geld?«, fragten die nach.
Die Antwort: »Machen Sie sich mal da keine Gedanken. Wir machen das für Gazprom, und über uns ist die schützende Hand von Wladimir Putin.«
Und dieses Prinzip hat bis heute Tradition: die schützende Hand. Ohne diese schützende Hand droht Investoren und Unternehmern in Russland die existentielle Vernichtung.
Lange Zeit war die deutschschweizerische Grenze in Richtung Zürich der Ort, wo Zollbeamte, wenn sie denn aufmerksam bestimmte Fahrzeuge kontrollierten, auf Männer mit russischen Unterlagen stießen. Im gepanzerten Mercedes kam am 20. Mai 2002 Wladislav L., der Inhaber einer Handelsagentur in Schweinfurt, von einem Trip aus Zürich nach Deutschland zurück. Mit im Auto saß Arsen Arslan Abakarow. Wladislav L. gab an, dass er hauptsächlich die Angestellten von Gazprom in Russland mit hochwertigen Autos beliefere, wofür er wohl auch die sechs Geschäftskonten in Riga benötigte. Dann fiel den Zollbeamten bei der Durchsuchung des Autos auf, dass er zwei Polaroidfotos bei sich hatte, auf denen er mit starken Gesichtsverletzungen und ausgeschlagenen Zähnen zu erkennen war.
»Das geht Sie nichts an«, erklärte er den Zöllnern.
Sein Begleiter Arslan Abakarow erzählte – zumindest übersetzte es Wladislav L. so –, dass er der »zweite Mann von Gazprom in Moskau« sei und Inhaber eines Unternehmens in Wien, der A & M Trading Handels GmbH. Neugierig geworden, suchten die Zöllner im Auto nach Dokumenten und stießen auf einen in Tapeten eingewickelten Briefumschlag, der zusätzlich noch in einer Plastikhülle steckte. Darauf stand: »Trident Corporate Services, Zürich«.
Es handelte sich um ein Schreiben der Firma Trident Trust samt mehrerer Dokumente, darunter eine Aktie im Wert von fünfzig Millionen US-Dollar. Der Mann, der von sich behauptete, eine wichtige Persönlichkeit bei Gazprom zu sein, verfügte außerdem über zahlreiche Bankverbindungen: von der Frankfurter Volksbank über die Erste Bank Wien, die UBS Zürich, die Taunus-Sparkasse Bad Homburg bis zur Banco de Andalucía war alles dabei, was Rang und Namen hat. Außerdem unterhielt er noch ein Bankkonto in Moskau, eines in Belize und ein weiteres in Riga. Zudem stellten die Zöllner fest, weil es aus dem ihnen vorliegenden Schriftverkehr hervorging, dass Arslan Abakarow und ein Alexander Sch. von Geschäften, die über Gazprom liefen, zwanzig Prozent Provision kassierten.
Das erklärte vielleicht die zahlreichen Bankverbindungen, aber nicht, warum der Fahrer und Dolmetscher aus Schweinfurt ganz offenkundig zusammengeschlagen worden war.
Als ich in Wien bei der in den Unterlagen angegebenen Firmennummer von Arslan Abakarow anrief, teilte man mir mit, dass er tatsächlich Repräsentant von Gazprom sei, und zwar in Dagestan. Aber unter der Wiener Firmenadresse selbst stieß ich auf einen russischen Journalisten, der nichts davon wusste, dass Abakarow diese Anschrift benutzte.
Weitaus geschickter operierte da Viktor Tschernomyrdin, der 1989 der erste Vorstandsvorsitzende von Gazprom wurde. Und wäre er nicht auf aufmerksame Zollbeamte gestoßen, wäre nicht bekannt geworden, wie er in der Schweiz Geld höchst fragwürdiger Herkunft deponierte.
Anfang Februar 2001, es ist kurz vor Mitternacht, und das Thermometer zeigt minus fünf Grad an. Im Zollamt Bietingen an der deutsch-schweizerischen Grenze kontrollieren die deutschen Zollbeamten nur stichprobenartig die wenigen Fahrzeuge, die aus der Schweiz kommen. Einem Beamten fällt ein Ford Mondeo mit tschechischem Kennzeichen auf.
»Woher kommen Sie?«, fragt der Zollbeamte den Fahrer.
»Aus Zürich, da war ich bei meinem Rechtsanwalt, um Geschäfte zu regeln.«
»Haben Sie etwas zu verzollen? Wie viel Bargeld haben Sie dabei?«, bohrt der Zollbeamte weiter.
»Nein, nichts«, war die Antwort.
Doch der Beamte ist misstrauisch. Das Misstrauen verstärkt sich noch, als ihm der in Slowenien geborene Geschäftsmann Peter K. freimütig erklärt, er sei in der Schweiz im Auftrag des Energiekonzerns Gazprom geschäftlich unterwegs gewesen. Und er erzählt, er würde regelmäßig nach München, Stuttgart, Düsseldorf und Berlin reisen.
Ein anderer Zollbeamter hätte ihn vielleicht jetzt weiterfahren lassen. Nicht so der erfahrene Zöllner, der sich im Fachbereich für organisierte Kriminalität und Geldwäsche weitergebildet hatte.
»Irgendwie stimmt da etwas nicht«, denkt er sich und lässt sich die drei Aktenkoffer öffnen, die auf dem Rücksitz des Ford Mondeo liegen.
In einem der Aktenordner findet er Passkopien von drei Unternehmern aus Moskau und einem Treuhänder aus Zürich. In einem weiteren Ordner findet er Unterlagen von Gazprom und von Peter K.s eigener Firma, der Laversdale Holding Limited mit Sitz auf den Bahamas, und eine Aufstellung über die gesamte Gazprom-Führungsstruktur. Der Beamte spricht ihn auf die Unterlagen von Gazprom an.
»Die Firma ist mein Leben«, antwortet er und fügt hinzu: »Ich habe gute Beziehungen zu höchsten Regierungskreisen in Russland, den USA, der Schweiz, Österreich, Belgien, Frankreich, Italien und Deutschland.«
Der Zöllner wird noch neugieriger, findet in den Unterlagen einen Schuldschein über hundert Millionen US-Dollar.
»Wegen dieser Papiere war ich beim Anwalt in Zürich.«
In der Schweiz genießt dieser Anwalt den Ruf, ein Tresor für jene reichen Russen zu sein, die ihr Geld gern in Immobilien investieren.
Als nächstes stößt der Zollbeamte auf Korrespondenz zwischen einem deutschen Unternehmer und einem Mann namens Viktor Stepanowitsch Tschernomyrdin beziehungsweise dessen Unternehmen United Gas Company sowie zwischen der bekannten Züricher Anwaltskanzlei und Viktor Tschernomyrdin. »Das scheint nun tatsächlich eine hochkarätige Angelegenheit zu werden«, denkt sich der Zöllner.
Viktor Tschernomyrdin war einst Minister für Erdöl- und Gaswirtschaft in der UdSSR, zwischen 1992 und 1998 unter Boris Jelzin sogar Ministerpräsident Russlands und von 1999 bis zum Juni 2000 Vorsitzender des Gazprom-Aufsichtsrats. Von 2001 bis 2009 diente er als russischer Botschafter in der Ukraine.
In seiner mehrseitigen ausführlichen Geldwäscheverdachtsanzeige vom 3. Februar 2001 an das Zollfahndungsamt Stuttgart schrieb der Zöllner aus Bietingen, nachdem er alle Akten kopiert und an das Zollfahndungsamt Stuttgart geschickt hatte: »Aus den gesamten mitgeführten Papieren ist nachvollziehbar, wie und wo die Geldtransfers von Angehörigen der Gazprom beziehungsweise deren Anwälten organisiert wurden beziehungsweise werden.« Auch sei aus dem Schriftverkehr mit den Züricher Anwälten auf Englisch beziehungsweise Russisch zu erkennen, wie die Transaktionen stattfinden. »Bei den aufgeführten Summen geht es meist um zweistellige Milliarden-US-Dollar-Beträge, die kleinsten Summen sind zweistellige US-Dollar-Millionenbeträge.« So weit die Auszüge aus der Geldwäscheverdachtsanzeige der Zollbeamten.
Geldtransfers in Höhe zweistelliger Milliardenbeträge in US-Dollar, belastende Korrespondenz des ehemaligen russischen Ministerpräsidenten und Gazprom-Aufsichtsratschefs wurden gefunden – und was geschah daraufhin mit den brisanten Dokumenten beim Landeskriminalamt in Stuttgart? Nichts. Mit Gazprom oder deren europäischen Repräsentanten legte man sich damals nicht gern an.
Viktor Tschernomyrdin liefert ein hervorragendes Beispiel dafür, was den Diebstahl von Staatseigentum angeht. Bekannt ist, dass er zum Beispiel in Österreich Scheinfirmen installierte, über die er einen Teil seines Vermögens bei Gazprom abgezweigt haben soll. Es soll sich um circa 600 Millionen Euro handeln. Vorgeworfen wurde ihm zudem, dass hohe Summen über Gazprom an ihn und an Firmen, die von seinen Kindern kontrolliert würden, geflossen seien. Die Rede ist von fünf Milliarden US-Dollar. Tschernomyrdin bestritt dies vehement, verwies auf seine offizielle Steuererklärung, wonach er für 1996 bescheidene 8 000 US-Dollar als Jahreseinkommen deklarierte. Für 1997 gab er dann eine Viertelmillion US-Dollar als Jahreseinkommen an.54
Da ist es kein Zufall, dass ein großer Teil der Bauvorhaben von Gazprom über die Stroitransgas realisiert werden, einer Firma, die vom Tschernomyrdin-Klan beherrscht wurde. Bereits 1998 erläuterte der Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski in einem Spiegel-Interview die Gründe, warum er Viktor Tschernomyrdin, der in den neunziger Jahren beste Beziehungen zu deutschen Unternehmern und Politikern unterhielt, für gefährlich hielt: »Weil wir die Korruption sehen, die sich unter ihm ausgebreitet hat. Weil wir um die vielen politischen Morde wissen, die in seiner Regierungszeit geschehen sind. Er war und ist der Repräsentant dieses oligarchischen Systems. Er hat, wie die Russen sagen, einen Kapitalismus aufgebaut für einen eng beschränkten Kreis von Leuten.«55