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Vorwort

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Als sie von meinem Vorhaben, ein Buch über den Gazprom-Konzern zu schreiben, erfuhren, warnten mich sowohl osteuropäische wie deutsche Freunde: Sollte ich es wirklich versuchen, hinter die Kulissen des Gazprom-Imperiums zu schauen, würde ich mir jede Menge Probleme einhandeln. Denn, so der russische Publizist Wladimir Iwandize, der wegen seiner kritischen Berichterstattung Russland verlassen musste und inzwischen in Frankreich lebt: »Gazprom ist eine Mafia-ähnliche Organisation, weil Gangster das Geld von Gazprom für ihre Aktivitäten benutzen.«1 Übertreibt der Kollege da maßlos?

Schon im September 2007 begann der Journalist Hans-Martin Tillack einen Bericht über Gazprom im Stern mit den Sätzen: »Es geht bei dieser Invasion um Gas. Aber mehr noch um eine große Menge Geld. Um sehr viel Geld für sehr wenige. Und zwar für Menschen, die größten Wert darauf legen, nicht bekannt zu werden.«2 Und das angesehene englische Wirtschaftsmagazin The Economist schrieb bereits 2006 in einem Artikel mit der Überschrift »Lege dich nicht mit Russland an«: »Putins Einsatz von Energie als Waffe ist nur eine Instanz des russischen Selbstbewusstseins, das heutzutage an Gangstertum anzugrenzen scheint.«3

Worum handelt sich also bei diesem Gazprom-Imperium?

Zu Zeiten der Sowjetunion war Gazprom ein Arbeitsbereich des Ministeriums für Gasförder- und Gastransportindustrie. Im Zuge der Perestroika wurde Gazprom 1989 in einen Staatskonzern umgewandelt und hatte sofort das Monopol auf 95 Prozent der gesamten sowjetischen Gasförderung. Am 17. Februar 1992 wurde aus dem bisherigen Staatskonzern eine Aktiengesellschaft, an der der russische Staat 41 Prozent Anteile hielt. Nach Wladimir Putins Machtantritt im Jahr 2000 erhöhte sich die Beteiligung des russischen Staates an Gazprom auf 50,002 Prozent.4 Putin machte Gazprom zu seinem persönlichen Projekt.

Heute beschäftigt Gazprom über 400 000 Mitarbeiter und ist einer der weltweit mächtigsten Energiekonzerne. Zu seinen Geschäftsbereichen gehören nicht nur die Förderung und Lieferung von Gas, sondern er ist zudem einer der wichtigsten Erdölproduzenten Russlands. Außerdem ist Gazprom unter anderem Mitbesitzer von Banken, Investmentgesellschaften, Fluggesellschaften, Versicherungen, Bauunternehmen und Medien. Geschätzt wird, dass Gazprom allein zwischen 2001 und 2007 über vierzig Milliarden Dollar ausgegeben hat, um Anteile von Unternehmen zu kaufen, die nichts mit dem Gasgeschäft zu tun haben.5 Dazu gehören insbesondere Anteile an Konzernen der Erdölindustrie und Elektrizitätswerke. Über Hunderte von Tochtergesellschaften und Joint Ventures ist Gazprom zudem auf dem globalen Gasmarkt aktiv, unter anderem in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Holland und Frankreich.

Auffällig sind die schier unüberschaubaren Netze von Strohfirmen und geheimen Holdings, die von der Schweiz nach Luxemburg, Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien bis nach Zypern reichen. Gazprom-Tochtergesellschaften haben ihren Sitz in Steueroasen, um die Steuerlasten zu vermindern.6 Für einen Staatskonzern eher ungewöhnlich. Denn das Geld fehlt für die notwendigen sozialen Infrastrukturmaßnahmen in Russland. Im Jahr 2010 betrug der von Gazprom erwirtschaftete Gewinn 23,8 Milliarden Euro und damit 24 Prozent mehr als im Jahr 2009.7Von diesem Weltkonzern kommt immer wieder gebetsmühlenartig die Aussage, die von deutschen Politikern gern nachgeplappert wird: Durch Gazprom werde die Versorgungssicherheit mit Gas in Europa, insbesondere in Deutschland oder Österreich, gewährleistet.8 Die Frage, wie hoch der Preis dafür ist, den wir alle bezahlen müssen, wird hingegen kaum gestellt.

Wer das Gazprom-Imperium verstehen will, muss sich zwangsläufig auch mit Wladimir Putin und seiner Vergangenheit und die seiner langjährigen Wegbegleiter beschäftigen. Vor über zehn Jahren recherchierten der russische Journalist Wladimir Iwandize und ich unabhängig voneinander über die mutmaßlichen Verstrickungen Putins in korrupte und kriminelle Machenschaften in Sankt Petersburg, wo er Anfang der neunziger Jahre zweiter Bürgermeister war. »Sich damit zu beschäftigen ist außerordentlich gefährlich, schrieb er mir damals. Du hast es mit ehemaligen und noch aktiven KGBLeuten zu tun, und dazu kommt noch die Tambowskaja-Mafia.«

Ähnlich argumentierte Craig Murray, der ehemalige Botschafter Großbritanniens in Usbekistan. »Es ist wahr, Russland ist heute so etwas wie ein Gangsterstaat, in dem die Mafia in Verbindung mit dem KGB und ehemaligen KGB-Angehörigen in Wirklichkeit diesen Staat kontrolliert.«9

Viel Lärm um nichts, billige Hysterie?

Beim wichtigsten russischen Konzern Gazprom beziehungsweise dessen Tochterfirma Nord Stream AG ist schließlich ein deutscher Exbundeskanzler sogar Vorsitzender des Aktionärsausschusses, und er hat dort sein überragendes, ausgeprägtes sozialdemokratisches politisches und persönliches Renommee eingebracht. Der wird doch niemals mit jemandem aus einem Gangsterstaat kooperieren. Schließlich besitzt er das SPD-Parteibuch, und im Grundsatzprogramm der SPD steht: »Mit ihrer durch Kartelle und Verbände noch gesteigerten Macht gewinnen die führenden Männer der Großwirtschaft einen Einfluss auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Sie usurpieren Staatsgewalt.« Und genau das wird ja Gazprom vorgeworfen.

Auffällig ist, dass es sich bei Gazprom und den weit über hundert Tochter- und Zwischengesellschaften um einen nicht besonders transparenten Konzern handelt, um es diplomatisch zu formulieren. Hinzu kommt, dass einige Gazprom-Zwischenfirmen »Verbindungen zu Gruppen der organisierten Kriminalität in Russland und Europa hatten, während andere dieser Mittlerfirmen verdächtigt wurden, Hunderte Millionen Dollar zu waschen, die auf Konten von hochrangigen russischen, ukrainischen Politikern und Staatsbeamten deponiert wurden.«10 Alles nur üble Verdächtigungen?

Unbestritten dürfte sein, dass in den letzten Jahren Hunderte von Millionen Euro in mehr oder weniger dunklen Kanälen versickert sind. Und genauso sicher ist, dass die Bürger in Europa kaum Aussichten haben, billiger Gas geliefert zu bekommen – im Gegenteil. Sie müssen mit immer höheren Energiepreisen rechnen. Prinzipiell gelingt es Gazprom, mit welchen Mitteln wird in den kommenden Kapiteln gezeigt, langfristige Verträge abzuschließen, bei denen der Gaspreis an den Ölpreis gebunden ist.

Das sichert hohe Gewinne zu Lasten der Verbraucher, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Ölpreise wegen politischer Instabilität in den Ölförderländern in Zukunft weiter steigen werden, die Kosten für Gas jedoch wegen des enormen Angebots eher sinken, lässt Rubel und Dollar in die Kassen der multinationalen Konzerne sprudeln. Und die deutschen Verbraucher werden deshalb in Zukunft hohe Gaspreise zahlen dürfen.

Für Andrej Owschinnikow, dem Öl- und Gasanalytiker der Credit Suisse, ist klar, dass »die Verbindung des Gaspreises mit dem Ölpreis Gazprom in Europa zum Hochpreislieferanten gemacht hat, eine Situation, die sich in der Zukunft fortsetzen wird«.11 Aber wohin fließen diese Gewinne, und wer profitiert davon? Es ist das System Putin!

Gazprom war nach Putins Machtantritt am 7. Mai 2000 das erste Unternehmen, in dem sämtliche Schlüsselpositionen durch seine Bekannten und/oder engen Freunde aus Sankt Petersburg besetzt wurden. Sie arbeiteten in den neunziger Jahren entweder in der Sankt Petersburger Stadtverwaltung, der Aktiengesellschaft Hafen Sankt Petersburg, in Sankt Petersburger Handelsunternehmen oder beim Geheimdienst, dem KGB beziehungsweise, nachdem der umbenannt wurde, beim heutigen FSB.

Diese Konstellation ist im Vergleich zu anderen globalen Energiekonzernen durchaus ungewöhnlich. Üblicherweise werden derartige Führungspositionen von jenen Männern oder Frauen übernommen, die über eine entsprechende Ausbildung und langjährige Erfahrungen in Energieunternehmen verfügen. Ob das für die ehemaligen Verwaltungsangestellten, die Mitarbeiter oder Manager von Hafenbetrieben oder Immobilienfirmen aus Sankt Petersburg gilt, darf bezweifelt werden.

Genau sie jedoch wurden von Wladimir Putin in die Toppositionen der führenden russischen Öl- und Gasunternehmen gehievt. Alle verbindet zudem ein Geheimnis, das in Sankt Petersburg im wahrsten Sinne des Wortes begraben ist.

In diesem Buch will ich – davon abgesehen, dass ein Sankt Petersburger Geheimnis gelüftet werden soll – zwei Probleme aufzeigen, die unsere Gesellschaft verändert haben oder verändern werden. Da geht es zum einen um jene Konzernchefs, Toppolitiker, Lobbyisten und manche Dunkelmänner nicht nur in Russland, die Millionen und Milliarden Euro in ihren Taschen verschwinden lassen, sowie ihre Helfershelfer und Propagandisten auch in Westeuropa. Das hat nicht nur, aber in diesem Fall viel mit Gazprom und dem Kreml zu tun. Zum anderen geht es darum zu zeigen, dass heute in Politik und Wirtschaft, ob in Russland oder beispielsweise auch in Deutschland oder Österreich, nicht einmal ansatzweise ethische Grundsätze von Bedeutung sind. Auch das wiederum lässt sich am besten am Beispiel von Gazprom und den direkten oder indirekten Helfershelfern – wäre man bösartig, würde man sie Komplizen nennen – in Europa und Deutschland dokumentieren.

Gazprom jedenfalls, tönte am 27. Mai 2008 der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew in einer Rede vor Vorstandsmitgliedern von Gazprom, sei »eine Macht, mit der man rechnen muss, und eine wichtige Macht in der Welt«.12 Diese Aussage bekräftigte mir in einem Hintergrundgespräch ein osteuropäischer Unternehmer, der eine Tochtergesellschaft von Gazprom führt: »Das ist eine politische Firma. Die wirklich Mächtigen bei Gazprom sind Politiker. Und dadurch war und ist bis heute immer ausreichend viel Geld vorhanden, um ihre Politik zu finanzieren.«

Gazprom-Das unheimliche Imperium

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