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Der plötzliche Reichtum der Räuber aus dem Innenministerium

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Während Sergei Magnitski im Gefängnis massiv unter Druck gesetzt wurde, um seine Aussagen über Artem Kuznetsow und Pavel Karpow zu widerrufen, kam es bei beiden Offizieren zu einer wundersamen Geldvermehrung. Sie, die verantwortlich dafür waren, dass Sergei Magnitski in einer dunklen Zelle inhaftiert war, genossen zur gleichen Zeit das süße Millionärsleben trotz eines bislang eher mageren Einkommens.

Oberstleutnant Artem Kuznetsow reiste nach Dubai, Kuba, Paris, war dreimal in Italien, jettete in einer Privatmaschine zusammen mit seiner Frau zu einem Kurzurlaub nach Zypern und residierte im Luxushotel Londa in Limassol. Seine Eltern waren in der gleichen Zeit – wie bei einem Lottogewinn – von einem Tag auf den anderen geradezu unermesslich reich geworden. Die beiden Pensionäre mit einer monatlichen Rente von je 180 US-Dollar kauften in Moskau Immobilien im Wert von 3,2 Millionen Dollar. Hinzu kamen noch zwei teure Range Rover und ein Mercedes-Benz SLK 200. Alle Luxusfahrzeuge wurden auf die beiden Pensionäre eingetragen. Kuznetsow selbst wurde befördert: vom Büro gegen Steuerkriminalität der Stadt Moskau zum FSB, Abteilung für wirtschaftliche Sicherheit.

Sein Kollege Major Pavel Karbow vom Innenministerium, dessen Monatseinkommen 2008 noch rund 535 US-Dollar betrug, genoss die neue Situation ebenfalls. Er dinierte in den edelsten Moskauer Restaurants und feierte in Nobeldiskotheken. Besonders viel dachte er jedoch – genauso wie sein Freund und Komplize Artem Kuznetsow – an seine Eltern. Das monatliche Einkommen seiner Eltern belief sich im Jahr 2007 auf umgerechnet 550 US-Dollar. Am 27. November 2008 wurde im Grundbuch der Stadt Moskau Karbows Mutter als Besitzerin eines Appartements im Wert von 930 000 US-Dollar eingetragen. Dazu kamen zwei Grundstücke außerhalb Moskaus im Wert von 120 000 Euro. Seine Eltern kauften sich außerdem einen neuen Audi A3 im Wert von 47 000 Euro und einen gebrauchten Porsche 911 Carrera für 41 000 US-Dollar. Der Major ließ auf seinen eigenen Namen einen Mercedes Benz 280 für 72 610 US-Dollar und einen Porsche Cayenne im Wert von 126 000 US-Dollar eintragen. Und er unternahm im Jahr 2008 zahlreiche Reisen: nach Großbritannien, in die USA, nach Italien, Barcelona, Wien, Griechenland, zweimal nach Zypern und Dubai; er machte zwei Wochen Urlaub in der Karibik . Auch ihm wurde ein profitabler Karrieresprung beschert: vom Ermittler der Moskauer Abteilung des Innenministeriums zum Mitglied des Untersuchungskomitees des russischen Innenministeriums.

Diejenigen vier Mitarbeiter des Moskauer Finanzamtes Nr. 28, die vor Weihnachten 2007 innerhalb eines Tages die Steuerrückerstattung der geraubten Hermitage-Unternehmen ohne jegliche Prüfung genehmigten, profitierten in besonderem Maße von dem Betrug. Addiert man ihre neuen Vermögenswerte, kommt man auf die Summe von mindestens 43 Millionen Dollar.

Am meisten profitierten Olga Stepanowa, die Leiterin des Finanzamts 28, und ihr Ehemann Vladlan Stepanow. In der Zeit von 2006 bis 2008, so geht aus ihren Steuerunterlagen hervor, verfügten sie über ein jährliches Einkommen von immerhin 38 381 US-Dollar. Vladlan Stepanow gründete am 26. Januar 2008 die in Nicosia eingetragene Arivust Holding. Von hier aus wurden auf ein Konto bei der Credit Suisse in Zürich hohe Summen überwiesen. Innerhalb eines Monats waren das 7,1 Millionen US-Dollar. Außerdem wurde von ihm auf den Virgin Islands eine weitere Gesellschaft gegründet, die Aikate Properties. Hier gingen zwei Einzahlungen in Höhe von 750 000 und 650 000 US-Dollar ein. Gleichzeitig investierten die Leiterin des Finanzamtes 28 und ihr Ehemann elf Millionen US-Dollar in Immobilien in Moskau, aber diesmal im Namen von Vladlan Stepanows Mutter. Eine Villa in Bar, Montenegro, war für das Ehepaar Olga und Vladlan Stepanow selbst gedacht. Wert: 471 000 US-Dollar. Und sie reisten jetzt viel, allein neunmal nach Dubai, wo sie sich 95 Tage aufhielten. Wahrscheinlich um endlich eine ihnen angemessene Villa zu finden. Drei Millionen US-Dollar investierten sie in das gefundene Objekt. Für 455 Quadratmeter, Kinoraum, sieben Badezimmer und sechs Schlafzimmer muss man schon einiges hinlegen. Im Kempinski-Hotel in Dubai kauften sie noch zwei Luxusappartements – laut den Hotelunterlagen – im Wert von 2,6 Millionen US-Dollar.25

Olga Stepanowa, die Chefin des Finanzamtes Nummer 28, die urplötzlich mit ihrem Mann zu sagenhaftem Reichtum gekommen ist, hat unterdessen ihren Posten beim Finanzamt verlassen. Sie arbeitet nun für eine neue Agentur, die von Dmitri Medwedew gegründet wurde und die Aufgabe hat, die Beschaffung und Verteilung der Polizei- und Militärausrüstungen für die Sicherheitsdienste und das Militär zu kontrollieren.

Kein einziger der Beteiligten an diesem Riesenbetrug wurde bislang angeklagt, geschweige denn verurteilt. Für die rechtskonservative Erika Steinbach, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist der Fall des Rechtsanwalts Sergei Magnitski »beispielhaft für gravierende Mängel im russischen Justizsystem … Das Interesse seitens der russischen Regierung an der Strafverfolgung der Täter und der Hintermänner scheint gering.«26

Bei Stellungnahmen der deutschen Konservativen weiß man leider nie genau, ob hier nicht doch der jahrzehntelange Antikommunismus die Feder führt. Aber von dieser Presseerklärung abgesehen, war von deutschen Politikern, insbesondere aus der SPD, keine einzige klare Stellungnahme bekannt.

Während der Anwalt Sergei Magnitski in Moskau im Gefängnis saß, versickerten die anderen gestohlenen Werte des Investmentfonds Hermitage Capital in dubiosen Banken und Firmen. »Das gestohlene Kapital«, so eine Untersuchung des Organized Crime and Corruption Reporting Projektes (OCCRP) über eine russische Geldwaschanlage, »wurde über eine Reihe von Unternehmen geschleust, unter anderem der Nomirex Trading in Birmingham. Nomirex ist Teil einer internationalen Geldwäscheplattform und wird von verschiedenen bedeutsamen Kriminellen für Geldwäsche benutzt, insbesondere von asiatischen kriminellen Organisationen.«27 OCCRP hat auf seiner Webseite http://www.reportingproject.net alle entsprechenden Dokumente veröffentlicht.

Im Zusammenhang mit Geldwäsche der gestohlenen Gelder des Investmentfonds Hermitage Capital nennt William Browder auch eine österreichische Bank, die Raiffeisen Zentralbank International in Wien. Demnach sei ein Teil des Geldes von Hermitage über Korrespondenzbanken zweier Moskauer Finanzfirmen, der Interkommerzbank und der Universal Savings Bank (USB), bei der Raiffeisen Zentralbank International deponiert und gewaschen worden. Die Universal Savings Bank taucht auch in den Geldwäschestrukturen auf, die von der OCCRP ermittelt wurden. Den Vorwurf der Geldwäsche und Verwicklung in Steuerbetrug in Russland wies die Raiffeisen Zentralbank entrüstet zurück. Entsprechende Ermittlungen der Finanzmarktaufsicht in Wien jedenfalls wurden eingestellt.

Damit gab sich William Browder in London jedoch nicht zufrieden. Mitte Dezember 2011 wurde bekannt, dass das Landgericht Wien nun über eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die Raiffeisen Zentralbank wegen des Verdachts auf Verwicklung in Geldwäsche entscheiden muss.28

Nachdem die US-Regierung aufgrund der Vorfälle um den ungeklärten Tod von Rechtsanwalt Sergei Magnitski im Juli 2011 gegen mehr als sechzig in den Skandal verstrickte russische Personen ein Einreiseverbot verhängt hatte, antwortete Russland in der altbewährten Art und Weise. Elf amerikanische Beamte wurden im Oktober 2011 zu unerwünschten Personen erklärt. Es seien Beamte, die in kriminelle Handlungen gegen russische Bürger und in andere Verletzungen der Menschenrechte verstrickt seien, so Alexander Lukaschewitsch, der Sprecher des russischen Außenministeriums in einer Presseerklärung. Alexander Lukaschewitsch, der von 2002 bis 2006 in der Bonner Außenstelle der russischen Botschaft als zweiter Sekretär gearbeitet hatte, erwähnte die Folter von Verhafteten in Guantánamo und das Töten von Zivilisten im Irak und in Afghanistan als mögliche Gründe für das Einreiseverbot. »Die Angelegenheit ist noch nicht zu Ende. Wenn die USA weiterhin den Weg der Visakonfrontation gehen, werden wir die Liste erweitern.«29

Anfang Februar 2012 wurde aus Moskau gemeldet, dass Sergei Magnitski posthum wegen Steuerhinterziehung angeklagt werden wird. Auch William Browder soll der Prozess unter anderem wegen Steuerhinterziehung gemacht werden. Die Angehörigen von Sergei Magnitski reagierten mit Empörung auf die Anklage und sahen sie als Revanche des FSB dafür, dass dessen Mitarbeiter der Bestechung und des Diebstahls von 230 Millionen US-Dollar beschuldigt wurden.30 Gegen die korrupten Mitarbeiter der Sicherheitsbehörde und des Finanzamtes gab es weder Ermittlungen noch eine Anklage.

Gazprom-Das unheimliche Imperium

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