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Landbau und Landleben

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Mitte des 19. Jahrhunderts war – anders als in weiten Teilen der Monarchie – im Bregenzerwald die Zeit der Subsistenzwirtschaft1 schon weitgehend vorbei und die Selbstversorgung auf bescheidene Verhältnisse geschrumpft. In Felders Autobiographie kommen Kraut und Rüben gerade zweimal vor, Salat einmal, Kartoffeln oder Nüsse gar nicht. Darin liegt die wesentlichste Ursache für die Abhängigkeit von der Milchwirtschaft und die Übervorteilung durch Käsehändler. Ausbeutung war zwar als Begriff noch nicht geboren, aber die Arbeitsteilung war so weit vorangeschritten, dass dem Welthandel der Boden bereitet war. In seiner heutigen Form führt dieses System nicht mehr nur den einzelnen Landwirt, sondern den gesamten Stand an die Grenze seiner Existenz. Damit kommt eine jahrtausendealte Kreislaufwirtschaft zum Erliegen, verkümmern Biodiversität und Artenvielfalt, expandieren Abhängigkeiten und Monokulturen und wird der Landbau zu einem Hauptverursacher von Umweltschäden und Klimawandel, zum Auslöser des fatalen Attraktivitätsverlusts eines Lebens am Land, der Landflucht und letztlich zu einer globalen Bedrohung unser aller Existenz.

Heute sind Land und Landschaft die Gestalt gewordene Ignoranz ökologischer Zusammenhänge und ästhetischer Fühllosigkeit, das Ergebnis wirtschaftlicher Gier und verlorener Liebe zur Schöpfung.

Fotografien von Vorarlbergs Rheintal zum Ende des 19. Jahrhunderts lassen Ortschaften kaum erkennen, sie lagen versteckt in Obstbaumhainen. Während der großen Depression der 1930er Jahre reiste meine Großmutter in 22-stündiger Zugfahrt aus dem Salzkammergut ins Rheintal, um dort ihren Rucksack und zwei große Taschen mit Obst zu füllen.

In meinem Vorderwälder Ortsteil, von dessen zwanzig historisch belegbaren Höfen aktuell zwei eine Zukunft haben, wurden die letzten Obstbaumreste von den heurigen Februarstürmen weggefegt. Wohin, ließe sich fragen.

Ein Südtiroler Apfelbauer hat mir sein Leid geklagt. Derzeit erlöse er nur noch 10 bis 17 Cent für ein Kilo Golden Delicious. Sie wissen, dass wir für ein Kilo Äpfel teils das Dreißigfache bezahlen? Wo bleiben die Gewinne? Denn selbst ihre schäbigen Prozente haben die Bauern mit Düngemittel- und Maschinenproduzenten zu teilen. Der Handel forciert gewisse Sorten, und wenn sich deren Hype verbraucht, beginnt in Südtirol der Kahlschlag. Riesige Plantagen werden aktuell gerodet, um eine neue Sorte anzubauen. Sie können sich jetzt schon gefasst machen, in Kürze werden wir im Apfelregal des Supermarkts auf den Shinano Gold treffen. Die Unbill wurde neu gekleidet. Gemäß Bert Brechts Feststellung, dass der Wahnsinn unsichtbar wird, sobald sein Ausmaß groß genug ist, wurden die „Käsegrafen“ zahl-, namenlos und unsichtbar. Und je ferner die konkreten Produktionsverhältnisse unserem Blickfeld rücken, umso brutaler wird ihr Vergehen an Mensch und Natur.

Nachdem mein Sohn Lukas im Rahmen seines Zivildienstes in Ecuador die Lebensumstände dortiger Bauern mitverfolgte, drängt er auf den Kauf von Fair-trade-Bananen. Und nachdem er im Zuge von Dreharbeiten Schlachthöfe und fleischverarbeitende Betriebe von innen gesehen hat, isst er kein Fleisch mehr.

Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020

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