Читать книгу Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020 - Jürgen Thaler - Страница 18
Yvan Goll.
Unveröffentlichte Gedichte und Tagebücher 1918 – 1940
ОглавлениеAus dem Nachlass von
Robert Warnebold
Gedichte 1918 – 1930
Abstieg
Jung schwang ich mich empor
Im Knochengebirg
Nach Göttern zu graben:
Viele Väter vor mir
Viele Söhne nach mir
Lockt der Granit.
Zum Übermut.
Doch bald
Wirft sie’s zurück
In leuchtendes Vergessen:
Rasch mit dem Wasserfall
Reisst sie’s hinab – –
Weise vom Sturz
Reich vom Verlust
Such ich die Menschen
Die ich zurückliess:
Ruhig
Erwart ich ihre dunkle Karawane
Ihre langsame
Karawane
Am Hügel lehnend
Den Kopf im roten Klee
Und – mit den Füssen im Bach
Des Himmels Bild
Zerschlagend
*
Und wende mich um
Ein Mensch unter Menschen
Von all dem Treiben
Nur einen roten Klee
Im Knopfloch
Bergwald
O Wald, du leuchtender lächelnder Freund
Mit grünem Moosbart
Von Sonne triefend und von Harz
Mit tausend Armen umarmend,
Mit tausend Händen verschwendend:
Ich brauche deine Güte!
Gib
Du Reichgeborener,
Goldäugiger, der wie ein Patriarch
Mit kleiner Erdbeerliebe sich umgibt
Und ein Ballett von Rehen unterhält
In der Waldmeisterlichtung –
Geheimniskundiger
Der mit den Wölfen und den Hexen verkehrt
Und greiser Eulen Weisheit lernte:
Du gib mir das Geleit
Bis ans Gebiet der Steine –
Und der Einsamkeit
Und zuversichtlicher
Beschreit ich dann den Weg
Des Einsamen.
Fels-Grat
Steig, steig
Und wär's umsonst!
Zehnmal gekreuzigt von der Sonne Nägeln
Und immer kleiner vor den Türen des Himmels
Du hängst am Rand der Erde – –
Und fehlt dein Fuss – fällst du ins Nichts hinauf.
Ein Tänzer musst du sein
Auf Spitzen balancierend
Nackt zwischen Tod und Tod
Der Stein ist los
Der Fels ist fremd
Du Mensch: was klopfst du an den Türen des Himmels?
Stumm
Fluch
Und überwind dein Herz
Gekreuzigt von der Sonne Nagel
Noch einmal fluch
Und überwinde Gott!
Gesang des Mädchens
1.
Streichle mich, Frühwind,
Betöre mich mit deinen Amseln,
Beströme mich mit deinem Lächeln.
Da steh ich
Schmal zitternd
Ein Mandelbäumchen
Mit blassen Blättchen,
Und unter deinen heimlichen Küssen,
Mannwind,
Reift mein rosa Gefühl
Und Durchduftet das Tal.
2.
Umschwalbe mich, Frühling,
Umlerche mich, Süsswind,
Ich bin deine Wiese
Erblüht und erkleet!
Ich minze den Bach,
Ich bächle das Wäldchen,
Ich nachte und monde
Dem Liebenden zu.
3.
Der Wölkinnen rosigste
Der Rosen wolkigste
Will ich dir sein!
Ganz hin geduftet
Deinem Rauschen,
O dass du mich umdornest
Und dunkel dich entadlerst
Und mir lächelst:
Unhimmlischer Gott!
Gletscher
In der pariser Morgue
Sah ich einmal die Toten eines Tags,
In Eissärgen zur Schau gestellt:
Ich suchte einen Freund
Und fand ein Dutzend …
So stand vor mir der Gletscher
Mit seinen Totenkammern:
Hier war der Götter Grabstatt
Hier sah ich vieler Morgenröten
Altgewordene Leichen
Und früher Riesen dauernde Skelette
Und dort auf einem weissen Felde
Vom Frühlingsföhn des Schnees gelockt
Lag eine Saat von kleinen grauen Vögeln
Die trunken aus dem Tal
Mit irren Schwingen
An ihren Traum
Geglaubt
Und dafür starben
Nachthütte
Erst in der Hütte
Ward’s wieder menschenwarm:
Es duftete nach herbem Holz
Nach liebem Feuer
Nach Frauenhaar!
Nun, seinen Sieg vergeuden!
Wie nur ein Gletscher im März
Hinrieseln
Hinsinken
Hinschmelzen
Aus allen Munden tropfen
Aus allen Augen weinen
Zergehen zu Tal
Zerrinnen zu Tiefe
Essen
Schlafen
Mensch sein
An der Schulter
Die vergänglich ist
Und zittert
Schlucht
Sind die Menschen für das Aug der Sterne
Das mit Feuerblicken
Sie erprobt:
Sind die Menschen mehr als ein Gekröse
Ein schattiges Geschlecht
Im Tanz der Wälder und der Städte?
Krone der Schöpfung!
Mit eckigen Köpfen
Mit Herzfehlern
Hungersnöten ausgesetzt
Und den schlimmeren Instinkten!
Dumpfe Gruppen mit Trommeln,
Müde Massen des Schweigens
Füllen die Plätze
Füllen die Häuser
Und arbeiten
Und arbeiten
Und arbeiten
Und wenn sie nicht arbeiten
Klagen sie
Klagen das Aug der Sterne an
Das sie ansieht
Und verlangen dass es ihnen helfe,
Und wissen nicht
Wozu es ihnen helfen soll
Wald
O Wald, mein bärtiger, reichgeborener Freund
Der funkelnd von Goldsmaragd
Mit tausend Armen und tausend Händen
Sein Alles ausstreut
Und immer freundlich ist.
Du Vie[l]gewaltiger
Der sich mit Kleinstem abgibt
Die Erdbeeren zu liebenden Herzen erzieht
Aus jedem Reh eine Tänzerin macht
In der waldmeisterduftenden Lichtung
Geheimniskundiger auch
Der mit den Wölfen und den Hexen verkehrt
Jedoch am glücklichsten
Wenn ein dummes Rotkehlchen
Die Tonleitern übt
Dass du mein Freund bist
Und mich den ersten Weg begleitest
Bis ans Gebiet der steinernen Einsamkeit
Wie zuversichtlich
Schreit ich aus!
Wald (2)
Du wirfst deinen nächtigen Mantel um mich
Legst Moos um meine Füsse
Legst Moos um meinen Mund
Und hältst den Schlag meines Herzens an!
Und doch gibst du mir keine Ruh:
Du Tausendäugiger!
Unheimlich ist mir deine Freundschaft!
Unheimlich deine väterliche Art:
Denn spielst du nicht mit der Angst der Rehe?
Verschweigst du nicht, du Tausendstimmiger,
Ein schreckliches Geheimnis
Mit deiner Eulen flügellosem Flug?
Geschehn nicht Morde
Am Mittaghang
Der rot von Erdbeeren brennt?
Was will die Wurzel,
Die nach mir rennt?
Ich fürchte mich vor deinem goldenen Lächeln
Vor deiner tiefen Tiere
Gottlosen Augen.
Gedichte 1930 – 1937
Ans Kreuz des Südens
Hast du mich angeschlagen
Nun leucht ich weiss – doch tot – diese
deine Nächte
*
* *
*
Plötzlich erschrak mein Körper
Inmitten der brennenden Rosen
Brannte er mit – ohne dich
Auteuil, 27.8.1933
Einen Tag und eine Nacht brauchte ich
Um zu begreifen
Dass Du es warst der an mein Herz klopfte
Stark war ich und gross
Wie im Gebirge
Wuchsen meine Schmerzen über die Welt hinaus
Das Linnen der Begrabenen presste meinen Leib
Die Starre der Vergessenen dörrte meine Glieder
Meine Augen waren leer wie die der Denkenden
Da traf dein Atem mich
Und ich erzitterte auf meiner Erde
Zarter als der Krokus auf den Gräbern im Frühlingswind
Leise rührtest du mich an
Setztest sanft mir neue Augen ein
Meine Brüste wurden spitz von der Berührung des Engels.
Schwach bin ich nun
Erschrocken und stumm
Starr ich mit deiner Sehkraft
Ins Antlitz der Verheissung
Zögere nicht länger
Du der über mich schwebt
Spüre mein tödliches Zittern
Stoss herab o mein Gott
Komm!
Hochsommerlied
O dein Mohnblut
Im Gewoge des Hafers
Blaue Krone des Korns
Die zum König mich kürt
O du silberner Rittersporn
Der die Lenden mir schürt
Blühende Dornenhecke
Dach meines Schlafes
Dein Sommersonnengesicht
Mir Atem mir Speise mir Licht
Iwan
21. Juni 1938
Hügelwiese
Nur einmal noch –
Bevor der Berg beginnt –
Den Kopf an deine traumduftende
Hüfte schmiegen
Das Haar mit Veilchengras vermischt
Und im Geruch der Urgeburt versunken –
Mutter! Mutter!
Die ich verschrie,
Niedere, Dienende,
Die ich verschmähte,
Die Wäsche wusch
Im Acker grub
Und nach dem Regen fragte –
Mutter, Demutsmutter, Demeter
Hier hier vor meinem Gang zu Gott
Knie ich zu deinen Knien
Und esse deinen Staub
Weib, Leib, Erde!
Ich lass fallen von mir
Jahr um Jahr
Wie der Platanenbaum seine Rinden.
Langsam von der Stirn
Löst sich das seidne Gelock
Und der Geliebten
Rötliches Lied entweht.
Immer nackter wird meine Brust
Immer einsamer mein Mund
Immer grösser wird der Himmel
Da die Augen mir
Übergehn
Klage auf Delos
O käme jetzt die Amazone
Noch den Galopp des Mustangs in den Hüften
Und blutnass die Gelenke
Von der gerade tobenden Schlacht:
Sie würde mich retten,
Nachtschattengefangene!
Aber der Wind
Findet den Weg zu mir nicht mehr,
Die rosablaue Dämmerung
Erstickt mich unter dem seidenen Zelt.
Vom Himmel hängt die Ampel
Die offenmündige Dattura
Und mischt die Düfte des Todes
In meinen Atem.
Dort brennt die rote Schlacht,
O klirrende Amazone
Und dein Geschwader aufgeschäumter Pferde
Sprengt Blitze in den Abend.
Ich sehe deine rauchende Schulter
Verwegene Heldin, fern!
Mir aber steckt das Beil des Monds im Fleisch
Und meine Mattheit ruft
Die Tiere der Trauer schon:
Die grossäugigen Sphinxe
Und den bekreuzten Totenkopf,
Indessen die Fledermäuse
Mir schon die schwarzen Gehänge weben.
Mein grosser Häuptling
Ich danke dir dass du bist!
Ein wildes Fest muss ich feiern
Toben einen neuen Tanz
Und opfern dem Schöpfer
Der uns dein starkes Herz
Erstrahlen liess:
Palu!
Du bist der erste Mensch
Der ersten Tage
Des erhabenen Jahrhunderts!
Zur Führerin geboren
Des geistigen Geschlechts
Das doppelseelisch ist!
Das 33. Jahr
Das Jahr, in dem die Dichterpropheten
Den einsamen Berg ersteigen
Um die Sonne herabzuholen
Den bangenden Menschen!
Ich stehe an seinem Fuss
Bereit deine Botschaft zu künden
Wana
Paris, 5. 1. 1933
Wind
Da plötzlich löst ein Einzelner
Vom Zuge sich:
Sprach mich wer an?
Blickte ein Weib?
Nein
Ein
Flüchtiger
Flüssiger
Wind
Fuhr in mein Haar
Umschlang meinen Hals –
Ich hob das Haupt
Sah eine Sonne
Eine goldene Wolke
Ein Dreieck von Störchen
Rudernd gen Nord-Südwärts:
Und ich ihnen nach
Ihnen nach
Zehn Welt tief unter uns
Donnert die Untergrund
Zehn Himmel über uns
Schwirrt der Schneemöwenschwarm
Planetenwärts –
Was wissen wir vom Streben unsrer Kniee?
Was vom Altern unsres Haars?
Wir halten uns
In Höhe unserer schmalen Augen
Nichtachtend der Welten
Über und unter
Für Paula, 2. März 1931