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Kinder im Gefängnis

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Was es bedeuten könnte, diese Kinder vor dem Zugriff der Maras und ihrer Gewalt zu bewahren, hatten wir am Tag zuvor im Kinder- und Jugendgefängnis von Támara, etwa 25 Kilometer außerhalb der Hauptstadt erlebt. Es liegt unweit des Zentralgefängnisses, in dem noch 2004 durch ein Feuer 105 Kinder und Jugendliche verbrannten, weil die Gefängniswärter viel zu lange zögerten, die Stahltür zu öffnen und die Feuerwehr zu alarmieren. War es so gewollt? Fühlte sich niemand zuständig? Waren es widrige Umstände? Die Wahrheit wird nie ans Licht kommen, aber die Erfahrung teilen viele: Wer dort eingesperrt ist, ist seines Lebens nicht sicher. Auch in Támara gibt es Gewalt bis hin zum Mord. Als „Centro de Readaptación Juvenil Renaciendo“ will es heute eher ein Sozialzentrum, eine Reha-Einrichtung sein als ein Gefängnis, in dem Gewalt zum Alltag gehört. So war es bei meinem ersten Besuch.

Die Bilder dieses Besuchs hatte ich im Kopf, als sich für uns das Gefängnistor öffnete. Damals empfing uns die Direktorin, die noch sichtlich mitgenommen war von einem Mord, der sich wenige Tage zuvor beim Hofgang ereignet hatte. Zwei Gruppen verfeindeter Maras, waren zwar räumlich getrennt, aber doch letztlich unter einem Dach untergebracht. Was nie hätte passieren dürfen, geschah bei einem Hofgang. Die Banden trafen aufeinander. Statt sich als Schicksalsgemeinschaft an diesem Ort zu verstehen, flammten sofort die alten Rivalitäten auf. Noch ehe das Personal die Situation im Griff hatte, lag einer der Salvatruchas erstochen am Boden. Mit Gewalt trieb man die Häftlinge in ihre Gemeinschaftszellen zurück. Wir fragten uns, ob in dieser aufgeheizten Atmosphäre unser Besuch überhaupt einen Sinn mache, ganz abgesehen von der potenziellen Gefahr für uns. Die Direktorin meinte, dass es sogar gut wäre und sich positiv auf die Stimmung auswirken könnte, wenn Menschen von außen kämen mit dem Angebot, mit den Gefangenen zu sprechen. Dies wäre vor allem für die noch jungen Gefangenen und die Mädchen wichtig, die den Mord nicht gesehen hätten, aber doch sehr viel darüber reden würden.

So kamen wir zuerst zu einer Zelle, in der 25 Jungs im Alter von 9 bis 17 Jahren untergebracht waren. Die Wortführer gehörten den Maras 18 an. Andere waren eingesperrt wegen kleiner Diebstähle, Schlägereien, Aufbrüche von Autos oder einfach nur, weil ihre Tätowierungen sie verdächtig machten. Deutlich hörbar wurde die Zellentür hinter uns abgeschlossen. So standen wir zu dritt in der Zelle, eingeschlossen mit diesen Jungen. Es war zunächst der Besuch, wie ihn unsere Partner dort wöchentlich durchführten: zuhören, reden, vielleicht etwas spielen und als Angebot manchmal auch ein biblisches Wort und ein Gebet. Und das unter Bedingungen, die weit entfernt sind von dem, was wir hierzulande unter einem Jugendstrafvollzug verstehen. Die Zelle war ohne Tageslicht. Ganz oben an der Traufe gab es einen Spalt, durch den man das Licht ahnen konnte und durch den die Luft etwas zirkulierte. An der Wand gestapelt lagen etwa 20 Matratzen. Nicht jeder hatte eine Matratze für die Nacht. Eine klare Hierarchie regelte jeden Abend neu die Verteilung der Matratzen. Und dabei führten die Chefs der Maras in der Zelle das große Wort. Sie waren für alle leicht an ihren überlangen Gürteln zu erkennen. Ein Mara trägt ein ärmelloses T-Shirt und eine halblange Hose, die von einem Gürtel gehalten wird. Je länger dieser nach unten hängt, desto höher ist der Rang seines Trägers in der Bande. Wie draußen auch waren ihre Köpfe kahl geschoren und viele Partien ihrer Körper mit Tätowierungen überdeckt. In einer Ecke etwas abgetrennt, war ein Loch im Boden als Toilette und ein Wasserhahn für alle. Das Essen, Bohnen und Reis, bekamen sie in die Zelle geschoben und nur einmal in der Woche gab es eine Stunde Hofgang. In der sogenannten Küche kochten einige Gefangene für alle auf Gaskochern. Das war ein enger, stickiger Raum ohne jeden Schutz vor dem Feuer und hermetisch verriegelt wie alle Zellen auch. Elektrische Leitungen hingen quer durch den Raum. Sie dienten zugleich als Wäscheleinen für die Küchentücher. Es war ein apokalyptisches Bild, das sich da in der Hitze auftat.

Keiner der Jungen wusste, wie lange er noch verbleiben werde. Verurteilt war noch niemand. Nur wenige hatten durch Angehörige etwas Kontakt nach außen oder gar einen Rechtsanwalt, der sich um sie kümmerte. Einige brüsteten sich mit ihren Taten, zu denen vor allem massive körperliche Gewalt gehörte. Einer ließ durchblicken, dass er schon zwei Rivalen umgebracht hätte. Ein Zehnjähriger berichtete, dass er einfach nur von der Polizei aufgegriffen worden sei, die ihn hierher gebracht hätte, ohne dass er irgendeine Straftat begangen hätte. Sein Pech wäre gewesen, bei einigen Maras gestanden zu haben, als die Razzia begann.

Unser Besuch war sicherlich eine willkommene Unterbrechung ihres eintönigen Alltags. Dass fremde Menschen aus einem Land, dessen Namen sie vom Fußball kannten, sich für sie interessierten, tat ihnen gut. Alle versicherten, dass sie immer auf die wöchentlichen Besuche unserer Partner warteten und sie doch noch öfter kommen sollten. Ändern aber konnten die Besuche die Lebensbedingungen der Jugendlichen nicht unmittelbar. Und dennoch waren es auch diese Besuche, die einen Veränderungsprozess in Gang brachten. Denn so sorgfältig und zugewandt die Mitarbeiter unserer Partnerorganisation die Besuche planten und durchführten, so arbeiteten sie mit dem gleichen Elan auch draußen weiter, um die Haftbedingungen zu verbessern. Sie machten das Leben der Kinder in diesen Zellen öffentlich, generierten politischen Druck und schafften es, dass die zuständigen Behörden sich fragen lassen mussten, wie sie die Standards der Kinderrechte und des auf dem Papier existierenden Jugendstrafrechts denn umsetzen wollten. Das Wegsperren der Kinder löst die Probleme nicht, sondern verschärft sie nur. Eine Strafe allein bringt keinen Mara zu Reue und Einsicht. Wer Kinder mit Schwerkriminellen schutzlos in eine Massenzelle sperrt, macht sich schuldig an deren Missbrauch und erlittener Gewalt. Deswegen ist es wichtig, diese Probleme mit einem ganzheitlichen Ansatz anzugehen. In diesem Fall sind es die Besuche, die den Kindern und Jugendlichen guttun, ihnen zeigen, dass sie nicht abgeschoben und vergessen sind. Und gleichzeitig das zivilgesellschaftliche Engagement in der Öffentlichkeit und gegenüber Behörden und politischen Entscheidungsträgern mit dem Fokus auf Einhaltung der rechtlichen Standards mit dem Ziel von Rehabilitation statt Strafe.

Bei meinem jetzigen, dem zweiten Besuch in Támara, war ich überrascht zu sehen, was sich alles geändert hatte. Die Zellen waren nur mit vier oder sechs Jungen belegt. Die Mädchen hatten alle eine Einzelzelle, oft auch gemeinsam mit ihrem Baby. Das Essen war besser und abwechslungsreicher. Hofgang gab es jeden Tag, dazu im geschlossen Trakt und im Hof Möglichkeiten zum Sport wie auch eine Bibliothek. Das Personal war geschult und kannte die Standards der Kinderrechte und des Jugendstrafvollzugs. Insgesamt waren wesentlich weniger Kinder und Jugendliche eingesperrt. Täter mit kleinen Delikten waren von den gewalttätigen Maras getrennt. Das war ein deutlicher Fortschritt. Was vor Jahren noch eine Brutstätte der Gewalt war, hatte nun begonnen, sich von der Ideologie der Repression zu lösen hin dazu, Wege aus der Gewalt und der Kriminalität für diese jungen Menschen gangbar zu machen.

Die Welt braucht starke Kinder

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