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Honduras – ein anderer Name für Armut und Gewalt

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Honduras ist ein Land voller Armut und Gewalt, obwohl es von seinen Möglichkeiten her eigentlich nicht arm sein müsste. Mehr als 50 Prozent der 8,6 Millionen Einwohner leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze, etwa 15 Prozent gelten als extrem arm. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 2.344 US-Dollar, der Quote der Schulbildung und der Lebenserwartung liegt das Land im internationalen Vergleich nach dem Human Development Index (HDI) auf Rang 129 von 187 Ländern. Mit seinen mittelamerikanischen Nachbarländern rechnete man es lange zum sogenannten Hinterhof der USA. Über Jahrzehnte war Honduras von einer wirtschaftlichen Monokultur geprägt. Große Fruchtkonzerne hatten aus dem Land im wahrsten Sinn des Wortes eine „Bananenrepublik“ gemacht. Der Anbau und Export von Bananen, Kaffee und anderen tropischen Früchten bildete eine einseitige wirtschaftliche Grundlage. Die erwirtschaften Gewinne flossen allerdings kaum in die öffentlichen und privaten Haushalte zurück. Auf einem sehr niedrigen Niveau fanden die Plantagenarbeiter ihr Auskommen. Dies galt auch für die Beschäftigten anderer Berufs- und Wirtschaftszweige, die auf den Bedarf der Plantagenwirtschaft ausgerichtet waren. Zugleich ermöglichte diese Art der Ökonomie auch, dass sich eine sehr wohlhabende Oberschicht herausbildete, während ein erheblicher Teil der ländlichen Bevölkerung von der Subsistenzwirtschaft lebt und für den Eigenbedarf Mais und Bohnen anbaut. Mangelernährung und Hunger gefährden viele Menschen. Am Rande der großen Städte, hermetisch von der Umgebung abgeriegelt, stehen Textilfabriken sogenannte Maquilas, meistens in chinesischem oder koreanischem Besitz, in denen ohne gewerkschaftlichen Schutz tausende Menschen, überwiegend Frauen, zu Niedriglöhnen arbeiten. Die Armut macht Menschen anfällig, im Drogenschmuggel ihr Geld zu verdienen. Etwa 95 Prozent des Kokains, das die USA erreicht, wird durch Honduras geschleust.

Über eine Millionen Honduraner leben im Ausland, vor allem in den USA. Dorthin, auf welchem Weg auch immer, auswandern zu können, bleibt die Sehnsucht vieler und ist das illegale Geschäft der Menschenhändler. Wer den Weg dahin geschafft hat, unterstützt seine Angehörigen zu Hause. Mit ihren Geldüberweisungen sichern die Auswanderer das Überleben ihrer Familien und tragen damit zu etwas 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei. Doch wenn Vater oder Mutter auf der Suche nach einem besseren Leben ihre Kinder verlassen und sie in die Obhut von Angehörigen geben, werden sie diesen schnell zur Last. Es bleibt ihnen dann nur der Weg auf die Straße oder auch der gefährliche Weg in die USA, den viele dieser Kinder und Jugendlichen nicht überleben.

Die Armut ist eng verbunden mit dem niedrigen Niveau des Bildungssystems. Die Armenviertel der großen Städte und die ländlichen Regionen sind hiervon besonders betroffen. Die auf sechs Jahre angelegte Grundschulzeit beenden nur etwa 70 Prozent der Schüler, davon weniger als die Hälfte in der vorgesehen Zeit. Die Zahl der Kinder, die nur mit ihren Müttern (jede zweite Mutter ist alleinerziehend) aufwachsen ist erschreckend hoch und verringert die Schulerfolge wegen der prekären Situation zu Hause enorm. Armut hat oft ein weibliches Gesicht. Dennoch hat die Regierung auch mit internationaler Unterstützung seit 2013 erreicht, dass an 200 Tagen im Jahr Schulunterricht stattfindet und damit die vorgeschriebene Anzahl erreicht wurde. Bei einer Analphabetenrate von etwa 15 Prozent und einer hohen Dunkelziffer von Kindern, die trotz Schulbesuch auch nach Jahren kaum lesen und schreiben können, liegt hier für die Bildungspolitik nach wie vor eine große Aufgabe.

Ihre Armut erfahren viele Menschen auch dadurch, dass der Staat keinen Schutz vor alltäglicher Gewalt bietet. Während sich reiche Leute hinter hohen Mauern mit Stacheldraht, Warnanlagen und mit Hilfe von Wachleuten verschanzen, ist der andere Teil der Bevölkerung, der sich diesen Schutz nicht leisten kann, der Gewalt auf der Straße schutzlos ausgeliefert. Schutzgelderpressungen, Bandenkriege, Drogendelikte, Entführungen, Überfälle in Bussen, Einbrüche in Häuser und Raub auf der Straße gehören zu den Alltagserfahrungen vieler Menschen, die froh sind, wenn sie und ihre Familien davon verschont bleiben. Ein sicheres und ruhiges Leben führt, zumindest in den Städten, fast niemand. Viele erzählen von tödlicher Gewalt, die sich in ihren Familien oder im Freundeskreis ereignet hat. Korruption und die Nichtverfolgung von Straftaten sind auf dem Hintergrund der prekären wirtschaftlichen Situation der Nährboden von Gewalt. Mafiöse Strukturen wie die der Maras gedeihen in diesem Sumpf. Dazu kommt eine staatliche Gesetzgebung, die jedem Bürger über 18 Jahren den Besitz von bis zu fünf Waffen erlaubt. Faktisch aber haben auch schon jüngere Zugang dazu. Wo Millionen Waffen in den Händen der Menschen sind, werden sie nicht im Waffenschrank aufbewahrt, sondern schnell und auch bei nichtigen Anlässen eingesetzt. Die Hemmschwelle ist gering beim Gebrauch von Schusswaffen. Auf 100.000 Einwohner gerechnet lag die Anzahl der Tötungsdelikte im Jahr 2014 bei 68 (zum Vergleich: in Deutschland liegt sie bei 0,4). Trotzdem ist dies bereits ein Rückgang vom Höchststand 2012 von 86,5. Oftmals werden die Toten übel zugerichtet und auf brutale Weise zerstückelt. Im öffentlichen Leben sind bewaffnete Sicherheitsdienste allgegenwärtig. Wo selbst Getränkelastwagen und andere Dienstleistungen von bewaffneten Sicherheitsleuten begleitet werden, ist der Schutz nur eine Seite, die andere zeigt sich dann fast täglich in den Medien, wenn über spektakuläre Morde in sehr drastischer Aufmachung berichtet wird. Die Gewöhnung an die Gewalt ist eines der größten Entwicklungshemmnisse. Wenn Gewalt den Alltag beherrscht, erwürgt sie das Leben. Die Spirale der Gewalt schraubt das Bedürfnis nach Sicherheit und die damit zusammenhängenden Kosten nach oben und verbraucht Ressourcen, die in Sozial- und Bildungsprogramme einzusetzen wären, um der Gewalt den sozialen Nährboden zu entziehen.

Bis heute sind es etwa hundert Familien, die politisch wie ökonomisch in Honduras das Heft in der Hand haben. Herrschten in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in wechselnder Folge verschiedene Militärdiktatoren, so haben seit den achtziger Jahren die Regierungen durch Wahlen eine formaldemokratische Legitimation. Bis zu den Wahlen am 24. November 2013 wechselten sich zwei Parteien jeweils in der Regierungsverantwortung ab. Die einflussreichen Familien hatten in jeder der Parteien ihre Mitglieder, sodass der Wechsel in der Regierung kaum zu politischen Alternativen führte. Noch im Juni/Juli 2009 lieferte Honduras der Welt das bizarre Bild einer „Bananenrepublik“, als der gewählte Präsident Manuel Zelaya am 28. Juni am frühen Morgen im Pyjama aus dem Präsidentenpalast geholt, in ein Flugzeug verbracht und außer Landes geflogen wurde. Zelaya hatte sich mit dem damals umstrittenen und in seinem Verständnis als sozialistisch agierenden Präsidenten Venezuelas, Hugo Chavez, verbündet mit der Zusage, dass dessen Ölmillionen in Honduras zur Überwindung der Armut eingesetzt werden sollten. Dies hatte Zelaya, obwohl noch keine Erfolge sichtbar waren, eine gewisse Popularität eingebracht. Daher strebte er eine Volksabstimmung über eine verfassungsgebende Versammlung an, die die Verfassung dahingehend ändern sollte, seine erneute Wiederwahl zu ermöglichen. Vor allem die Nähe zu Chavez hatte im Militär und den reichen Familien einen Widerstand hervorgerufen, an dessen Ende das erzwungene Exil Zelayas stand. Die öffentlichen Reaktionen und Verurteilung dieses Putsches durch die UNO wie auch Deutschlands und anderer europäischer Staaten brachten damals Honduras in die Schlagzeilen unserer Medien. Dies bedeutete eine internationale Isolierung des Landes, die erst durch spätere Neuwahlen schrittweise überwunden werden konnte. In dem sogenannten Index der menschlichen Entwicklung (IHDI), der neben der monetären Leistung eines Landes auch Faktoren der Ungleichheit in Gesundheit, Bildung und Lebenserwartung misst und Auskunft über die sozialen Disparitäten in einem Land gibt, ist Honduras in den Jahren 2012/13 im Ranking deutlich abgerutscht. Politisch ist es nach wie vor sehr unruhig, wie es zahlreiche Demonstrationen 2015 gezeigt haben. Für das Jahr 2012 hat Casa Alianza 83 Morde an Kindern und jungen Erwachsenen bis zum Alter von 23 Jahren dokumentiert als sogenannte „außergerichtliche Hinrichtungen“ oder „soziale Säuberungen“. Rechtsstaatlichkeit sieht anders aus.

Die Welt braucht starke Kinder

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