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Hoffnung für Honduras

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Jahre später habe ich in der Region Choluteca das Dorf Eben-Ezer besuchen können. Das ehemalige Dorf der Überlebenden, die nun Eben-Ezer aufbauten, war von den Wassermassen den Berg heruntergerissen worden. Wie viele der armen Familien hatten die Menschen in ihren armseligen Hütten am Berghang gesiedelt wie andere an Flussläufen oder Kanälen. Sie alle waren Opfer des Hurrikans geworden. Nun war ein ganz neues Dorf entstanden mit festen Häusern, kleinen Gärten und mittlerweile vielen Bäumen entlang der Wege. Es gab eine Kindertagesstätte, einen Brunnen und einen Wasserturm. Die Stromversorgung funktionierte nur zeitweise, auch war die Schule schon zu klein und der Wunsch nach einem Sportplatz war groß. Doch die Menschen packten an, um für sich und ihre Familien eine neue Heimat aufzubauen. Hier war Hilfe zur Selbsthilfe nicht ein formales Prinzip, sondern gelebte Wirklichkeit.

Gemeinwesenarbeit ist ein hoffnungsvoller Ansatz, Armut nachhaltig überwinden zu können. Armut wird hier nicht allein als soziale Notlage verstanden, die durch diakonische Maßnahmen überwunden werden könnte, sondern als Bruch und Angriff auf die durch die Menschen- und Kinderrechte jedem einzelnen zustehende Menschenwürde. Wo die Strafgesetzgebung und die ordentliche Gerichtsarbeit versagen oder sich nur mit Mühe behaupten können, gewinnen die Menschenrechte an Bedeutung und geben den Armen das Gefühl, überhaupt Rechte zu haben und sich auf sie berufen zu können. Wenn Kinder nicht zur Schule gehen können, weil keine da ist oder die Lehrer nicht bezahlt werden oder Gesundheitszentren fehlen oder mangelhaft ausgerüstet sind, werden elementare Menschen- und Kinderrechte verletzt. Wenn Kinder zusätzlich zu diesen Gefährdungen auch häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, ist es fast schon ein Wunder, wenn Menschen nicht in Depression und Lethargie verfallen, sondern ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Wichtig für den Erfolg ist es, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, von ihnen zu hören, worunter sie leiden und was sie ändern wollen. Dadurch entsteht eine Dynamik, die ein Slumviertel verändern kann. In den „Bordos“ von San Pedro Sula, dem Armenviertel entlang der Abwasserkanäle, haben die Menschen begonnen, ganzheitlich und orientiert an den Menschenrechten, ihre Lebens- und Wohnsituation zu verändern. Daraus schöpfen sie viel Kraft für sich. Aus gewachsenem Selbstvertrauen entsteht ein zivilgesellschaftliches Engagement, das auch Einfluss nehmen wird auf die politische Entwicklung und deren Entscheidungsträger.

Viele Menschen, die in von Gewalt geprägter Armut leben, resignieren dennoch nicht. An verschiedenen Stellen, ob unter Straßenkindern, mit behinderten Kindern, in den extremen Gewaltsituationen der Maras, auf den Müllhalden, in abgelegenen Dörfern oder städtischen Slums, setzen sich Menschen ein, die dem Land ein ganz anderes Gesicht geben. Doch dazu gehört ein langer Atem. So dokumentieren die Mitarbeiter von Casa Alianza penibel jeden Mord an einem Straßenkind und fragen nach, was getan wurde, diesen Mord aufzuklären. In einzelnen Fällen waren sie erfolgreich und es kam zur Verurteilung der Mörder. Sie geben den Kindern Rechtsbeistand gegenüber denen, die sie misshandelt haben, ganz gleich, ob das der eigene Vater ist, der Angestellte eines Sicherheitsdienstes oder auch ein Polizist. Dies hat eine ganz starke Wirkung auf Kinder, die hier oft zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren, dass ihnen wirklich jemand zur Seite steht und sie Rechte haben. Sie merken, dass sie jemand anderem wert und wichtig sind. Das ist für die Entwicklung ihres Selbstwertgefühls eine elementare Erfahrung. So hat dieses Rechtsbeistandsprogramm erreicht, dass Polizisten und Richter an Konferenzen teilnehmen und dort das Thema Straflosigkeit als öffentlicher Skandal diskutiert wird. Etliche Richter und Staatsanwälte sind bereit, die Morde aufzuklären und für die Rechte der Kinder einzutreten. Sie haben erkannt, dass nicht die Straßenkinder das Problem sind, sondern ein Ausdruck des Problems der honduranischen Gesellschaft, in der die Armen rechtlos sind. Wie aus Repression Prävention werden kann, die auf der Ebene der sozialen Arbeit schon begonnen hat, ist die politische Aufgabe, deren Umsetzung noch lange dauern wird. Resignation, die wegen der Rückschläge und der Gewalt verständlich wäre, habe ich bei den Organisationen der Zivilgesellschaft kaum wahrgenommen. Ihr Mut ist unser Ansporn, an ihrer Seite und an der Seite der Kinder zu bleiben.

Es hilft und ist wichtig, den Blick auf die Erfolge zu lenken, die die bisherige Arbeit erbracht hat. Es ist ein großer Erfolg, wenn ehemalige Straßenkinder nach Drogenentzug und sozialer wie emotionaler Stabilisierung wieder den Weg ins Leben finden. Ein ganz besonderer Erfolg ist es, wenn Kinder und Eltern wieder zusammenfinden. Ein Mädchen, das lange auf der Straße gelebt und gelitten hatte, nahm uns mit zu ihrer Mutter, die sie mit Hilfe der Sucharbeit der Casa Alianza wieder gefunden hatte. Bei beiden war die Hoffnung groß, nun einen anderen Lebensabschnitt beginnen zu können. Dazu helfen die Sozialarbeiter, begleiten sie und stärken Mutter und Tochter, diese Schritte weiter zu gehen. Viele Straßenkinder haben Schulabschlüsse machen können. Ihr Überlebenswille hat ihnen oft dabei geholfen, Arbeit zu finden und für den eigenen Lebensunterhalt sorgen zu können. Noch stehen diese Erfolge im Schatten der herrschenden Gewalt, doch viele Menschen kämpfen für ein menschen- und kinderfreundliches Honduras, das es ansatzweise schon gibt und das hoffentlich das Land verändern kann.

Die Welt braucht starke Kinder

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