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Hakons Späher

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Die Feier dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Daniel brachte Marie noch bis zu ihrer Zimmertür. Sie hatten den ganzen Abend zusammen verbracht, getanzt, gelacht und waren sich dabei wesentlich näher gekommen, als Marie je geglaubt hätte.

Daniel war ausgesprochen charmant und hatte sie mit Komplimenten überschüttet. Das tat gut! Marie fühlte sich wie eine Königin und war beschwingt und glücklich, als sie sich jetzt vom Parkplatz auf dem Weg in ihr Zimmer befand. Den merkwürdigen Zwischenfall im Garten hatte sie längst vergessen.

Thea war schon vor ein paar Stunden mit Carlos verschwunden und Marie war sich ziemlich sicher, dass sie bei Carlos geblieben war.

Daniel wartete, bis Marie ihre Tür aufgeschlossen hatte um sie dann erneut in die Arme zu nehmen. Das Flurlicht ging aus und sie küssten sich leidenschaftlich im Dunklen. Seine Küsse wurden drängender und Maries Knie wurden langsam weich.

Daniel konnte wirklich gut küssen und nur mit einiger Mühe gelang es Marie sich von ihm loszureißen, sie legte ihre Hände auf seine Brust. „Meine Güte", dachte Marie, „was für enorme Brustmuskeln er hat." Mit großer Willenskraft schob sie ihn ein Stückchen von sich weg und versuchte zu Atem zu kommen.

„Stopp!", sagte sie und lachte ihn an, „meine Güte, ich bekomme ja gar keine Luft mehr."

„Die brauchst du jetzt auch nicht", Daniel war ebenso außer Atem und versuchte erneut sie zu küssen.

„Daniel", Marie drückte mit einer Hand den Lichtschalter, der sich unmittelbar hinter ihrem Rücken befand.

„Stopp!", Marie bot ihre letzte Widerstandskraft auf, „ich werde jetzt in mein Zimmer gehen, duschen und danach gleich ins Bett."

Daniel drückte sie und grinste aufreizend. „Das ist doch eine wunderbare Idee", murmelte er ihr ins Ohr.

„Ja, denn ich bin todmüde und will schlafen - und zwar allein - !", Marie hatte sich von ihm gelöst und stand im Türrahmen, die Klinke in der Hand. „Thea ist doch bei Carlos", versuchte Daniel zu argumentieren, „du hast sozusagen sturmfreie Bude".

„Nein", sagte Marie, „ich habe eine wunderbar ruhige Bude. Und die ist heute für mich ganz allein. Bitte versteh doch, ich möchte nicht mit dir schlafen, heute noch nicht."

„Okay", seufzte er, „das muss ich akzeptieren, aber du darfst auch nicht böse sein, dass ich es versucht habe", er schaute ihr tief in die Augen „und, dass ich es wieder und wieder versuchen werde. Bis du mir sagst ich soll es ganz lassen."

„Ich bin keineswegs böse", Marie gähnte verstohlen „aber jetzt muss ich schlafen, sonst fall ich gleich hier einfach um. Gute Nacht, schlaf gut und vielen, vielen Dank für den schönen Abend". Sie drückte ihm noch schnell einen Kuss auf die Wange und schloss die Tür.

Das Zimmer war dunkel und völlige Stille umhüllte sie. Nach der lauten Partymusik tat diese Stille fast weh. Marie vermeinte ein leichtes Piepen zu hören, aber das war nur die Reaktion ihrer Ohren auf die plötzliche Ruhe.

Sie schaltete die kleine Lampe am Bett an und zog ihre Kleidung aus. Wie immer musste der Stuhl als Kleiderschrank herhalten. Langsam glich er dem schiefen Turm von Pisa. Marie balancierte ihre Hose vorsichtig oben auf der Turmspitze aus und ging ins kleine Badezimmer. Das heiße Wasser tat gut. Sie ließ es über ihren Rücken laufen, dabei fielen ihr immer wieder die Augen zu. Bei der Rückkehr ins Zimmer schloss Marie die Vorhänge, zog sich ihr Schlafshirt über und fiel wie ein Stein auf ihr Bett.

„Mist", murmelte sie, als sie auf die Digitalanzeige ihres Weckers blickte, „das sind dann wohl nur noch drei Stunden Schlaf". Mit letzter Kraft stellte sie den Wecker scharf und dann war sie auch schon eingeschlafen.

In dem Moment, als Marie die Vorhänge schloss, war draußen auf der Terrasse ein leichter Schnaufer der Enttäuschung zu hören. Zwei Schatten lösten sich aus der Dunkelheit und verließen ihren Beobachtungsposten in Richtung Campus.

„Ich glaube, das ist die falsche Fährte", ein großer, dürrer Mann, schätzungsweise dreißig Jahre alt, sprach zu seinem Begleiter, der um einiges dicker und etwas kleiner war als er„ aber die Observation hat sich trotzdem gelohnt." Er grinste und entblößte dabei schiefe Zähne in einem ansonsten ziemlich gewöhnlichen Gesicht. Das einzig wirklich bemerkenswerte an ihm war sein dunkler, ausgeprägter Vollbart. Der andere Mann hatte eine große Narbe, die von seiner rechten Wange aus bis zum dicken Halsansatz reichte. Auch sein Gesicht war behaart, aber weit weniger als bei seinem Kameraden. Dadurch konnte man sein fleischiges Gesicht gut erkennen und durch die Fettmassen verschwanden seine Augen fast vollständig in seinem Kopf.

„Ja", sagte der Dicke und leckte sich die fleischigen Lippen, „war schon ein leckerer Anblick. Schade, dass die Vorstellung so schnell zu Ende war." „Na gut! Pech gehabt, fangen wir also morgen noch mal von vorne an." Der lange Mann verließ das Collegegelände und steuerte, seinen dicken Partner im Schlepptau, zielstrebig die Gasse an, in der das Haus von Laurent stand. Dort angekommen, bezogen die Beiden Posten am Ende der Straße und achteten sehr darauf, im Schatten der Häuser zu bleiben. „Ich mach dann mal die Augen zu", gähnte der Dicke, „weck mich, wenn irgendwas zu sehen ist, oder zu hören", seine Stimme wurde immer leiser und schon war er eingeschlafen. Der lange Mann setzte sich aufrecht an die kalte Steinwand eines Hauses und richtete seinen Blick unverrückbar auf die Eingangstür des schräg gegenüber liegenden Hauses.

Im Haus brannte noch Licht und nach einer Weile beschloss der Dürre seine Beine etwas zu vertreten und schlich langsam und vorsichtig zu dem Fenster, aus dem der schwache Lichtschein auf die Straße drang. Je näher er kam, desto deutlicher konnte er Stimmen hören. Zwei verschiedene Stimmen, stellte er fest, als er unmittelbar unter dem Fenster hockte und er versuchte zu erkennen, worüber sie sprachen. Gut, dass er so gute Ohren hatte. Durch den Aufenthalt in ständig dunkler Umgebung waren sein Geruchs- und Gehörsinn extrem ausgebildet, zudem hatte sich seine Wahrnehmung von Stimmungen, durch die Schwingungen die diese in die Atmosphäre abgaben, stark verschärft.

Hier war jemand stark verunsichert und wütend. Gleichzeitig spürte er eine große Sehnsucht und eine große körperliche Präsenz.

„Irgendetwas ist im Busch", er spürte die widersprüchlichsten Gefühle im ständigen Wechsel „das fühlt sich an, wie eine unglückliche Liebe. Das lässt hoffen. Wir sind auf der richtigen Spur, wenn wir ihr nur folgen können."

Im Haus hielten sich die beiden Freunde im Wohnzimmer auf. Richard gemütlich seine Beine untergeschlagen auf der Couch, und Claude wie ein Panther im Käfig, ständig im Zimmer hin und her gehend, Richard versuchte Claude zu beruhigen.

„Wenn es denn wirklich Marie ist", er reichte Claude ein Glas Wein, als dieser mal wieder unmittelbar an ihm vorbei schritt, „ dann ist das eben so. Du hast die Wahl, ob du es vorantreiben willst, oder ob du ihr aus dem Weg gehst."

„Das habe ich bis heute Abend auch gedacht", Claude hielt in seiner Rennerei kurz inne und nahm einen tiefen Schluck, „Ich habe wirklich geglaubt, ich kann jede Begegnung vermeiden. Aber wie soll das gehen, wenn wir hier in derselben Stadt leben? Es wird immer mal wieder eine Feier, oder einen Strandaufenthalt geben, wo wir uns über den Weg laufen können." „Na und? Dann haust du eben einfach ab. Du musst ja nicht dableiben und deine Willenskraft aufs Äußerste strapazieren", Richard zuckte mit den Schultern. Auf dem Tisch stand eine Schale mit Erdnüssen, von denen er sich jetzt eine Handvoll in den Mund schüttete.

„Wer nichts sieht und hört, kann auch nicht reagieren und dann kann auch nichts passieren. Logisch, oder?", er kaute herzhaft während er sprach.

„Ja, ja, ganz logisch", Claude schüttelte den Kopf und nahm seine unstete Wanderung durchs Zimmer wieder auf, „wenn es funktionieren würde. Ich hab es heute doch versucht", seine freie Hand fuhr durch sein Haar und schon stand es wirr vom Kopf ab, „ ich wollte doch sofort weg, nachdem ich ihre Anwesenheit gespürt habe."

„Ja", sagte Richard, „ und du bist doch auch sofort weg und hast mich völlig ahnungslos ob deiner Beweggründe allein im kalten Regen stehen lassen."

„Im Regen?", Claude zog eine Augenbraue skeptisch in die Höhe, „ Allein? Im kalten Regen? Also ehrlich, manchmal spinnst du doch, scheinbar hat dein erhöhter Testosteronspiegel deine Wahrnehmung getrübt. Erstens war es trockener als trocken, zweitens ging es bei dir heißer zu, als du vertragen kannst und drittens hast du das gleich in dreifacher Ausführung genossen. Von allein kann also gar nicht die Rede sein, nicht mal im Entferntesten allein."

„Also gut", Richard schaute etwas schuldbewusst, „aber ich habe mir wirklich Gedanken gemacht, warum du so plötzlich verschwunden bist. Auf jeden Fall in den ersten Minuten", er grinste und schien ein schlechtes Gewissen zu haben.

Na, er war schon ein toller Leibwächter, dachte er, warum hatte er sich auch damit einverstanden erklärt Claude allein gehen zu lassen?

„Ja aber, wo ist denn nun das Problem?", versuchte Richard den Faden wieder aufzunehmen, „Du bist doch gleich nach Haus gegangen." „Bin ich eben nicht", Claude schien unsicher und war ärgerlich darüber „ich bin doch nur bis zum Strand gekommen. Dann musste ich einfach stehen bleiben und sie beobachten."

„Was? Du hast Marie wiedergesehen? Und das sagst du mir erst jetzt?" Richard schrie ihn fast an.

Claude blieb stehen und stützte sich an der Fensterbank ab, sein Blick ging ins Leere der Nacht dort draußen, er nickte.

„Du hast sie gesehen, Marie leibhaftig gesehen? Und du hast mir nichts davon gesagt?" Jetzt war Richard richtig sauer, „Wie soll ich dir denn vernünftig beistehen, wenn du mich nicht einweihst? Wie soll ich...", Claude drehte sich mit einer entschuldigenden Geste zu Richard herum, dieser unterbrach seine Schimpftirade, als er in Claudes unglückliches, zerknirschtes Gesicht blickte.

„Hey", sagte er jetzt wesentlich freundlicher, „ es hat dich echt getroffen, hm? Das war wohl ganz schön hart, was?"

„Er hat sie geküsst, Richard, er hat sie einfach geküsst und sie hat es sich gefallen lassen, es schien ihr sogar Spaß gemacht zu haben!", das Weinglas in seiner Hand zerbrach, die Glasscherben flogen durch den Raum, er zitterte am ganzen Körper, so dass Richard durch die Intensität dieses Ausbruchs richtiggehend erschrak.

„Ist ja gut", er versuchte seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen, „ ist ja gut. Hast du dich verletzt?", ein vorsichtiger Blick auf die Hand von Claude, kein Blut, Gott sei Dank.

„Nein!", Claude starrte den Rest des Glases in seiner Hand an, um ihn dann mit einem kurzen Zucken der Hand zu den anderen Scherben in die Ecke des Zimmers zu befördern.

„Aber es ist doch sogar gut, wenn sie einen anderen vorzieht, damit reduziert sich doch die Gefahr für euch beide, besonders für sie." Richards Stimme klang immer noch ruhig und versöhnlich.

„Ich weiß es ja", Claude beruhigte sich tatsächlich, er ließ sich an der Wand herabgleiten und setzte sich auf den Holzfußboden „natürlich ist es besser, vor allem für Marie, aber ich konnte das nicht mit ansehen, ohne plötzlich das Gefühl zu bekommen ihn von ihr wegreißen zu müssen. Richard, ich hätte ihn in diesem Moment umbringen können." Claude schien ernsthaft erschüttert über seine Reaktion von vorhin.

„Ich habe ihn angeknurrt, ich war kurz davor, mich sofort zu wandeln. Verstehst du, ich habe fast meinen Verstand verloren. Gott sei Dank ist sie aufgestanden und hat ihn wieder auf Abstand gehalten, ich weiß nicht, was ich getan hätte, hätte dieser Kuss auch nur eine Sekunde länger gedauert."

„Hat er aber nicht", Richard war wieder ganz pragmatisch, „ und in Zukunft passen wir eben noch besser auf dich auf. Okay, alter Freund? Das kriegen wir schon hin. Morgen ziehen wir los und suchen dir mal ein anderes nettes Mädel, vielleicht gebe ich dir ja eine von meinen drei Grazien ab, obwohl, wenn ich es so recht überlege, dann solltest du doch vielleicht selber gucken. Ich glaube", er schaute als ob er sehr ernsthaft nachdachte", meine drei Damen sind etwas verwöhnt, seitdem sie mich kennengelernt haben. Die nehmen dich vermutlich gar nicht mehr wahr." Er hatte sein Ziel erreicht, Claude lachte leise und war sichtlich ruhiger geworden.

„Na", sagte er, „nichts liegt mir ferner, als deine drei Eroberungen anzugraben. Vermutlich wäre ich ja eh chancenlos."

„Vermutlich?", Richard schnaubte belustigt, „Ganz bestimmt! Aber gräme dich nicht auch eine Distel findet den Esel, der sie fressen mag."

„Das beruhigt mich ungemein, dann suche ich also die passende Eselin für mich", Claude erhob sich vom Boden, „ aber heute ganz bestimmt nicht mehr. Ich werde jetzt in mein Bett klettern und warten, bis dein liebliches Schnarchen beginnt, damit ich sanft in den Schlaf gewiegt werde." „Super Idee, allerdings ist mir bei der Vorstellung eines distelfressenden Esels, Verzeihung, einer Eselin, aufgefallen, dass auch ich noch gut etwas zu mir nehmen könnte. Ich glaube, bevor ich dich mit meinem Nachtkonzert beglücke, werde ich noch mal kurz in unserer Küche vorbeischauen."

„Tu das", Claude stieg schon die Treppen hinauf, „wenn du so richtig vollgefressen bist, schnarchst du umso schöner!"

„Siehst du, ich tue fast alles für dich!" Richard winkte Claude mit einer Handbewegung nach oben und verschwand in der Küche um dort für die nötige Grundlage seiner angekündigten Nachtmusik zu sorgen.

Während Claude im Bett lag, hörte er Richard in der Küche rumoren, Schränke gingen auf und zu und die Mikrowelle gab einen leisen Klingelton von sich.

Wie ein altes Ehepaar, dachte er und lächelte. Sein Blick ging zur Decke, seine Augen wollten nicht zufallen.

Ich habe mich nicht im Griff, ich habe mich nicht im Griff, er spürte immer noch tiefes Entsetzen über die Mächtigkeit der Gefühle, die ihn bei Maries Anblick überrollt hatten und darüber, mit welcher Heftigkeit das Tier in ihm aufgekommen war.

Sie bleibt ja nur etwa ein halbes Jahr hier, überlegte er, ein halbes Jahr, das werde ich doch wohl schaffen. Ich muss es schaffen, seine Augen fielen zu, ich weiß nur nicht, dachte er während er in den Schlaf glitt, ob ich es auch wirklich will.

Draußen auf der Straße löste sich ein Schatten vom Haus.

„Na, dann sind wir wohl doch auf der richtigen Spur. Bleiben wir also dran!" Der dürre Mann ging, um seinen schlafenden Kameraden zu wecken, für heute war eh nichts mehr zu tun und sie mussten ja fit sein, um Morgen den langen Weg gehen zu können. Er beschloss bis dahin, noch einen bequemeren Schlafplatz aufzusuchen und Kräfte zu sammeln für das, was sie am nächsten Tag vorhatten.

Aloronice

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