Читать книгу Aloronice - Judith Weber - Страница 3
Claude
ОглавлениеClaude saß völlig gedankenverloren an seinem Schreibtisch. Maries Brief lag vor ihm auf der Schreibtischplatte. War es schon soweit? Waren wirklich mehr als achtzehn Jahre vergangen? Er atmete tief durch und rutschte mit seinem Stuhl nach hinten, bis an die Wand. Er lächelte.
Er hatte sich damals sofort in sie verliebt. Sie und das andere Mädchen, so einträchtig wie es nur Mädchen können. Auf der Mauer sitzend, lachend, kichernd und na ja so blond, schlank und sexy. Er wollte sich gerne einreden, dass die erste Anziehung eine übersinnliche, romantische war, wusste aber gleichzeitig, dass das nicht stimmte. Er war im ersten Moment einfach scharf auf sie gewesen. Ja doch, er hatte sich schon am ersten Abend in sie verliebt, aber zuallererst war er scharf auf sie gewesen...
„Ist ja gut!" wies er sich zurecht „das ist ja nun nicht ungewöhnlich mit einundzwanzig" Und vielleicht sollte es das auch nicht mit Vierzig sein, kam es aus seinem Hinterkopf.
Er war lässig, wie er damals glaubte, über die kleine Steinmauer gesprungen auf der sie gesessen hatte. Normalerweise immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, hatte er sie gleich ein wenig anmachen wollen.
Er hatte Erfolg bei Frauen, eigentlich immer. Zahlreiche Abenteuer hatten ihm sein Auftreten und sein Äußeres schon verschafft und man konnte nicht sagen, dass er diesen Umstand nicht hin und wieder ausnutzte.
Auch damals war er in dieser „Jagdstimmung" gewesen, wie Richard das immer nannte. Aus der Ferne schon hatte er gespürt, dass hier ein Abenteuer, eine Affäre lauerte. -Zwei Mädchen, zwei Jungen - Richard und er hatte sich nur angesehen und schon waren sie beide auf die
Freundinnen zugesteuert. Je näher sie gekommen waren, umso dringlicher wurde sein Wunsch, gerade dieses Mädchen noch an diesem Abend zu erobern, im besten Fall gleich mit ihr ins Bett zu gehen. Er hatte da gestanden, mit offenem Mund und bestimmt völlig vertrottelt ausgesehen. Stumm wie ein Fisch. Sie war im klassischen Sinne nicht schön gewesen, aber er hatte das Gefühl gehabt in ihren blauen Augen zu versinken. Mit Gewalt hatte er sich aus diesen merkwürdigen Gefühlen heraus gerissen, zu Boden geblickt und versucht etwas zu sagen. Er hatte die erstbeste Frage gestellt, die ihm eingefallen war. Eine selten dämliche Frage:" Hast du Feuer?" Ihr Blick hatte ihm sofort verraten, dass sie nicht wusste, was er gesagt hatte.
Sie konnte damals kein Wort Französisch sprechen. Ihre Freundin hatte übersetzen müssen. Und sie hatte ihm daraufhin wortlos das Feuerzeug gereicht, welches er genommen und ungenutzt in der Hand gehalten hatte.
Er hatte angefangen zu reden, lauter merkwürdige Dinge, dummes Zeug, wie er sich zu erinnern glaubte. Er überschüttete sie quasi mit einem nicht endenden Wortschwall, sie verstand damals offensichtlich kein Wort. Danach hatte er es auf Englisch versucht, das schien besser geklappt zu haben.
Eigentlich hatte er cool rüberkommen wollen, war sich aber absolut nicht sicher gewesen, ob das auch wirklich funktionierte. Sein Blick war zu Richard hinüber gewandert, der schon völlig in seinem Gespräch, oder Annäherungsversuch mit der Brünetten aufzugehen schien. Dort war es scheinbar besser gelaufen als bei ihm. Er hatte das Gefühl gehabt, dass man sich kaum blöder anstellen konnte als er. Was sollte man bloß in einer fremden Sprache sagen? Etwas das nicht total bescheuert klang, wenn es einem schon in der Muttersprache unter diesen Umständen kaum gelang? Er versuchte während er unaufhörlich weitersprach, abzuschätzen, was für ein Typ Mädchen sie war. Leicht zu haben? Kurzes
Abenteuer? Ernste Angelegenheit? Wie um Himmels Willen sollte man das herausfinden, wenn man sich kaum verstand? Gut, das konnte im Zweifel auch später geklärt werden, für den ersten Abend war das nicht wirklich von Belang.
Claude setzte sich aufrecht auf seinen Schreibtischstuhl „Wie unglaublich arrogant und oberflächlich" er schüttelte den Kopf bei dem Gedanken an sein junges Pendant.
„Allerdings", dachte er „ konnte der junge Claude damals auch noch nicht ahnen, wo das alles hinführen würde und WIE ernst die Sache dann tatsächlich werden würde."
Und dann hatte sie zum ersten Mal gesprochen, geantwortet auf eine seiner wirren Fragen, die er ihr auf Englisch gestellt hatte. Ihr Englisch war eindeutig besser gewesen als seins. Er hatte den Eindruck sie sprach es fließend, war sie Engländerin? Amerikanerin?
Sie hatte lachend verneint und ihm erzählt, dass sie aus Deutschland käme.
Er wusste nicht mehr genau, was er in diesem Moment dachte, vielleicht war er auch nur im ersten Augenblick irritiert gewesen, sagte man den Deutschen nicht nach besonders korrekt und langweilig zu sein? Die Frauen besonders kühl und unnahbar? Er hatte sich immer mehr gewünscht, sie würde Französisch mit ihm sprechen.
Was sie denn hier machte und wo sie wohnte und ob er ihr die Stadt zeigen sollte? Bruchstückhaft hatte er verstanden, dass sie und ihre Freundin, die übrigens Dorothea hieß, in einem College ganz in der Nähe wohnten und dort für ein halbes Jahr bleiben wollten, um Französisch zu lernen. Sie hatte ihm erzählt, dass dieses erst ihr zweiter Tag wäre und dass sie noch zwei Wochen Zeit hätten, Ferien zu machen, Zeit sich einzugewöhnen.
Langsam waren ihm die Vokabeln ausgegangen und es war ihm auch nichts wirklich Geistreiches mehr eingefallen. Er hatte die ganze Sache schon aufgeben, kneifen und einfach davon laufen wollen, als Richard plötzlich aufgesprungen war und Thea mit ihm. Thea hatte kurz mit Marie geredet, so dass diese auch ihren Sitzplatz auf der Mauer aufgab und dann hatte er Richard sagen hören, „Los! Lasst uns ein Stück in Richtung Hafen gehen!" Na gut, immerhin ein Ziel, wobei es ihm eigentlich völlig egal erschienen war, wohin sie gingen, solange sie nur zusammen blieben.
Thea und Richard hatten sich angeregt unterhalten und zur Bekräftigung ihrer Worte ihre Hände in weiten, raumgreifenden Bewegungen benutzt. Es war den Beiden gar nicht aufgefallen, dass er und Marie schweigend neben ihnen herliefen.
Schließlich war er auf eine niedrige Steinmauer gesprungen, die sich ein großes Stück am Weg entlang zog. Er hatte Marie mit einem Augenzwinkern, seine Hände entgegen gestreckt und sie aufgefordert ihm zu folgen. Wie er gehofft hatte galant, hatte er ihr die Hand gereicht und ihr zu sich hinaufgeholfen. Sie waren hintereinander die Mauer entlang balanciert. Wenn sie doch nur gestolpert wäre, dann hätte er einen guten Grund gehabt sie zu stützen, zu berühren. Leider hatte sie ihm den Gefallen nicht getan. Am Ende der Mauer war er also wieder hinunter gesprungen und hatte ihr erneut seine Hand zur Hilfe angeboten. So war es gekommen, dass er Maries Hand genommen und sie dann einfach nicht mehr losgelassen hatte.
Sie waren schweigend weiter gegangen, Hand in Hand. Er hatte sie küssen, unbedingt küssen wollen, aber er hatte sich nicht getraut. Er hatte sich gefragt, warum er bloß diesen unglaublichen Drang, ihr ganz nah zu sein, hatte. Er hatte ihre Hand fester als nötig gehalten und dieser immer wiederkehrende Gedanke, sie küssen zu müssen, hatte ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.
Richard war mit Thea auf einer Bank hängen geblieben, sie schienen sich weiterhin angeregt zu unterhalten.
Claude erinnerte sich, dass er sie zum Strand, runter zum Wasser gezogen hatte. Er hatte allein mit ihr sein wollen, ganz nah bei ihr. Dieses starke Bedürfnis hatte ihn bedrängt, ihn verunsichert und ihm Angst gemacht.
Dunkel schimmerte das Meer. Die Lichter der Stadt und einzelner Boote bildeten Schlieren schimmernden Lichtes auf dem Wasser. Eine unglaublich kitschige Atmosphäre, irgendwie war sie passend gewesen. Gerade hatte er seinen Arm um ihre Schulter legen wollen, da hatte sie in der ihm gänzlich fremden Sprache etwas gesagt, es hatte heftig geklungen, wie ein Fluch.
Im gleichen Augenblick hatte sie ihm die Hand entzogen, sich in den Sand gesetzt, war aus den Schuhen geschlüpft und zum Wasser hinuntergerannt. Sie hatte gelacht und er hatte geglaubt, dass er es vermasselt hätte.
Claude erhob sich aus seinem Stuhl, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und betrachtete das Wappen hinter ihm an der Wand. Es zeigte einen Panther im Sprung. Vermutlich ein gutes Symbol, dachte er, so habe ich mich mein ganzes Leben lang gefühlt, wie ein Panther im Sprung. Claude ging zum Fenster. Er sah sich und sie, damals dort am Strand.
Er hatte sie beobachtet, sah, dass sie leise vor sich hinmurmelte, hatte beobachtet wie sie mit den Füßen im Wasser stand und mit einer Hand ihre Haare aus dem Gesicht zurückstrich, als ob sie sich damit auch gleichzeitig wieder Platz für klare Gedanken machte. Er hatte nicht gewollt, dass sie zu klar dachte, er konnte es doch auch nicht. Sie hatte ihn magisch angezogen und er war hinter ihr hergegangen, bis er hinter ihr, kaum einen Meter entfernt stehen geblieben war. Sie schien ihn gespürt zu haben, bevor sie ihn hörte, bevor sie sich langsam zu ihm herumdrehte und mit einem Schlag war ihm klar geworden: Er musste weg hier, dies war kein Spaß mehr, dies war zu mächtig für ihn. Das hielt er nicht aus, dass war gefährlich und stellte alles bisherige auf den Kopf. Seine Füße hatten sich nicht von der Stelle bewegt. „Lauf! Beweg dich! Hau ab!" immer wieder kreisten diese Befehle in seinem Innersten, aber er war völlig außerstande gewesen auch nur einen Fuß zu bewegen.
War es das, worauf ihn sein Großvater immer hatte vorbereiten wollen? Auf die große Liebe, die richtige Frau für ihn?
„Du wirst es spüren", hatte sein Großvater gesagt, „dich nicht entziehen können, wenn es soweit ist. Der Drang ist stärker als wir!" Claude hatte nur gelacht und nicht wirklich an diese, ach so große Liebe geglaubt.
Claude saß wieder an seinem Schreibtisch, er ballte die Hände zu Fäusten, damals, zu diesem Zeitpunkt hätte er noch weglaufen können. Hätte er wirklich? Auch heute, bald zwanzig Jahre später, glaubte er die Starre die ihre Anwesenheit bei ihm ausgelöst hatte, in seinem Körper noch zu spüren. Er lehnte sich nach hinten und überließ sich seinen Erinnerungen.
Schließlich war er doch geflohen, damals in dieser ersten Nacht. Er war aber erst wirklich wach geworden, als Richard ihn gerufen hatte. Er musste sie sehr vor den Kopf gestoßen haben, denn er war ohne ein weiteres Wort davon gelaufen und hatte sie einfach am Strand stehen lassen. Er war gelaufen und gelaufen, er war wirklich weggelaufen und doch hatte er am Ende nicht weglaufen können.
Sie war und ist mit meinem Schicksal verbunden geblieben. Claude setzte sich an seinen Schreibtisch um Marie eine Antwort zu schreiben.