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Finstere Pläne
ОглавлениеFrüh am Morgen machten sich die nächtlichen Beobachter auf die Reise. Sie mussten Bericht erstatten und verließen ihren bisherigen Aufenthaltsort durch ein Portal, das sich in den Bergen hinter der Stadt nahe einer Klosterruine befand. Von dort gelangten sie direkt hinter die Grenzlinie, die das Land der Elfen von dem Gebiet der Golems trennte. Brakun, der kleinere und dickere der Beiden, schnaufte vernehmlich, als sie die Steigung im Wald hinter sich gelassen hatten.
„Es hätte doch auch gereicht, wenn einer von uns zurück gegangen wäre um Bericht zu erstatten", er bekam immer noch kaum Luft.
„Das hätte dir so gepasst, erst die halbe Nacht verschlafen und dann auch noch kneifen. Denn du meintest ja wohl kaum dich mit -einer von uns-oder?", der lange dünnere schürzte verächtlich die Lippen.
„Warte mal einen Moment, Norgut, ich muss mich erst mal setzen.", er zog ein großes Taschentuch hervor und wischte sich seine Stirn. Dann ließ er sich auf einen großen Baumstamm plumpsen und rieb sich seine müden Beine.
„Das nervt", stieß er atemlos hervor, „in der Menschenwelt fühle ich mich stärker, hier ist alles wieder so viel anstrengender."
„Meine Güte, das kennst du doch schon, warum musst du dir denn da oben auch immer so den Wanst vollschlagen? Dein Bierkonsum ist unglaublich. Und jetzt steh auf, du weißt das Hakon nicht gerne wartet." Norgut stiefelte schon voran.
„Ich weiß, ich weiß!", Brakun grummelte immer noch, während er sich mühsam von seinem Sitzplatz erhob.
„Auch wenn du mir nicht glaubst, aber ich habe das Gefühl, dass unser Aufenthalt hier nur von kurzer Dauer sein wird. Hakon wird uns ziemlich schnell wieder zurück schicken, ich denke mir, dass er das Mädchen haben will", Norgut schritt schneller voran, während Brakun mühsam hinter ihm her stapfte.
Ihre Ankunft war bereits angekündigt worden, die Späher waren hervorragend organisiert.
Als sie Hardun betraten, wartete Digun schon in der Empfangshalle auf die beiden.
„Eure Ankunft wurde bereits angekündigt", er ging voran, „wie sieht es aus? Habt ihr das Mädchen gefunden?"
Norgut ging neben Digun her und schaute ihn misstrauisch von der Seite an, „Sicher!" Er wollte erst vor Hakon sprechen, dieser kahle, gelbgesichtige Mann war ihm noch nie geheuer gewesen. Da war ihm ein polternder, lauter und zuweilen brutaler Boss lieber, da wusste man wenigstens auf was man sich einließ. Bei Digun hatte er stets das Gefühl, dass vieles ungesagt blieb und er nicht mehr folgen konnte.
„Ich bin gespannt, was ihr zu berichten habt. Ich hoffe, dass es etwas Gutes ist, denn Hakon ist heute nicht allzu guter Laune." Digun beschleunigte seine Schritte und Norgut passte sein Tempo dank seiner langen Beine ohne Schwierigkeiten an, lediglich Brakun hatte Mühe ihnen zu folgen. Sehnsüchtig schaute er auf die Diener, die ihm mit den Resten von Hakons Mahlzeit entgegenkamen. Es war gegen Mittag und seitdem sie heute in der Früh aufgebrochen waren, hatte er nichts mehr gegessen und was noch viel schlimmer war, auch keinen Tropfen Bier mehr getrunken.
„Dafür ist später noch Zeit!", Digun hatte inzwischen vor einer großen Tür angehalten und sich nach Brakun umgedreht.
„Ihr sollt sofort ein fürstliches Mahl bekommen", sagte er, „wenn Hakon mit euch fertig ist."
Und damit klopfte er laut an die riesige Tür.
„Herein!", donnerte der Oberste von Hardun und die Tür wurde von innen geöffnet. Es waren zwei kräftige Diener nötig um die Tür zu öffnen, bereitwillig traten sie zur Seite und verneigten sich leicht vor Digun, als dieser als erster den Raum betrat.
Es roch nach Essen, Brakun knurrte der Magen, aber jetzt war dafür wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.
Hakon saß an seinem Tisch und wischte sich die Lippen mit seinem Handrücken ab.
„Herr", Digun verneigte sich tief und Brakun und Norgut taten es ihm gleich, „Eure ergebensten Diener sind mit Neuigkeiten aus der Menschenwelt zurückgekehrt."
Er trat einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf die Rückkehrer frei. „Ah!", Hakon winkte sie näher zu sich, „das ist kein Thema, welches wir zu laut besprechen sollten. Hier haben selbst die Wände Ohren." Die Lautstärke seiner eigenen Stimme klang merkwürdig absurd im Zusammenhang mit dieser Ansage.
Trotzdem traten alle drei näher an Hakons Tisch und senkten die Stimmen.
„Herr", Norgut verbeugte sich erneut, „wir sind ziemlich sicher, dass wir das gesuchte Mädchen gefunden haben."
„Ziemlich?", Hakon donnerte los, „was heißt ziemlich? Habt ihr sie gefunden, oder nicht?"
„Sisisicher", Brakun schaute eingeschüchtert zu Boden.
„Ihr Name ist Marie", Norgut fuhr schnell fort, „sie kommt aus Deutschland und hält sich zur Zeit zu Studienzwecken in Frankreich auf."
„Ah, ist sie hübsch? Was für eine Frage, natürlich ist sie hübsch, es gab meines Wissens noch nie eine Regentenmutter, die nicht ausgesprochen gut aussah."
Er leckte sich die Lippen, es war nicht eindeutig zu erkennen ob er es wegen der Vorstellung eines hübschen Mädchens, oder ob der gerade in seinem Mund verschwundenen Früchte tat.
„Also gut, was gedenkt ihr zu tun?"
Norgut und Brakun schauten betreten zu Boden, das sollte er ihnen doch sagen. Sie würden alles ausführen, was Hakon ihnen auftrug.
Digun spürte die Unsicherheit der Beiden und bemerkte beiläufig: „Herr, erlaubt Ihr, dass ich den Beiden Eure Beschlüsse mitteile? Ich denke, dass ich Eure Anordnungen gut verstanden habe und entsprechend weitergeben kann."
„Sicher, meinetwegen! Sprich ruhig", Hakon nahm sich noch einen Krug mit Bier, Brakun schien bei diesem Anblick einer Ohnmacht nahe.
„Euer Herr möchte, dass ihr zurückgeht in die Menschenwelt und binnen einer Woche dieses Mädchen, diese Marie hierherbringt. Unverletzt und lebend und", er schaute sie aus seinen kleinen gelben Augen drohend an, „ unberührt von euch!"
Beide nickten beflissen und eilig, „Selbstverständlich! Ihr könnt euch ganz auf uns verlassen. Selbstverständlich!"
Digun fuhr fort „Da sie unter normalen Umständen keine Stunde in unserer Welt überleben würde, ist es wichtig, dass sie zuvor diesen Trank hier zu sich nimmt. Darin befindet sich etwas, was ihr einen Aufenthalt hier überhaupt erst möglich macht." Digun reichte Norgut eine kleine Phiole mit einer rötlich schimmernden Flüssigkeit, „Aber vergesst es auf keinen Fall und lasst euch nicht einfallen selber davon zu probieren, für euch wäre es tödlich! Es reicht für etwa drei Tage, bis dahin müsst ihr sie hierher gebracht haben. Die Flasche gehört zu den Gegenständen, für die wir eine Passiererlaubnis des Herrschers haben."
Norgut steckte die kleine Flasche in seine Hosentasche und nickte als Zeichen des Verstehens, er wusste, dass nur Gegenstände mit dieser besonderen Erlaubnis durch das Tor gebracht werden konnten. Jeder Clan besaß eine kleine Auswahl dieser, mit einer besonderen Ermächtigung versehenen Gegenstände, vorwiegend harmlose Sachen wie Taschen, Beutel, oder Trinkschläuche.
„Wie sieht sie aus?", Hakon war der Unterhaltung nicht wirklich gefolgt, „bevor wir hier große Entführungspläne schmieden, möchte ich doch wissen, was mich erwartet."
„Hm", Brakun räusperte sich, irgendwie hielt er sich für den größeren Experten von ihnen beiden, „Sie ist etwa einen Meter siebzig groß, schlank und hat längere blonde Haare, dazu blaue Augen und ihr Körper muss wohl für die Menschen und somit auch für die Menschenähnlichen sehr anziehend sein."
„Wie kommst du darauf?" Hakon wurde aufmerksamer.
„Nun, es interessieren sich auch andere Männer, ich meine echte Menschen, für das Mädchen. Außerdem schien sie uns nicht mehr ganz so unerfahren, was den Umgang mit Männern angeht."
„Umso besser", lachte Hakon, „dann ist sie also kein dummes Küken mehr."
Es reichte ihm an Informationen und er erhob sich von seinem Stuhl.
„Dann steht hier nicht so dumm rum und haltet Maulaffen feil, bringt sie her. Je schneller je besser. Und solltet ihr binnen einer Woche nicht mit ihr zurück sein, dann werden wir euch holen."
Er entließ sie mit einer kurzen Handbewegung und sie verließen den Raum. Als sich die schwere Tür hinter ihnen geschlossen hatte, atmeten die beiden auf.
„Das heißt für euch jetzt nur eine kurze Pause, ihr könnt euch Proviant einpacken und dann geht es umgehend zurück nach oben." Digun gönnte ihnen keinen längeren Aufenthalt in Hardun.
Schon nach einer knappen Stunde waren Brakun und Norgut wieder auf dem Weg zum Portal an der Grenze.
Der Wecker war erbarmungslos laut und schrill. Und es war so furchtbar hell. Das Licht tat Marie in den Augen weh.
Mist, dachte sie, ich habe doch gar nicht so viel getrunken. Aber nur drei Stunden geschlafen, meldete sich eine andere Stimme in ihr. Die Sonne schien, so wie fast jeden Tag von einem wolkenlosen Himmel und vereinzelte Sonnenstrahlen stahlen sich durch die Ritzen der Vorhänge ins Zimmer.
Mühsam setzte sich Marie auf die Bettkante und stützte ihren Kopf mit den Händen ab. Möglicherweise half ja kaltes Wasser. Mit schweren Beinen schleppte sie sich zur Dusche und drehte den Kaltwasserhahn voll auf. Vorsichtig ließ sie das wirklich eiskalte Wasser über ihr rechtes Bein laufen, dann wechselte sie zum linken, um dann mit einem beherzten Schwung ganz unter den Wasserstrahl zu tauchen. Lange hielt Marie das allerdings nicht aus und so drehte sie dann doch etwas warmes Wasser dazu.
Es nützt nichts, dachte sie, während sie sich abtrocknete, heute werde ich wohl nur körperlich im Unterricht anwesend sein. Das wird mir nicht wieder passieren, nahm sie sich fest vor.
Nachdem sie sich angezogen hatte, warf sie noch einen Blick auf ihre Vokabelzettel von gestern, beschloss, dass das eh sinnlos war und ging in Richtung Mensa um wenigstens einen Kaffee zu trinken. Draußen vor der Tür setzte sie sofort ihre Sonnenbrille auf, das Licht stach unangenehm in ihren Augen. Ihr Kopf begann zu schmerzen und sie spürte ein heftiges Pochen in ihrer rechten Schläfe. Schritt für Schritt quälte sie sich in Richtung Mensa.
In der Mensa saß die ganze Horde schon beisammen und winkte sie unter fröhlichem Gelächter und Geplapper zu sich an den Tisch.
„Meine Güte", Nora versuchte hinter Maries Sonnenbrille zu gucken, „sind deine Augen offen, oder schlafwandelst du?"
„War wohl 'ne heiße Nacht gestern, was?" die Frage kam von Pedro, einem kleinen Spanier, der wegen seines knabenhaften Aussehens von allen nur Chico genannt wurde, er war ein enger Freund von Carlos. „Mmmmh", Marie war entschieden zu müde um zu reden, sollten die anderen doch denken, was sie wollten.
„Daniel ist auch noch nicht da", Chico war echt hartnäckig.
„Nun lasst sie mal in Ruhe", Thea schaltete sich ein. „ bevor sie keinen Kaffee getrunken hat, ist sie eh nur ein halber Mensch."
Thea ging los, um Marie einen großen Becher Kaffee zu holen. Marie saß ganz ruhig am Tisch und die anderen fingen an, sich über den gestrigen Abend zu unterhalten.
„Wisst ihr was sonderbar ist?", Henri sagt, dass er heute Morgen Spuren am Strand gesehen hat, die von einer großen Katze sein könnten."
„Na und? Was ist daran denn so besonders? Katzen gibt es doch überall."
„Ja, aber er meint riesige Spuren, wie von einer Raubkatze."
„So ein Quatsch!" Alle lachten. „Ist denn eine aus dem Zoo ausgebrochen?" „Hier gibt es doch gar keinen Zoo!"
„Ich denke, der gute Henri hat gestern Abend etwas zu viel Bowle getrunken und fantasiert heute noch etwas nach."
„Was fantasiert Henri?", Daniel war bei den letzten Worten an den Tisch getreten und hatte sich neben Marie gesetzt, nachdem er ihr einen Kuss aufs Haar gegeben hatte. Er nahm ihr sachte die Sonnenbrille ab, legte eine Hand auf ihren Kopf und zog ihn vorsichtig auf seine Schulter. Danach legte er seinen Arm wie zum Schutz um sie. Das alles geschah so ruhig und selbstverständlich, dass keiner es irgendwie sonderbar fand. „Schlaf ruhig noch ein bisschen", sagte er leise zu ihr, „du kannst meine Schulter als Kissen benutzen." „Also?", fragte er nun lauter und zu den anderen gewandt, „was fantasiert Henri?"
„Ach", lachte Nora, „ er glaubt, dass er heute Morgen Raubtierspuren am Strand entdeckt hat."
„Uahhhh! Ein wildes Tier macht den Strand unsicher." Chico sprang auf Nora zu und fauchte wie ein Löwe. „Nora, du machst mich ganz wild."
„Ich mach dich gleich wild, wenn du mich nicht augenblicklich weiteressen lässt." Nora war wenig beeindruckt und nahm sich einen weiteren Löffel Joghurt.
„Sie liebt mich nicht!", Chico machte so ein übertrieben verzweifeltes Gesicht, dass alle am Tisch zu lachen anfingen, selbst Marie, die sich dabei vorsichtig aus Daniels Umarmung löste.
„Ich liebe dich sehr", sagte Nora sehr ernst, „ und meine Liebe zu dir würde geradezu ins Unermessliche steigen, wenn du mir zu meinem Joghurt ein paar Stücke Obst organisieren würdest."
„Bei dieser Frau geht die Liebe echt nur durch den Magen.", Chico seufzte theatralisch, stand aber auf um Nora ihren Wunsch zu erfüllen. Er legte sich eine Serviette über den Arm und schaute in die Runde.
„Noch eine Bestellung die Herrschaften?"
Während Chico den Rest der Gruppe nach weiteren Wünschen befragte, wandte sich Daniel Marie zu.
„Todmüde, hm?", er strich ihr sanft die Haare aus dem Gesicht.
„Ziemlich, war wohl doch zu wenig Schlaf heute Nacht.", wie zur Bekräftigung ihrer Worte musste sie plötzlich gähnen. Gott sei Dank, da kam Thea mit dem Kaffee zurück.
„Ist ein Riesenespresso", sagte sie, „der weckt Tote auf!"
„Läuft da was zwischen Daniel und dir?", sie sprach deutsch und ziemlich leise.
„Irgendwie schon, aber eigentlich weiß ich gar nicht so genau ob ich das wirklich will.", Marie antwortete auch auf Deutsch.
„Hey Mädchen, das gilt nicht, Geheimsprache verboten. Entweder Landessprache oder Englisch.", Daniel war schon wieder aufgestanden, er wollte noch schnell zu Hause anrufen, bevor er zum Unterricht musste. Beim Gehen drückte er Marie noch kurz einen Kuss auf die Wange und verschwand fröhlich pfeifend aus der Mensa.
„Oh Gott", stöhnte Nora, „der würde mich umbringen mit seiner Energie. Aber du siehst auch ganz schön mitgenommen davon aus, wenn ich das mal so offen sagen darf." Ihr Blick fiel auf Marie, die immer noch ermattet am Tisch saß.
Marie lachte, „Ja, Daniel ist unglaublich energiegeladen. Das kann ich von mir heute wirklich nicht behaupten. Wisst ihr was? Ich schwänze den Vormittag. Im Unterricht würde ich eh nur einschlafen. Wenn ich mich jetzt noch mal kurz hinlege, dann bekomme ich wenigstens in den restlichen Stunden noch etwas mit."
„Ist okay", Thea nickte, „ ich schreibe mit und sage Bescheid, dass du dich nicht wohl fühlst."
Sie waren die letzten am Tisch, die anderen waren schon auf dem Weg zu ihren ersten Unterrichtsstunden.
„Aber heute Nachmittag erzählst du mir alles. Alles von dir und Daniel, ja?" Thea stand jetzt auch auf.
„Geht klar", sagte Marie, „wenn du mir auch alles von Carlos erzählst." „Sicher Süße und nun schlaf mal noch ein Stündchen!"
Thea war weg. Marie setzte sich ihre Sonnenbrille wieder auf und ging über den sonnenbeschienenen Campus zurück zu ihrem Zimmer.
Laurent saß in der Küche am Tisch, als Claude die Treppe herunterkam um zu duschen. Claude hatte heute Nacht relativ gut geschlafen und fühlte sich ausgeruht. Seine Träume waren weniger heftig gewesen als er befürchtet hatte und Richards Schnarchen hatte tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf ihn gehabt.
Claude sah Laurent durch die offene Küchentür.
„Guten Morgen mein Junge, hast du gut geschlafen?"
Claude nickte, „Guten Morgen, schön das du da bist. Nur so? Oder gibt es einen besonderen Grund dafür?"
Laurent betrachtete liebevoll seinen Enkel, wie er so vor ihm stand. Nur mit einer Schlafanzughose bekleidet, ein frisches Handtuch über der Schulter, schlaftrunken und mit völlig verwuschelten Haaren.
Richtig jung sieht er aus, dachte Laurent, er sollte sein Leben lieber noch ein wenig genießen können.
„Ja Claude, es gibt einen besonderen Grund. Aber", beeilte er sich zu sagen, als er den fragenden Blick von Claude sah, „es ist nicht so dringend, dass du nicht erst duschen könntest. Geh ruhig ins Bad, ich mach uns in der Zwischenzeit das Frühstück fertig."
„Klingt überzeugend", gähnte Claude, „ich beeile mich!"
„Lass dir nur Zeit, was ist mit Richard? Ist er wach?"
„Jaaaah", tönte eine verschlafene Stimme aus dem oberen Stockwerk, „ und er hat einen Mordshunger!"
„Wie ungewöhnlich!", rief Laurent nach oben, „ dann soll er doch runterkommen und mir beim Tisch decken helfen, bevor er auch duschen kann."
„Mach ich sofort - wenn ich meine Hose gefunden habe. Oh heilige Ordnung!" Richard fluchte.
Man hörte es oben rumsen und krachen und dann:" Hab sie gefunden! Lag unter der Kommode!"
Claude ging ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Merkwürdig, dass Laurent hierhergekommen war. Seit Claude von Aloronice wusste, war das erst einige wenige Male geschehen und meist nur dann, wenn Laurent selber in der Stadt etwas zu erledigen hatte. Nun ja, er würde ihm schon noch sagen was er wollte, von Marie konnte er doch unmöglich etwas wissen, aber jetzt sollte er sich besser beeilen, denn Richard hämmerte schon an die Tür.
„Lass mich ein, ich vergehe vor Dreck!"
„Spinner!" rief Claude durch die Tür, gab aber dann doch das Bad frei.
Er rubbelte sich noch mit dem Handtuch die Haare trocken, während er sich schon zu Laurent an den Frühstückstisch setzte.
Dieser hatte ihm einen schönen, heißen Kaffee eingegossen und bot ihm jetzt die Milch dazu an.
„Also?", Claude nippte vorsichtig an seinem Kaffe, er war wirklich sehr heiß „Schieß schon los! Was gibt es so dringendes, dass du dich selber her bemühst?"
„Gleich, lass uns noch auf Richard warten, damit ich nicht alles zweimal erzählen muss.", Laurent nahm sich ein Stück Brot, „ Aber du hast Sorgen, oder? Du machst ein ziemlich ernstes Gesicht."
„Ach, geht schon wieder", Claude war unbehaglich zumute, wie konnte sein Großvater nur immer spüren, wenn ihn etwas bedrückte?
„Na Junge, komm raus mit der Sprache. Hast du Ärger gehabt?"
„Nur ein bisschen Liebeskummer, das ist alles", versuchte Claude die Sache von gestern Abend herunter zu spielen. „Ich habe ein Mädchen kennengelernt, aber die hatte schon einen anderen."
„Und das hat dich hart getroffen?", Laurent wurde hellhörig.
„Nicht wirklich, wohl mehr in meiner Ehre gekränkt. Na ja ein wenig enttäuscht war ich schon." „Das kommt, weil er sich für unwiderstehlich hält", Richard betrat die Küche, „und das bist du natürlich auch. Besonders für mich!" die ohnehin schon völlig zerzausten Haare bekamen jetzt von Richard noch den allerletzten Todesstoß und standen nun in alle Himmelsrichtungen vom Kopf ab.
„So so?", Laurent musste lachen, „Ihr seid schon echt ein tolles Paar! Komm Richard, nimm dir auch etwas zu Essen und dann setz dich zu uns, wir müssen einiges besprechen."
Laurent berichtete den beiden von den Vorkommnissen im Rat und die Entscheidung bis zum nächsten Vollmond eine Stellungnahme von Hakon einzufordern. Er schilderte die angespannte Stimmung derzeit auf Irion und deutete an, dass bald schwere Zeiten auf sie zukommen könnten.
„Es könnte sein, dass wir Hakon in seine Schranken weisen müssen und dass es sogar zum Kampf kommt. Aber vorerst braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, ich bin recht optimistisch, dass wir das Ganze friedlich klären können und Hakon sich wieder beruhigt. Trotzdem solltet ihr jeden Tag für eine Stunde Kampftraining nach Irion kommen. Schaden kann es in keinem Fall und schlimmstenfalls seid ihr wenigstens etwas besser gerüstet als jetzt."
Sein Blick fiel auf die beiden Freunde und mit Freude sah er, dass sie auch hier in der Menschenwelt ihr Training nicht vernachlässigt hatten. Ihre Körper waren durchtrainiert und unter ihren T-Shirts zeichneten sich die Brustmuskeln ab. Richard schien sein Essen sämtlich in Muskel umzusetzen und obwohl er etwas plumper als Claude erschien, war er inzwischen bestimmt total fit.
Die Freunde hatten höchst konzentriert zugehört und versprachen jeden Vormittag nach Irion zu kommen, um sich auf der Burg von ihrem alten Kampftrainer Markus noch besser im Schwert- und Ringkampf ausbilden zu lassen.
„Gut", sagte Laurent, er stand auf, „ das ist gut! Eure tägliche Anwesenheit wird auch den anderen Ratsmitgliedern zeigen, dass wir die Sache durchaus ernst nehmen und sie zur Standfestigkeit gemahnen. Zudem freue ich mich ganz persönlich, wenn ihr dann öfter als bisher bei mir reinschaut."
„Sollen wir nicht lieber ganz zurück kommen?" Richard fragte es mit einer leichten Besorgnis in der Stimme, vermutlich dachte er an seine Eroberungen von letzter Nacht. Andererseits verspürte er ein deutliches Pflichtgefühl gegen über Claude, Laurent und Aloronice.
„Ich denke, das ist noch nicht nötig", sagte Laurent, „fürs Erste reicht es, wenn ihr zu euren Trainingseinheiten erscheint."
„Okay!", Claude verließ nun auch den Tisch, „Dann fangen wir gleich an, wir kommen mit dir!"
„Nicht so hastig, erst mal muss ich mit Markus sprechen. Ich melde mich und teile euch die Zeiten mit. Solltet ihr nicht hier sein, schreibe ich sie unkommentiert auf einen Zettel, den ich an den Kühlschrank pinne. Aber vor morgen rechnet nicht mit mir."
Er betrat den Garten um zur Pforte zu gelangen.
„Macht euch heute noch einen schönen Tag und genießt den Abend! Und macht euch nicht zu viele Gedanken! Ich melde mich!"
Dann verschwand er im Gartenhäuschen und ließ zwei beunruhigte Geister zurück.
Richard fasste sich als erster wieder.
„Gut", sagte er, „dann werde ich mich mal im Fitnessstudio quälen und ein bisschen an den Armmuskeln arbeiten." Dabei ließ er seinen Bizeps spielen.
„Kommst du mit?"
„Ich denke nicht, ich werde lieber ein paar Kilometer laufen." Seit seiner ersten Wandlung hatte Claude ein zunehmendes Bedürfnis zu laufen.
Inzwischen konnte er mehrere Kilometer rennen, ohne auch nur einmal aus der Puste zu kommen.
„Alles klar", Richard ging nach oben um seine Tasche zu packen, „ treffen wir uns spätestens um achtzehn Uhr wieder hier? Dann können wir entscheiden, was wir heute Abend machen wollen."
„Meinetwegen, obwohl ich vermutlich eher wieder da bin. Was hast du denn den ganzen Tag vor?" Claude musste lauter werden, denn Richard war schon im Zimmer verschwunden.
„Oho!", kam es geheimnisvoll von oben, „ eine der Damen hat mich heute zum Mittagessen eingeladen und wer weiß wie lange wir essen?!"
„Darfst du mich wirklich solange allein, ohne Aufsicht lassen?"
„Meinst du", Richard streckte seinen Kopf aus dem Zimmer und klang besorgt, „ du brauchst mich heute? Wenn du willst, bleibe ich natürlich bei dir. Aber eins ist klar", er klang schon wieder munterer, „laufen tu ich auf keinen Fall!"
„Ist schon gut, war nur ein Witz! Was soll mir beim Laufen im Park schon passieren, der ist voller Menschen und es ist helllichter Tag. Geh du nur zu deinem Mittagsdate."
„Super!", Richard kam mit seiner Tasche die Treppe herunter, ich schieß dann mal los. Wir sehen uns spätestens um sechs und ich versuche mal eine Freundin der Freundin meiner Freundin für dich zu organisieren." „Auch super! Ich freu mich schon unbändig!"
„Klingst gar nicht so", Richard grinste, „wird schon, bis später!" Dann war er zur Haustür hinaus und Claude hatte Zeit und Muße, noch einen weiteren Kaffee in der Küche zu trinken. Danach zog er sich seine Trainingshose und die Laufschuhe an und machte sich auf den Weg in den Park.