Читать книгу Aloronice - Judith Weber - Страница 5
Laurents Haus
ОглавлениеClaude saß auf der Treppe zum Haus seines Großvaters und atmete schwer. Er war den ganzen Weg vom Strand bis hierher gerannt. Er hatte nur weg gewollt, weg von diesem Mädchen, weg von seinen Gefühlen und weg von allen Konsequenzen, die diese Begegnung nach sich zog. Er war doch noch gar nicht soweit, er war erst einundzwanzig. Das es irgendwann dazu kommen würde war ihm schon klar gewesen, aber doch noch nicht jetzt, später vielleicht, wenn er älter und reifer war.
Er hörte Schritte in der engen Gasse und Richard kam schnaufend um die Ecke gebogen.
„Meine Güte", stöhnte er, „du bist ja gerannt, als ob der Teufel hinter dir her ist. Puh! Ich muss mich erst einmal hinsetzen, mir platzt gleich die Lunge." Er schnaufte immer noch wie eine Dampflok. „Du kannst doch nicht einfach abhauen!"
„Du weißt doch, dass ich in deiner Nähe bleiben muss", setzte er in leicht vorwurfsvollem Ton hinzu während er sich neben Claude auf die Treppenstufen plumpsen ließ.
„Ich weiß, es tut mir leid, aber ich hatte doch gar keine andere Wahl als so schnell wie möglich zu verschwinden."
„So schlimm?" Richard sah ihn von der Seite an.
„Schlimmer!"
„Dann hat es dich diesmal richtig erwischt?"
„Ich weiß nicht - ich denke - ich glaube - ach was weiß denn ich."
„Oh je!" Richard schaute ihn voller Mitleid an, „ist es soweit?"
„Mmmmh", Claude dachte nach, seine Nasenflügel zitterten vor Anspannung. Sein Kinn krampfte sich zusammen, so fest biss er seine Zähne zusammen.
„Richard?" „Ja?" „Du bist doch mein Freund, oder?" „Klar! Immer gewesen", Richard ahnte schon, welche Idee Claude gerade in seinem
Kopf hin und her wälzte. Er setzte sich gerade hin und blickte Claude direkt ins Gesicht, „das heißt aber nicht, dass ich meinen Auftrag vergessen werde." „Das erwarte ich auch nicht von dir. Ich brauche nur etwas Zeit, bevor wir meinem Großvater darüber berichten. Sieh mal, es kann doch sein, dass ich mich irre und dann war die ganze Aufregung umsonst." „Klar, das könnte möglich sein" Richard war nur zu bereit seinem Freund jegliche, erlaubte Hilfestellung zu leisten. Zumal sonst auch ihr spannendes und unterhaltsames Junggesellenleben ein viel zu schnelles Ende nehmen würde. Das war nun wirklich gar nicht in seinem Sinn.
„Zwei Monate?"
„Okay!", sagte Richard, „zwei Monate!"
„Wenn bis dahin nichts mehr passiert, können wir sicher sein, dass das heute Abend ein Irrtum war."
„Glaubst du denn, dass es ein Irrtum war?"
„Ganz ehrlich, ich weiß es nicht, aber ich hoffe es sehr, denn sonst" er schaute Richard voller Verzweiflung an, „kann ich nur noch beten."
„Wird schon werden, vermutlich sind nur die Hormone mit dir durchgegangen." Richard versuchte sich einzureden, dass es so war, aber er spürte, dass er irrte, dass jetzt eine neue Zeit begann.
„Gehen wir ins Haus, oder gehen wir Rein?"
Claude stützte seine Hände auf den Knien ab und erhob sich zögerlich, „gehen wir erst mal nur ins Haus!"
Im Haus war alles ruhig und dunkel, kein Wunder, es war ja auch schon weit nach Mitternacht. Normalerweise würde man erwarten, dass es auch deshalb so ruhig war, weil alles schlief, aber hier in diesem Haus war alles anders.
Die Ruhe und die Dunkelheit rührten schlichtweg daher, dass sich niemand im Haus befand.
Während sie durch den langen Flur zur Küche gingen, hörten sie keinen Laut, eine winzig kleine Lampe am Ende des Flurs, auf einem Tisch unterhalb der Garderobe beleuchtete spärlich die Szenerie.
Links und rechts gingen Türen vom Flur ab, sie standen alle offen. Das erste Zimmer, das zur Straße hinausging, war das sogenannte Wohnzimmer, auch hier nur ein spärliches Licht, welches durch das Fenster von der Straßenlampe herein schien. Ein altes Sofa und eine Anrichte, über der ein Bild von einem gänzlich unbekannten Maler hing -ein Stillleben mit Obstschale und Wildbret - vermutlich würde der Maler auch unbekannt bleiben - dazu noch ein Lehnstuhl und ein Couchtisch, das war alles in diesem Zimmer.
Ein paar Zeitungen lagen auf dem Couchtisch, aber ansonsten wirkte das Zimmer wie geleckt, kein Staub, auch keinerlei persönliche Gegenstände waren zu erkennen. Es sah aus wie ein Raum, der nur benutzt wurde, wenn Besucher kamen und ansonsten von der Hausfrau zwar täglich gesäubert, aber dann sofort wieder verschlossen wurde.
Auch die zwei anderen Zimmer die folgten, wirkten ähnlich unbewohnt. Das eine wohl eine Art Gästezimmer mit einem Bett und einem Kleiderschrank, dazu ein kleiner Tisch und ein Stuhl. Dann kam das Badezimmer, eine riesige alte Messingbadewanne stand mitten im Raum, von der Decke darüber hing ein großer metallener Duschkopf, ein großes Porzellanwaschbecken links an der Wand, keine Toilette. Die befand sich hinter der letzten Tür auf der linken Seite. Die Tür direkt am Ende des Flurs führte in die Küche.
Richard und Claude betraten nacheinander die Küche.
„Hey, es riecht nach Essen", Richard schnüffelte vernehmlich.
Ein schwacher Duft von Knoblauch und ausgelassenem Speck lag in der Luft.
„Ja, merkwürdig", Claude schaute verwundert zum Herd. Keine Spur mehr von irgendwelchen Resten der Mahlzeit. Keine Pfanne, kein Teller, nicht einmal eine Gabel, die bezeugen würde, dass hier noch vor kurzem jemand etwas zu sich genommen hatte. Auch sonst war die Küche sehr sauber. Sie war, wie auch der Rest des Hauses weit entfernt davon modern zu sein, allerdings war sie zweckmäßig eingerichtet und es gab sogar eine Mikrowelle. Von der Küche aus führte eine Tür hinaus in den Garten, der jetzt nur als schwarzer Fleck durch die Glastür zu erahnen war.
„Komm", sagte Claude und man spürte deutlich die Erleichterung in seiner Stimme, „es ist keiner mehr hier. Wer immer hier war, ist schon wieder Rein."
„Mmmmmh, ich glaube auch", Richard grummelte ein wenig vor sich hin, „ich dachte, wir können noch eine Kleinigkeit zu Essen abstauben bevor wir Rein gehen." Richard war furchtbar hungrig und das machte ihn ein wenig unleidlich.
Er machte den Kühlschrank auf und wieder fing er an zu grummeln.
„Was ist?" Claude schaute auf, „nix mehr da?"
„Doch", Richard langte in den Kühlschrank und zog eine verschrumpelte Karotte hervor. „Das da!"
„Na dann, guten Appetit!"
„Ha, ha, sehr witzig. Vielleicht sollte ich mal von dir abbeißen du Scherzkeks!"
„Nur zu", Claude setzte sich an den Küchentisch, während Richard in den Schränken und Schubladen weiterhin nach etwas Essbarem suchte.
„Wie kann man nur ewig so hungrig sein?"
Claude stützte sich mit seinen Ellenbogen auf den Tisch und legte seinen Kopf in die Hände.
Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, immer wieder tauchte ihr Bild vor ihm auf. Wie sie dort gestanden hatte, am Meer, nur Zentimeter von ihm entfernt, ihre Augen, die die Farbe des Meeres bei Sonnenlicht hatten. Noch nie hatte er eine derartige Anziehungskraft gespürt, noch jetzt, nach über einer Stunde, glaubte er das Kribbeln auf seiner Haut zu spüren, welches ihr bloßer Blick bei ihm verursacht hatte.
Er musste dieses Bild los werden, dieses Kribbeln verscheuchen, jeden Gedanken an sie aus seinem Kopf bekommen. Das war wichtig. Keiner durfte etwas merken, schon gar nicht sein Großvater. Es würde schwierig werden, das war ihm klar. Auf Richard konnte er sich verlassen, der würde nichts verraten. Richard war sein bester und verlässlichster Freund, schon immer gewesen, seit er sich erinnern konnte waren sie ein Team, schon seit Kindergartenzeiten. Allerdings war ihm damals noch nicht klar gewesen, dass Richard anders war als andere Kinder, dass auch er anders war.
Claude lebte bei seinem Großvater Laurent, hier in diesem Haus. Seine Eltern hatte er nie kennengelernt ebenso wenig wie seine Großmutter. Sie alle waren schon lange tot. Er wusste auch nicht viel von ihnen, es gab keinerlei persönliche Erinnerungsstücke, nicht einmal Fotos. Früher, als er noch ein kleiner Junge war, hatte er seinen Großvater nach ihnen gefragt, eine wirkliche Antwort hatte er damals nicht bekommen. Seine Eltern wären bei einem Autounfall unmittelbar nach seiner Geburt ums Leben gekommen und seine Großmutter sei schon lange vor seiner Geburt gestorben. Da sein Großvater scheinbar über dieses Thema nicht weiter mit ihm sprechen wollte und er ihn auch noch nie mit einem derart traurigen Gesichtsausdruck erlebt hatte, hatte er nach diesem Tag nie wieder nach seinen Eltern gefragt.
Wozu auch, sie waren tot und konnten ihm in seinem Leben nicht mehr beistehen. Sein Großvater hatte ihn durch all die Jahre seiner Kindheit geführt. Auch wenn sein Großvater immer wieder für längere Zeit unterwegs sein musste und ihn dann in der Obhut eines Kindermädchens gelassen hatte, war Laurent doch seine wichtigste Bezugsperson gewesen. Claude hatte geglaubt ein ganz normaler Junge zu sein, bis zu jenem denkwürdigen Tag, der gleichzeitig sein achtzehnter Geburtstag war.
Bis dahin hatte er hier, in diesem Haus gewohnt, in seinem Jungenzimmer, ein Stockwerk höher. Noch heute war es unverändert, mit Postern von Rockstars und Rennwagen an der Wand.
Richard ging in diesem Hause ein und aus und so manche Nacht hatten sie zusammen in seinem Zimmer zusammengehockt, Gitarre gespielt und sich über alles unterhalten, was zu jener Zeit unglaublich wichtig schien. Waren es anfangs noch Autos und Musik gewesen, manchmal auch die Schule, kamen später die Mädchengeschichten dazu. Von den ersten zaghaften Versuchen, bis zu den ersten sexuellen Erfahrungen, kein Thema war zu peinlich, als dass er es nicht mit Richard besprechen konnte.
Das war bis heute so geblieben, nur jetzt, jetzt gerade konnte er mit Richard nicht so offen sprechen, wie er es sich gewünscht hätte.
Bis er achtzehn wurde, war dieses Haus sein einziges Zuhause gewesen, hier hatte er gelebt, ausschließlich, von ein paar Reisen einmal abgesehen. Hier in dieser Stadt war er zur Schule gegangen, hatte seinen Abschluss gemacht und alle die Dinge getan, die ein Junge bis dahin eben so tut.
Bis zu seinem Geburtstag am 15. Mai.
An seinem achtzehnten Geburtstag war er morgens aufgewacht, Richard hatte wieder mal bei ihm übernachtet, er hörte ihn leise neben sich schnarchen, während er sich mit dem Gedanken in seinem Bett aufsetzte, dass jetzt das Leben beginnen würde. Wow, er war jetzt achtzehn, endlich, er konnte jetzt seinen Führerschein machen, selber entscheiden wie lange er weg blieb und wohin er ging. Das Leben, das vor ihm lag, erschien ihm wie eine große bunte Welt, die es zu erobern galt.
Er hatte seinen Großvater unten in der Küche rumoren hören und gegrinst, als er sich vorstellte, wie dieser jetzt seinen Geburtstagstisch zum
Frühstück deckte. Im Haus duftete es schon nach Eiern mit Speck und nach Kaffee.
Eigentlich hatte er Richard wecken wollen, entschied sich dann aber anders und ging barfuß und noch ungekämmt zu seinem Großvater nach unten.
Claude wurde jäh in seinen Erinnerungen unterbrochen, als Richard mit einem Aufschrei der Begeisterung eine Dose Ravioli aus der hintersten Ecke eines Küchenschrankes zu Tage förderte.
„Ich hab es doch gewusst!", jubilierte er und schwang die Dose wie einen Siegespokal über seinem Kopf hin und her.
„Klar", sagte Claude, „wenn es noch irgendwo etwas Essbares gibt, dann findest du es garantiert."
Während Richard die Dose öffnete um die Ravioli in der Mikrowelle warm zu machen, ergab sich Claude wieder seinen Erinnerungen.
Er war also die Treppe hinunter gegangen und bevor er zu seinem Großvater in die Küche ging, noch schnell ins Bad gehuscht.
Während er duschte, meinte er Stimmen aus der Küche zu hören, war sich aber nicht sicher und schob das Ganze auf das Radio.
Claude fragte sich, was ihm sein Großvater wohl zu diesem wichtigen Geburtstag schenken würde, er hatte es wirklich spannend gemacht und bisher keinen Ton verraten.
In den letzten Tagen war Claude ihm ziemlich auf die Nerven gegangen mit seiner Fragerei und obwohl er echt hartnäckig geblieben war, kam kein Wort über dessen Lippen. Sein Großvater war in letzter Zeit eh schweigsamer gewesen als sonst und ab und zu glaubte Claude einen Anflug von Traurigkeit auf seinem Gesicht zu erkennen.
Claude schob das auf die Tatsache, dass Eltern, oder auch Großeltern, wohl immer ein wenig Wehmut überkommt, wenn der Nachwuchs erwachsen wird, und machte sich keine ernsthaften Gedanken darüber. „Laurent!", rief Claude, „ich bin fertig! Kann ich reinkommen?"
„Ja, ja, mein Junge, komm nur, ich habe alles vorbereitet."
Eigentlich sah alles aus wie sonst auch an seinem Geburtstag. Der Küchentisch war feierlich gedeckt, achtzehn Kerzen auf einer riesigen Geburtstagstorte, Eier, Speck und frisches Brot standen auf dem Tisch und Laurent saß lächelnd ihm direkt gegenüber an der Kopfseite des Tisches.
„Alles, alles Gute zur Volljährigkeit Claude!" sein Großvater erhob sich und ging um den Tisch herum auf ihn zu.
Er war groß, mindestens so groß wie Claude und hatte ebenso wie er tiefdunkle Augen, die zu seinem weißen, vollen Haar allerdings in krassem Gegensatz standen. Er war Anfang siebzig, das sah man ihm allerdings nicht an, denn seine Bewegungen waren noch ebenso kraftvoll, wie seine Arme und Beine muskulös und drahtig waren. Er war schlank und nur sein faltendurchzogenes Gesicht ließ sein wahres Alter erahnen.
Laurent nahm seinen Enkel in die Arme und drückte ihn herzlich an sich. „Na, mein Großer? Wie fühlst du dich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, anders als gestern, hmmm?"
„Nicht wirklich", Claude sah sich in der Küche um, ein Geschenk war nicht zu erkennen, schien also eine kleinere Überraschung zu sein.
„Das kommt noch! Hast du Hunger?", Laurent schob Claude einen Stuhl mit einer geschmückten Rückenlehne zu, jeden Geburtstag war diese Papiergirlande bisher zum Einsatz gekommen -bunte Blüten rankten sich um einen Strang grünen Krepppapiers- dementsprechend alt und verblichen und auch ein wenig ausgefranst sah sie aus.
„Klar habe ich Hunger! Das sieht lecker aus", sagte Claude und setzte sich seinem Großvater zuliebe auf den umkränzten Stuhl.
„Wo hast du denn Richard gelassen?", fragte Laurent, „wenn es ums Essen geht ist er doch sonst immer der Erste."
„Der schläft noch tief und selig", grinste Claude, „ich habe es nicht übers Herz gebracht ihn zu wecken, nach der Feier gestern. Er war ein wenig mmmmh". Claude wollte nicht zu viel verraten, darum druckste er „ ein wenig beschwipst."
„Hattet ihr denn Spaß? War die Feier lustig?"
„Ja, war ganz lustig, war okay!" Sie hatten gestern mit ein paar Freunden am Strand in seinen Geburtstag rein gefeiert und es war spät, oder früh geworden, ganz wie man wollte.
„Das freut mich", Laurent goss Claude und sich selber Kaffee in die Tassen und setzte sich zu ihm an den Tisch.
„Guten Appetit, lang zu! Aber erst", fiel Laurent plötzlich ein, „erst musst du die Kerzen auspusten und dir etwas wünschen!"
„Laurent!" Claude nannte seinen Großvater seit er denken konnte beim Vornamen, „ich bin doch nicht mehr siebzehn". Claude grinste, ebenso Laurent.
„Na ja, dafür ist man doch nie zu alt oder? Komm mach schon, pusten! Dann können wir uns gleich mal ein Stück davon gönnen."
Claude holte tief Luft und pustete in einem Rutsch die Kerzen aus. „Wünsch dir was!", erinnerte ihn Laurent und Claude überlegte kurz und dachte dann, „ich wünsch mir ein aufregenderes Leben ab jetzt!"
„Na, was gewünscht?"
„Klar!"
„Prima, dann lass uns jetzt frühstücken. Dein Geschenk bekommst du etwas später. Ich dachte wir warten, bis Richard auch wach ist. Zumal sein Geschenk für dich irgendwie zu meinem dazu gehört."
Das wurde ja immer spannender.
Noch während sie aßen, hörten sie Richard die Treppe herunter poltern. Ein völlig verstrubbelter Rotschopf steckte seine Nase durch die Tür und murmelte: „Mmmmh, lecker, das riecht man bis in seine Träume hinein. Bin gleich wieder da, hebt mir was auf!" Sein Blick streifte die Torte und noch während er die Tür hinter sich zuzog, hörte man sein langgezogenes „Mmmmh!"
Laurent und Claude unterhielten sich über Belanglosigkeiten, während sie ihr Frühstück verzehrten. Schon nach wenigen Minuten kam Richard wieder zur Tür herein, frisch geduscht und immer noch reichlich verschlafen. Mit einem Plumps ließ er sich auf einen der freien Stühle fallen.
„Guten Morgen allerseits! Nochmals meinen allerherzlichsten Glückwunsch zum Geburtstag!", noch während er sprach, zog er den Brotkorb zu sich hinüber, schnappte sich zwei Scheiben Brot, schaufelte Berge von Ei und Speck auf seinen Teller und begann genüsslich zu schmausen. Man merkte ihm an, dass er sich wie zu Hause fühlte.
Zum Ende des Frühstücks schnitt Laurent die Torte an und sie ließen sich dieses Wunderwerk der Backkunst schmecken.
„Vom Konditor Levalle?", fragte Richard mit vollem Mund.
Laurent nickte.
„Schmeckt man!", sagte Richard und nahm sich das zweite Stück Torte. Nachdem auch Richard satt und gänzlich voll gefuttert war, trat eine merkwürdige Stille ein. Erwartungsvoll und angespannt sah Richard auf Laurent, bis dieser unmerklich nickte. Zwischen den beiden schien eine unausgesprochene Übereinkunft zu herrschen von der Claude sich seltsam ausgeschlossen fühlte.
Beide wurden plötzlich eigentümlich ernst, selbst Richard, was so gar nicht zu ihm passte. Fast schien es, als ob er eine andere Schublade seiner Persönlichkeit aufmachte, von der Claude bisher nicht mal gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte. Er wirkte so erwachsen und Claude fremdelte plötzlich ein wenig.
„Ist mir irgendwas entgangen? Habt ihr was?" Claude war verunsichert.
„Kommt mal mit", Laurent erhob sich und ging voran ins Wohnzimmer. Richard und Claude folgten ihm. Richard sehr aufrecht und angespannt und Claude zögerlich und nervös.
Im Wohnzimmer forderte Laurent Claude auf, sich auf das Sofa zu setzen, er selber nahm auf dem einzigen Sessel, einem großen Kaminsessel mit hohen Lehnen, Platz. Richard zog es vor stehen zu bleiben, er lehnte sich allerdings gegen die Fensterbank.
„Meine Güte", dachte Claude, das verhieß ja ein spannendes Geschenk, denn einen anderen Grund für diese seltsam feierliche Stimmung konnte er sich nicht denken.
Und dann hatte sein Großvater zu erzählen begonnen und ihm die wahre Geschichte seiner Herkunft, seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und seiner Zukunft offenbart.