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Antikes Geschrei

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Schauen wir zuerst auf das antike griechische Alphabet, in welchem der Ursprung unserer Schrift zu finden ist. Benannt ist es nach den ersten beiden Buchstaben der Reihe, Alpha und Beta. Frühe Zeugnisse sind uns auf Vasen übermittelt, auf welchen ein Sprecher dargestellt ist. Dessen Worte entströmen als Spruchband seinem Mund, das sich um das Gefäß windet. Diese Bild-Textkombination verdeutlicht das Besondere und bis dahin einmalige der frühen griechischen Schrift. Sie vermittelt die Inhalte nicht über sinnbildhafte Zeichen (wie die chinesische Schrift oder die Hieroglyphen), nicht über Ideogramme (wie unsere Zahlzeichen), sondern hält den flüchtigen Sprachlaut fest. Die sich daraus ergebende Lautschrift ist um etwa 900 v. Chr. entstanden, als das griechische Alphabet aus dem phönizischen übernommen wurde.

Der erste Entwicklungsschritt war, das Bild des Sprechers wegzulassen und die schier endlose Rede vom dreidimensionalen Beschreibstoff in die zweidimensionale Fläche zu übertragen. Der Urheber der Rede wird beim Lesen nur noch mitgedacht. Damit seine aufgeschriebene Rede weiterhin ununterbrochen dargestellt werden kann, erscheint sie furchenwendig, genannt Bustrophedon (wie der Ochse pflügt):

Wenn der Bauer mit einem Ochsengespann die Richtung wechseln will und am Zügel zieht, dann stampfen die Ochsen einfach weiter, drehen nur gleichmütig den Kopf zur Seite, denn sie gehen im Joch, ziehen mit der Stirn. Erst nach einer Weile bequemen sie sich, weshalb das Pflügen mit Ochsen nur in weiten Schleifen geht. Die Weise so zu schreiben heißt Bustrophedon. Es bezeichnet die Schreibtechnik abwechselnd rechtsläufig und linksläufig, wie es in der Frühzeit der griechischen Schrift üblich war. Es gab keinen Zeilenumbruch, sondern gegen Ende der Zeile wird im großen Bogen furchenwendig weiter geschrieben. Sobald die Gegenrichtung erreicht ist, schlagen die Buchstaben um, diese Zeile weist also Spiegelschrift auf. So mäandert der Text wie ein einziges Band über die Schreibfläche, getreu der Vorstellung, mit der Schrift das gesprochene Wort wieder zu geben. Denn der Mensch redet nicht in Zeilen, macht am Ende einer gedachten Zeile keine Pause oder ein Klingelzeichen wie die mechanische Schreibmaschine. Eine linksläufige Zeile in Spiegelschrift war dennoch einfach zu lesen. Die meisten der 20 Zeichen der griechischen Großbuchstabenschrift hatten keine Schriftrichtung, wie wir das in der Alphabetschrift noch kennen bei A, H, I, M, O, T, U-V-W, X, Y.

Erst seit die revolutionäre Idee aufkam, dass die Rede sich in Zeilen aufteilen lässt, ohne den Redefluss zu unterbrechen, dass also der Zeilenumbruch keine inhaltliche Bedeutung hat, verläuft auch die Schreibrichtung beständig von links nach rechts. Die Wahl der rechtsläufigen Schreibrichtung hängt mit dem Wechsel vom zuvor verwendeten Rohrpinsel auf die Rohrfeder zusammen. Beim Schreiben mit der Rohrfeder liegt die Schreibhand auf dem Beschreibstoff auf. Somit verdeckt sie das Geschriebene, wenn von rechts nach links geschrieben wird. Anders ist es beim Linkshänder. Die für ihn passende Schreibweise wäre linksläufig in Spiegelschrift.

Der nächste Entwicklungsschritt unserer Schrift fand statt, als die griechische Schrift von den Römern übernommen und zum lateinischen Alphabet umgeformt wurde.

Anmerkung zur Kapitelüberschrift: Das griechische wie das lateinische Alphabet hatten nur Großbuchstaben. Im heutigen Internet gilt ausschließliche Großschreibung als Schreien. Entsprechend wären antike Texte allesamt die Wiedergabe von Gebrüll, was nicht so abwegig ist. Denn antike Texte wurden üblicherweise laut gelesen, also vorgetragen.

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