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Exkurs Times New Roman: Einfach – mannhaft – englisch

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Im Jahr 1932 erteilte die Geschäftsleitung der Londoner Times dem Schriftkünstler Stanley Morison den Auftrag, eine neue Brotschrift für den Zeitungssatz zu entwickeln. Die Schrift sollte eine Reihe von Bedingungen erfüllen, ästhetische, funktionale und satztechnische. Die Ästhetik: Man wollte eine Schrift, die einfach, mannhaft und englisch wirkt. Funktion und Satztechnik: Die Schrift sollte gut lesbar und sparsam im Satz sein, zudem sollte sie dem hohen Pressdruck beim Stereotypieren widerstehen. Morison begann mit umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und Experimenten, wie sie bislang einmalig in der Entwicklung einer Druckschrift waren. Erst nachdem alle wichtigen Schriften der Vergangenheit auf ihre Qualität hin untersucht worden waren, begann man mit den zeichnerischen Entwürfen und Probeschnitten des neuen Alphabets. Es sollen zwischen den anfänglichen Entwürfen und der endgültigen Form 7000 Stempel geschnitten worden sein. 1932 lag die endgültige Fassung vor, genannt: TIMES NEW ROMAN. Die Schrift ersetzte das komplette bisherige Satzmaterial der Londoner Tageszeitung The Times.

Inzwischen ist die Times New Roman eine der bekanntesten Schriften der Alphabetkultur. Mit der Textverarbeitung Word, die zum Betriebssystem Windows gehört, hat sie sich endgültig an die Spitze aller verwendeten Antiquaschriften gesetzt. Die Times New Roman ist für große Textmengen auf Papier gut geeignet. Dort liest sie sich leicht und wirkt angenehm klar. Wenn man sich jedoch fragt, was denn das “mannhafte” und “englische” an ihr sei, dann müssen andere Schriften zum Vergleich herangezogen werden. Trotz der aufwendigen und kostspieligen Entwicklungsarbeit ist die Times keine wirklich neue Schrift. Stilistisch entspricht sie den niederländisch-englischen Spätrenaissance-Schriften. Morison erkannte bald, dass die von ihm gesuchte ideale Form in diesen Schriften schon existierte.

Verglichen mit ihren Vorläufern zeichnet sich die Times durch ihren kräftigen Duktus aus. Das hat auch einen technischen Grund. Im Zeitungssatz der Vergangenheit wurden die fertigen Seiten aus Bleimaterial mit hohem Druck in Pappmatern abgeformt (Stereotypieren). Die Matern wurden dann gebogen und mit Blei ausgegossen, und so gewann man halbrunde Druckplatten aus einem Stück, die für den Rotationsdruck auf die Druckzylinder montiert werden konnten. Vom häufigen Matern wurden die Drucklettern bald regelrecht plattgedrückt, was ihr Druckbild zunehmend unscharf machte. Das war besonders bei Handsatzlettern unerwünscht, denn die mussten ja möglichst häufig wieder verwendet werden. Hier sollte also die Times größeren Widerstand leisten.


Zum Vergleich: Garamond (oben) und Times New Roman (unten)


Es gibt auch einen ästhetischen Grund für den kräftigen Schnitt der Times: Morison war ein Schüler des berühmten Kalligraphen und Schriftschöpfers Edward Johnston (*1872), von dem auch die Schrifttype der Londoner U-Bahn stammt. Johnston wiederum gehörte in seiner Jugend dem Morris-Kreis an. Der Präraffaelit William Morris hatte sich nun ausdrücklich gegen die “Verirrungen” der Typographie des 19. Jahrhunderts gewandt und besonders die damalige Lehrmeinung getadelt, das Textbild einer Buchseite müsse möglichst hell sein, die Schrift solle grau wirken. Morris vertrat das mittelalterliche Ideal, die gedruckte Kolumne solle so schwarz wie möglich sein, weshalb er kräftige Schriftschnitte propagierte, wie die Schriften in den Büchern seiner berühmten Kelmscott-Press später zeigen. Dem prägenden Einfluss durch William Morris verdankt die Times New Roman ihre prachtvolle Schwärze, und das ist auch das Englische an ihr; wenn man will, auch das Mannhafte, aber da möchte ich mich nicht festlegen.

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