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1.2 Der globale Zustand als Spiegel unserer selbst

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Im 21. Jahrhundert ist es die große Herausforderung unserer Spezies, wieder in Einklang mit der Natur zu kommen und sie in all unserem Tun mit zu bedenken. Damit uns dies als Kollektiv gelingt, braucht es die Anstrengung und Veränderung von jedem Einzelnen von uns. Wie wir bereits gesehen haben, ist unser Umgang mit der Natur eher von Zerstörung denn von Respekt und Miteinander geprägt. Die Verbindung zur Natur ist uns über weite Bereiche abhandengekommen, und viele Menschen haben darüber hinaus auch die Verbindung zu sich selbst verloren.

Könnte es also sein, dass es Parallelen gibt zwischen der Art, wie wir mit der Erde umgehen, und der Art, wie wir mit uns selbst umgehen? Könnte es sein, dass wir Menschen ähnlich kränkeln wie unser gesamter Planet? Wäre es möglich, dass der Zustand der Welt lediglich ein Spiegel für den inneren, geistigen und emotionalen Zustand der Menschheit ist? Wir sehen ein paar spannende Parallelen, die wir im Folgenden näher beleuchten wollen.

Burn-out im Menschen, Burn-out in der Natur

Beginnen wir mit der immerzu produktiven Marktwirtschaft. Ob diese wirklich produktiv ist, sei dahingestellt. Fakt ist, sie will es sein! Und da uns in unserer Kurzsichtigkeit nichts Produktiveres einfällt als eine Maschine, haben wir die gesamte Arbeitswelt auch entsprechend diesem Maschinen-Denken gestaltet. Nicht nur das, wir haben es sogar so weit gebracht, dass sich der heutige Mensch seine eigene Daseinsberechtigung erst verdienen muss. Es scheint, als wären wir nur dann wertvoll, wenn wir funktionieren, uns zu Tode arbeiten und dabei irgendetwas produzieren.

Mit diesem maschinellen »Funktionieren« in der Arbeitswelt geht die Tatsache einher, dass wir auch gesellschaftlich funktionieren müssen. Wir sollen brav sein, zur Arbeit gehen, unser Geld verdienen und es am besten allen anderen recht machen. Ob wir es dadurch auch uns selbst recht machen, steht oft nicht zur Debatte. Solche Bestrebungen beschreiben Psychotherapeuten wie der Deutsche Wolf Büntig als eine Dynamik, die man an der Basis aller psychosomatischen Krankheiten sieht.20 Und dass diese vor allem in der Arbeitswelt immer stärker zunehmen, ist seit dem Massenphänomen Burn-out kein Geheimnis mehr.

In einer 2019 veröffentlichten Studie mit rund tausend Erwachsenen wurde festgestellt, dass 19 Prozent der österreichischen Bevölkerung zumindest erste Anzeichen dieser Störung aufweisen, 17 Prozent sich in einem Übergangsstadium befinden und 8 Prozent als erkrankt gelten.21 Die Studienautoren erklären ferner, dass sich gemäß ihrer Forschung nur rund die Hälfte, 52 Prozent, als gesund betrachten können. Unser aktueller Umgang mit Arbeit lässt uns also ausbrennen und macht uns im schlimmsten Fall sogar krank. Zur Erklärung: »Ein Burn-out ist ein emotionaler, geistiger und körperlicher Erschöpfungszustand nach einem vorangegangenen Prozess hoher Arbeitsleistung, Stress und/oder Selbstüberforderung.«22

Die Analogie zur Natur ist in diesem Fall recht einfach zu sehen. Auch unser Planet leidet an einer Art Burn-out. Unser hohes, krank machendes Arbeitspensum führt natürlich auch zu einer dauerhaften Produktion aller möglichen Güter und dies wiederum zur Erschöpfung des Planeten. Die nachwachsenden wie auch die nicht nachwachsenden Ressourcen erschöpfen sich, die fruchtbaren Böden gehen zur Neige und die meisten Ökosysteme stehen, ebenso wie wir Menschen, ständig unter Stress.

Gerät ein Mensch ins Burn-out, so ist er gut beraten, sich erst einmal völlig zurückzuziehen und eine längere Auszeit zu nehmen. Auch eine mehrwöchige Kur in einer entsprechenden Klinik wird als sinnvolle Maßnahme genannt. Zusätzlich ist ein genereller Lebenswandel vonnöten, soll dieser Zustand nicht einige Jahre später erneut auftreten. Um dies zu begreifen, braucht man in der Regel kein Arzt zu sein. Der gesunde Menschenverstand reicht hierfür völlig aus.

Leider reicht dieser Menschenverstand meist nicht weit genug, um auch der Natur eine solche Auszeit zu gewähren. Gerade unsere Ökosysteme bräuchten dringend Zeiten der Ruhe, um nicht ins Burn-out zu geraten. Viele davon haben Tausende Jahre benötigt, um entstehen zu können und eine Vielfalt hervorzubringen, die wir an manchen Orten glücklicherweise noch immer zu sehen bekommen. Diese Vielfalt wird bald schon verschwinden und zahlreiche Ökosysteme werden sich nie wieder von ihren Beschädigungen erholen können. Ebenso wie jene Menschen, die ihre Symptome zu lange ignorieren und irreversible Schäden an Körper und Geist erfahren.

Ein Verständnis für die Ruhezeiten der Natur fehlt im gesellschaftlichen Bewusstsein jedoch meist gänzlich. Die einzigen Auszeiten, die unsere Erde in den vergangenen zwanzig Jahren erlebt hat, waren die Wirtschaftskrise rund um 2009 und die Coronakrise ein Jahrzehnt später. In diesen Zeiträumen lässt sich sogar anhand wissenschaftlicher Kennzahlen darstellen, dass eine kurzfristige Erholung auf unserem Planeten stattfand. So wanderte in diesen Zeiten etwa der »Welterschöpfungstag«, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen übersteigt, weiter nach hinten.23 Darüber hinaus kennen wir vermutlich alle die im April 2020 aufgenommenen Bilder aus Venedig, wo die sonst dauerbefahrenen Kanäle wegen der Ausgangsbeschränkungen einmal leer blieben, wieder klares Wasser führten und von zahlreichen Fischen und Schwänen besiedelt wurden. Oder die Luftbilder aus Frankreich, Spanien und China, wo der Ausstoß von Stickoxiden aufgrund der Corona-Maßnahmen im Vergleich zum Vorjahr drastisch zurückging.

Da wir nun aber wieder alles daransetzen, weitermachen zu können wie zuvor, war diese Erholung nur eine kurze Verschnaufpause für Mutter Erde. Verglichen mit dem menschlichen Burn-out war es wohl wie ein Wochenendtrip in den Wald, nach dem man am Montag pünktlich um 7 Uhr wieder zur Tat schreitet – um sich selbst und dem Planeten den Rest zu geben.

Der kollektive Pillenwurf

Nicht nur bei psychischen Symptomen wie dem Burn-out gibt es Analogien zwischen dem planetaren Zustand und uns selbst. Auch beim Umgang mit unserem Körper können wir das Ausmaß unseres Irrwegs gut sehen. Ein wacher Mensch weiß, dass ein gesunder Körper nur dann ein solcher bleibt, wenn man ihn täglich pflegt. Zu dieser Pflege gehören neben einer guten Work-Life-Balance und einer ausgewogenen Ernährung vor allem auch regelmäßige Bewegung, Sport, Meditation oder andere körperliche Betätigungen. Und da der Gesundheitsmarkt gerade Hochkonjunktur hat, hat diese Entwicklung schon zahlreiche Köpfe unserer geliebten Spezies erreicht.

Gleichzeitig gibt es immer noch zu viele von uns, die von all dem entweder nicht viel halten oder aber noch nichts mitbekommen haben. Sozialisiert nach einem veralteten Weltbild, behandeln sie ihren Körper so, als wäre er eine Maschine. Brummt das Köpfchen, gibt’s Tablette Nummer eins, bei Magenbeschwerden die zwei, im Grippefall dann Pille Nummer drei, Tablette Nummer vier hilft bei Mangel an Vitamin D und die fünfte lässt die Muskeln schneller wachsen. Dem nicht genug, wird bei Beschwerden aller Art zur Sicherheit noch eine Reihe Antibiotika nachgelegt, frei nach dem Motto: »Hilft es nicht, dann schadet’s auch nicht.«

Dass ein gesunder Mensch bei entsprechender Lebensführung über weite Lebensstrecken fast zur Gänze ohne Medikamente auskommen kann, ist vielen nicht einmal mehr bewusst. Zu sehr hat sich der Griff zur Pillenschachtel in unser Bewusstsein eingebrannt. So leben viele von uns ihr Leben unachtsam vor sich hin – im guten Glauben, dass es für alles, was kommt, die passende Tablette geben wird. Und wenn nicht, dann setzt sich dieses Spielchen im Krankenhaus eben fort. Bis man irgendwann doch mal in die Grube fährt.

Im Bereich der Nachhaltigkeit lässt sich eine analoge Geschichte erzählen. Obwohl wir in manchen Bereichen schon erkannt haben, dass ein Umdenken dringend nötig ist, betreiben wir dies bestenfalls halbherzig. Auch im Umgang mit unserer Natur hat sich ein Verhalten eingestellt, das einem kollektiven Tabletteneinwerfen ähnelt.

Eine wache Gesellschaft denkt die Natur als ihren Leben spendenden Körper bei all ihren Handlungen von vornherein mit. Von einem wachen Zustand sind wir derzeit jedoch weit entfernt. Wir schädigen uns und unseren Heimatplaneten in dem irrwitzigen Glauben, dass es auch in diesem Fall für alle Probleme die passende Tablette geben wird. Anstatt etwa unsere fossilen Heizsysteme vollständig auf umweltfreundliche Alternativen umzustellen, entwickeln wir lieber immer neue Filter für unsere Schornsteine. Anstatt das Müllproblem an der Wurzel anzugehen, bauen wir immer bessere Müllanlagen. Und anstatt unseren Fleischkonsum und damit unsere Treibhausgase zu reduzieren, entwickeln wir Mundschutzmasken für Kühe. Nicht wegen Corona, sondern um die Methangase aus den Rindermäulern ein klein wenig zu reduzieren. Diese Gummimasken sind mit solarbetriebenen Ventilatoren versehen und sollen die Ausatmungen der Tiere in eine Kammer leiten und dort unschädlich machen.24

Auch wenn viele dieser Ideen sicherlich einer guten Absicht entspringen, beschäftigen sie sich einzig und allein mit der Bekämpfung des Symptoms und werden das Problem somit nie lösen können. Das ist schade, denn für viele Probleme gäbe es bereits sehr vielversprechende Alternativen, die wirklich einen Unterschied machen könnten. Für die Schonung der Ökosysteme gibt es die biologische Landwirtschaft, für den gerechten Handel haben wir das Fair-Trade-System eingeführt, und das Verkehrsproblem löst sich womöglich über eine Stärkung der öffentlichen Verkehrsmittel mit gleichzeitigem Carsharing von Elektroautos mit Strom aus PV-Anlagen.

Dank unzähliger Pioniere haben wir in den letzten Jahrzehnten neue Möglichkeiten entwickelt, wie eine zukunftsfähige Gesellschaft aussehen könnte und wie wir die ökologische Krise in den Griff bekommen. Würden wir diese Ideen als Masterplan verstehen, so könnten sie tatsächlich die Gesundung unserer Erde vorantreiben. Doch leider verwenden zu viele von uns diese neuen Möglichkeiten nur als Tablette für zwischendurch.

Als Geschenk kauft man seinen Liebsten gern mal die Pralinen in Bioqualität, im Alltag bleibt man bei jenen vom Diskonter. Eine Spende für den brasilianischen Regenwald ist immer drin, bei der Verhandlung mit den Bauern muss man aber doch die Preise drücken, um seine Boni zu erhalten. Und auch wenn man im Alltag mal gern aufs Auto verzichtet, so ist der jährliche Städtetrip über den Atlantik einfach ein Muss. Manchmal kaufen wir auch Öko-Schuhe, regionales Biogemüse, lassen die Eckbank vom örtlichen Tischler bauen und genießen die Firmenfeier am Bauernhof in der Region. Beim großen Rest unserer Lebenszeit heißt es dann halt doch wieder business as usual.

Man könnte diese Beispiele endlos weitertreiben und würde zu dem Schluss kommen, dass wir in Mitteleuropa zu einer Art Wochenend-Ökos geworden sind. Überall, wo es leicht geht, sind wir bereit, Abstriche für die Natur zu machen. Überall dort, wo nur eine kleine Tablette zu schlucken ist, tun wir dies gern, der Umwelt zuliebe. Der große Bewusstseinswandel sieht aber anders aus. Darum lass uns doch einmal ausmalen und untersuchen, wie ein echter und tiefgreifender Wandel aussehen könnte!

Innen wachsen – außen wirken

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