Читать книгу Innen wachsen – außen wirken - Julia Buchebner - Страница 9
1. Willkommen in der westlichen Welt
ОглавлениеHello, Hola, Bonjour – willkommen in der westlichen Welt!
Freu dich, du wurdest an einem der besten Orte in einer der besten Zeiten unserer gesamten Menschheitsgeschichte geboren. Kaum zuvor lebten so viele Menschen in einer so sicheren Umgebung mit beinahe endlosen Möglichkeiten und zudem genügend Zeit und Geld, diese auch nutzen zu können.
Wer fremde Länder besuchen will, steigt einfach ins Flugzeug und fliegt hin. Will man es dabei noch gemütlich haben, bucht man First Class. Braucht es diese Vielfalt auch im eigenen Zuhause, besorgt man sich Möbel, Kleider, Obst und Gemüse aus allen möglichen Weltregionen zum Spottpreis im Einkaufscenter um die Ecke. Und wem diese reale Welt noch immer nicht genügt, der steigt über die Virtual Reality in einen gänzlich neuen Erfahrungsraum jenseits aller Grenzen ein.
Uns geht es gut, zumindest gesamt gesehen. Und selbst wenn es uns nicht gut ginge, würden wir es wohl kaum merken. Denn wir haben gelernt, uns immer und überall zu vergleichen. Und solange es uns besser geht als irgendwelchen anderen, geht es uns irgendwie auch gut, oder?
Um auf Nummer sicher zu gehen, haben wir noch entsprechende Gradmesser entwickelt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein solcher. Ist es gestiegen, geht es uns gut. Liegt das Wirtschaftswachstum höher als woanders, geht es uns gut. Haben wir ein neues Auto, Handy, Spiel oder Fitnessgerät, geht es uns gut. Sind diese Dinge dann noch eine Spur teurer, exklusiver oder auch preiswerter als die von jemand anderem, geht es uns manchmal sogar noch besser. Und weil sein Auto exklusiver war als ihr Auto, gleichzeitig das ihre aber preiswerter als das seine, sind alle zufrieden. Eine klassische Win-win-Situation, irgendwie jedenfalls.
Viele von uns leben also in dem Glauben, die bestmögliche Welt bereits erschaffen zu haben. Und weil uns dieser Glaube so viel wert ist, sind wir auch bereit, ihn um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Doch dieser Preis wird immer höher. Für die Erhaltung unserer Wirtschaft bezahlen wir mit unserem Sozialsystem. Für den Luxus Tausender Konsumgüter bezahlen wir mit ständigen Umweltkatastrophen. Und für unsere Gesundheit bezahlen wir seit Corona sogar mit einer drastischen Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit. Die Rechnung wird immer länger und unser Budget immer geringer, doch das scheint uns nicht zu stören. Selbst wenn uns immer mehr dämmert, dass unser westliches System womöglich doch nicht so genial ist wie angenommen, erscheint es uns noch immer besser als alle anderen Systeme. Und somit muss es auch erhalten bleiben, koste es, was es wolle!
Gefangen in diesem Glauben würden wir am liebsten ewig so weitermachen, und alles wäre »in Ordnung«. Wenn da nicht noch diese andere Welt wäre, die nicht-westliche. Trotz unseres Empfindens, es gehe uns besser als anderen, begreifen wir, dass es manch anderen gerade deshalb schlecht geht, weil es uns so gut geht. Keine neue Information, schon klar. Spätestens seit Social Media ist auch den Letzten unter uns bewusst geworden, dass unser westlicher Lebensstandard an anderen Orten oft zu verheerenden Problemen führt. Doch auch hierauf hatten wir lange Zeit die Antwort, dass wir unseren Lebensstil, unsere Werte und Güter einfach nur in die gesamte Welt exportieren sollten, und irgendwann würde es allen Menschen ebenso gut gehen wie uns im Westen. Schon wieder eine Win-win-Situation. Herrlich, zumindest in der Theorie.