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2.2 Der innere Schweinehund

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Zum Einstieg in die Thematik möchten wir »den inneren Schweinehund« etwas genauer unter die Lupe nehmen. Dieses kleine Fabeltierchen kennen wir alle, und weil er in unserem Inneren haust und uns von dort aus immer wieder gekonnt manipuliert, eignet er sich besonders gut als »Begleiter« für unsere ersten Schritte in Richtung mehr Bewusstheit.

So können wir uns langsam an die innere Ebene herantasten und uns an diese neue Denkweise gewöhnen, bevor wir später in die tieferen Sphären unseres Seins abtauchen. Für den Anfang gehen wir es also erst einmal sachte an.

Der innere Schweinehund bezeichnet die Trägheit gegenüber einer als richtig erkannten Handlung – oder auch die Willensschwäche, die eine Person daran hindert, ethisch gebotene oder sinnvolle Tätigkeiten auszuführen. Gerade wenn es um die ethisch gebotenen Maßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit und Naturschutz geht, verwandelt sich der innere Schweinehund sehr schnell in ein mannigfaltiges Wesen mit zahlreichen überaus »interessanten« Eigenschaften.

Unwissen und mangelnde Urteilskraft

Zwei gewiefte Eigenschaften des inneren Schweinehunds sind seine vorgegaukelte Unwissenheit und die mangelnde Urteilsfähigkeit. Wenn wir gar nicht wissen, was die eigentlichen Probleme sind, was sie verursacht und wie wir angemessen darauf reagieren können, dann fällt uns eine richtige und lösungsorientierte Handlung natürlich schwer. Und ja, manche Menschen mögen es vielleicht wirklich nicht besser wissen.

Fraglich wird es aber dann, wenn man im Jahr 2020 einen Hausmann dabei erwischt, dass er noch immer nicht imstande ist, Plastik-, Papier- und Glasabfälle entsprechend zu trennen, und dies mit Unwissenheit begründet. Oder wenn Autokonzerne die Abgaswerte ihrer Dieselfahrzeuge per Software nach unten manipulieren, um gesetzliche Grenzwerte zu umgehen – und die Spitzen des Managements dann in den Interviews stets ihre Unwissenheit beteuern.33

Aber Vorsicht, diese vermeintliche Unwissenheit ist nicht nur bei den anderen zu finden! Vielleicht ist ja auch dir schon mal der Spruch: »Ich will es gar nicht wissen …« über die Lippen gekommen. In solch einem Fall wird man vom inneren Schweinehund gewarnt, dass dieses zusätzliche Wissen einem womöglich das Leben erschwert und man lieber unwissend bleibt. Man weiß zwar, dass »etwas nicht stimmt«, versucht aber, sich mit Unwissenheit davor zu schützen. Ob das streng genommen noch als Unwissenheit zählt, ist allerdings eine andere Frage.

Für unser zentrales Thema ist das aber ohnehin nicht wirklich relevant. Denn in unserer digitalisierten Informationsgesellschaft ist es unwahrscheinlich, über lokale wie globale Umweltprobleme nicht Bescheid zu wissen. Auch wenn der Durchschnittseuropäer den Treibhauseffekt vermutlich nicht beschreiben, die SDGs (Sustainable Development Goals) nicht aufzählen und auch die Fotosynthese nicht erklären kann, so wissen dennoch die meisten in unseren Breiten, dass wir Umweltprobleme haben und damit an ökologische Belastungsgrenzen stoßen. Irgendwie und irgendwo ist es uns allen schon mal untergekommen, dass das ein oder andere »Problemchen« vorliegt – und dass wir uns dem auch widmen sollten.

So stuften in einer repräsentativen Umfrage des deutschen Umweltbundesamts im Jahr 2019 satte 68 Prozent der Befragten den Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung ein. Sie gaben ihm eine ähnlich hohe Bedeutung wie den beiden anderen Topthemen Bildung (65 Prozent) und soziale Gerechtigkeit (63 Prozent).34 Unter den Jugendlichen im Alter von 14 bis 22 Jahren waren es sogar 81 Prozent, die Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtig erachteten. Diese Zahlen zeigen recht deutlich, dass der Bevölkerung die künftigen Herausforderungen weitgehend bekannt sind und sie diese zumeist auch als wichtig erachtet.

Was somit viel stärker ins Gewicht fallen dürfte als die Unwissenheit, ist die mangelnde oder getrübte Urteilsfähigkeit, mit welcher der innere Schweinehund über den Belang eingehender Informationen entscheidet.

Jene, die die Umweltproblematik bereits erkannt und auch akzeptiert haben, urteilen gern mit dem Glauben, sie allein könnten ohnehin nichts ändern. Manch andere hingegen beruhigen sich selbst über die Leugnung des Offensichtlichen: »Wer weiß, ob das alles stimmt, was man uns erzählt? Wem kann man heutzutage noch glauben? Wer sagt, dass der Klimawandel tatsächlich menschengemacht ist? Den gab es doch schon immer, oder!?«

Der innere Schweinehund liebt es, Informationen anzuzweifeln und generell eine skeptische Grundhaltung gegenüber Veränderungen einzunehmen. Denn solch eine Skepsis schützt gleich einmal effektiv vor notwendigen, weiterführenden Überlegungen.

Die Macht der Gewohnheit

Hat es die Information trotz aller Gegenwehr doch irgendwie in unser System geschafft, so liegen die nächsten Barrieren in unseren Gewohnheiten und Routinen. Diese laufen längst wie Automatismen ab und flüstern uns ganz heimlich und leise ins Ohr: »Wir haben es immer schon so gemacht, also machen wir es auch künftig so. Warum sollten wir daran etwas ändern? Das ist doch viel zu anstrengend und bringt ja ohnehin nicht viel.«

Im Vergleich zu einem Umdenken haben die Routinen und Gewohnheiten des inneren Schweinehunds einen entscheidenden Vorteil: sie sind wahnsinnig bequem. Man muss gar nicht mehr nachdenken, wie etwas funktioniert oder wie man in dieser oder jener Situation handeln soll. Es ist in Fleisch und Blut übergegangen, und das erspart Zeit, Nerven und vielleicht sogar Geld.

Hast du eine Ahnung, wie viel Energie es eine Person kosten kann, etwas anders zu machen, als sie es von Kind auf gelernt hat? Sie muss ihre Komfortzone verlassen und sich womöglich sogar einen Fehler eingestehen, den sie jahrelang vollzogen hat. Darüber hinaus muss sie sich einer neuen Herausforderung stellen, und egal, wie groß oder wie klein diese auch sein mag, es ist und bleibt etwas, mit dem sie sich auseinandersetzen muss. Und das ist vielen von uns nicht immer lieb.

Stell dir einen Kettenraucher vor, der seit jeher seine Zigaretten mit dem Auto holt. Denkst du, es würde ihm leichtfallen, für seinen Einkauf auf das Rad umzusteigen oder gar mit dem Rauchen aufzuhören? Denk an eine begeisterte Fleischesserin, die seit Jahrzehnten täglich Wurst, Speck, Koteletts und Würstel konsumiert. Wie schwierig wäre es wohl für sie, nur noch einmal pro Woche Fleisch zu essen? Sie müsste ihr Kochverhalten komplett umstellen, sich einen Plan für die Mittagspausen machen und könnte in ihrem Stammlokal nur noch die Gemüselaibchen aus dem Tiefkühler »genießen«.

Oder denk etwa an eine deutschsprachige Familie, die seit einem Jahrzehnt mindestens einmal jährlich in den Urlaub nach Mallorca fliegt. Sie kennt jeden Winkel der Insel, hat längst ihre Lieblingsrestaurants gewählt und fühlt sich wie daheim. Die Kinder haben sogar schon Freunde gefunden und sprechen ein paar Worte Spanisch. Es fiele dieser Familie bestimmt alles andere als leicht, auf einmal mit dem Zug an die Nordsee zu fahren und dort Urlaub zu machen. Was für ein Aufwand, die Zugverbindungen zu recherchieren, sich mit einer neuen Region vertraut zu machen und sich auf unbekannte Wetterverhältnisse einstellen zu müssen. Das alles ist kein leichtes Unterfangen, denn der innere Schweinehund liebt Gewohnheiten und ändert nur ungern seine vertrauten Routinen. »Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht«, diese alte Volksweisheit trägt viel Wahres in sich und beschreibt die Liebe zu unseren Gewohnheiten nur zu gut.

Ausreden für den Selbstwert

Was also tun, wenn man weiß, dass man etwas ändern sollte, sich aber einfach nicht dazu durchringen kann? Richtig, man findet Rechtfertigungen und wird in Sachen Ausreden so richtig kreativ und erfinderisch! Denn wenn nicht, wird die innerlich wahrgenommene Widersprüchlichkeit zwischen Wissen, Werten und Handlungen irgendwann unerträglich.

Dieses als »kognitive Dissonanz« bezeichnete Phänomen führt sehr schnell zu inneren Spannungen, die wir möglichst rasch überwinden wollen. In solchen Fällen sind also Ausreden, Scheinlösungen und hausgemachte Illusionen das Mittel der Wahl für unseren inneren Schweinehund. Typische Sager sind etwa:

 »Ach was, es ist doch alles gar nicht so schlimm, wie es aussieht.«

 »Die Politiker sind es, die handeln müssen!«

 »Es ist mir viel zu teuer, Biomilch zu kaufen.«

 »Wieso soll ich mich einschränken, ich zahl schon genug Steuern für den Sozialstaat.«

 »Jetzt habe ich so viel Geld in das neue Auto investiert, jetzt möchte ich es auch ordentlich nutzen.«

 »Was kann ich allein denn schon groß verändern? Mein eigenes Verhalten spielt doch ohnehin keine Rolle.«

Wir reden das Problem klein, ziehen uns aus der Verantwortung und stellen andere oder auch uns selbst einfach als unfähig dar. Die Psychologie nennt dieses Phänomen »Self-Serving Denials«, also Selbstschutz-Behauptungen oder selbstwertdienliche Ausreden. Nehmen wir als Beispiel ein gescheitertes Unternehmen her. Im Konkursfall argumentieren die Eigentümer gern, dass das Management wohl versagt haben müsse. Das Management selbst ortet die Gründe bei der Konkurrenz, den Zulieferern oder der Belegschaft, während die Mitarbeiter wiederum dazu tendieren, dem Management und der Aktionärsversammlung die Schuld in die Schuhe zu schieben. Und sieht man noch etwas genauer hin, wird man auch welche finden, die den Konkurs ohnehin schon immer vorausgesehen haben und nun froh sind, sich endlich was Neues suchen zu können. So finden alle Beteiligten die passende Ausrede, um durch das Scheitern nicht am eigenen Selbstwert zweifeln zu müssen. Das ist wirklich eine grandiose Strategie, um sich selbst auszutricksen, sich wieder besser zu fühlen und letztlich auch nichts an sich selbst verändern zu müssen!

Alibi-Aktionen für das gute Gewissen

Eine andere Strategie, um sich und sein Verhalten nicht ändern zu müssen, sind die sogenannten Alibi- oder Jo-Jo-Aktionen. Anstatt etwas grundsätzlich zu verändern, tut man einfach so, als würde man sich nachhaltig verhalten. Bei den Alibi-Aktionen sucht man sich etwa im ganz kleinen Rahmen eine nachhaltige Verhaltensänderung, die leicht zu bewerkstelligen ist und einem nicht wehtut. Dies hilft darüber hinweg, bei den großen Problemen nicht wirklich hinsehen zu müssen und trotzdem ein gutes Gefühl zu behalten.

Eine Alibi-Aktion ist zum Beispiel, wenn du die Kartonummantelung eines Joghurtbechers sorgfältig abnimmst und mit dem Altpapier trennst, aber täglich mit deinem SUV in den Supermarkt um die Ecke fährst und exotische Früchte aus aller Herren Länder kaufst. Oder wenn du dem Bettler auf der Straße gern mal einen Euro schenkst, gleichzeitig aber Lohndumping bei deinen Mitarbeitern betreibst und in Verhandlungen um jeden Cent feilschst.

Der Jo-Jo-Effekt wiederum beschreibt die negative Rückkopplung von zuvor gesetzten Maßnahmen. Die meisten von uns haben den Jo-Jo-Effekt bei sich selbst oder im Bekanntenkreis sicherlich schon beobachten können. Zum Beispiel, wenn jemand eine Diät zur Gewichtsabnahme macht. Zuerst wird eine Woche lang gefastet und auf alles Mögliche verzichtet. Doch weil dieser Verzicht so schwerfällt, wird im Anschluss in gewohntem Maße weitergegessen, und das Gewicht schlägt sofort wieder nach oben aus. Dies führt zur nächsten Diät inklusive anschließenden Fressattacken. Und wenn man das Ganze ein paar Mal wiederholt, verhält sich das Gewicht ähnlich einem Jo-Jo, es pendelt ständig auf und ab. Das ist nicht nur nervig, sondern sogar gefährlich. Studien aus den USA und Deutschland zeigen, dass eine oftmalige Gewichtsschwankung Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördert und schlimmere gesundheitliche Auswirkungen hat als das Übergewicht selbst.35

Auch in der Nachhaltigkeit ist der Jo-Jo-Effekt wohlbekannt. So hat man etwa festgestellt, dass manche Menschen umweltschädlicher handeln, nachdem sie sich zuvor einmal kurzfristig nachhaltig verhalten haben.36 Den Klassiker kennen wohl die meisten von uns: Man verzichtet ab und zu auf das Auto und benutzt die öffentlichen Verkehrsmittel, um damit den redlich verdienten Langstreckenflug in den Urlaub rechtfertigen zu können. Ein anderes Beispiel wäre, sich ein benzinsparendes Auto zu kaufen, das man aber dann umso häufiger nutzt, weil es ja so wahnsinnig benzinsparend ist.

Mit Alibi- und Jo-Jo-Aktionen waschen wir also unser Gewissen rein, was aber im Endeffekt durch ein anderes, viel schädlicheres Verhalten wieder wettgemacht wird.

Die sieben Drachen der Untätigkeit

Es gibt noch viele Dutzend weitere Strategien, die wir im Lauf der Zeit entwickelt haben, um in alten Mustern bleiben zu können und uns im Sinne der Zukunftsfähigkeit nicht verändern zu müssen. Ja, wir sind mittlerweile richtig kreativ geworden, was diese Strategien anbelangt.

Der kanadische Umweltpsychologe Robert Gifford hat im Jahr 2011 die unterschiedlichsten Gründe zusammengefasst, warum es vielen so schwerfällt, sich aktiv für Nachhaltigkeit und Naturschutz einzusetzen. In einer Publikation im »American Psychologist« hat er diese psychologischen Hürden als »Die sieben Drachen der Untätigkeit« benannt.37 Vieles davon lässt sich wunderbar auf den inneren Schweinehund umlegen, den wir zuvor beschrieben haben. Manch andere Punkte und viele weitere »Drachen« werden wir dann an späterer Stelle noch mal im Detail aufgreifen. Daher seien hier die »sieben Drachen« nur in aller Kürze benannt:38

 Begrenztes Denkvermögen: Fehleinschätzungen und unangebrachter Optimismus hinsichtlich der ökologischen Probleme.

 Ideologien: Bestehende Weltanschauungen wollen nicht infrage gestellt werden.

 Vergleiche mit anderen: Sich zu sehr an den Meinungen anderer und den gängigen sozialen Normen orientieren.

 Unumkehrbare Kosten: Einmal getroffene Investitionen lassen sich so schnell nicht mehr rückgängig machen.

 Missbilligung: Mangelndes Vertrauen und Verleumdung wissenschaftlicher Ergebnisse.

 Wahrgenommenes Risiko: Das finanzielle oder soziale Risiko des Handelns und der Konsequenzen erscheint zu groß.

 Begrenztes Handeln: Einfache Verhaltensveränderungen werden durchgeführt, schwierigere nicht.

Wie können wir nun unseren inneren Schweinhund oder diese gefährlich anmutenden »Drachen der Untätigkeit« überwinden? Wie schaffen wir es, diesen Strategien nicht auf den Leim zu gehen, sondern konsequent an den Zielen und Lösungen für eine nachhaltige Zukunft zu arbeiten?

Um die Frage zu beantworten, müssen wir zuerst verstehen, dass all diese psychologischen Barrieren nicht ohne Grund existieren und dass sie mit noch viel tieferen Mechanismen in Zusammenhang stehen. Mechanismen, deren wir uns in der Regel nicht bewusst sind und die wir somit kaum betrachten.

An so manchen Gewohnheiten halten wir womöglich deshalb fest, weil tief in unserem Inneren die Angst vor Veränderung schlummert. Weil wir uns mit dieser Angst aber nicht konfrontieren wollen, bleiben wir lieber in unseren gewohnten Bahnen und halten unsere Muster und Automatismen aufrecht.

Auch bestimmte Werte oder Weltbilder können unsere Entwicklung und Motivation negativ beeinträchtigen. Wir müssen also erst einmal verstehen, dass der innere Schweinehund nur die Spitze des Eisbergs ist – Gefühle, Werte und unsere zugrunde liegenden Annahmen über die Welt befinden sich auf den tieferen Ebenen darunter. Diese Ebenen werden wir später ausführlich betrachten. Erst mal wollen wir dir eine Übersicht geben, welche inneren Verhinderer es auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft gibt und was die »innere Dimension« der Nachhaltigkeit für uns Autoren bedeutet.

Innen wachsen – außen wirken

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