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Kapitel 10
ОглавлениеLichtenwalde
März 1309
Nes und ihre jüngere Schwester Magdalin standen direkt am großen Tor des Vorwerkes. Es war ein sonniger Märztag. Die Vögel sangen bereits aus Leibeskräften und kündeten vom beginnenden Frühling. Magdalin nahm ihren weiten Mantel von den Schultern und reckte das Gesicht in die wärmenden Strahlen der Sonne.
„Meinst du, es ist schon warm genug, um ohne Mantel zu gehen?“, fragte Agnes. „Du hast erst vor wenigen Tagen krank darniedergelegen. Fordere das Schicksal nicht heraus.“
Doch Magdalin lachte nur. „Ich glaube nicht an das Schicksal, liebe Schwester“, sagte sie leichthin. „Es gibt immer eins das andere, immerfort. Meinst du nicht auch, dass wir das, was wir Schicksal nennen, selbst in der Hand haben?“ Mit klugem Blick aus ihren hellblauen Augen schaute sie die Ältere an.
„Was du nur immer im Kopf hast“, meinte diese. „Die ehrwürdigen Benediktinerinnen in Geringswalde scheinen ihren Schützlingen wahrhaft seltsame Gedanken mit auf den Weg zu geben.“ Doch Magdalin lachte nur gutgelaunt. Sie war ein fröhliches Mädchen und ihr offener Charakter spiegelte sich auf ihrem hübschen, von hellblonden Locken umrahmten Gesicht wider.
Das Mädchen war erst vor wenigen Wochen zurück in die Burg ihres Vaters gekommen. Nahezu zwei Jahre lang lebte sie im Kloster der Benediktinerinnen in Geringswalde, wohin Heidenreich sie zur Erziehung zur Novizin gegeben hatte. Doch ihre angegriffene Gesundheit veranlasste ihren Vater dazu, sie wieder nach Hause zu holen. Die Zukunft würde es weisen, ob er seine Tochter endgültig der Kirche gab. Auch Agnes hatte eine Zeit im Kloster verbracht. Doch fühlte sie sich nicht zur Nonne berufen. Ihr widerspenstiger Geist hatte die Äbtissin dazu veranlasst, sie zurück zu ihrem Vater zu schicken. Heidenreich war seiner Tochter nicht gram. Er akzeptierte den Wunsch des Mädchens und gestattete Agnes, zunächst zu Hause bei der Mutter zu bleiben, um dieser bei der Führung des großen Haushaltes zur Hand zu gehen. Immerhin hatten die Nonnen sie das Lesen und Schreiben gelehrt. Auch konnte sie ganz gut rechnen und einige Brocken Latein. Auf einem so großen Besitz, wie Lichtenwalde es war, konnte so etwas nur von Nutzen sein.
Agnes schaute zurück zur Burg. Auf dem hohen Bergfried, der sich über die Bäume, welche die Feste umstanden, erhob, wehte eine Flagge mit dem Wappen ihrer Familie. Ihre Vorfahren hatten Lichtenwalde vor weit über einhundert Jahren im Auftrag Kaiser Friedrichs, den man auch den Rotbart nannte, zu einem gewaltigen Herrschaftssitz ausgebaut, zu dem auch etliche Dörfer gehörten. Ein warmes Gefühl überkam Agnes, als sie an ihre Großmutter, Gott habe sie selig, dachte. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte ihr die alte Frau oft von den Heldentaten ihrer Ahnen erzählt und Stolz auf ihre Familie regte sich in ihrer Brust.
„Agnes!“ Die Stimme ihrer Schwester riss sie aus ihren Tagträumereien. „Schau, da vorn. Es nähern sich Reiter. Meinst du nicht, es wäre klüger, zurück in die Burg zu gehen, oder wenigstens hinein ins Vorwerk zu Meister Fercho? Wer weiß schon, was diese fremden Männer hier wollen?“ Magdalin blickte ihre Schwester etwas ängstlich an.
Agnes sah in die angezeigte Richtung. Vier Reiter hielten in vollem Galopp auf das Tor zum Vorwerk zu. Doch die junge Frau schien nicht im Mindesten beunruhigt. „Das sind Rudger und seine Freunde“, meinte sie. Auf den Tag genau zwei Monate nach seinem ersten Besuch auf Lichtenwalde, dachte Nes bei sich.
„Rudger!“ Magdalin klatschte in die Hände. „Lerne ich diesen großartigen Ritter, von dem du die ganze Zeit schwärmst, auch endlich einmal kennen?“
Agnes stemmte die Hände in die Hüften. „Untersteh dich!“, rief sie erbost. „Ich habe niemals von Rudger geschwärmt. Er ist nur ein sehr tapferer Mann.“
„Woher willst du das wissen?“, fragte Magdalin und der Schalk sprach aus ihrer Stimme.
„Nun“, begann ihre Schwester zu stammeln. „Er ist ein Templer.“ Triumphierend sah sie Magdalin an.
„Dann müssten also jetzt gleich vier dieser Prachtexemplare hier erscheinen“, zog sie die jüngere weiter auf. „Vielleicht sollte ich sie mir einmal genauer anschauen.“
„Es war wohl doch keine so gute Idee, dich mit hierher zu nehmen“, meinte Agnes.
Inzwischen hatten sich Rudger und seine Freunde dem Vorwerk genähert. „Gott zum Gruße, edle Jungfer“, grüßte der Ritter die junge Frau.
Agnes runzelte die Stirn. Wie förmlich Rudger sie ansprach. Fast hätte sie aus lauter Verwirrung gar nicht bemerkt, dass er weiterredete.
„Ich nehme an, das ist Eure Schwester“, stellte er fest. „Auch Euch unseren freundlichen Gruß.“ Er verbeugte sich leicht, seine Freunde taten es ihm lachend nach.
„Ihr seht, ich habe nicht vergessen, dass Ihr uns auf den heutigen Tag hierherbestellt habt. Nun verratet uns, was der Grund unseres Besuches sein wird“, sagte Rudger, noch immer mit einem leisen Lächeln in der Stimme. Nach seinem ersten Besuch auf Lichtenwalde im Winter war er noch zwei weitere Male mit Valten hier gewesen. Heidenreich hatte zwar nie direkt zugegeben, dass er fliehenden Templern half, es aber auch nicht abgestritten, und Rudger immer wieder nach dessen Bereitschaft, zu gegebener Zeit für eine geheime Mission zur Verfügung zu stehen, gefragt.
Der junge Ritter hatte bei jedem seiner Besuche einige Worte mit dem Mädchen gewechselt. Sie fragte ihn nach den Ereignissen, die der Zerschlagung des Ordens gefolgt waren und bereitwillig berichtete er ihr davon. Die Klugheit und Stärke, mit der sie ihren Worten Nachdruck verlieh, beeindruckten ihn. Aber auf seine Frage, warum er in genau zwei Monden wiederkommen sollte, gab sie nur ausweichende Antworten, tat so, als habe sie es nur dahingesagt. Doch Rudger nahm sich vor, genau an diesem Tag hier zu erscheinen.
Agnes straffte die Schultern. Dann fing sie den überraschten Blick ihrer Schwester auf, die dazu anhob, etwas zu sagen. Doch ließ Nes sie gar nicht erst zu Wort kommen.
„Und ja“, raunte sie Magdalin angriffslustig zu. „Ich brauchte eine Anstandsdame.“ Sie reckte herausfordernd das Kinn. „Ich kann mich ja schlecht allein mit dem Ritter von Ywen treffen.“
„Ach, und da meintest du, wenn ich mitkomme, können es ihrer gleich vier sein.“
Agnes schaute etwas verlegen drein. „Ich dachte, er kommt allein. Ich habe ihn herbestellt“, raunte sie ihrer Schwester zu.
Diese schüttelte fassungslos den Kopf und wandte sich zu den Männern um. „Nun, ihr Herren Ritter“, meinte sie etwas herablassend. „Ich glaube, meine Schwester und ich gehen jetzt. Mit Sicherheit wolltet Ihr auch zu unserem Vater. Es wäre schön, wenn er nichts davon erfahren würde, dass wir hier auf Euch getroffen sind. Als Empfangskommando sozusagen.“ Ihre Stimme hatte einen ironischen Unterton angenommen. „Komm, Agnes.“
Magdalin war drei Jahre jünger als ihre Schwester, die in diesem Sommer neunzehn Jahre zählte. Gleich nach ihrer Geburt hatte Heidenreich mit Ulrich von Ywen eine Übereinkunft getroffen, seine Zweitgeborene später mit dessen Sohn Arnald zu verheiraten. Doch die immerwährend angegriffene Gesundheit des Mädchens ließen ihn seine Pläne ändern. Er versprach, sie der Kirche zu geben, um Gott so, was das Leben des Kindes anging, milde stimmen zu können. Seine älteste, Agnes, war einem Edelmann aus dem Geschlecht der Rechenberger versprochen gewesen. Dessen jahrelanges Siechtum hatte die Vermählung immer wieder hinausgeschoben. Als Agnes` Verlobter dann vor über zwei Jahren recht plötzlich starb, spielte Heidenreich mit dem Gedanken, seine Tochter jetzt Arnald von Ywen zur Frau zu geben. Doch hatte die junge Frau den Vater davon überzeugen können, sie selbst bei der Wahl ihres zukünftigen Mannes ein Wörtchen mitreden zu lassen. Aber mit der Zeit wurde Heidenreich ungeduldig, und er wollte seine Tochter endlich unter die Haube bringen, denn sie wurde langsam eine alte Jungfer. Er gedachte, sie vorteilhaft zu verheiraten, da ihm der erhoffte männliche Erbe noch nicht geboren war. Doch nachdem ihm Ulrich von Ywen immer wieder sein Leid über den unzuverlässigen Sohn klagte, schwankte Heidenreich, ob es eine gute Idee sei, seine Tochter so einem Nichtsnutz zu geben. Langsam erschien ihm Hencke von Schellenberg als der geeignetere Kandidat, und er meinte, bemerkt zu haben, dass auch der junge Ritter Gefallen an Nes gefunden hatte. Doch Agnes erfand immer neue Ausreden und konnte das schier Unvermeidliche hinauszögern. Ihr stand nicht der Sinn danach, den Rest ihres Lebens an irgendeinen Kerl gebunden zu sein, auch wenn es der Schellenberger war. Oder vielleicht auch einer, der mit Sicherheit alt und hässlich wäre, und der sie nur würde heiraten wollen, weil schon drei seiner Ehefrauen vor ihr im Kindbett gestorben waren.
„Nein Magdalin“, bat Agnes ihre Schwester flüsternd. „Vater darf nichts von dem Besuch Rudgers wissen.“
„Warum nicht? Wieso hast du ihn herbestellt?“, fragte diese erstaunt.
„Ich wollte ihm etwas zeigen. Aber das ist nun auch egal, da er ja seine Schatten mitbringen musste.“ Finster schaute sie die Ritter an.
„Was wolltest du ihm zeigen?“
„Unsere unterirdischen Gewölbe.“
„Agnes, untersteh dich!“, rief Magdalin bestürzt. „Das darfst du nicht.“
Agnes verzog das Gesicht.
Rudger, Endres, Jorge und Valten wurden langsam ungeduldig.
Was tuscheln diese Weiber da bloß, dachte Valten verärgert. Wir machen uns hier zum Gespött. Doch sagte er es nicht laut, denn er wollte Agnes nicht verärgern. Noch immer hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie ihm eines Tages ihr Herz schenken würde. Immer wieder versuchte er, mit ihr allein zu sein. Aber das Mädchen verstand es geschickt, ihm auszuweichen. Wenn er es recht betrachtete, zeigte sie überhaupt kein Interesse an ihm, was er nur schwer akzeptieren konnte. Doch schien auch Rudger an dem Mädchen nichts weiter zu finden, was Valten ein wenig beruhigte. Er hatte in seinem Gefährten schon immer auch den Konkurrenten gesehen, ganz gleich, ob es darum ging, ihrem Ordensmeister Friedrich zu gefallen, in einer Schlacht Ruhm zu ernten oder, wie jetzt, die Aufmerksamkeit eines Mädchens auf sich zu ziehen. Mit Letzterem hatte er wenig Übung, allerdings beschwichtigte ihn der Gedanke, dass es seinem Mitbruder nicht anders erging.
„Vielleicht sollten wir zurück reiten“, schlug er vor. „Die Weibsbilder haben sich einen Spaß mit uns erlaubt.“
„Nun, das werden wir gleich wissen“, meinte Rudger und stieg von seinem Pferd. Langsam näherte er sich den Schwestern. Magdalin gewahrte es als erste und trat ihm angriffslustig entgegen. Doch bereute sie ihre Forschheit schnell, denn der Ritter überragte sie um einiges, obwohl sie einen halben Kopf größer als ihre Schwester war.
Rudger amüsierte sich im Innern königlich, denn es war ihm keineswegs entgangen, dass die Schwestern nicht so recht wussten, was sie mit den vier Rittern anfangen sollten. Es geziemte sich nicht für ein Fräulein von Stand, sich allein mit einem Mann zu treffen, geschweige denn gleich mit vieren.
„Edle Fräulein“, begann er. „Wir sehen, dass es ein glücklicher Zufall war, Euch hier zu treffen. Wir sind natürlich überaus geehrt. Und Ihr habt recht. Wir wollten zu Eurem Vater. Vielleicht könnt ihr uns, da wir uns nun einmal hier begegnet sind, zu ihm geleiten.“
Magdalin nickte, immer noch etwas unsicher, wie sie sich verhalten sollte. Doch schienen die Ritter in friedlicher Absicht gekommen zu sein.
„Nun, Herr Ritter, Ihr werdet den Weg gewiss allein finden“, antwortete sie und wandte sich zum Gehen. Was hatte ihnen ihre Schwester da wohl bloß wieder eingebrockt? Hoffentlich hatte sie vom Vorwerk aus nur keiner beobachtet, denn sie war ja eine angehende Nonne. Ihr Vater wäre sicher sehr ungehalten über so ein ungebührliches Verhalten. Nun, und was ihre Schwester anbelangte ... Wo blieb sie überhaupt? Magdalin drehte sich um. Erschrocken sah sie, wie Agnes dicht bei Rudger stand. Sie musste zwar zugeben, dass der Mann eine Augenweide war, aber das durfte sie nicht weiter interessieren, denn sie hatte sich dazu entschieden, eine Braut Christie zu werden.
„Wieso kommt Ihr nicht allein“, raunte Agnes Rudger mit leiser Stimme zu. „Ich wollte Euch in ein Geheimnis von Lichtenwalde einweihen. Es sollte nicht alle Welt davon erfahren.“
„Und Ihr?“, fragte Rudger ebenso leise zurück. „Wieso habt Ihr Eure Schwester mitgebracht? Vertraut Ihr mir nicht? Immerhin bin ich ein Mann Gottes.“
„Mir wäre schon etwas eingefallen, sie abzuschütteln“, sagte Nes.
Rudger staunte nicht schlecht. Bis jetzt war ihm die Jungfer immer etwas spröde erschienen. Obwohl sie oft miteinander sprachen, verhielt sie sich ihm gegenüber relativ kühl. Auch wenn er sich darüber ärgerte, sagte er sich immer wieder, dass er seine Heimat sowieso bald verlassen würde, um in den Deutschen Orden einzutreten. Und als Kämpfer des Herrn stand es ihm nicht an, sich nach einer Frau zu verzehren.
„Was ist nun?“, fragte Valten ungehalten und die Eifersucht nagte erneut in seiner Brust.
„Jungfer Agnes wollte sich nur noch verabschieden“, antwortete Rudger und sah sie eindringlich an. Nes errötete leicht. Dann drehte sie sich abrupt um und lief ohne ein weiteres Wort ihrer Schwester nach, welche bereits ungeduldig auf sie wartete.
„Lasst uns in die Burg reiten“, meinte Rudger.
„Du wusstest, dass sie hier wartet, stimmt’ s?“, fragte Endres. Sein enttäuschter Blick traf den jungen Templer.
„Nun ja, nicht so direkt“, antwortete sein Freund etwas ausweichend. „Dass sie ihre Schwester mitbringt, habe ich nicht gewusst.“
„Und was sollte das Ganze“, meldete sich jetzt auch Jorge etwas verstimmt zu Wort. „Sagtest du nicht, dass wir mit Heidenreich die nächsten Schritte für unsere Unternehmung besprechen wollten.“
„Ja, das auch“, brummelte Rudger.
„Aha“, machte Jorge nur.
Auch Valten und Endres war der Ärger über Rudgers Geheimniskrämerei anzusehen. Inzwischen näherten sie sich der Zugbrücke. Der Torwächter kannte die Ritter unterdessen gut genug und so dauerte es nicht lange, und sie ritten in den Hof der Burg.
Heidenreich kam ihnen entgegen. Seine Miene wirkte etwas gehetzt. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass Ihr heute nach Lichtenwalde kommt“, begann er. „Ich habe einen Gast“, fuhr er fort. „Aber vielleicht ist es eine Fügung, dass Ihr hier seid. Denn es gibt wichtige Neuigkeiten zu besprechen.“
Ohne weitere Erklärungen ging er voran in die Halle und gebot ihnen, ihm zu folgen.
Endres hielt seinen Freund zurück. „Also hat uns Agnes mit Absicht abgefangen?“, fragte er leise, dass Heidenreich sie nicht hören konnte. „Du wusstest davon.“
Rudger sah seine Gefährten bedeutungsvoll an. „Sie hat mich herbestellt, weil heute irgendetwas wichtiges hier passieren soll. Aber fragt mich nicht, was.“
„Nun, wir werden es gleich erfahren“, meinte Valten und schickte sich an, Heidenreich zu folgen.
Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannten die Templer Hencke von Schellenberg, der mit einem Pokal Wein vor sich an der Tafel des Ritters saß. Als er die jungen Männer erblickte, erhob er sich erstaunt. Dann schaute er fragend zu Heidenreich.
„Wie es die glückliche Fügung Gottes ist, hat er die vier Ritter heute hierhergeführt“, begann Heidenreich umständlich. Hencke hob etwas irritiert die Brauen. „Wie auch immer, ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir den Herren reinen Wein einschenken ... Ah, das ist das Stichwort“, unterbrach er seine Rede. „Frida, bringe uns Wein, gleich einen großen Krug.“
„Was heißt das? Gibt es etwas, dass Ihr uns schon längst hättet sagen müssen?“, fragte Rudger überrascht.
„Setzt Euch“, gebot ihm der Burgherr. „Ich glaube, es ist an der Zeit, Euch in unsere näheren Geheimnisse einzuweihen.“
Die Magd brachte den Wein und es entstand eine Pause, bis sie wieder verschwand. Rudger spürte, dass es Hencke sichtlich unangenehm war, ihn hier anzutreffen. Irgendetwas schien er verheimlichen zu wollen. Aber Heidenreich ignorierte die Verlegenheit des Ritters.
„Ihr wisst, dass ich dem Orden der Templer sehr positiv gegenüberstehe“, begann er. „Wir haben oft genug darüber diskutiert, wie man den betroffenen Brüdern, die sich auf der Flucht befinden, helfen kann.“ Er machte eine kurze Pause.
Valten nutzte die Gelegenheit und ergriff das Wort. „Und was ist daran so geheimnisvoll, dass Ihr so herumdruckst? Sind wir nicht auch Templer, die vor dem Erzbischof fliehen mussten?“ Er schaute Heidenreich herausfordernd an. Die anderen Ritter murmelten zustimmend. Auch Rudger fragte sich, worauf der Alte hinauswollte. Heute war einiges eigenartig. Erst die seltsame Begegnung mit Agnes, die ihn bei seinem ersten Aufenthalt hier in Lichtenwalde nahezu dazu aufgefordert hatte, heute hierher zu kommen. Und jetzt die eigenartige Rede ihres Vaters.
„Es gibt in Lichtenwalde ein unterirdisches Gewölbe, von dem keiner weiß“, verriet ihnen Heidenreich.
„Gibt es so etwas nicht fast auf jeder Burg“, meinte Endres amüsiert. Wenn dies das Geheimnis war ...
„In Ywen nicht“, sagte Rudger
„Wundert’s dich?“, warf Hencke ein. „Wir sprachen von einer Burg.“
„Idiot.“ Rudger verzog beleidigt das Gesicht.
„Nun, meine Freunde“ ergriff Heidenreich wieder das Wort. „Darum geht es jetzt auch nicht. Es ist viel wichtiger, was es hier mit diesem Gewölbe auf sich hat.“
Die Ritter aus Ywen horchten interessiert auf. Doch entging es Rudger nicht, dass Hencke vollkommen unbeeindruckt zu sein schien. Was wusste er davon? Die nächsten Worte des alten Ritters bestätigten seine Vermutung, dass der junge Schellenberger eine viel größere Rolle bei der Sache spielen musste, als es den Anschein hatte. Er gab hier vor, gemütlich mit dem Hausherrn einen Pokal zu leeren, doch mit Sicherheit führte ihn etwas anderes nach Lichtenwalde.
„Ihr wisst, dass in der Familie der Rechenberger einige Männer dem Orden der Templer beigetreten sind. Vielleicht sind sie Euch selbst bekannt.“ Rudger und die anderen schüttelten die Köpfe. „Nun, wie auch immer. Schon seit alters her haben wir auf Lichtenwalde eine enge, freundschaftliche Beziehung zu den Rittern von Rechenberg“, fuhr Heidenreich fort. „Vor einigen Monaten kamen Wilhelm und Albert von Rechenberg nach Lichtenwalde, und mit ihnen zusammen drei Templer, die aus Paris geflohen waren.“
Rudger und seine Freunde rissen die Augen auf. „Und das sagt Ihr uns erst jetzt“, schnauzte Rudger aufgebracht, dass der alte Ritter zusammenzuckte. „Was ist aus ihnen geworden?“, fragte er etwas ruhiger.
„Sie waren sehr entkräftet. Doch ist es auch hier nicht ungefährlich, geflohene Templer zu verstecken, zumal sie auch noch Franzosen waren. Sie wollten weiter nach Böhmen, da sie dem Markgrafen von Meißen nicht über den Weg trauten. Durchaus berechtigt, wenn Ihr mich fragt.“
Rudger entfuhr ein Schnauben.
„Und? Was dann?“, drängte Endres ihn, weiterzusprechen.
„Ich habe sie in unsere unterirdischen Gewölbe gebracht und mit Proviant versorg. Dort hielten sie sich einige Tage versteckt. Als ich nach einer Woche wieder hin bin, waren sie fort. Doch hatten sie eine Botschaft hinterlassen.“ Heidenreich lächelte.
„Nämlich?“, fragte Rudger ungehalten.
„Sie haben in die Schlusssteine der Decke, da wo sich die Bogen der Gewölbe treffen, zwei Symbole gehauen. Das eine zeigt das Tatzenkreuz der Templer, das andere, in dem Raum daneben, eine in Stein gehauene Eichel.“
„Also wird jeder, der in Eure unterirdischen, und überdies noch geheimen Gewölbe kommt, sehen, dass Ihr Templer beherbergt habt. Und dass sie auch noch das passende Werkzeug für ihre Arbeit hatten.“ Die vier Ritter lachten.
„Ein Hammer und verschiedene Eisen liegen da immer herum. Wir lagern dort hin und wieder Bier und brauchen das Werkzeug zum Verkeilen.“
„Ah ja, Bier ...“
Rudger sah, dass Hencke, der sich bis jetzt nicht an der Unterhaltung beteiligt hatte, vollkommen ruhig geblieben war. „Und, was hat er damit zu tun?“, fragte er, mit einem Heben des Kinns auf Hencke zeigend.
„Es kamen später immer mehr. Und er hat sie auf seine Isenburg und von da aus nach Böhmen gebracht.“
Sprachlos schauten Rudger und seine Gefährten den Schellenberger an, der stumm in seinen Weinpokal starrte.
Die Ritter schwiegen. Auch Heidenreich schien nicht so recht zu wissen, was er noch sagen sollte. Als sich die Tür öffnete und Agnes hereinkam, blickte Rudger den Burgherrn verwundert an. Sie war die letzte, die er hier zu sehen erhofft hatte. Doch jetzt kam Leben in Hencke. Er stand auf und wartete, dass das Mädchen an die Tafel getreten war. Dann nahm er ihre Hand und nötigte sie mit leichtem Druck, sich neben ihn zu setzen. Rudger bemerkte, wie Agnes ganzer Körper sich verkrampfte, doch zwang sie sich zu einem Lächeln.
„Was will Eure Tochter hier?“, fragte Valten mit barscher Stimme. Er warf Hencke einen wütenden Blick zu. Dieser Kerl schien sich an das Mädchen heranmachen zu wollen.
„Nun, da dies meine Halle ist, kann sich meine Tochter auch in ihr aufhalten, wann immer sie will“, gab Heidenreich etwas verstimmt zurück. „Außerdem verpflegt sie unsere ‚Gäste’.“ Der Ritter legte auf das letzte Wort eine ganz besondere Betonung. „Denn in der Zwischenzeit haben wir den Aufenthalt in den Gewölben etwas behaglicher gestaltet“, fuhr er fort. „Und essen und trinken muss ja wohl ein jeder.“
„Da Ihr ja hier bereits alles bestens im Griff zu haben scheint, was wollt Ihr dann noch von uns?“ Rudger lehnte sich zurück und verschränkte die Arme provokativ vor der Brust.
„Nun, mein lieber Junge ...“
„Nennt mich nicht so“, herrschte ihn Rudger an. „Ich bin weder lieb, noch Euer Junge. Ich habe auf mehr Schlachtfeldern gekämpft, als alle Eure Vorfahren zusammen“, knurrte er. „Also, keine Spielchen. Was wollt Ihr wirklich?“
Heidenreich wusste nicht, ob er belustigt oder beleidigt sein sollte. Letztendlich entschied er sich, den Ausbruch Rudgers nicht weiter ernst zu nehmen. Eigentlich war es sogar von Vorteil, wenn der Ritter sich als ein harter Mann erwies. Denn die Aufgabe, die er ihm im Namen vieler Fürsten der Mark zukommen lassen wollte, erforderte viel Mut und die Bereitschaft, gegebenenfalls sein Leben aufs Spiel zu setzen.
„Ich weiß“, begann er versöhnlich. „Ich hätte Euch allen schon viel früher reinen Wein einschenken sollen. Doch wisst Ihr selbst, wie heikel diese Mission ist. Viele der Adligen haben Familienmitglieder, die dem Templerorden angehören. Allerdings finden sie bei Markgraf Friedrich wenig Gehör. Er hält sich raus aus allem. Der Streit um sein Erbe, das ihm auch unser jetziger König Heinrich nur zähneknirschend überlässt, hat ihn ausgelaugt.“ Er machte eine kurze Pause. „Wir wollen froh sein, dass er den Klerus nicht unterstützt. Soweit mir zu Ohren gekommen ist, lehnt er die Verfolgung der Templer durch die Justiz ab und hat auch den Bischof von Meißen dazu angehalten, sich zurückzuhalten. Zwar ist auch König Heinrich nicht an einer Verfolgung des Ordens interessiert. Doch was ist, wenn er im Gegenzug zu seiner Kaiserkrönung dem Papst verspricht, der Kirche in Meißen und Thüringen freie Hand zu gewähren?“ Heidenreich machte ein verdrießliches Gesicht.
„Nicht zu vergessen, dass Heinrich nicht gut auf den böhmischen König zu sprechen ist“, ergriff nun auch Hencke das Wort. „Dieser hat sich seiner Meinung die böhmische Krone erschlichen. Heinrich wollte, dass sein Sohn Johann von Luxemburg den Thron erhält. Jetzt hat der Böhme alle Hände voll zu tun, seinen Königsstuhl zu verteidigen. Es sieht nicht gut aus, denn die Fürsten und die Stände sind gegen ihn. Wer weiß, wie lange er seinen Anspruch auf den Thron noch aufrechterhalten kann. Das Dumme an der Sache ist nur, dass er auf jeden Fall, schon aus Prinzip, die Templer aufnimmt und sie vor der Verfolgung durch die Kirche schützt. Was, wenn er seinen Thron verliert?“ Zweifel schwang in seiner Stimme mit.
„Das mag ja alles sein. Auch mir ist bewusst, dass wahrscheinlich weder der König des Heiligen Römischen Reiches noch der Markgraf sich am Ende gegen den Papst stellen werden. Denn ihnen allen ist das Hemd näher als der Rock, wenn es um die Erhaltung ihrer Macht geht. Doch was hat das alles mit der Sache hier zu tun? Was hast du für ein Interesse an der Rettung unserer Brüder?“ Rudger sah Hencke herausfordernd an. Irgendwie wurmte es ihn mächtig, dass der Schellenberger so vertraut mit Agnes erschien.
„Ganz einfach“, meinte Hencke lapidar. „Unsere Familie ist reichsfrei, das heißt, eigentlich nur dem Kaiser unterstellt. Und seit das Pleißenland wettinisch geworden ist, maßt sich Markgraf Friedrich an, sich in unsere Angelegenheiten einmischen zu wollen.“
„Nun gut, auch ich gehöre einem reichsfreien Geschlecht an“, gab Rudger zurück. „Aber dein Vater ist zudem noch Richter des Pleißenlandes. Da dürfte es wohl schwierig sein, sich dem Wort des Markgrafen zu entziehen.“
Die Augen des jungen Schellenberges blitzen zornig auf. „Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir tun. Und selbst dir dürfte es bekannt sein, dass weder der König noch der Markgraf uns unterstützt haben, als der Abt von Altzella sich einige unserer Dörfer einfach unter den Nagel gerissen hat. Sie haben sogar unsere Burg belagert!“, ereiferte er sich. „Genützt hat es ihnen allerdings wenig, denn sie haben sich die Zähne ausgebissen an unserer Feste und mussten ohne Erfolg wieder abziehen. Nur durch die Besonnenheit meines Vaters kam es damals zu einem Ausgleich. Was, glaubst du wohl, wem unsere Loyalität gilt?“
Rudger hob beschwichtigend die Hände. „Vielleicht hast du recht, Schellenberger“, lenkte er ein. „Die Pfaffen maßen sich viel zu viel an. Ich kann verstehen, dass du kein Freund der Kirche bist. Und da ich nun einmal ein Templer bin und mit dem größten Teil der Schwarzröcke ebenfalls auf Kriegsfuß stehe, schätze ich, dass wir an einem Strang ziehen.“
Hencke nickte. „Pass nur auf. Der Abt des Klosters Grünhain hat schon seine Finger ausgestreckt und bedrohte kürzlich den Ritter Georg von Greifenstein, dessen Sohn ebenfalls ein Templer ist. Er wollte sich den Besitz des braven Mannes einverleiben. Zum Glück konnten wir seine Kriegsknechte verjagen, als sie die Burg des Ritters zu belagern versuchten. Doch wird der Abt des Klosters wiederkommen. Aber da hat er die Rechnung ohne den Teufel gemacht.“ Hencke grinste böse.
„Wir werden Euch brauchen, Rudger“, ergriff Heidenreich wieder das Wort. „Es werden dieser Tage erneut Mitbrüder von Euch nach Lichtenwalde kommen. Es hat sich herumgesprochen, dass ihnen hier geholfen wird, nach Böhmen zu fliehen. Die wenigsten kennen sich aus im Gebirge und benötigen erfahrene Helfer, die sie sicher nach Prag geleiten.“
Rudger schaute seine Freunde an. In ihren Augen las er nur Zustimmung.
„Solange ich noch hier bin, kannst du auf mich zählen“, meinte Jorge.
„Auf mich auch. Ich werde so schnell nirgends hingehen“, meinte Endres treuherzig.
„Valten?“
„Ja klar. Was sollte ich auch sonst so machen. Die Möglichkeiten sind ja nicht gerade üppig. Und einem guten Kampf gehe ich nicht aus dem Weg.“
„Hoffen wir, dass es zu keinem kommen wird“, mahnte Heidenreich. „Aber gut zu wissen, dass es erfahrene Krieger sind, die uns helfen.“
„Was heißt, Euch helfen? Sind nicht gerade wir am ehesten in die Sache involviert? Ihr habt ein großes Herz und erkennt das Unrecht, wo es ist. Hencke hier steht mit den Pfaffen auf Kriegsfuß, für ihn Anreiz genug, uns zu helfen.“
Als der Schellenberger protestieren wollte, hob Rudger die Hand.
„Was? Ist doch so. Aber, wie auch immer. Eines verbindet uns, der Kampf gegen die Ungerechtigkeit. Also? Lasst uns einen Schlachtplan entwerfen.“ Die Ritter lachten befreit.
„Agnes“, sagte Heidenreich zu seiner Tochter, die die ganze Zeit still den Reden der Männer zugehört hatte. Erst jetzt erinnerte sich Rudger wieder an ihre Gegenwart. Er war erstaunt, dass ihr Vater es dem Mädchen erlaubte, den Gesprächen der Ritter zuzuhören.
Nes sah ihren Vater fragend an. „Hole uns noch einen Krug Wein, mein Kind. Und dann geh zu deiner Mutter und deiner Schwester. Nicht, dass die beiden noch auf die Idee kommen, sich zu uns zu gesellen.“ Er lachte. „Wir haben noch einiges zu besprechen.“
Mit einem kurzen, wissenden Blick auf Rudger, huschte Nes zur Tür im hinteren Teil der Halle hinaus.