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Kapitel 11
ОглавлениеYwen
Juni 1309
Das Bild, was sich Rudger bot, war fast zu schön, um real zu sein. Und wäre er sentimental veranlagt, hätte es ihn wahrscheinlich zu Tränen gerührt.
Eigentlich war er auf dem Weg in die Kirche gewesen. Es wurde langsam Zeit, wieder einmal die Beichte abzulegen. Aber irgendwie erschien ihm das verlogen und überflüssig, denn er hatte kein schlechtes Gewissen. Jedoch verlangte es nun einmal sein Glauben. Und letztendlich war er immer noch ein Templer, auch wenn der Papst anders darüber dachte. Er war ein Mann Gottes, und das sollte auch so bleiben.
Doch seine Mutter hatte ihn auf dem Weg zu Pater Wito abgefangen. Irgendetwas brannte ihr auf der Seele, aber wusste sie nicht so recht, wie sie ihrem Sohn begegnen sollte.
„Was habt Ihr, Mutter?“, fragte Rudger. „Ist etwas passiert? Schickt Euch Vater?“
„Nein, mein Sohn, es ist nichts“, erwiderte Matilda. „Ich wollte dich nur in die Halle holen, da wir uns zusammengesetzt haben, um das Johannisfest zu planen nach der anstehenden Heumahd.“ Sie lächelte etwas aufgesetzt.
„Das Johannisfest?“ Rudger wunderte sich ein wenig, denn so etwas war eigentlich die Sache der Frauen. „Ich denke, Ihr macht das schon, es sind ja genug Mägde hier, um Euch und Heske zur Hand zu gehen.“
„Bitte, Rudger“, flehte Matilda. „Komme einfach mit rein. Ich lasse dir einen kühlen Trunk bringen.“
Der junge Ritter gab nach. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass Matilda ihn daran hindern wollte, den Hof zu verlassen.
An der Tür zur Halle blieb er stehen, da sich seine Augen erst einmal nach dem grellen Sonnenlicht draußen an die Dunkelheit hier drinnen gewöhnen mussten. Nach und nach erkannte er, dass fast die gesamte Familie - nur Arnald fehlte - um den Tisch versammelt war und fröhlich schwatzte. Nichts deutete darauf hin, dass irgendjemand etwas vor ihm verbarg oder ein Geheimnis hütete. Sein Vater unterhielt sich angeregt mit Valten, den er in der Zwischenzeit ins Herz geschlossen hatte wie einen eigenen Sohn. Valten konnte gut mit Zahlen umgehen und war des Lesens und Schreibens kundig, so dass er seit einigen Wochen faktisch die Aufgaben eines Verwalters versah. Ulrich hatte diese Angelegenheiten bisher immer selbst erledigt. Jetzt dankte er Gott, in Valten einen Gehilfen bekommen zu haben, denn er merkte täglich immer mehr, wie seine Kräfte schwanden. Und der junge Ritter war dankbar, die erzwungene Untätigkeit mit einer sinnvollen Aufgabe überbrücken zu können.
Dann sah Rudger seine Schwester und Endres, die nah beieinander am anderen Ende des Tisches die Köpfe zusammensteckten und leise miteinander tuschelten. Mit Verwunderung musste er feststellen, dass sein Vater darüber keineswegs verärgert war und die beiden gar nicht zu beachten schien. Nun ja, sie waren ja nicht allein, dennoch für Rudgers Empfinden sehr vertraut miteinander.
Sein kleiner Bruder Michel spielte zu Füßen des Vaters mit seinen hölzernen Rittern und stieß fürchterliche Schreie aus, wenn einer seiner Helden den Gegner vom Pferd gestoßen hatte. Rudger meinte zu hören, wie Michel den siegreichen Ritter bei seinem eigenen Namen rief und in sein Herz schlich sich ein Gefühl der Wärme. Und als wäre es der Heimeligkeit noch nicht genug, musste er feststellen, wie sein Kampfgefährte Jorge und der Großknecht mit scharfen Messern einem Wettkampf gleich weitere Ritter schnitzten.
Nein, irgendetwas war hier eindeutig nicht in Ordnung!
„Mutter, was wollt Ihr wirklich von mir?“, sagte Rudger schärfer, als er beabsichtigt hatte.
Beim Klang seiner Stimme blickte Ulrich auf. Als er seinen Sohn sah, winkte er ihn zu sich heran. „Komm, Rudger, trinke einen kühlen Becher Bier mit uns, das deine Mutter letzte Woche gebraut hat. Es ist frisch und prickelnd und gerade die richtige Abkühlung bei der Hitze.
Rudger trat an den Tisch. „Vater, wieso ist Hannes in der Halle? Gibt es auf den Feldern nicht genug Arbeit, die er überwachen sollte?“
„Warum so streng, mein Sohn?“, fragte Ulrich lächelnd. „Heute ist ein wunderschöner Tag, morgen ist Johannis. Da werden wir ausgiebig feiern. Wir wollen Gott danken, dass er uns in diesem Jahr bereits eine gute Heuernte beschert hat. Wenn es so bleibt, werden im Herbst unsere Scheunen bis unters Dach gefüllt sein, denn auch das Getreide steht gut auf den Halmen. Und ist es zudem nicht Grund genug zu feiern, dass der Herr dich und deine Gefährten vor dem Schlimmsten bewahrt hat, und ...“
„Ja, während viele meiner Brüder in Frankreich elendiglich auf dem Scheiterhaufen ihr Leben gelassen haben“, unterbrach Rudger verbittert den älteren Mann. „Was gibt es da zu feiern?“
Rudger griff nach dem Bierkrug und schenkte sich einen Becher randvoll ein. Dann stürzte er das Gebräu in einem Zug hinunter und stellte den Becher mit Nachdruck auf dem Tisch ab. Ulrich schaute ihn verwundert an.
„Bei Gott“, seufzte Rudger gespielt. „Mutter versteht ihr Handwerk.“ Dann schlug er Valten, der die Szene bisher kommentarlos verfolgt hatte, auf die Schulter und setzte sich an den Tisch.
„Nun, was gibt es, worüber wir zu sprechen haben?“, fragte er.
„Besprechen?“, wunderte sich Ulrich. „Eigentlich rede ich mit Valten gerade darüber, wie wir die Erträge und die Abgaben besser verzeichnen können. Etwas, was dich wahrscheinlich eher nicht so interessiert“, meinte Rudgers Vater mit einem Lächeln.
„Und warum hat Mutter mich dann in die Halle gebeten? Sie meinte, es gäbe etwas zu besprechen. Außerdem würde es mich immer noch brennend interessieren, warum heute keiner zu arbeiten scheint. Auch im Hof bin ich keiner Menschenseele begegnet.“
„Nun, das liegt einfach daran, weil sie alle auf dem Feld sind. Die Heumahd ist fast abgeschlossen, die Mägde binden das getrocknete Gras zu Bündeln, was die Knechte auf die Wagen laden, und heute Abend fahren wir es ein. Und am Tag vor Johannes sitzt unser Großknecht immer mit mir in der Halle, um die Arbeiten für das zweite Halbjahr zu besprechen.“ Der Gutsherr wandte sich dem jungen Templer zu seiner Rechten zu. „Aber in diesem Jahr habe ich ja Valten, der mich um eine Aufgabe bat. Rumsitzen scheint nicht so seins zu sein.“ Ulrich zwinkerte Valten zu. Der grinste. „Hannes hat derweil eine andere Aufgabe übernommen“ Jetzt lachte Ulrich lauthals und Rudger konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. „Und was deine Mutter von dir will, kann sie dir nur selbst sagen. Ich weiß von nichts“, fuhr der Gutsherr fort.
„Dann scheint ja alles geregelt. Also kann ich jetzt wieder meiner Wege gehen.“ Rudger wollte sich schon zum Gehen wenden, als sein Vater ihn am Ärmel seines Wamses festhielt.
„Rudger“, sagte sein Vater etwas zögerlich. Er machte eine kurze Pause, bevor er weiterredete. „Ich wollte mit dir noch über Arnald sprechen.“
„Was ist mit ihm?“, fragte Rudger vorsichtig. „Wo ist er überhaupt? Soviel ich weiß, hat Hencke ihn seit Monaten nicht mehr mit auf die Isenburg genommen. Zu gefährlich, meinte er, da er unsere Templer hin und wieder dort versteckt. Arnald muss das nicht unbedingt wissen.“
„Du vertraust ihm nicht? Immerhin ist er dein Bruder?“
„Vertraut Ihr ihm denn, Vater“, meinte Rudger und leise Ironie schwang in seiner Stimme mit.
„Ich würde es gern, denn er ist genauso mein Sohn wie du. Ich weiß auch nicht, warum er sich immer in allem so sperrt.“ Ulrich seufzte.
„Vielleicht wäre er gern an meiner Stelle ein Templer geworden. Er ist ja schier versessen darauf, mit dem Schwert umherzufuchteln.“, antwortete Rudger voller Sarkasmus.
„Nun“, meinte Ulrich, ohne auf den Spott seines Zweitgeborenen einzugehen. „Kann sein, dass er lieber irgendwo in der Welt da draußen einen Kampf ausfechten würde. Er ist sehr gut im Umgang mit den Waffen. Das muss man Heinrich von Schellenberg lassen. Wen er unter seine Fittiche nimmt, aus dem wird ein ordentlicher Kämpe.“ Leise Wehmut schlich in Ulrichs Stimme. „Doch muss Arnald akzeptieren, mein Erbe zu sein, der hier auf dem Hof meine Nachfolge antreten wird.“
„Dann sagt es ihm“, antwortete Rudger nur. Er war dieses Themas leid. Arnald war in seinen Augen ein Taugenichts und ein Raufbold, der immer wieder neue Händel suchte, in denen er seine permanent schlechte Laune ausleben konnte. „Wo ist er jetzt?“
„Ich habe ihn nach Altenhain geschickt. Die Bauern des Fleckens haben einige Probleme mit Wegelagerern, und der Dorfälteste bat mich um Hilfe, gegen das Übel vorzugehen. Arnald soll sich dort mal umsehen. Vielleicht sind es entlaufene Leibeigene aus dem Böhmischen.“
„Nicht, dass Ihr den Bock zum Gärtner gemacht habt, Vater“, meinte Rudger und lachte freudlos.
Arnald war seit ein paar Monaten wieder in Ywen. Doch trieb ihn immer eine Unruhe umher, die ihn veranlasste, sich ständig in Angelegenheit einzumischen, die ihn im Grunde genommen gar nichts angingen. Auch mit den Freunden Rudgers kam er nicht klar, bezeichnete sie als Schmarotzer, die ihnen hier auf der Tasche lagen. Nicht nur einmal war es vorgekommen, und einer der Templer hätte liebend gern das Schwert gezogen, um seine und die Ehre seiner Mitbrüder zu verteidigen, wenn Rudgers Vater nicht jedes Mal energisch dazwischen gegangen wäre.
„Zu irgendetwas muss er ja zu gebrauchen sein“, sagte Ulrich resigniert und wandte sich wieder Valten zu, der die Diskussion zwischen Vater und Sohn schweigend verfolgt hatte.
Rudger zuckte nur mit den Schultern. Er stand auf und wollte wieder hinausgehen, denn hier schien alles gesagt. Er würde sich in den Konflikt zwischen seinem Vater und Arnald nicht einmischen, denn in Kürze wäre er selbst hier wieder weg. Seinen Plan, in den Deutschherrenorden einzutreten, hatte er nicht aufgegeben. Sobald sich eine günstige Gelegenheit bot, hier abzuhauen, würde er sie wahrnehmen.
Kurz bevor er die Tür erreicht hatte, trat ihm Matilda in den Weg. „Die Dinge scheinen manchmal anders, als sie sind, mein Sohn“, sagte sie geheimnisvoll. Dann strich sie ihm mit ihrer Hand kurz über die Wange. Mit einem leichten Lächeln wandte sie sich ab und verschwand in Richtung Küche.
Verwirrt über das eigenartige Verhalten seiner Mutter blieb Rudger einen Moment wie angewurzelt stehen. Dann schüttelte er sich kurz und ging hinaus in den Hof.
Gleißendes Sonnenlicht empfing ihn und die schwirrende Hitze des Mittags lag über dem Gutshof. Die Schweine hatten sich in ihren Verschlag in den Schatten zurückgezogen, nicht einmal das Suhlen in der Schlammkuhle, die hinter dem Stall angrenzte, konnte sie locken. Der Hahn versuchte, seinen Harem durch Krähen zusammenzuhalten. Aber die braunen Hennen zogen es vor, am Rand der Mauer leise gackernd in der kühlen Erde nach Würmern zu scharren.
Rudger ging in die Mitte des Hofes. Vor dem Brunnen, der von großen Haselsträuchern umgeben war, blieb er stehen. Eine kleine Abkühlung konnte auch ihm nicht schaden. Er nahm den Eimer und ließ ihn in die Tiefe hinab. Nach wenigen Augenblicken spendete ihm das kalte Wasser, das er über Gesicht, Hals und Arme rieseln ließ, eine willkommene Erfrischung. Benno, der große Hofhund gesellte sich zu ihm und winselte leise. In Ywen wurde der Wachhund nicht an eine Kette gelegt. Das hatte seine Mutter untersagt. Und so kam es, dass der Mischlingsrüde sehr zutraulich war. Rudger kraulte Benno hinter dem Ohr, was dieser mit einem warmen Blick aus seinen braunen Hundeaugen honorierte. Dann hielt er ihm den Einer hin und das Tier schlabberte mit seiner langen Zunge das köstliche Nass.
„Nun troll dich, Benno. Und lasse keine ungebetenen Gäste herein.“ Es schien, als hätte der Hund seine Aufgabe genau verstanden. Er ließ ein kurzes Bellen hören, dann trottete er langsam zurück zu seiner Hütte, die direkt neben dem Torhaus im Schatten der Mauer stand. Gähnend ließ er sich nieder und begann in der Hitze vor sich hin zu dösen. Doch das Spiel seiner Ohren zeigte, dass ihn nicht einmal die kleinste Regung entgehen würde.
Rudger setzte sich an den Rand des Brunnens, und die Kühle des Wassers wehte leise zu ihm herauf. Irgendwie hatte er keine Lust mehr, zur Kirche zu gehen. Der Weg dahin in der prallen Hitze der Mittagssonne erschien ihm auf einmal zu beschwerlich und er konnte die anderen verstehen, die sich in der dunklen Halle aufhielten. Da bemerkte er, wie seine Mutter aus dem Haus kam. Sie schaute sich verstohlen um und ging schnellen Schrittes an der Mauer entlang zu der kleinen Tür, die in das große Eingangstor eingelassen war. Rudger hörte noch, wie sie ein paar Worte mit dem alten Wächter wechselte, dann entschwand sie seinen Blicken. Er maß der Sache keine große Bedeutung bei, wahrscheinlich ging sie in den Kräutergarten hinter der Mauer des Gutshofes. Nicht weiter darüber nachgrübelnd, hing er seinen Tagträumen nach.
Hufgetrappel und lautes Reden am Torhaus ließen ihn aus seiner Trägheit erwachen. Kurz darauf ritt Hencke in den Hof. Benno rannte auf ihn zu und sprang bellend an der Seite des Pferdes hoch, so dass der Ritter Mühe hatte, seinen Hengst unter Kontrolle zu halten. „Schick den Köter weg, ehe ich ihm den Schädel eintrete“ herrschte er Rudger an, auch wenn er so etwas niemals tun würde. Der Templer rief Benno zurück und der Hund gehorchte umgehend und trollte sich in seine Hütte.
„Wo ist Jorge?“, fragte Hencke ohne weitere Begrüßung.
„Danke, auch dir einen guten Tag, Hencke“, antwortete Rudger und Ironie schwang in seiner Stimme mit. „Was willst du von Jorge?“
„Das sag ich ihm dann schon selbst“, schnauzte der Schellenberger zurück.
Das Verhältnis zwischen Rudger und Hencke hatte sich im Verlaufe der letzten Monate merklich abgekühlt, obwohl sie schon vorher nicht gerade freundschaftlich verbunden gewesen waren. Immer wieder war Rudger nach Lichtenwalde gegangen, um Templer aus Frankreich oder dem Rheinland in Empfang zu nehmen. Er geleitete sie bis an die Bierstraße, welche sich zwischen dem Besitz der Schellenberger und dem von Ywen dahinzog. Ihr Treffpunkt zur Übergabe war ein großer Stein, der wage die Form eines Kreuzes zeigte. Die Leute der Gegend nannten ihn Weisen Stein, denn die Legende sagte, dass ihn einst der Ritter Falk von Schellenberg hier zur Sühne hatte aufstellen lassen, da einer seiner Waffenknechte am Tode eines aufrechten Ritters schuld gewesen war. Genau hier übernahm Hencke die Templer und brachte sie übers Gebirge zur Isenburg. Dort wurden sie wohl von Leuten aus dem Böhmischen abgeholt, aber so genau wusste das Rudger nicht. Hin und wieder hatte er zusammen mit Jorge, Endres und Valten den Schellenberger ins Gebirge begleitet und ein, zwei Tage auf der Isenburg verbracht.
Bei ihren Aufenthalten in Lichtenwalde war er immer wieder Agnes begegnet. Aber auch der Schellenberger schien an dem Mädchen Gefallen zu finden. Die ständigen Anspielungen des Ritters, Heidenreich wäre einer Verbindung nicht abgeneigt, ärgerten Rudger. So sehr er sich auch einzureden versuchte, wie gleichgültig es ihm sei, wem Nes ihre Zuneigung schenken würde, gegen den Stachel der Eifersucht in seinem Herzen konnte er sich nicht erwehren. Auch wurmte es ihn, dass Hencke das volle Vertrauen des alten Ritters besaß. Der älteste Sohn Heinrichs von Schellenberg war ein mutiger Mann, der zu seinem Wort stand. Doch war er auch unberechenbar und seine Handlung oft von einer Wildheit getrieben, die selbst Rudger hin und wieder erschauern ließ.
„Was gibt es so Wichtiges, weil du extra hierherkommst?“, ließ Rudger nicht locker. „Jorge hat gerade zu tun.“ Das Bild seines Ritterbruders mit einem Schnitzmesser in der Hand zog vor seinem geistigen Auge vorüber, und ein ironisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
Hencke sprang von seinem Pferd. Er war nur mit einer leichten Tunika bekleidet, denn die Hitze des Tages hätte das Tragen eines Kettenpanzers zur Tortur gemacht. Nun, da er nicht gerade in eine Schlacht zog, wenn er nach Ywen ritt, wählte er nur ein Schwert, das er mit einem Wehrgehänge um seine Hüften geschnallt hatte, und einen Morgenstern, in dessen Handhabung er ein Meister war.
Er baute sich genau vor Rudger auf. Die beiden Männer waren nahezu gleich groß und auch die Breite ihrer Schultern unterschied sie nicht wesentlich voneinander. Der eine hatte welliges schwarzes Haar, der andere dunkelblonde Locken. Hencke maß Rudger mit einem überheblichen Blick. Doch dieser blieb ihm nichts schuldig und starrte zurück. Nach einer Weile wandte sich Rudger ab und schlenderte wieder zum Brunnen, wo er sich hinsetzte.
„Bist du jetzt fertig damit, hier den Platzhirsch zu spielen“, fragte er mit ruhiger Stimme. Zunächst sah es aus, als wolle Hencke aufbrausen, besann sich dann aber.
„Es gibt eine Hasenjagd auf Schellenberg. Mein Vater ist wie versessen darauf, durch den Wald zu reiten und hilflosen Kreaturen nachzustellen.“ Er schnaubte verächtlich. „Er will, dass dein Vater mit ihm kommt.“ Er machte eine kurze Pause. „Außerdem will ich Jorge mit auf die Isenburg nehmen.“
„Wieso?“, fragte Rudger erstaunt.
„Er bat mich darum.“ Hencke lachte. „Der Grund dafür ist einfach lächerlich“, fuhr er fort. „Aber er meint, er sei aus einer gänzlich waldlosen Gegend. Er liebt den Wald, und der um meine Burg herum hat es ihm besonders angetan.“
„Erzähl mir keine Ammenmärchen“, sagte Rudger und Unglauben schwang in seiner Stimme mit.
„Wenn ich’s dir sage“, beharrte der Schellenberger, musste jedoch ein Lachen unterdrücken. „Frag ihn selbst.“
Rudger ging zur Halle und lehnte sich zur Tür hinein. „Jorge!“, rief er laut. „Dein neuer Freund ist hier.“ Ohne abzuwarten, ob Jorge auch wirklich herauskäme, wollte Rudger nun doch zur Kirche gehen, da ihm die ganze Farce hier zu dumm war. Doch Hencke hielt ihn zurück.
„Es gibt noch etwas zu besprechen“, raunte er Rudger zu, so dass dieser Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Heidenreich hat mir eine Botschaft geschickt. Es wartet wieder Arbeit auf uns.“
Sie unterhielten sich vor anderen nie über ihre Tätigkeit und vermieden es tunlichst, dass jemand Wind von ihrem Treiben bekam. Denn wem konnte man trauen in solchen Zeiten? Und wenn es die Herrschenden schon nicht lassen konnten, sich am Unglück anderer eine goldene Nase zu verdienen, wie konnte man es dann dem armen Mann verübeln, wenn er sein karges Leben mit ein paar Pfennigen des Lohnes für das Ausplaudern von Geheimnissen versüßen würde?
Rudger nickte und kam ein paar Schritte zurück. „Wann?“
Hencke zuckte mit den Schultern. „In ein, zwei Tagen vielleicht. Wir sollen rüberkommen.“
„Ich werde da sein.“ Damit war für Rudger das Gespräch beendet und er schlenderte zum Hof hinaus.
Jorge stand an der Tür zur Halle. Er wartete, bis sein Gefährte nicht mehr zu sehen war.
„Was gibt es?“, rief er dem Schellenberger entgegen, der in Richtung Halle gelaufen kam.
„Lass es mich drin erzählen. Jetzt brauche ich erst mal einen Schluck von dem köstlichen Bier deiner Gastgeberin.“
Sich den Schweiß von der Stirn wischend, blieb Rudger unterhalb der Kirche im Schatten einer alten Linde stehen, die Siedler aus Franken vor über einhundert Jahren hier gepflanzt hatten. Er blickte hinauf zu dem schlichten Gotteshaus, dessen einziger Schmuck einige Fenster aus buntem Glas waren, die das flirrende Licht der Sonne reflektierten. Er konnte sich nicht so recht entschließen, weiterzugehen. Es war so, als würde ihn eine unsichtbare Hand zurückhalten.
Als er den Geistlichen das letzte Mal gesehen hatte, war dieser ziemlich wortkarg gewesen, eher ungewöhnlich, da Pater Wito eigentlich ein frohgemuter, redseliger Mann war. Rudger fiel jetzt auch auf, dass ihn seine Mutter, gerade, als er hatte zur Kirche gehen wollen, zurückzuhalten versuchte. Ihr seltsames Verhalten, als sie kurz nach ihm die Halle verließ, um sich heimlich davonzustehlen, kam ihm wieder in den Sinn.
Seit er wieder auf Ywen lebte, war seine Mutter unverhältnismäßig oft zur Kirche gegangen. Rudger hatte dies ihrer Frömmigkeit zugeschrieben. Doch wenn er es sich durch den Kopf gehen ließ, machte sie immer ein großes Geheimnis daraus, was sie mit Wito zu besprechen hatte. Kurzzeitig kam ihm der Gedanke, dass sie mit dem Kirchenmann ein Liebesverhältnis unterhielt. Doch vergaß er seinen Argwohn gleich wieder, denn seine Mutter liebte ihren Gemahl. Und Rudger kannte den Pater als fromm und aufrichtig. Nun, es wäre doch gelacht, wenn er der Sache nicht endlich auf den Grund gehen könnte. Kurz entschlossen trat er aus dem Schatten des Baumes und ging die wenigen Meter zur Kirche hinauf. Er wollte gerade die Tür aufstoßen, als Pater Wito diese von innen öffnete. Als er Rudger erblickte, blieb er erschrocken auf der Schwelle stehen. Er schluckte ein paarmal, dann gelang es ihm unter Räuspern, den jungen Ritter zu begrüßen.
„Gott zum Gruße, Rudger“ sagte er mit etwas heiserer Stimme. „Was führt Euch zu mir, mein Sohn?“ Doch schien er keine Zeit zu haben, denn immer wieder trat er von einem Bein aufs andere, geradeso, als wäre er im Begriff gewesen, irgendwohin zu gehen.
„Störe ich Euch, Pater?“, fragte Rudger etwas scheinheilig, denn ihm war die Unruhe des Gottesmannes nicht entgangen. „Ihr wolltet doch nicht gerade zu meiner Mutter, oder?“
„Zu Eurer Mutter?“, entfuhr es Wito, und der Ritter meinte zu bemerken, dass der Pater etwas blass um die Nase wurde.
„Nein, nein“, wimmelte dieser schnell ab. „Ich wollte nur ein paar Schäflein besuchen“, fuhr er fort. „Die Frau des Knochenmüllers ist kurz vor ihrer Niederkunft und bat um ein Gebet für Gottes Beistand.“
Rudger glaubte nicht so recht, was der Pfaffe ihm da erzählte und sah diesen zweifelnd an. Er hätte schwören können, dass es ein Geheimnis gab zwischen seiner Mutter und Wito.
„Nun, es ist nicht an mir, Euch hinterher zu spionieren“, begann er. „Aber meint Ihr nicht, es wäre besser, Ihr würdet mir sagen, was hier vor sich geht. Ihr wisst, ich gehöre dem Templerorden an. Glaubt mir, es ist in meinem ureigenen Interesse, wenn ich über die Vorgänge hier auf dem Gut informiert bin. Ich kann mir unliebsame Überraschungen nicht leisten.“ Er sah Wito eindringlich an. „Doch seid gewiss, wenn Ihr meine Mutter in irgendeine krumme Sache mit hineinzieht und sie am Ende, etwa aus falsch verstandenem religiösem Eifer, ihren eigenen Sohn verrät, dann schicke ich Euch in die Hölle, bevor ich mich selbst dort einfinde.“ Drohend machte er einen Schritt auf Wito zu, der mit dem Rücken an die Kirchentür gedrängt stand und keine Möglichkeit zum Zurückweichen hatte. Ängstlich schaute der Pater den Ritter an. Er setzte zu einer Antwort an, doch öffnete und schloss sich sein Mund, ohne dass er ein Wort herausbrachte.
„Habt Ihr mir etwas mitzuteilen?“, fragte Rudger mit trügerisch leiser Stimme.
Der Geistliche sah den jüngeren verzweifelt an, dann nickte er langsam mit dem Kopf.
Rudger wurde langsam ungeduldig. „Und?“, half er nach.
Wito straffte die Schultern. „Kommt mit in die Kirche“, sagte er mit belegter Stimme. „Was ich Euch zu sagen habe, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.“ Etwas ungelenk fingerte er hinter sich am Griff der Tür herum, bis es ihm endlich gelang, sie aufzustoßen. Rudger folgte ihm auf dem Fuß und drängte ihn regelrecht rückwärts in das Gotteshaus. Fast wäre Wito gestolpert, doch konnte er sich an der Wand abstützen. Der Ritter schlug die Tür laut krachend hinter sich zu. Er war wütend. Denn er hatte Pater Wito vertraut. Dass dieser ein Geheimnis vor ihm hatte, kränkte Rudger.
Die Kirche war klein und eng, so dass sie nach wenigen Schritten in der Mitte des Raumes standen. Rudger hielt Wito am Ärmel seiner Kutte fest, als dieser sich umdrehte und zum Schrein der Heiligen Ursula weitergehen wollte. „Sprecht“, forderte er den Geistlichen auf. „Jetzt. Beten könnt Ihr hinterher. Vielleicht werdet Ihr es nötig haben.“
Wito hob beschwörend die Hände. „Rudger, bitte hört mich an. Es ist anders, als es den Anschein hat.“
„Das habe ich heute schon einmal gehört“, sagte der Templer mit eisiger Stimme. „Doch gefällt es mir nicht, dass es gerade meine Mutter war, die es zu mir gesagt hat.“ Wut verzerrte seine ebenmäßigen Züge. Am liebsten hätte er den Pater geschlagen, damit dieser endlich mit der Sprache herausrückte. Doch riss er sich zusammen.
„Setzen wir uns dort drüben auf die Bank“, schlug Wito vor, auf die einzige Bank in der Kirche zeigend, die für den Gutsherrn und seine Familie reserviert war.
Rudger nickte zustimmend. Wito ließ sich in sicherer Entfernung nieder, spürte er doch den Groll des anderen.
„Ihr wisst, dass ich, obwohl ich früher ein Augustinermönch war, ein Angehöriger des Deutschherrenordens in Zschillen bin“, begann er. „Und ebenso bekannt dürfte es Euch sein, dass das Kloster seit einem halben Jahrhundert im Besitz eben dieses Ordens ist.“ Er schaute Rudger prüfend an. Dieser war mit seiner Geduld endgültig am Ende.
„Und warum erzählt Ihr mir etwas, was ich ohnehin schon weiß?“, knurrte er.
Wito ließ sich diesmal jedoch nicht beirren. „Dann wisst Ihr ebenso, dass der edle Siegfried von Feuchtwangen nicht nur der Hochmeister des Ordens ist, sondern auch dem Kloster in Zschillen vorsteht. Nun, und eben Siegfried von Feuchtwangen hat mich mit einer Mission beauftragt.“ Der Pater machte eine Pause.
„Die da wäre?“, fragte Rudger voller Ungeduld. „Oder ist das ebenso ein Geheimnis, wie Eure Mauschelei mit meiner Mutter? Was hat sie überhaupt damit zu tun? Sie weiß wahrscheinlich nicht einmal, dass der Ordensmeister Siegfried von Feuchtwangen heißt.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher an Eurer Stelle“, konterte Wito, nun wieder vollkommen selbstbewusst. Der Ritter schaute ihn nur verwundert an. Die Neugierde ließ seinen Zorn verrauchen.
„Es ist so, Rudger“, fuhr Wito fort. „Der Ordensmeister hat mich beauftragt, dass ich hierher gehen sollte in das Gebiet, das an Böhmen grenzt. Er ist ein Freund der Templer, wie Ihr wisst, und hat dem Aufruf des Papstes, selbst unter der Gefahr, dass seinem Orden damit auch die Exkommunikation droht, keine Folge geleistet. Hier in der Nähe gehen einige der wenigen Passstraßen über den Gebirgskamm nach Böhmen, so dass die Templer, die über die Mark Meißen dorthin fliehen wollen, unweigerlich hier irgendwo in der Nähe vorbeikommen.“
„Und welche Mission habt Ihr?“, bohrte Rudger weiter, nun doch aufmerksam geworden.
„Einigen der Templer ist bekannt, dass es hier ein Kirchlein gibt unter der Obhut eines Gutsherrn, von wo aus sie Kontakte erhalten, die ihnen eine Weiterreise nach Böhmen ermöglicht. ...“
„Und dieser Kontakt heißt Hencke von Schellenberg“, stellte Rudger bitter fest.
Wito schaute mit betretener Miene zu Boden.
„Was hat meine Mutter damit zu tun?“
„Sie versorgt die Männer, und wenn nötig, pflegt sie manche auch gesund, denn viele sind versehrt an Körper und Geist.“
Rudger sprang von der Bank auf „Und warum erfahre ich das erst jetzt, zum Teufel!“, schrie er.
„In einem Haus Gottes solltet Ihr nicht fluchen“, ermahnte ihn Wito.
„Verdammt, ich fluche hier, soviel ich will. Wie konntet Ihr mich und meine Freunde nur so hintergehen?“, fragte er und konnte vor Enttäuschung kaum sprechen. „Und was noch schlimmer ist, meine eigene Mutter hat mir nichts gesagt, obwohl sie seit Monaten zuschaut, wie ich mein Leben für die Flucht meiner Mitbrüder aufs Spiel setze.“
Er stapfte in der Kirche hin und her, dass der trockene Staub aufwirbelte und im Licht der Sonne zu tanzen begann.
„Und Hencke?“
„Nun, der Schellenberger hat zwei, drei Mal ein paar Rittern auf ihrem Weg nach Böhmen geholfen. Er hat sie wohl auf seiner Burg im Gebirge übernachten lassen. Aber die anderen Male kam ein Mönch aus Chomotau hierher und hat sie über den Kamm geschafft.“
„Und jetzt ist wohl wieder einmal ein Templer hier, oder?“
„Eigentlich sollten zwei Männer kommen. Aber bis jetzt sind sie nicht aufgetaucht. Vielleicht sind sie ja tot. Oder Hencke hat sie schon weggeschafft“, sagte Wito mit niedergeschlagener Stimme.
„Wie kommt Ihr da drauf?“ Rudger schüttelte fassungslos den Kopf. „Na, ist ja auch egal. Wo ist meine Mutter jetzt?“
„Sie weiß es noch nicht, wartet unten bei der Mühle auf mich. Ich ließ ihr eine Nachricht bringen, dass ich sie sprechen muss.“
„Ich glaube, ich weiß, wo die Männer auf ihre weitere Flucht warten.“ Rudger machte eine kurze Pause, als müsste er über etwas nachdenken. Lasst uns zur Mühle gehen“, sagte er und schickte sich an, die Kirche ohne ein weiteres Wort zu verlassen.