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Kapitel 3
ОглавлениеWichmannsdorf
17. Oktober 1307
Endres, Jorge und Valten saßen in der Tat noch im Refektorium. Die meisten der Brüder waren bereits hinausgegangen, um ihr Tagwerk zu beginnen. Die Kerzen auf den Tischen spendeten nur ein dusteres Licht. Noch hatte die Morgendämmerung nicht alle Winkel des niedrigen Speisesaals erreicht. Doch die drei jungen Männer wollten unbedingt auf die Rückkehr ihres Freundes warten. Da heute eh alles anders zu sein schien, wagten sie dann auch, ihn laut anzusprechen. Den bösen Blick der zwei Priesterbrüder, die sich anschickten, die Tische abzuräumen, ignorierten sie. Schließlich war das Morgenmahl vorbei.
„Was wollte Friedrich von dir?“, fragte Valten ungeduldig. Lässig lehnte er mit dem Rücken an einer der steinernen Säulen, die das niedrige Gewölbe des Refektoriums stützten und zwischen denen die Tische und Bänke aufgereiht waren. Sein dichtes braunes Haar stand in alle Richtungen. Obwohl er es nach dem Aufstehen mit Wasser geglättet hatte, war es zu widerspenstig, um sich bändigen zu lassen. Er trug es kurz, wie alle Ordensritter. Doch im Gegensatz zu den Priesterbrüdern mussten sie sich keine Tonsur rasieren. Sein wilder Haarschopf und seine leuchtenden dunkelblauen Augen verliehen ihm ein verwegenes Aussehen, das seinem stürmischen Charakter entsprach.
Auch Endres und Jorge schauten Rudger mit gespanntem Gesichtsausdruck an. Sie konnten unterschiedlicher nicht sein. Endres dunkle Locken schimmerten fast schwarz. Seine feinen Gesichtszüge hätte man weich nennen können, wäre da nicht sein energisches Kinn gewesen, das er jetzt trotzig nach vorne schob. Er war genau so groß gewachsen wie fast alle seiner Brüder, denn sie waren die Elite der Ritter und mussten ganz besondere körperliche und charakterliche Eigenschaften besitzen. Der schon fast hypnotisierende Blick aus seinen dunklen Augen, ließ manchen seiner Gegner auf dem Schlachtfeld ein kurzes Gebet gen Himmel senden, bevor sie sich ihrem Schicksal stellten. Er war ein knappes Jahr jünger als Rudger, aber ließen ihn die Erfahrungen etlicher Kämpfe älter erscheinen. Auch Jorge konnte sich in der Runde der jungen Männer sehen lassen. Er war blond, doch hatte er das Haar ganz kurz geschoren. Der Blick aus seinen hellblauen Augen war offen und herzlich und offenbarte seinen aufrechten Charakter. Seine hohen Wangenknochen verliehen seinem Gesicht einen stolzen Ausdruck und ließen auf seine edle Herkunft schließen. Allerdings war er nur ein nachgeborener Sohn und sein älterer Bruder der Erbe des beträchtlichen Landgutes im Emsland. Sein Vater war ein Lehnsmann des Fürstbischofs von Münster, und es war ihm gelungen, durch seine Beziehungen zum Bischofshof seinen Sohn in einem Ordenshof der Templer unterzubringen. Jorge war der Stolz seiner Familie, auch wenn er nicht der Erbe war. Doch dem jungen Ritter war das eher gleich. Für ihn gab es nur den Orden, dem er sich verpflichtet hatte, alle weltlichen Dinge schloss er aus seinem Leben aus.
Rudger hob beschwichtigend die Hände. „Ruhig Freunde“, warnte er sie mit verhaltener Stimme. Er sah sich im Raum um. Die zwei Ordensbrüder trugen gerade das benutzte Geschirr hinaus. Hinter ihnen schloss sich die Tür, dann zog Ruhe ein.
„Ich glaube“, begann er, „ihr habt es bereits gemerkt. Aber der heutige Morgen ist alles andere als normal verlaufen. Mich wundert es, dass niemand offen gefragt hat, was los ist.“
„Haben wir ja auch nicht“, meinte Endres grinsend. Doch Rudger schaute ihn ernst an.
„Und was ist los?“, fragte der Ritter, durch die betroffene Miene des anderen stutzig geworden. Doch bevor sein Freund zu einer Antwort ansetzen konnte, wurde die Tür leise geöffnet und der Kopf Bruder Anselms erschien.
„Hast du nichts zu tun?“, herrschte ihn Valten an.
Rudger, der sich herumgedreht hatte, gebot Valten mit einer Geste seiner Hand Einhalt.
„Nein, Anselm. Komm rein. Du sollst hören, was ich erfahren habe. Anselm war der erste, der mir heute am frühen Morgen eine ungeheuerliche Neuigkeit zugetragen hat“, wandte er sich an seine Freunde. „Erst wollte ich ihm nicht glauben. Aber vorhin war ich bei unserem Meister. Und was ich da gehört habe, das ahnt ihr nicht einmal.“
Anselm setzte sich zu ihnen und sah Rudger gespannt an.
„Nun mach schon, lass uns nicht solange schmoren. Was gibt es so furchtbar Geheimnisvolles, dass ihr zwei euch ständig verstohlen umschaut, aus Angst, es könnte einer zuhören?“ Jorge wurde wie die anderen langsam ungeduldig. Die Geheimniskrämerei seines Freundes mutete ihm etwas seltsam an.
„König Philipp hat im Namen des Papstes alle Templer in Paris und ganz Frankreich zur gleichen Zeit verhaften und einsperren lassen“, platzte Rudger heraus. Aber anstatt ihn sofort mit Fragen zu löchern, starrten die anderen ihn entsetzt an.
„Du machst Witze“, fand Endres endlich seine Stimme wieder. Doch ein Blick in die Gesichter von Rudger und Anselm belehrten ihn eines Besseren. „Erzähle“, meinte er nur kurz und die anderen nickten.
In knappen Worten schilderte Rudger, was er am frühen Morgen von Friedrich von Alvensleben und seinen beiden Besuchern erfahren hatte. „Ich möchte, dass ihr mit mir kommt“, schloss er seinen Bericht. „Auch du, Bruder Anselm. Hier ist niemand mehr sicher.“
Anselm hob abwehrend die Hände. „Oh nein, Rudger. Ich bleibe hier. Ich kann hier nicht einfach fort. Immerhin stehe ich dem Wirtschaftshof der Komturei vor. Und selbst wenn es gefährlich ist. Wie könnte ich meine Brüder hier im Stich lassen, nur um mich selbst in Sicherheit zu bringen.“
„Willst du damit sagen, dass wir die anderen im Stich lassen?“, fragte Valten ungehalten und funkelte den Mönch böse an. Er hatte schon immer ein Problem mit dem Priesterbruder gehabt. Ganz in seinem Innern nagte ein Gefühl der Eifersucht.
„Nein, will er nicht“, fuhr ihn Rudger an. „Ich verstehe dich ja“, wandte er sich wieder Anselm zu. „Aber ich könnte dich gut gebrauchen auf unserer Mission. Du kannst wesentlich besser lesen und schreiben als wir alle, von unserem Latein gar nicht erst zu sprechen.“ Er lächelte kurz.
„Ach, ich schätze, darin seid ihr ebenso gut wie ich“, schmeichelte ihnen Anselm. „Doch ich bin kein Kämpfer, Rudger. Ich würde euch nur behindern. Ohne mich seid ihr wesentlich besser dran. Und wer weiß, wenn Gott will, sehen wir uns alle bald wieder.“
„Nun gut, aber ich versuche, mit dir in Kontakt zu bleiben, Anselm.“
„Ich schätze, eure Mission wird keine Zeit dazu lassen. Aber ich werde für euch beten, dass ihr heil und gesund bleibt. Möge Gott unseren Brüdern in Frankreich beistehen. Und euch.“ Anselm erhob sich. In seinen Augen schimmerten Tränen. Kurz legte er seine Hand auf Rudgers Schulter, dann drehte er sich wortlos um, und verschwand genauso leise durch die Tür, wie er hereingekommen war.
„Gott sei auch mit dir, Bruder“, sagte Jorge leise. Doch Anselm hörte es bereits nicht mehr.
Immer noch mit Bestürzung in ihren Mienen schauten sich die Freunde an.
„Und nun?“, fragte Endres.
„Friedrich erwartet uns in einer halben Stunde im Hof. Also packt schnell euer Zeug und eure Waffen zusammen und dann kommt raus. Proviant besorgt uns Friedrich.“
„Da gibt es nicht viel zusammenzupacken“, meinte Valten trocken.
„Vielleicht willst du ja noch mal in die Kirche gehen, um zu beten. So kriegst du die halbe Stunde auch rum“, meinte Jorge zynisch.
„Ich weiß, was du meinst“, antwortete Valten, auf den Spott des anderen nicht eingehend, mit Unmut in der Stimme. „Wie kann Gott zulassen, dass unseren Brüdern solch Unrecht widerfährt? Haben wir IHM nicht immer nach bestem Wissen und Gewissen gedient?“
„Vielleicht nicht alle“, konterte Jorge trocken.
„Brüder, für derlei Disput haben wir jetzt keine Zeit“, ermahnte Rudger die beiden. „Also bis gleich.“ Er erhob sich und rannte förmlich aus dem Refektorium. Bevor er sich zu den anderen im Hof gesellte, musste er unbedingt noch einmal einen Versuch starten und kurz mit Bruder Anselm sprechen. Niemals würde er den Freund freiwillig seinem Schicksal überlassen.