Читать книгу Baphomets Jünger - Julia Fromme - Страница 7
Kapitel 4
ОглавлениеMücheln
20. Oktober 1307
Die letzten schrägen Strahlen der Abendsonne bahnten sich ihren Weg in das kleine Gotteshaus, das direkt in der Mitte des Templerhofes in Mücheln stand. Rudger kniete vor dem Altar mit der Mutter Gottes. Doch war es nicht das Gebet, was er suchte, sondern eher die Stille und Einsamkeit, um seine wirren Gedanken ordnen zu können.
Ein verirrter Strahl verfing sich in seinen Haaren, die er schon seit einiger Zeit nicht mehr geschnitten hatte. Das Licht ließ seine dunkelblonden Locken bronzen schimmern. Unter seiner Tunika zeichneten sich seine kräftigen Schultern deutlich ab und das Spiel seiner angespannten Muskeln zeugte vom täglichen Umgang mit den Waffen.
Fast drei Tage waren sie ununterbrochen im Sattel gewesen, immer gegenwärtig, von den Häschern des Magdeburger Erzbischofs aufgehalten zu werden. Doch ihre Reise nach Mücheln war ohne Zwischenfälle verlaufen. Am frühen Morgen hatten sie unter Umwegen das Ordenshaus erreicht. Das Tor war fest verschlossen gewesen und es dauerte eine ganze Weile, bis der Bruder Schließer auf ihr lautes Klopfen hin eine kleine Tür einen Spalt weit öffnete.
Vollkommen erschöpft ließen sich die Männer aus dem Sattel gleiten, Rudger strauchelte leicht. Die Müdigkeit drohte ihn zu überwältigen. Seit vier Nächten hatte er fast nicht geschlafen.
Der alte Ordensbruder erkannte den jungen Ritter sofort. Bereits nach wenigen Minuten war Gero im Hof erschienen. Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Mit knappen Worten hatten ihm die jungen Templer von den Geschehnissen in Frankreich berichtet. Bestürzt bat Gero sie in seine Kammer, wo sie ihm dann nochmals in allen Einzelheiten Rede und Antwort stehen mussten, soweit sie überhaupt dazu in der Lage waren.
Später hatten sie sich einige Stunden im Schlafsaal der Ritter niedergelegt. Doch schon bald erwachte Rudger wieder aus einem unruhigen Schlaf. Er hatte seinen Mantel übergeworfen und sich in die Kapelle geschlichen.
Leise Schritte erklangen hinter ihm. Rudger wandte den Kopf nach hinten. Als er Gero auf sich zukommen sah, erhob er sich. Der alte Bruder lächelte ihn wohlwollend an. Seine ergrauten Haare waren immer noch erstaunlich dicht, auch wenn er sie sehr kurz geschnitten trug. Hochgewachsen und hager war er nur wenige Zentimeter kleiner als sein jüngerer Ordensgefährte. Um seinen Mund und seine Augen zeichneten sich sichtbare Falten ab, die von einem entbehrungsreichen Leben kündeten. Trotz seiner scharf geschnittenen Züge strahlte sein Gesicht eine ruhige Würde aus und sein offener, freundlicher Blick brachte ihm die Sympathien der meisten seiner Mitbrüder ein.
„Es ist wahrlich schreckliche Kunde, die ihr uns gebracht habt, mein junger Bruder. Doch längst habe ich dieses Schicksal für unseren Orden kommen sehen.“
„Wie das, Meister?“, fragte Rudger. „Nichts deutete darauf hin, dass der Orden sobald angegriffen würde. Auch wenn es schon lange Gerüchte gab, der König von Frankreich würde immer wieder Versuche starten, sich am Vermögen der Templer zu bereichern. So wurde er dennoch bis jetzt in seine Schranken gewiesen.“
„Es war nur eine Frage der Zeit. Der Orden war für Philipp das Goldene Kalb, das er schlachten wollte. Er braucht dringend Geld, so verschuldet, wie er ist.“
„Aber der Papst sprach den Orden von allen Anschuldigungen frei, die gegen ihn im Umlauf waren. Warum dann also, Bruder Gero? Und wieso so schnell und unerwartet? Warum bricht Clemens sein Wort?“
„Der Papst! Das ich nicht lache.“ Gero ließ ein verächtliches Schnauben vernehmen. „Dieser Möchtegernvater der Christenheit sitzt verängstigt in Avignon, wo ihn Philipp stets unter Kontrolle hat. Er ist vollkommen abhängig von dem Franzosen. Niemals würde er eine Entscheidung gegen die Interessen der französischen Krone treffen. Alles nur Gerede.“ Gero redete sich regelrecht in Rage. „Wir waren ihm schon längst ein Dorn im Auge. Zu reich, zu mächtig. Wir drohten, seiner Macht zu entgleiten. Und das, mein lieber Rudger, durfte nicht sein. Niemals darf es in der Kirche Mächtigere geben als den Papst. Doch der Papst sitzt nicht mehr in Rom, sondern hockt wie ein verschrecktes, altes Weib in Avignon, unter dem Schutz eines weltlichen Herrschers. Und glaube mir, mein Sohn, es ging nie um den Glauben oder das Wohl der Christenheit. Es ging immer nur um Geld und Macht.“ Gero sackte erschöpft in sich zusammen, als hätte die lange Rede ihn angestrengt.
Ächzend ließ er sich auf einer der Kirchenbänke nieder, die am Rande der Kapelle standen. Ohne seine Aufforderung abzuwarten, gesellte sich Rudger zu ihm.
„Nun, Bruder Rudger“, begann Gero nach einer Weile. „Wir müssen besprechen, wie wir die Ordenshöfe hier im Osten des Landes warnen können. Heinrich von Anhalt ist ein alter, kranker Mann. Als Erzbischof von Magdeburg ist er seit jeher sehr papsttreu eingestellt, fürchtet um seine Exkommunikation, wenn er sich zum Papst zu sehr in Opposition begibt. Und ich glaube, er wird lieber der Templerverfolgung stattgeben, als Papst Clemens zu widersprechen.“
„Und wie sieht es mit den Bischöfen von Halberstadt und Meißen aus?“, fragte Rudger.
„Albrecht von Anhalt, der in Halberstadt das geistliche Amt innehat, ist aus ganz anderem Holz geschnitzt als sein Verwandter in Magdeburg“, antwortete Gero. „Die Linien des Hauses der Anhaltiner bekriegen sich bis auf Blut. Hinzu kommt noch, dass die Bischöfe von Halberstadt schon immer in Opposition zu ihrem Erzbischof standen. Ich denke, Albrecht wird uns unterstützen“, meinte er voller Hoffnung. „Ich werde ihm schreiben, vielleicht gelingt es mir, ihn auf unsere Seite zu ziehen. Wir brauchen einen Kirchenfürsten, der uns hier im Reich den Rücken freihält.“
„Doch sein Amtsbruder in Meißen wird nicht so leicht zu haben sein?“, mutmaßte Rudger und Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit. „Bischof Albrecht hat sich nie sonderlich gut mit dem Markgrafen vertragen. Und jetzt, wo Friedrich nicht nur Markgraf von Meißen, sondern auch Landgraf von Thüringen ist und weit weg auf der Wartburg residiert, glaubt der Kirchenfürst auf dem Meißner Burgberg, freies Spiel zu haben. Es sitzt ihm ja keiner mehr direkt vor der Nase, um ihm Paroli zu bieten. Das war unter dem Großvater Friedrichs, als die Markgrafen noch in Meißen wohnten, entschieden anders.“
„Und das macht mir Sorge, mein lieber Bruder. Soviel mir bekannt ist, hält deine Familie im Pleißenland ein Waldenburger Lehen.“
„Glaubt Ihr, es könnte sich zum Nachteil für meine Familie erweisen, weil ich dem Templerorden angehöre?“, fragte Rudger erschrocken.
„Du weißt, große Teile des Pleißenlandes gehörten zur Morgengabe der Mutter unseres Landesherrn Friedrich. Nun ist seine Mutter aber auch gleichzeitig die Tochter Kaiser Friedrichs, Gott habe ihn selig. Damit ist das Pleißenland in den Besitz der Markgrafen übergegangen. Und deshalb ist nun deine Familie dem Meißner Bischof zinspflichtig, dem geistigen Oberhirten der Mark. Auch wenn Markgraf Friedrich ein Freund der Templer ist, so ist es Bischof Albrecht noch lange nicht. Also sei auf der Hut, Rudger. Ungern würde ich von deiner Gefangennahme hören.“
Rudger dachte einen Moment nach. „Um mich macht Euch keine Sorgen, Meister. Es gehört schon mehr als ein Meißner Bischof dazu, einen Ritter der Templer festzusetzen“ meinte er mit einem etwas unsicheren Lächeln. „Doch wichtiger ist es jetzt erst einmal, unsere Ordensbrüder in den Marken zu warnen.“
„Darüber habe ich mich schon mit einigen der älteren Brüder beraten“, antwortete Gero. „Wir sind zwar nicht viele hier in Mücheln, doch werden vier unserer Ritter mit Briefen und der Nachricht von der Zerschlagung des Ordens in Paris losziehen. Auch die Familien der Ritter, die unserem Orden angehören, müssen unterrichtet werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man auch sie bedrängt.“
„Warum können diese Aufgabe nicht meine drei Freunde und ich übernehmen, wie es Friedrich von Alvensleben vorgeschlagen hat?“, fragte Rudger leicht verärgert. Er hatte wahrlich keine Lust, hier in Mücheln zu versauern. Wahrscheinlich würde man sie hier einfach vergessen. Unmut breitete sich in ihm aus.
„Ganz einfach, weil ihr als erfahrene Kämpfer hier die Stellung halten müsst. Weiter oben, in Richtung des Dunkelwaldes in der Mark Meißen, gibt es keinen Stützpunkt unseres Ordens. Der Weg aus den westlichen Teilen des Reiches nach Böhmen geht hier vorbei. Es könnte gut sein, dass Brüder, die aus Frankreich fliehen konnten, hierherkommen, um dann weiter ins slawische Gebiet zu gelangen. Der böhmische König Rudolf ist zwar aus dem Geschlecht der Habsburger. Doch diese stehen bekanntlich mit dem deutschen König Albrecht auf Kriegsfuß. Er wird unsere Ordensbrüder nicht abweisen.“
„Ja, ich weiß“, warf Rudger dazwischen. „Das ist alles ziemlich verworren. König Albrecht wollte lieber seinen Sohn auf dem böhmischen Thron sehen, als den Habsburger Rudolf.“
„All das spielt natürlich eine Rolle, wenn es um das Überleben unserer Ordensbrüder geht“, ergänzte Gero.
Schweren Herzens musste Rudger dem Komtur recht geben. Doch würde es nicht einfach werden, seine Brüder davon zu überzeugen, die sich im Geiste schon Kämpfe mit den Feinden der Templer ausfechten sahen. Niedergeschlagen ließ er den Kopf hängen.
„Friedrich von Alvensleben hat mich in einem Brief gebeten, euch aus genau diesem Grund hier in Mücheln zu lassen“, erklärte Gero. „Ich selbst werde auch hierbleiben. Es ist wichtig, dass unser Stützpunk gut besetzt ist. Vielleicht gelingt es uns, den einen oder anderen der Fürsten zu unserem Schutz zu gewinnen. Unter Umständen müsst ihr auch einige unserer geflohenen Brüder sicher nach Böhmen geleiten“ versuchte er Rudger zu trösten. „Wir werden sehen.“
Rudger nickte resigniert. Gegen den Großmeister hatte er keine Chance. Und Komtur Gero würde sich dessen Befehlen niemals widersetzen. Langsam erhob er sich.
„Willst du mit mir beten, mein Bruder?“, fragte Gero freundlich. Doch Rudger stand jetzt nicht der Sinn nach einem Gebet. Er war viel zu unruhig. Er musste auch noch mit seinen Freunden sprechen, eine Aufgabe, die ihm nicht wenig zusetzte, denn sie wären alles andere als begeistert darüber, hier in Mücheln bleiben zu müssen. Nun hieß es einfach abwarten, wie die Dinge sich entwickeln würden. Doch darauf hatten sie wahrlich wenig Einfluss.