Читать книгу Baphomets Jünger - Julia Fromme - Страница 9
Kapitel 6
ОглавлениеBeyernaumburg
November 1308
Rudger zog sich den Mantel enger um die Schultern. Seit einer gefühlten Ewigkeit hatte er sich nur noch in klamme Kleider hüllen können, denn durch die Feuchtigkeit der dicken Mauern herrschte in den Räumen eine unangenehme, kalte Luft, die ihnen durch Mark und Bein ging. Der große Kamin in der Halle wurde nur hin und wieder geheizt, wenn sie sich etwas Ruhe gönnen wollten. Doch ging ihnen langsam das Brennmaterial aus und sie mussten auf ein Wunder hoffen, dass die Belagerung der Burg bald enden würde.
Seit Monaten saßen sie hier in diesem alten Gemäuer, das schon vor über 300 Jahren unter Heinrich I. erbaut worden war.
Nach dem Überfall auf Mücheln hatten sie in der darauffolgenden Nacht den Ordenshof verlassen. Komtur Gero war es nicht leichtgefallen, doch fügte er sich der Notwendigkeit. Was nützte es, wenn auch sie alle verhaftet würden? Sollten sie das gleiche Schicksal erleiden, wie ihre Brüder in Frankreich? Auch in England, Irland oder Sizilien wurden die Templer jetzt verfolgt, eingesperrt oder gar hingerichtet.
Auf Anraten Wolfs von Jesnitz waren sie in Richtung Halberstadt aufgebrochen. Haymo von Gerbstädt hatte sie schon nach wenigen Meilen verlassen. Er war der Meinung, ein Templer dürfe nicht feige fliehen. Nach einem heftigen Wortwechsel mit Gero war er in Richtung Magdeburg davongeritten.
Unterwegs kam ihnen ein Trupp bewaffneter Reiter entgegen, und sie hatten sich schon auf einen Kampf eingestellt. Doch wie es sich bald erwies, gehörten die Ritter zu den Männern Graf Alberts von Blankenburg, einem Cousin des Erzbischofs von Magdeburg, der seinem Verwandten allerdings nicht sehr zugetan war. Sie geleiteten die Müchelner nach Beyernaumburg.
In grauer Vorzeit lebte auf der Burg ein aus Bayern stammender Graf, was dem Ort seinen seltsamen Namen gab. Aber das Geschlecht war längst erloschen und jetzt gehörte die Feste zum Besitz des Magdeburger Erzbistums. Doch lag sie auf Halberstädter Gebiet und stand somit unter der Obhut Bischof Alberts.
Rudger musste im Stillen lachen, als er daran dachte, mit welcher Unverfrorenheit Albert seinem Erzbischof entgegengetreten war. Denn Burchard war in seinem Eifer, dem Papst zu gefallen, zu weit gegangen.** Obwohl Papst Clemens die Verfolgung der Templer zunächst ausgesetzt hatte, kündigte Burchard die Verhaftung aller Templer im Erzbistum Magdeburg an. Als schließlich Friedrich von Alvensleben, verhaftet wurde, überschlugen sich die Ereignisse. Adelsfamilien aus Sachsen und dem Anhaltinischen schlossen sich zusammen und verschanzten sich in der Burg Beyernaumburg. Letztendlich mischte sich der brandenburgische Markgraf Waldemar noch ein. Denn seiner Familie gehörten einige bedeutende Tempelherren an.
Die Sonne verschwand gerade hinter dem Bergfried und bald würde sich die Dämmerung über das Land herabsenken. Rudger war zusammen mit Jorge auf der Wehrmauer zur Wache eingeteilt worden. Seit Wochen versuchten die Truppen des Erzbischofs immer wieder bis zur Burg vorzudringen, doch der dichte Pfeilhagel der Verteidiger ließ sie vorsichtig werden und aus der Ferne auf eine bessere Gelegenheit hoffen.
Seit Stunden hatten die beiden Freunde keinerlei Bewegung auf den Feldern unterhalb der Burg wahrgenommen. Jorge setzte sich hinter einer Zinne auf den Boden und sah missmutig vor sich hin.
„Meinst du nicht auch, wir hätten vielleicht doch lieber in Mücheln ausharren sollen, anstatt uns hier den Hintern abzufrieren?“, fragte er Rudger. Ein Frösteln durchfuhr ihn. „Ich sage dir, wenn ich nicht vorher an einer Lungenentzündung sterbe, werde ich in meinem Inneren nie wieder warm werden.“
„Nur mit dem Unterschied, wenn du in Mücheln geblieben wärst, würden dich jetzt bereits die Würmer zerfressen. Bei einer Lungenentzündung hast du eventuell die Chance, zu überleben“, konterte Rudger gelassen. Dabei ließ er seinen wachsamen Blick immer wieder über die Gegend unterhalb der Burg gleiten.
„Ich hätte den Papstschergen schon gezeigt, was ein Templer ist.“
„Ja sicher“, antwortete sein Freund mit leicht ironischer Stimme, ohne Jorge dabei anzusehen. „Doch was hätte es genützt? Glaubst du wirklich, wir hätten gegen die Leute des Erzbischofs auch nur den Hauch einer Chance gehabt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Komtur Gero so leicht den Ordenshof aufgegeben hätte, wäre in ihm selbst auch nur ein Funken Hoffnung gewesen.“
„Und ich hoffe, wir kriegen bald Entsatz, denn nicht nur unsere Vorräte, sondern auch das Wasser gehen bald zu Ende. Ich habe wahrlich keine Lust drauf, meinen Gaul zu fressen.“
„Der wäre damit auch sicher nicht einverstanden. Doch du hast ja noch deine Stiefel“, witzelte Rudger.
Jorge wollte den lahmen Witz seines Freundes kommentieren, da ließ sie ein leises Sirren in ihrer Unterhaltung innehalten. Ein Pfeil flog nur wenige Zentimeter an Rudgers Kopf vorbei und prallte von der Mauer hinter ihm ab. Schnell ließ er sich neben Jorge zu Boden fallen.
„Verdammt. Wo kommt der Pfeil auf einmal her? Ich habe absolut niemanden gesehen.“ Vorsichtig spähte er hinter der Zinne hervor, doch war es in der Zwischenzeit zu dunkel geworden, als dass er wirklich irgendetwas erkennen konnte.
„Wir sollten die anderen alarmieren“, meinte Jorge. „Vielleicht unternimmt Burchard einen erneuten Versuch, unsere Mauern zu erstürmen.“
„Du hast recht. Es wäre wirklich an der Zeit, dass Waldemar ein paar seiner Leute zu unserer Verstärkung schickt.“ Langsam kroch Rudger zu einem Einstieg, der sich auf halber Höhe des Bergfrieds befand. Eine hölzerne Stiege führte hinab in die Wachstube. „Warte hier“, sagte er zu seinem Freund „Ich will schauen, ob die da unten schlafen.“ Dann verschwand er im Innern des Turmes.
„Na toll“, knurrte Jorge vor sich hin. „Jetzt darf ich allein hier im Finstern hocken und muss zusehen, dass mich kein Pfeil dieser elenden Hunde erwischt. Wenn ich wenigstens ein Feuer zum Wärmen hätte.“ Er kroch förmlich in seinen Mantel hinein, doch wurde ihm dadurch auch nicht wärmer. „Wundere dich nicht, wenn ich nachher hier oben an der Mauer festgefroren bin!“, rief er Rudger hinterher, in der Hoffnung, dieser konnte ihn noch hören. Doch der Ritter war bereits die Stiege hinabgeeilt.
In der Wachstube saßen ein paar Ritter und Waffenknechte, die im trüben Schein eines Talglichtes miteinander würfelten. Bei Rudgers plötzlichem Erscheinen blickten sie verwundert auf.
„Was ist los?“, fragte Odo, der Anführer der Wachtruppe.
„Dir ist wohl zu kalt da oben?“, spottete ein dürrer Kerl, dessen strähnige Haare ihm in seine niedrige Stirn fielen. Er stieß ein meckerndes Lachen aus, in das die anderen einfielen. Rudger hatte den Namen des Mannes vergessen, doch war dieser ihm von jeher unsympathisch gewesen. „Jungfer Rudger friert“, höhnte dieser weiter.
„Dir wird gleich das Lachen vergehen“, spie ihm der Ritter entgegen. „Hebt euren Arsch und nehmt eure Waffen auf, anstatt faul hier rumzusitzen“, wandte er sich jetzt auch an die anderen. „Burchard hat vor der Burg Stellung genommen, und ich glaube nicht, dass er dort nur die Aussicht genießt.“ Ohne sich weiter aufzuhalten, rannte Rudger die Treppen weiter hinab, um Gero zu informieren. Endres und Valten, die ihm, durch den Aufruhr aufmerksam geworden, bereits entgegenkamen, schickte er hinauf auf die Zinnen, wo sie ihrem Freund zur Seite stehen sollten.
Seine Worte ließen die Ritter erschrocken aufspringen. Sie schnappten sich ihre Waffen und eilten zur Stiege. In ihrer Hast rempelten sie sich gegenseitig an. Ein metallisches Klirren erklang, als eines der Schwerter zu Boden fiel.
„Was soll das?“, schrie Odo. „Ist das die viel gerühmte Elitetruppe des Abendlandes, vor der sich alle Welt fürchtet? Ihr führt euch auf wie eine Hammelherde, die zur Schlachtbank geführt wird.“
„Mäh, mäh“, äffte der dürre Kerl. Einige lachten. Doch ihr Hauptmann war nicht zu Späßen aufgelegt.
„Das hat Folgen, Benno“, zischte Odo. „Und ihr anderen wollt sicher nicht am Tod eurer Kameraden da oben schuld sein, oder?“
Beschämt kamen die Männer zur Besinnung. Geordnet gingen sie die Stiege hinauf.
„Endlich“, rief ihnen Jorge leise entgegen. „Ich dachte schon, ihr kommt erst, wenn Burchard schon vor uns auf den Zinnen steht.“ Er sah sich suchend um. „Wo ist Rudger?“, fragte er in die Runde.
„Warum? Vermisst du ihn?“, stichelte Benno, der den Ernst der Lage noch immer nicht erkannt hatte, erneut.
Odo schob den Störenfried grob beiseite, dass dieser ins Straucheln geriet. Laut murrend fing sich Benno mit einer Hand an der Mauer ab. Er reckte das Kinn, schob sich die Kettenhaube aus der Stirn und hob demonstrativ den Kopf an.
„Nein, er alarmiert unsere Truppe unten“, wandte sich der Hauptmann an Jorge, ohne den anderen weiter zu beachten. Ein heiserer Schrei hinter ihm ließ ihn unmittelbar darauf wieder herumfahren. Benno lag zusammengesunken an der Mauer, die Augen schreckerstarrt ausgerissen. Doch regte er sich nicht mehr. Ein Pfeil hatte seine Stirn direkt durchbohrt.
„Schnell, verschanzt euch. Es darf keinem gelingen, hier herauf zu kommen, falls sie es versuchen.“ Immer wieder flogen jetzt Pfeile über sie hinweg.
Inzwischen kamen auch die anhaltinischen und brandenburgischen Ritter und ihre Waffenknechte auf die Mauer und begannen sich geordnet auf der gesamten Runde zu verteilen. Ein erneuter Hagel von Geschossen ließ sie schnell Deckung suchen und wie durch ein Wunder war kein weiterer der Verteidiger zu Schaden gekommen. Bisher hatte Burchard immer nur aus der Ferne versucht mit seinen Armbrustschützen die Männer auf den Zinnen zu beschießen. Nie war es ihm gelungen, näher zur Feste vorzudringen. Doch nun schien er seine Taktik geändert zu haben, denn die Pfeile stammten von Bögen, die nur eine kürzere Distanz zu ihrem Ziel überwinden konnten.
„Wir haben in unserer Achtsamkeit nachgelassen“, mahnte Gero von Mücheln, der den anderen Männern voranging. Trotz seines fortgeschrittenen Alters hatten ihn Albert von Blankenburg und Waldemar von Brandenburg gebeten, die Führung der Templer auf der Burg zu übernehmen. Sie selbst stationierten einige Dutzend Kämpfer auf Beyernaumburg. Doch nun war es an der Zeit, Burchard auch von der anderen Seite her zu Leibe rücken, denn den Leuten in der Burg gingen langsam die Vorräte aus.
„Sie scheinen sich nähergeschlichen zu haben“, meinte nun auch Herbert von Tierfeld, ein erfahrener Templer, der Gero schon von Palästina her kannte.
„Schießt zurück“, befahl Gero. „Auch, wenn unsere Pfeile im Dunklen nicht unbedingt ihr Ziel treffen, so wissen sie doch, dass wir wachsam sind.“
Rudger, der mit den anderen wieder heraufgekommen war, stellte sich neben Jorge. Seine Miene war angespannt, spiegelte seine Gefühle im Innern wider. Er brannte darauf, den Schergen des Erzbischofs endlich in einem offenen Kampf entgegentreten zu können. Diese monatelange Warterei zermürbte ihn ebenso wie die anderen. Und wozu das führte, hatte man ja gerade erlebt. Nicht, dass es ihn um Benno persönlich leidgetan hätte. Aber jedes Templerleben, das ausgelöscht wurde, war ein kostbares Leben zu viel.
Die Nacht zog sich endlos hin. Seit dem überraschenden Angriff am frühen Abend hatten die Ritter nichts mehr von den erzbischöflichen Truppen bemerkt. Wahrscheinlich war es nur ein Klopfen auf den Busch gewesen, ganz so, als wollten diese kundtun, dass sie nicht nachgeben und abziehen würden.
Jede Stunde wechselten sich die Männer ab, Wache auf den Zinnen zu halten. Zu zweit patrouillierten sie pausenlos die Mauer entlang, darauf bedacht, stets in ihrer Deckung zu bleiben. Die anderen hockten im Wehrgang, immer gewärtig, mögliche Angreifer zurückzuschlagen. Doch unten auf der Ebene rührte sich nichts.
Rudger erwachte aus einem oberflächlichen Schlaf. Er konnte sich kaum bewegen. Die Feuchtigkeit und die Kälte der Nacht war in seine Knochen gefahren und er fragte sich, wie das die älteren Ritter unter ihnen aushielten. Doch waren sie sicher Schlimmeres gewöhnt. Die Hitze in den Wüsten des Heiligen Landes war, wenn sie in ihren Rüstungen in den Kampf zogen, oft unerträglicher gewesen. Das hatte er am eigenen Leib erfahren. Er streckte sich kurz und erhob sich. Er erhob sich vorsichtig aus seiner Deckung und blickte über die Mauer. Weit und breit war nichts zu sehen. Gerade wollte er sich wieder auf den Boden gleiten lassen, da erhaschte er eine kurze Bewegung in der Ferne, die in der beginnenden Dämmerung des Morgens kaum zu erkennen war. Im ersten Moment hielt er es für eine Sinnestäuschung. Doch dann zeichnete sich am Rand der Ebene ein Trupp Reiter ab, der sich schnell näherte. Rudger versetzte den neben ihm am Boden hockenden Valten mit dem Fuß einen Stoß.
„Verdammt, was soll das?“, fuhr dieser auf. Dann sah er, dass es sein Freund gewesen sein musste, der ihn unsanft angerempelt hatte. Fragend blickte er Rudger an.
„Steh auf.“ Mit einer Bewegung seines Kopfes deutete er in die Richtung der Ebene. „Ich glaube, Reiter nähern sich der Burg. Fragt sich nur, ob es Freund oder Feind ist.“
Inzwischen waren auch die anderen aufmerksam geworden. Die meisten hatten die Nacht hier oben verbracht. Ihre starren Glieder reckend, traten sie im Schutz ihrer Schilde an die Mauer.
Eine Schar von einigen Dutzend Berittener näherte sich im Galopp der Burg. Nun konnten sie auch die Fahne der Brandenburger erkennen, die über ihnen wehte. Da erspähten sie wenige hundert Meter hinter dem Trupp eine dunkle Front, die sich nach und nach in Bewegung setzte. Es mussten an die Tausend Männer sein, die hier auf die Ebene zukamen.
„Bei der Heiligen Jungfrau, wir kriegen Hilfe!“ Jorge, der sich zu ihnen gesellt hatte, sah die anderen mit einem breiten Grinsen an. „Waldemar hat Wort gehalten und schickt uns Truppen.“ Noch einmal starrte er angestrengt in die Ferne. „Bloß, wer sind die Männer, die dort einer Walze gleich den Berg herunterkommen?“ Fragend zog er die Augenbrauen nach oben.
Lautes Geschrei und das heisere Bellen von Befehlen lenkten ihre Aufmerksamkeit in die andere Richtung, dort, wo Burchards Truppen sich bei einer alten Kirche, die der Burg direkt gegenüberstand, verschanzt hatten. Die Kämpfer Markgraf Waldemars bezogen direkt vor den Linien der Magdeburger Stellung. Ihre Schilde wie eine Mauer vor sich stellend, verharrten sie in drohender Haltung. Nach und nach schloss das Fußvolk auf und die Eingeschlossenen in der Burg erkannten einen riesigen bunten, zusammengewürfelten Haufen von Männern, die zum Teil mit Sensen und Heugabeln bewaffnet waren.
„Hol mich der Geier“, sagte Odo. „Das sind Bauern.“ Unglauben zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.
Die Sonne stieg gerade hinter dem Horizont hervor, als ein einzelner Reiter aus dem Lager der Magdeburger auf die Neuankömmlinge zusprengte. In seinen Händen hielt er eine Stange, an der eine weiße Flagge wehte.
„Sie wollen verhandeln“, mutmaßte Endres.
Rudger nickte. „Sieht so aus.“
Auch die anderen Ritter verfolgten mit Spannung, was sich unten vor ihrer Festung abspielte. Der Reiter wurde zu einem Anführer der Brandenburger geführt und verschwand in den Reihen der Männer. Es verging fast eine Stunde, dann ritt er zurück, die Fahne vor sich quer über den Sattel gelegt. Rudger konnte erkennen, wie er in der Kirche verschwand. Wahrscheinlich hatten die erzbischöflichen Anführer dort ihr Hauptquartier eingerichtet. Vielleicht war ja Burchard selbst dort, denn er war als gewalttätiger, rücksichtsloser Mann bekannt, der auch persönlich das Schwert gern führte.
Die Männer auf den Zinnen schienen ihren Augen nicht zu trauen, als die Truppen Waldemars sich ungehindert der Burg näherten, ohne von Burchards Kämpfern bedrängt zu werden. Im Gegenteil – diese schienen sich aufzulösen. Ungläubig beobachteten sie, wie die Magdeburger über die Felder nahezu fluchtartig davonritten.
„Öffnet das Tor!“, rief Gero. „Es ist Waldemar persönlich, der den Männern voranreitet.“
„Seid Ihr Euch sicher, Gero?“, fragte Odo zweifelnd. „Wenn es nun eine List ist?“
„Ich mag zwar älter sein als du, aber meine Augen tun noch gut genug ihren Dienst, Bruder Odo“, konterte der Komtur mit trockener Stimme. „Ich kenne Waldemar. Einer seiner jüngeren Vettern ist vor einigen Jahren den Templern beigetreten. Ich habe ihn damals selbst aufgenommen.“
Bald füllte sich der Hof der Burg mit Reitern und Fußvolk. Doch es passten bei weitem nicht alle ins Innere der Feste, so dass ein großer Teil der Kämpfer sich draußen auf dem Feld niederließ. Rudger war zusammen mit Gero hinuntergeeilt, um die Befreier zu begrüßen.
Seine Aufmerksamkeit fiel auf einen stämmigen Ritter. Er saß auf einem mächtigen Streitross. Ein Helm verhinderte den Blick auf sein Gesicht. Ein langer dunkler Mantel umhüllte ihn und fiel herab bis zu den Steigbügeln. Auf einer Seite hatte er ihn über die Schulter geworfen und gab den Blick auf ein langes Schwert frei, das an seinem Gürtel hing. Demonstrativ hatte er die Hand auf dessen Knauf gelegt und blickte herausfordernd in die Runde, als wolle er allen seine Macht demonstrieren.
Gero eilte dem Ritter entgegen und verbeugte sich ehrerbietig. „Euer Gnaden“, begann er mit sichtlich gerührter Stimme. „Euch schickt der Himmel. Wir hatten uns schon fast damit abgefunden, als arme Sünder vor den Stuhl unseres Herrn treten zu müssen. Doch nun wurde uns der Glaube, auf der richtigen Seite zu stehen, zurückgegeben. Dank Euch und Eurer Verbündeten, die sich nicht gegen die Templer gewandt haben.“
„Erhebt Euch, mein Freund“, sagte Waldemar mit lauter Stimme. „Nicht Ihr müsst vor mir das Knie beugen.“ Er nahm den Helm ab und schwang sich behänd vom Rücken des Pferdes. Waldemar war eher von kleinem Wuchs. Doch seine aufrechte, stolze Haltung kompensierte seine geringere Größe gegenüber den anderen Männern. Er mochte ungefähr dreißig Jahre zählen, dennoch haftete ihm eine jugendliche Ausstrahlung an. Er legte Gero, der wie die meisten Templer größer als viele Männer war, den Arm freundschaftlich um die Schultern, auch wenn er sich dabei etwas strecken musste. „Ich bin es, der Euch und Euren Männern, die unerschütterlich in ihrem Glauben sind, Respekt zollt. Lasst uns hineingehen, Meister Gero. Es gibt ein paar Neuigkeiten, über die wir sprechen müssen.“
Die Glocken des Domes von Halberstadt läuteten in der Abenddämmerung. Langsam bewegte sich der Trupp auf den Bischofspalast zu. Waldemar hatte mit Albert ein Treffen arrangiert, bei dem das weitere Vorgehen gegen den Erzbischof von Magdeburg besprochen werden sollte.
Langsam schloss Rudger zu Gero auf, der neben dem brandenburgischen Markgrafen ritt. Die prächtigen Gebäude, welche sich vor dem Areal des Bischofspalastes ausbreiteten, beeindruckten ihn. Obwohl er im Heiligen Land viele Prachtbauten gesehen hatte, war es in seiner Heimat eher selten, dass man steinerne Häuser in Städten errichtete. In der Regel war es die Holzständerbauweise, die hier vorherrschte und das Fachwerk wurde in unzähligen Varianten erstellt.
„Habt Ihr Kunde von Friedrich von Alvensleben?“, fragte Gero den Markgrafen. Noch hatten sie bisher wenig Gelegenheit gehabt, sich ausführlich zu unterhalten.
„Soviel ich weiß, wird er immer noch im Verließ des Erzbischofspalastes gefangengehalten, zusammen mit einigen anderen Templern, die alle aus hiesigen Familien stammen. Burchard ist sich seiner Sache trotz der gerade erlittenen Niederlage immer noch sehr sicher. Obwohl selbst die Bürger der Stadt Magdeburg mehr als aufgebracht ihm gegenüber sind. Ihr habt es selbst erlebt. Sie sind zusammen mit etlichen Bewohnern der umliegenden Dörfer angerückt, um ihn aus Bayernaumburg zu vertreiben. In Magdeburg selbst hat er also keinen guten Stand.“ Waldemar schnaubte abfällig. „Aber das beste habe ich Euch noch gar nicht erzählt“, fuhr er dann grinsend fort. „Schon im August hat unser Bischof Albert die Exkommunikation des Magdeburgers beim Papst durchsetzen können.“
„Ach, wie das?“, entfuhr es Gero erstaunt. Sie hatten in all den Monaten, die sie in der Feste eingeschlossen waren, keinerlei Informationen von außen erhalten. Nur ihr starker Wille und die Gewissheit, dass etliche Landesfürsten der mittleren und östlichen Landesteile zu ihnen standen, hatten ihnen die Kraft gegeben, durchzuhalten.
„Als Burchard, ohne zu fragen, die zwei Kirchen in der Nähe der Burg besetzt und zu seinen militärischen Zwecken umgebaut hat, ist Albert der Kragen geplatzt. Die Kirchen unterstanden seiner Priorität. Die Entweihung der Gotteshäuser als Kampfplatz gegen die eigenen christlichen Brüder, an deren wahrer Schuld er große Zweifel hegt, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“
„Und wie ist Albert die Posse mit der Exkommunikation gelungen?“, mischte sich Rudger in die Unterhaltung ein. Der Markgraf warf ihm einen kurzen, taxierenden Blick zu. Der junge Ritter gefiel ihm. Er strahlte eine gewisse Selbstsicherheit aus. Und obwohl er Rudger nicht kannte, nahm er auf Grund von dessen stolzer Haltung und des Wohlwollens, was ihm Gero von Mücheln entgegenbrachte, an, dass dieser aus einem edlen Geschlecht stammen musste.
„Nun, mein Freund“, begann er wohlwollend. „Mit seiner Gier, den Templerbesitz an sich zu bringen, ohne auf die Weisungen des Papstes zu hören, hat er den gesamten Klerus im Reich gegen sich aufgebracht. Dem Mainzer Erzbischof stach es auch ins Auge, dass Burchard die Anordnungen des Papstes missachtete und damit die Autorität der heiligen Kirche als Ganzes in Frage stellte. Nicht, dass die anderen große Templerfreunde sind, aber ...“
„Bei Gott nicht“, warf Gero dazwischen. „Aber ihnen missfiel es, dass der Magdeburger sich vor der großen Verteilung die besten Pfründe selbst ergattern wollte. Papst Clemens hat die gerichtliche Verfolgung der Templer ausgesetzt, damit geprüft wird, ob sie der weltlichen oder der kirchlichen Gerichtsbarkeit zuzuführen sind. Nun, und so was kann dauern. Jahre, wenn es sein muss. Das erschien Burchard sicherlich zu lang, und er hat kurzerhand selbst die Initiative ergriffen.“
„Ja, und als Albert von Halberstadt seine Amtsbrüder in Köln und Mainz um Unterstützung gegen Burchard bat, haben sie ihm dabei geholfen, die Exkommunikation beim Papst zu erreichen“, ergänzte Waldemar.
„Der Papst erkennt also die Unschuld der Templer an?“, fragte Rudger mit angehaltenem Atem. Sollte der Wahnsinn wirklich vorbei sein?
„Nein, leider nicht“, fuhr Waldemar fort. „Schon im August hat er eine Bulle verabschiedet, dass die Verfolgung der Templer auch im Reich mit aller Macht voranzutreiben sei. Und inzwischen munkelt man, dass sich auch Peter von Aspelt, der Erzbischof von Mainz, der Bulle angeschlossen hat und den Begünstigern der Templer ein Inquisitionsverfahren anhängen will. Noch schert sich der König einen Dreck um die Weisung des Papstes. Auch der französische König ist ihm weitestgehend egal. So dass der Orden hierzulande relativ sicher ist. Allerdings weiß man nicht, wie lange er diese Haltung aufrechterhält.“
Rudger sah, wie seine Hoffnungen zerplatzten. Wie würde der Landgraf von Thüringen, der auch Markgraf von Meißen war, zu den Dingen stehen? Auch zwei von Friedrichs Vettern waren Mitglieder des Ordens. Doch hatte er selbst keine Truppen gesandt, um die Belagerer der Feste Beyernaumburg zu vertreiben. Auch der König hielt sich vornehm zurück.
„Das Beste, worauf wir hoffen können, ist, dass sich auch die anderen Landesfürsten bei der Verfolgung eurer Brüder zurückhalten“, sprach Waldemar Rudgers Gedanken laut aus. „Doch ob sich die Kirchenfürsten und die Klöster daran halten, steht in den Sternen. Viele von ihnen sind papsttreu und wollen ihre Ruhe haben.“ Er schaute Rudger offen ins Gesicht und ein bitterer Zug erschien um seinen Mund. „Nicht immer ist das Denken der Kirchenfürsten gottgefällig.“
„Also ist es reine Bequemlichkeit, wenn sie ohne zu murren den Weisungen ihres Pontifex Maximus folgen“, stellte Rudger fest und sprach dabei mehr zu sich selbst als zu den anderen.
„Oder ihre Gier, sich selbst an unserem Besitz zu bedienen“, meinte Gero bitter. „Ihnen war es schon immer sauer aufgestoßen, dass wir Templer es verstanden haben, vor allem bei Geldgeschäften die Nase vorn zu haben. Der Orden hatte Philipp ja quasi in der Hand.“
„Was uns letztendlich auch zum Verhängnis geworden ist“, knurrte Rudger verärgert.
„Nur, dass der Orden keine unermesslichen Reichtümer angehäuft hat, wie es die meisten vermuten. Wir haben immer alles in unsere Unternehmungen gesteckt. Und nicht zuletzt der Papst und die Herrscher des Abendlandes haben davon profitiert“, verteidigte sich Gero.
„Was euch allerdings auch nichts genützt hat, mein lieber Gero“, meinte Waldemar lapidar.
In der Zwischenzeit waren sie am Bischofpalast angekommen. Rudger hatte schon davon gehört, dass ein Amtsvorgänger Alberts während des vierten Kreuzzuges vor über einhundert Jahren bei der Plünderung Konstantinopels große Reichtümer ergattert hatte und sie nach Halberstadt bringen ließ. Der Schatz, welcher in den Tiefen des Doms lagerte, sollte den Gerüchten nach unermesslich sein, was Rudger angesichts der prächtigen Steinmetzarbeiten und der vielen wunderbaren Glasfenster am Dom, die die Geschichte der Bibel nachzeichneten, ohne weiteres glauben mochte.
Im Hofe des Palastes trennten sie sich von Waldemar. Meister Gero und seine Brüder erhielten in einem Nebengebäude ein Quartier zugewiesen. Waldemar wollte sich mit dem Bischof und einigen Abgesandten der Fürsten treffen und sie später über den Ausgang der Gespräche informieren.
„Was hast du Rudger?“, fragte Endres seinen Freund. „Du starrst seit einer Ewigkeit auf die Tür zum Audienzsaal. Ganz so als würdest du sie durch pure Willenskraft zwingen wollen, aufzugehen.“
Rudger atmete tief durch. Seit Stunden standen sie hier vor der Tür zu den Räumen des Erzbischofs. Am frühen Vormittag waren Markgraf Waldemar und Fürst Albert von Brandenburg zu Burchard gegangen, um mit ihm über die Bedingungen einer Freilassung Friedrichs von Alvensleben und seiner Mitgefangenen zu verhandeln. Nun war es bereits Nachmittag und noch immer hatte sich keiner blicken lassen.
Dann endlich waren hinter der Tür zum Audienzsaal Stimmen zu hören. Rudger und Endres gesellten sich zu Meister Gero, Jorge und Valten, die auf einer Bank unter einem der großen bleiverglasten Fenster saßen. Der Komtur erhob sich etwas umständlich. Die letzten Monate hatten an seiner Kraft gezehrt. Doch gab er sich noch lange nicht geschlagen und seine Miene zeigte eine tiefe Entschlossenheit.
„Nun denn“, begann er. „Wollen wir beten, dass, wenn jetzt diese Tür aufgeht, Friedrich von Alvensleben erscheinen wird.“ Hoffnungsvoll schweifte sein Blick zum Eingang des Audienzsaales. Dennoch spürten die jungen Templer das Gefühl der Unsicherheit, das von Gero ausging.
Die Flügel der Tür schwangen auf. Der Erzbischof von Magdeburg trat mit versteinerter Miene heraus, dicht gefolgt von Albert und Waldemar, auf deren Gesichtern ein zufriedener Ausdruck lag.
„Wo ist Friedrich?“, fragte Endres. „Sie werden doch nicht etwa gescheitert sein?“
„Schau dir Waldemar an. Er grinst wie eine Katze, die den Sahnetopf entdeckt hat. Bestimmt ist er frei“, gab Rudger zurück.
Burchard blieb stehen und winkte einen seiner Ritter, die vor der Tür Stellung bezogen hatten, zu sich heran. Flüsternd redete er eine Weile auf den Mann ein, dessen Miene Verwunderung ausdrückte. Dann verbeugte dieser sich und eilte durch eine kleine Seitentür aus dem Saal. Burchard nickte den Fürsten kurz zu, dann verschwand er wieder und die Tür zum Audienzraum schloss sich hinter ihm.
Mit großen Schritten kam Waldemar auf sie zu. Ein breites Lächeln zeigte sich jetzt offen auf seinem Gesicht. „Wir haben ihn!“, rief der Markgraf von Brandenburg voller Überschwang. „Friedrich wird in diesem Moment freigelassen. Und mit ihm alle Ordensbrüder, die seit dem Frühjahr verhaftet worden sind.“
Teil 2
YWEN