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Kapitel 5
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Juli 1308
Das Donnern von schweren Hieben gegen das Tor des Ordenshofes riss Rudger aus einem unruhigen Schlaf. Benommen setzte er sich auf und lauschte. Wieder schlug jemand mit voller Gewalt gegen die Pforte. Draußen auf dem Gang hörte er Schritte. Noch bevor er sich von seinem Lager erhoben hatte, wurde die Tür aufgerissen, und Gero erschien mit vor Bestürzung verzerrter Miene im Schlafraum der Ritter.
„Schnell, steht auf!“, rief er voller Verzweiflung. „Wir werden angegriffen!“
Durch den Lärm geweckt, schreckten jetzt auch die anderen Männer von ihren Schlafplätzen hoch. Fragend schauten sie den Komtur an, bis erneutes Getöse vom Torhaus zu ihnen drang. Die Ritter sprangen in Windeseile von ihrem Lager und fuhren in ihre Stiefel. Dann schnappten sie sich ihre Schwerter, die ohnehin neben ihrer Lagerstatt lagen und versammelten sich um Gero.
„Lasst uns zum Tor eilen. Wir müssen es sichern. Ich glaube, es sind die Waffenknechte des Erzbischofs von Magdeburg.“
„Woher wollt Ihr das wissen?“, fragte Rudger. „Immerhin hat der Papst angeordnet, zunächst nicht mit Waffengewalt gegen die Templerniederlassungen vorzugehen.“
„Rudger, sei nicht naiv“, fuhr ihn Gero ungeduldig an. „Was glaubst du, interessiert es den Klerus, was diese Marionette von einem Papst anordnet? Der verkriecht sich hinter Philipp und hofft, dass der Kelch an ihm vorüber geht. Und wenn die geistlichen Herren fette Pfründe wittern, sind sie alle gleich.“
„Gehören wir nicht dem gleichen Klerus an?“, gelang es Rudger noch voller Ironie zu fragen, bevor sie am Torhaus anlangten. Gero warf ihm nur einen genervten Blick zu, dann schwang er sein Schwert und rannte Richtung Tor, dessen hölzerne Flügel bereits unter den schweren Hieben erzitterten.
„Lange können wir es nicht mehr halten“, rief ihnen Bruder Martin, der Torwächter, entgegen.
„Wir müssen Gero von hier fortbringen“, flüsterte Endres Rudger zu. „Er darf nicht in die Hände des Erzbischofs fallen.“ Rudger nickte. Mit kurzen Blicken verständigte er sich mit seinen drei Freunden. Dann umzingelten sie Gero von Mücheln und wollten ihn in Richtung des hinteren Hofes drängen.
„Was zum Teufel macht ihr?“, fragte der Ritter ungehalten. „Wir müssen das Torhaus verteidigen!“
„Nein“, meinte Valten knapp. „Wir haben die Aufgabe, Euch vor den Häschern des Papstes zu retten.“
„Verdammt. Ich lasse mich von euch nicht wie einen unreifen Jungen behandeln. Wenn ihr der Meinung seid, dass wir dem Papst Paroli bieten, dann lasst uns kämpfen. Oder wollt ihr eure Brüder hier im Stich lassen?“ Wütend starrte er seine jungen Ritter an.
Immer wieder hatte sie in den vergangenen Monaten die Kunde von Verhaftungen der Templer in den Ordenshöfen im Rheinland und anderen Teilen des Reiches erreicht. Die Erzbischöfe von Mainz und Köln gingen dabei zwar, im Gegensatz zu ihrem Magdeburger Amtskollegen, nur sehr zögerlich vor, dennoch vermieden sie es, sich dem Papst zu widersetzen. Was aus ihren Ordensbrüdern in diesen Gebieten geworden war, wusste Rudger allerdings nicht. Sie hatten gehört, dass ihre Besitzungen einbehalten worden waren, mehr noch, sogar ihre Familien wurden ihres Besitzes beraubt. In welchem Ausmaß es jedoch zu solchen Übergriffen gekommen war, konnte ihnen hier in Mücheln niemand genau sagen. Aber die Lage wurde immer ernster, denn der Erzbischof von Magdeburg, unter dessen Einflussbereich sie hier standen, ging mit harter Hand gegen die Templer und ihre Familien vor. Doch dass sie so schnell vor den Toren Müchelns stehen würden, hatte keiner geahnt.
Bei Rudgers Weggang aus Wichmannsdorf hatte Friedrich von Alvensleben den jungen Templer gebeten, das Leben Geros von Mücheln zu beschützen. Eine Verhaftung des Komturs sollte unbedingt verhindert werden. Doch konnten sie Gero jetzt schlecht eins über den Schädel ziehen und ihn mit Gewalt fortschleppen. Etwas ratlos standen die vier Ritter um ihren Meister herum. Er hatte ja recht. Wie konnten sie ihre Brüder jetzt hier im Stich lassen. Wenn sie gingen, wären es fünf Männer weniger, die sich den erzbischöflichen Schergen entgegenstellen konnten. Damit würde der Ordenshof zu einer leichten Beute für die Magdeburger.
Rudger erhob die Hand und gebot seinen drei Freunden Einhalt, denn noch immer versuchten sie Gero den Weg zum Torhaus zu versperren.
„Lasst es gut sein“, wies er seine Gefährten an. Sie traten von Gero zurück, dennoch blieb ihre Haltung angespannt.
„Verzeiht Meister“, wandte er sich an den Komtur. „Wir wollten Euch keine Gewalt antun. Doch der Ordensmeister hat uns Euer Leben anvertraut. Was liegt also näher, als Euch aus der Gefahrenzone zu bringen?“ Ein schiefes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Doch Gero funkelte ihn immer noch wütend an. Auch Endres, Jorge und Valten murmelten eine Entschuldigung. Sie waren nicht ganz einverstanden damit, dass sich Gero nicht zum Rückzug überreden ließ. Allerdings sahen sie sich gezwungen, seinem Befehl, ihn in Ruhe zu lassen, Folge zu leisten.
Wortlos wandte sich Gero ab und eilte in Richtung Tor. Den vier Rittern blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. In dem Moment, als sie an der Pforte ankamen, zerbarsten die Flügel des Tores, und fast ein Dutzend Reiter sprengte in den kleinen Hof.
„Was denken die sich?“, schrie Valten. „Dieses Lumpenpack soll zu spüren bekommen, wen sie hier vor sich haben!“ Die Sorge um Gero war vorerst vergessen. Jetzt zählte nur noch, die Eindringlinge aufzuhalten und niederzumachen. Valten schwang sein Schwert und rammte es dem Kerl, der siegessicher auf ihn zugerannt kam, in den Wanst. Mit einem ungläubigen Staunen auf dem Gesicht sackte dieser leblos in sich zusammen. Doch Valten zog ungerührt seine Waffe aus dem Körper des Mannes, nur um es blitzschnell erneut gegen einen zweiten Angreifer zu erheben. Mit einem lauten Schrei erwischte er auch diesen.
„Lass uns noch paar übrig!“, schrie Endres und sein breites Grinsen verlieh ihm beinahe etwas Diabolisches.
Der Torwächter hatte sich in eine Ecke verzogen und beobachtete das Geschehen mit furchtsamer Miene. „Herr im Himmel, erlaube nicht, dass diese Schergen des Teufels unseren Ordenshof in ihre Hände kriegen.“ Doch nach und nach reifte in ihm die Erkenntnis, dass auch die Ritter seines Ordens mehr teuflischen Gesellen als Menschen aus Fleisch und Blut glichen. Verzweifelt schlug er die Hände vors Gesicht.
Im Schein der Fackeln, die in Halterungen im Torhaus angebracht waren, blitzten die Schwerter der Kämpfenden auf. Immer wieder sausten die Klingen hernieder, die Schreie der Getroffenen erfüllten den Hof, das Klirren der aufeinandertreffenden Waffen hallte von den Wänden wider. Dann war es plötzlich still. Die Eindringlinge lagen erschlagen am Boden.
Bruder Martin lugte vorsichtig zwischen seinen Fingern hindurch. Er sah, wie der Komtur schwer atmend in gebeugter Haltung auf sein Schwert gestützt neben einem Gefallenen stand. Doch schien dieser eine Mann noch am Leben zu sein.
„Macht ein Ende mit ihm, Meister, wie mit den anderen“, hörte er Valten sagen.
Gero schüttelte nur stumm den Kopf. Langsam richtete er sich auf. Sein Blick schweifte über den Kampfplatz. Er holte tief Luft, dann wandte er sich an seine Ritter. Trotzig blickte ihm Valten entgegen.
„Es wird nicht der letzte Angriff des Magdeburger Erzbischofs auf unser Anwesen gewesen sein. Wir werden unsere Verteidigung stärken müssen.“
„Sollen sie ruhig über uns herfallen, sie werden uns nicht besiegen“, meinte Valten wütend. Er schien vergessen zu haben, dass er noch wenige Augenblicke zuvor seinen Komtur aus Mücheln fortbringen wollte.
„Nein“, sagte Rudger leise. Doch in seiner Stimme schwang Bestimmtheit mit. Die anderen ihn starrten sprachlos an. „Glaubt ihr wirklich, Burchard von Schraplau wird zaghafter gegen uns Templer vorgehen als sein Amtsvorgänger Heinrich? Der neue Erzbischof von Magdeburg ist für seine Hörigkeit dem Papst gegenüber bekannt. Und dieser hat unter dem Einfluss Philipps von Frankreich der Vernichtung unseres Ordens nichts entgegenzusetzen.“
„Und was rätst du uns, was wir tun sollen? Haben wir denn eine andere Wahl, als unsere Tore und Mauern zu verstärken und darauf zu hoffen, dass die Bürger der Stadt Halle und die Bauern hier uns beistehen?“, fragte Gero, doch schien in seiner Stimme Resignation mitzuschwingen.
„Genau, lasst uns kämpfen. Sollen sie doch kommen, die Schergen Burchards!“, rief Valten ungestüm.
„Ich sage Euch, was wir tun werden“, meinte Rudger. „Wir verschwinden von hier.“
„Was!“
„Das kann nicht dein Ernst sein!“
„Du machst Scherze!“ Die Ritter starrten ihn ungläubig an, als wären ihm mit einem Mal zwei Köpfe gewachsen.
„Lache ich etwa?“, fragte Rudger mit eisiger Stimme, die den anderen einen Schauer über den Rücken sandte.
„Hört auf“, befahl jetzt Gero, der sich wieder gefasst zu haben schien. „Natürlich werden wir unsren Besitz gegen unsre Feinde verteidigen.“ Herausfordernd blickte er Rudger an. Auch die Ritter, welche schon seit längerer Zeit zum Müchelner Hof gehörten, stellten sich schützend um ihren Komtur.
„Was glaubst du, wer du bist, Rudger?“, fragte der ältere Haymo von Gerbstädt hasserfüllt. Er trat ganz nah an Rudger heran und sah ihn herausfordernd an. „Du hast hier nichts zu bestimmen“, knurrte er böse. „Der Führer unseres Ordens ist Gero und nicht irgendein namenloser Ritter, dessen Herkunft uns nicht einmal bekannt ist.“ Er spuckte seine Worte förmlich aus. Feindseligkeit schien sich breitzumachen. Die Stimmung schlug unter dem Einfluss des gerade bestandenen Kampfes langsam um.
„Ich stamme aus einem reichsfreien, fränkischen Adelsgeschlecht, was du allerdings nicht von dir behaupten kannst.“ konterte der junge Templer. „Deine Familie steht unter der Fuchtel des Magdeburger Erzbischofs. Ah, da fällt mir ein ...“. Langsam und hochmütig ließ er seinen Blick über Haymo streifen. „War deine Familie nicht in irgendeine Bischofsfehde verwickelt? Ihr habt Euer Lehen dereinst von Erzbischof Heinrich von Assel erhalten, stimmt`s? Jetzt scheint der Ort ja nur noch eine Wüstung zu sein. Sag, wo haust deine Familie? Bist du deshalb Templer geworden, weil du keine Heimstatt hast?
„Meine Heimat ist das anhaltinische Gerbstedt, und das weißt du ganz genau. Nimm den Mund nicht zu voll, Rudger, sonst ...“
„Brüder, lasst uns nicht streiten. Dafür ist die Situation viel zu ernst“, versuchte Gero die erhitzen Gemüter zu beruhigen.
„Nein, Meister, lasst ihn ausreden. Sonst ...?“, wandte er sich wieder an Haymo. „Wirst du mich sonst dem Magdeburger ausliefern?“
„Rudger!“ Nun war es auch Endres zu viel geworden. Was war nur in seinen Freund gefahren? Er zeigte sich doch sonst nicht so streitsüchtig. Es konnte nur an ihrer verfahrenen Situation hier liegen.
„Ich befehle euch, Ruhe zu halten!“, rief Gero jetzt auch mit energischer Stimme.
„Ihr habt den Haufen hier nicht mehr im Griff, Komtur“, fuhr Haymo seinen Meister respektlos an. „Wenn Ihr es einem dahergelaufenen Grünschnabel erlaubt, hier Unruhe zu stiften, müssen wir eventuell überdenken, ob Ihr noch der richtige für das Amt hier seid.“
Rudger hob sein Schwert und stellte sich vor Gero. Doch der schob ihn energisch beiseite.
„Ich bin mir sicher, dass es die Nachwehen des Kampfes sind, die dich solche Reden führen lassen, Bruder Haymo“, sagte er zu seinem Ritter. „Doch jetzt lasst uns in die Kapelle gehen. Wir wollen für unseren Orden und sein Weiterbestehen beten. Den Verwundeten hier bringt ins Refektorium“, wies er zwei Mönche an. „Ich werde mich später mit ihm befassen. Und die anderen armen Schlucker begrabt an der Friedhofsmauer. Sie haben ein christliches Begräbnis verdient, folgten sie doch nur dem Befehl ihres Herrn.“ Damit wandte er sich um und ging schnellen Schrittes in Richtung Kapelle. Die Ritter folgten ihm zögernd.
Vor dem Altar drehte sich Gero zu seinen Männern um. Seine Miene war düster. „Ich habe noch einmal nachgedacht, und ich sage euch eins, Brüder. Auch wenn es mir schwerfällt, das zuzugeben, ich glaube, wir können Mücheln nicht mehr lange halten.“ Ein Raunen ging durch die Reihen.
„Nein, lasst mich ausreden.“ Gero hob beschwörend die Hände. „Vorhin, im Angesicht des Kampfes hat mich unser alter Geist beflügelt. Doch je mehr ich mir die Sache durch den Kopf gehen lasse, desto mehr komme ich auch immer zu demselben Schluss. Wir haben im Moment keine wirkliche Chance gegen den Erzbischof. Heute hat er, in der Gewissheit, leichtes Spiel zu haben, nur wenige Männer geschickt. Doch wird sich das ändern. Ihr habt selbst von den Gerüchten gehört. Viele unserer Brüder im Reich sind verhaftet und ihres Besitzes beraubt worden.“
„Und was habt Ihr vor, Meister?“, fragte nun auch der junge Berno von Arnstein, der Spross eines edelfreien Adelsgeschlechtes.
„Er wird sich feige verstecken“, höhnte Haymo.
Rudger fuhr blitzschnell zu ihm herum und versetze ihm einen Schlag, so dass der andere zu Boden ging. Augenblicklich kam Haymo wieder auf die Füße und wollte sich auf Rudger stürzen. Doch Endres und Jorge hielten ihn fest.
„Das wirst du mir büßen. Noch hat mich keiner ungestraft geschlagen, kein Heide und auch kein Christ!“, zischte Haymo.
Doch Gero fuhr energisch dazwischen. „Du hast es wiederholt gewagt, mich zu beleidigen. Glaubst du, das lasse ich einfach so durchgehen? Noch bin ich dein Meister und du hast mir zu gehorchen.“
„Um Himmels Willen, Brüder. Warum streiten wir im Angesicht der Bedrohung, der wir uns entgegenstellen müssen? Meister, bestimmt hat es Haymo nicht so gemeint. Wir sind nur durcheinander, weil keiner weiß, wie es weitergehen soll.“ Jorge sah die Ritter beschwichtigend an.
„Lasst uns beten“, sagte Gero nur und ging auf die Knie. Den anderen blieb nichts weiter übrig, als seinem Beispiel zu folgen. Auch Haymo fügte sich widerwillig. Und bald senkte sich eine Stille über die Knienden, in der wohl jeder für sich selbst über die Geschehnisse der vergangenen Stunde nachdachte.
Noch am Abend verhörte Gero von Mücheln den verwundeten Ritter des Erzbischofs. Doch ließ er ihn, entgegen der Forderungen seiner Mitbrüder, wieder auf freien Fuß, damit er seinem Herrn berichten konnte, dass sich die Templer nicht einschüchtern ließen. Die Ritter beschlossen, sich zunächst auf die Verteidigung des Ordenshofes einzurichten, auch wenn Rudger und seine drei Freunde dagegen waren. Doch die anderen sahen in einer Flucht vor dem Erzbischof den Verrat an ihrem Orden. Gero schwankte, wem er Gehör schenken sollte. Jedoch wurde ihm die Entscheidung bereits am nächsten Morgen abgenommen.
Die Sonne sandte gerade ihre ersten Strahlen in den Hof des Ordenshauses, als ein einsamer Reiter im Habit der Ordensbrüder vor dem Tor erschien. Der Mann ließ sich entkräftet vom Rücken seines ungesattelten Pferdes gleiten und wankte auf den Eingang zu. Der Wächter, welcher ihn schon seit einigen Minuten hatte heranreiten sehen, eilte, um ihn einzulassen. Dieser einzelne, erschöpfte Mann sollte wohl keine Bedrohung für den Orden darstellen.
„Ich muss mit dem Komtur sprechen“, japse der Reiter nach Luft ringend. „Es gibt Nachricht von unserem Ordensmeister, Friedrich von Alvensleben.“ Matt lehnte er sich an seinen Gaul, dessen Zügel er noch immer in den Händen hielt. Bruder Martin rief einen der Laienmönche, die die Pferde der Ritter versorgten, herbei und übergab ihm das Tier. Dann führte er den Mann ins Refektorium, wo sich die Templer versammelt hatten, um das weitere Vorgehen für die nächsten Tage zu besprechen. Rudger und Haymo saßen sich mit kampfeslustigen Mienen gegenüber, jeder den anderen taxierend. Das Gesicht Komtur Geros wirkte verfallen und gealtert. Noch hatte er den verbalen Angriff auf seine Person durch den anhaltinischen Ritter nicht verwunden. Er würde ihn später für seine Respektlosigkeit zur Rede stellen. Aber auch die jüngsten Ereignisse waren nicht spurlos an Gero vorbeigegangen.
Aller Blicke richteten sich auf die Eintretenden. Der Komtur sprang auf, hatte er in dem Mann einen der Ordensritter aus Wichmannsdorf erkannt.
„Wolf von Jesnitz!“, rief er voller Erstaunen. „Was führt dich nach Mücheln, Bruder?“ Dann bemerkte er den Zustand des Ritters. „Was ist passiert, Wolf? Bringst du Nachricht von Friedrich?“
Endres, der den Ritter immer als einen zuverlässigen Kampfgefährten erlebt hatte, rückte schnell einen Stuhl heran, auf den sich der ältere mit einem dankbaren Nicken niederließ. „Verzeiht, wenn ich Euch nicht den gebührenden Respekt erweise, Meister Gero, aber ich bin, so schnell ich konnte, direkt von Wichmannsdorf hierher geritten. Ich bringe schlechte Kunde. Truppen des Erzbischofs von Magdeburg haben unser Ordenshaus angegriffen. Etliche Brüder wurden feige erschlagen. Unseren Ordensmeister haben sie, wie ein Stück Vieh an einem Strick hinter sich her schleifend, zusammen mit den anderen Brüdern, die überlebt haben, mitgenommen.“
Einer der Mönchsbrüder reichte Wolf einen Becher mit heißem, gewürztem Wein, ein Luxus, den sich die Brüder sonst nur zur kalten Jahreszeit gönnten. Angesichts ihrer bedrohlichen Lage hatte der Küchenmeister beschlossen, ihnen allen etwas Gutes zu tun, denn die Gewürze im Wein würden ihre Lebensgeister wecken.
Gierig trank Wolf einen Schluck. Resigniert schaute er in die Runde. „Es gelang Friedrich noch, mir zuzuraunen, dass ich Euch warnen soll. ‚Gero darf nicht in die Hände unserer Feinde fallen. Das Tor zum Osten muss geschützt bleiben’, konnte er mir unbemerkt zuflüstern. Ich schaffte es, mich ungesehen davonzuschleichen, der Tumult war zu groß. Die Magdeburger konnten nicht alles im Blickfeld haben. Ich rannte, so schnell es ging, zu den Stallungen, schnappte mir ein Ross, ohne mich erst damit aufzuhalten, es zu satteln. Dann bin ich losgeritten. Doch haben mich zwei der Schergen gesehen. Am Anfang liefen sie mir nach, hatten aber keine Pferde, mich zu verfolgen. Allerdings vermute ich, sie ahnen, wohin ich geritten bin.“
„Wir hatten hier auch schon Besuch“, warf Valten sarkastisch dazwischen. „Wir werden ihnen erneut einen gebührenden Empfang bereiten.“ Er lächelte kalt.
„Ich fürchte, sie werden in der Übermacht sein, mein Freund“, sagte Wolf. „Burchard hat eine große Streitmacht zusammengezogen und scheut sich nicht, mit ganzer Kraft gegen die Templer vorzugehen. Unsere Ordenshöfe hier in der Mitte des Reiches sind nur schwach besetzt, da von hier aus selten Unternehmungen in das Heilige Land organisiert wurden. Auch wenn die Gebiete nach Böhmen hin jetzt immer dichter besiedelt sind, waren es doch von jeher eher unsere Brüder im Geiste, die Deutschherren, welche sich um die Kolonisation der Slawen bemüht haben.“
„Du hast recht, Bruder Wolf“, begann Gero und hob resigniert die Schultern. „Auch ich befürchte langsam, dass wir hier mit zu wenig Männern und Waffen ausgerüstet sind und den Kämpfern des Erzbischofs wenig entgegenzusetzen haben. Zudem erhielten wir Nachrichten darüber, dass man unsere Familien bedrängt und ihnen sogar mit der Enteignung ihrer Güter droht, falls sie uns unterstützen oder Unterschlupf gewähren.“
„Ich schätze, sie werden Friedrich und unsere gefangenen Mitbrüder nach Magdeburg auf die Burg des Erzbischofs bringen. Man munkelt von tiefen Verliesen, in denen manch unliebsamer Gegner Burchards gefangen säße. Wollen wir zu Gott beten, und alles stellt sich schließlich als ein großes Missverständnis heraus“, meinte Wolf, doch wollte er selbst nicht so recht an seine eigenen Worte glauben.
Rudgers Herz krampfte sich zusammen. Mit Schrecken dachte er an Bruder Anselm. Der sanfte, gutmütige Mönch, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, würde wenig Gegenwehr erbracht haben. Ob er wohl noch am Leben war?
„Was wird jetzt passieren?“, fragte der junge Berno von Arnstein. „Was wollen wir tun, Meister?“, wandte er sich an Gero, der wie versteinert auf einem Schemel neben Wolf saß.
Schon schien es, als hätte er die Frage gar nicht gehört, da ging ein Ruck durch seinen Körper. Mit fast abwesendem Blick schaute er die Ritter und Priesterbrüder nacheinander an. „Wir werden uns in alle Winde zerstreuen“, sagte er und tiefe Traurigkeit schwang in seiner Stimme mit.
Ein Sturm der Entrüstung erhob sich und die Ritter und ihre Mitbrüder riefen empört durcheinander.
„Wir sind keine Feiglinge, die sich bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten wie getretene Hunde verkriechen“, stieß Haymo voller Wut hervor. „Wollt Ihr wirklich, dass wir vor der Christenheit unser Gesicht verlieren?“, bellte er seinen Meister an.
„Ich fürchte, das haben wir bereits“, sagte Gero mit tonloser Stimme. „Spätestens als der Papst dem Drängen Philipps von Frankreich nachgegeben hat und nichts zu unserer Verteidigung unternahm, glaubt alle Welt den Anschuldigungen des Königs. In den Augen der aufrechten Christen sind wir Gotteslästerer und Häretiker, schlimmer noch, gelten wir als vogelfrei. Es ist jedem gestattet, sich an unserem Vermögen zu vergreifen und uns nach dem Leben zu trachten. Und diejenigen, die uns unterstützen, erwartet dasselbe Schicksal. Was sollten wir deiner Meinung nach, Bruder Haymo, anderes tun können?“
„Der Erzbischof von Mainz steht auf unserer Seite. Er hat sich gegen die Verfolgung unseres Ordens ausgesprochen“, beharrte Haymo.
„Was nützt uns das, wenn Burchard anderer Meinung ist?“, fuhr ihn Valten wütend an. „Sollen wir uns hier zur Schlachtbank führen lassen, wie die Opferlämmer?“
Bevor Haymo etwas entgegnen konnte, erfasste Wolf das Wort.
„Brüder. Ich denke auch, es ist das beste, wenn wir uns vorerst zerstreuen. Soll sich Burchard doch den Besitz unseres Ordens aneignen. Wir nehmen unsere Waffen sowie die Pferde und warten den geeigneten Zeitpunkt ab, wo wir uns mit vereinten Kräften zur Wehr setzen können. Viele der Fürsten haben sich gegen den Papst gestellt. Und das Erstarken der französischen Krone ist auch nicht in deren Sinne. Glaubt mir, Brüder. Eine andere Wahl haben wir im Moment nicht.“
„Und wohin sollen wir gehen?“, fragte Berno voller Verzweiflung. Der Gedanke an seine Familie und dass diese unter den Repressalien des Erzbischofs zu leiden hatte, legte sich wie ein Stein auf sein Herz.
„Ich würde vorschlagen, wir gehen nach Halberstadt. Bischof Albrecht ist ein ausgemachter Feind des Magdeburgers. Schon seine Amtsvorgänger haben sich einen feuchten Kehricht um die Maßgaben ihrer Kirche geschert. Ich erinnere nur an die Plünderung Konstantinopels vor über einhundert Jahren, wo der Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk einen der größten Schätze der Christenheit angehäuft und in seinen Dom verschleppt hat.“ Trotz der angespannten Lage konnte Wolf sich eines Lächelns nicht erwehren.
„Und warum soll ausgerechnet der uns helfen wollen?“, fragte Haymo verdrießlich.
„Weil er es nicht gern sieht, wie seine Magdeburger und Mainzer Brüder im Amte ihn in seinen Rechten und seinen Pfründen beschneiden. Und außerdem, was geht ihn der König von Frankreich an? Er muss zusehen, dass er sich mit dem Thüringer Landgrafen, der ja auch der Herr der Mark Meißen ist, gutstellen kann. Denn nur eine friedliche Nachbarschaft zu diesem gewährt ihm eine gewisse Narrenfreiheit. Wir wissen, Markgraf Friedrich ist beileibe kein Freund des Franzosen. Und, der Halberstädter will seinen erzbischöflichen Kontrahenten ebenbürtig sein, obwohl sein eigenes Bistum klein ist. Dabei ist der Mainzer ihm lieber als der Magdeburger. Denn dieser sitzt um einiges weiter entfernt unten am Main als Burchard hier oben an der Elbe.“
„Nun gut, dann sollten wir uns beeilen“, meinte Endres, der die ganze Zeit zusammen mit Jorge im Hintergrund gestanden hatte. Seinem Freund war anzusehen, dass ihm die Entwicklung der Dinge nicht gefiel. Er war mit Leib und Seele ein Kämpfer Gottes gewesen. Doch was sollte er jetzt, wenn der Orden zerschlagen war, tun? Wo konnte er hin? Seine Familie hatte keinen Platz für ihn. Auch wollte er sie nicht in Gefahr bringen. Die Verzweiflung stand Jorge ins Gesicht geschrieben.
„Du hast recht, Bruder Endres. Die Magdeburger werden nicht lange warten, bis sie mit der Verfolgung aller Templer beginnen. Wir müssen versuchen, Kontakt zu unseren Familien aufzunehmen. Vielleicht gelingt es uns, eine Streitmacht auf die Beine zu stellen, die Burchard in die Knie zwingen wird, und er unsere Brüder wieder freilassen muss.“
„Ja, ich bin auch zu dem Schluss gekommen, dass das unsere einzige Chance ist“, meldete sich Gero endlich wieder zu Wort. Mit ihm war eine sichtliche Veränderung vor sich gegangen. Auf einmal wirkte er viel jünger und stärker. Die Aussicht auf Hoffnung hatte ihm neue Kraft verliehen.
Wieder ganz der alte befahl er seinen Mitbrüdern, sich für den bevorstehenden Aufbruch zu rüsten. Sie wollten die Waffen aus der Rüstkammer mitnehmen und ein wenig Proviant, der ihnen ein paar Tage des Überlebens sicherte. Sofort ließ er Briefe aufsetzen, die dann von einigen der Brüder zu den Familien der Ritter geschickt werden sollten. Nein, ganz so einfach wollten sie es ihren Feinden nicht machen. Sie waren schließlich Templer – die gefürchtetsten Kämpfer der Christenheit!