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1.2.4 Gender Studies

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Angesichts der bemerkenswerten Anzahl neu auftretender Frauenfiguren in Oehlenschlägers Roman – bei einem insgesamt wesentlich kleineren Figurenarsenal als im Prätext – stellt sich die Frage, ob Weiblichkeit in den IS einen anderen Stellenwert habe als in Schnabels WF. In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass neuere theoretische Konzepte wie die Gender Studies auf die Komplexität und Vielschichtigkeit der vermeintlich unproblematischen Begriffe „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ aufmerksam gemacht haben. Die Differenzierung zwischen biologischer und soziokulturell konstruierter Geschlechtsidentität führt, bezogen auf die Literaturwissenschaft, zu einer Reihe von Fragestellungen, die sich mit der Darstellung bzw. Inszenierung von Männer- und Frauenfiguren im Spannungsfeld der Konstruktion von Sex und Gender auseinandersetzen.1

Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Repräsentation von Weiblichkeit und Männlichkeit in ihrer Historizität zu untersuchen ist, da „der konstruktivistische Blick insgesamt eine historische Perspektive geradezu einfordert“ (Frevert 1995: 14).

Die Fülle von Reflexionen über die Zuschreibungen männlicher und weiblicher Wesensart, die besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schon fast überwältigende Dimensionen annahm, zeigt vor allem Versuche, aus bestimmten Interpretationen physiologischer Geschlechterdifferenz psychische und charakterliche Merkmale des Weiblichen zu konstruieren und festzuschreiben. Die so entstandene „Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘“ (Hausen 1976)2 wurzelte in politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen, die durch die geschlechtsspezifischen Deutungen anatomischer Befunde nun auch naturwissenschaftlich untermauert wurden; gleichzeitig schuf diese Polarisierung ihrerseits neue, von einer rigorosen Geschlechtertrennung bestimmte Verhältnisse. Die Etablierung der Geschlechterdichotomie stand im Dienst der Erhaltung der bestehenden patriarchalischen Machtverhältnisse, deren Fundament durch das Streben nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ aller Menschen erschüttert zu werden drohte. Dies war der eigentliche Grund, weshalb die „Naturgegebenheit“ der weiblichen Andersartigkeit und, darauf basierend, auch die Notwendigkeit einer bestimmten geschlechtsspezifischen Rollen- und Aufgabenzuweisung bewiesen werden musste, was unter grossem Aufwand theoretischer Schriften aus allen Bereichen der Wissenschaften auch geschah. Wie Claudia Honegger aufgrund eingehender Quellenstudien darlegt, setzte um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Schaffung einer eigentlichen „weiblichen Sonderanthropologie“ ein, mit der physiologisch nachgewiesen werden sollte, dass die geringere physische Stärke der Frau eine grössere nervliche Sensibilität zur Folge hatte, woraus die Notwendigkeit bzw. Berechtigung abgeleitet wurde, der Frau spezifisch „weibliche“ Tätigkeitsbereiche zuzuweisen (Honegger 1996). Der Autorin zufolge lautet die Quintessenz verschiedener moral-physiologischer Schriften aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: „Die Frau ist ein Wesen für sich, mit einer eigenen Körperlichkeit, eigenen Krankheiten, eigenen Sitten, eigener Moral und eigenen kognitiven Fähigkeiten“ (Honegger 1996: 166).3

Diese historischen Gegebenheiten der Situation von Sex und Gender sollen einbezogen werden, wenn nach dem Stellenwert der vermehrten Neuschaffung von Frauenfiguren in den IS gefragt wird; dabei ist allerdings zu bedenken, dass literarische Figuren nicht zwingend Befunde wissenstheoretischer Schriften widerspiegeln müssen. Zu fragen wäre in diesem Zusammenhang etwa nach Bildern oder Konzepten, welche die binäre Opposition männlich – weiblich allenfalls durchkreuzen, die Geschlechtergrenzen verschieben, die „Ordnung der Geschlechter“ destabilisieren. Eine für die vorliegende Arbeit ebenfalls relevante Frage ist, ob sich Oehlenschlägers Roman auch im Hinblick auf männliche und weibliche Stimmen als polyphon erweist: Wird den Frauenfiguren eine genuin eigene Stimme zugestanden, oder dominiert männliche Monophonie?4 Für die Behandlung dieser und ähnlicher Fragen liesse sich auch psychoanalytisches Gedankengut einbeziehen, u.a. wenn es darum geht, die für die Konstruktion der Geschlechtsidentität verantwortlichen Mechanismen und Strategien offenzulegen.

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