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1.2.2 Übersetzungswissenschaft

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Dass die Übersetzung als solche ihrem Wesen nach ein intertextuelles Phänomen ist, bedarf keiner weiteren Erklärung und ist in der Intertextualitätsforschung trotz unterschiedlicher Richtungen und Konzepte unbestritten. Sie kann als „Spielform der Intertextualität“ eingestuft werden, wie dies Werner von Koppenfels bezogen auf die literarische Übersetzung tut (Koppenfels 1985: 138), indem er KristevasKristeva, Julia Konzept der Intertextualität als „absorption et transformation d’un autre texte“ (Kristeva 1969: 85) auf diesen „generischen Sonderfall“ eingrenzt (Koppenfels 1985: 138). GenetteGenette, Gérard kategorisiert die Übersetzung als „Transformation“ und gliedert sie in die Unterkategorie der „ernsten Transformation“ ein, die er auch als „Transposition“ bezeichnet: „Die augenfälligste und sicherlich verbreitetste Transpositionsform besteht darin, einen Text aus einer Sprache in eine andere zu übertragen: Das ist natürlich die Übersetzung […]“ (Genette 1993: 289). Gleich zu Beginn seiner Ausführungen erwähnt er die zweisprachigen Schriftsteller, die ihr Werk in zwei Versionen verfassen, indem sie es gleichzeitig in zwei Sprachen hervorbringen oder im Nachhinein selbst übersetzen. Der Hinweis steht im Zusammenhang mit der Betonung der Bedeutung des Übersetzens für die Literatur, denn einerseits müssten ja die Meisterwerke [der verschiedenen Literaturen] übersetzt werden, andrerseits würden Übersetzungen oft selbst wieder zu Meisterwerken, wofür er Beispiele von Dichtern anführt, die Werke anderer Dichter übersetzten (Genette 1993: 289). Damit knüpft er im Übrigen an eine der drei Kategorien des Übersetzens an, die NovalisNovalis (Friedrich von Hardenberg) aufgestellt hatte, nämlich an die des „verändernden Übersetzens“, wozu der „höchste poetische Geist“ nötig sei; der wahre Übersetzer müsse „der Dichter des Dichters sein und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Idee zugleich reden lassen können“ (Novalis 1962: 353).

In der Folge geht GenetteGenette, Gérard jedoch auf diese Thematik nicht weiter ein, sondern widmet seine kurze Darstellung der für die Übersetzungswissenschaft nach wie vor zentralen Frage der Übersetzbarkeit. Die Diskussion der synchronen Transposition von einer Sprache in eine andere ergänzt er dabei um eine diachrone Dimension, womit die Probleme gemeint sind, die sich in der Übersetzung durch die Unterschiede zwischen den historischen Entwicklungsstufen der Sprachen ergeben können. Moderne Übersetzungen antiker oder mittelalterlicher Texte bewirkten, dass der Leser die historische Distanz im sprachlichen Ausdruck nicht nachempfinden könne, was allerdings, wie Genette einräumt, im Fall der Antike z.B. für französische Leser ohnehin nicht möglich wäre (Genette 1993: 292–294). Sein Bedauern darüber weist ihn implizit als Vertreter oder doch als Sympathisant der verfremdenden Übersetzung aus, d.h. jener Richtung, welche die Ausgangssprache gegenüber der Zielsprache favorisiert und ihre Eigenart in der Zielsprache wahrnehmbar machen möchte. Diese Strategie vertritt SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich in seinem grundlegenden Vortrag „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens.“1 Er bietet darin eine theoretische Systematisierung des Übersetzens vor allem philosophischer und literarischer Texte, das gerade in seiner Zeit überaus eifrig betrieben wurde und dem deutschen Lesepublikum den Zugang zu einer Vielzahl berühmter Werke anderer Literaturen eröffnen sollte. SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich unterscheidet bekanntlich zwei Übersetzungsmethoden, die „einbürgernde“ und die „verfremdende“, wie man sie heute nennt, wobei er unbedingt für die zweite eintritt, denn nur durch eine Übersetzung, die als solche erkennbar bleibe, könne der Leser ein Bewusstsein für das Andere, für die fremde Kultur der Ausgangssprache entwickeln und dadurch eine Bereicherung der eigenen Sprache und Kultur erfahren. Schleiermacher sieht eine solche Dynamik auch generell für die deutsche Sprache: „[…] so fühlen wir auch, dass unsere Sprache […] nur durch die vielseitigste Berührung mit dem fremden recht frisch gedeihen und ihre eigne Kraft vollkommen entwickeln kann“ (Schleiermacher 2002: 92). Am Ende seiner Ausführungen würdigt er die zahlreichen Übersetzungsbemühungen seiner Zeit: „Ein guter Anfang ist gemacht, aber das meiste ist noch übrig. […] Wie sehr schon einzelne Künstler die Schwierigkeiten theils besiegt, theils sich glücklich zwischen ihnen durchgewunden haben, liegt in mannigfaltigen Beispielen vor Augen“ (Schleiermacher 2002: 92–93). Damit deutet er die rege Übersetzertätigkeit der zeitgenössischen Schriftsteller an, auf die explizit schon NovalisNovalis (Friedrich von Hardenberg) hingewiesen hatte: „[…] indem es fast keinen deutschen Schriftsteller von Bedeutung gibt – der nicht übersetzt hätte und wahrlich darauf so viel sich einbildet, als auf Originalwerke, […].“2Schlegel, August WilhelmNovalis (Friedrich von Hardenberg)Shakespeare, William

Oehlenschlägers intensive Übersetzungsarbeit, die der Autor während seiner ganzen schriftstellerischen Laufbahn betrieb, steht also in einem literaturgeschichtlichen Kontext, in welchem das Übersetzen fast selbstverständlich zur schriftstellerischen Tätigkeit gehörte. Dies betrifft neben umfassenden Selbstübersetzungen vor allem seine – ebenfalls umfangreichen – Übersetzungen anderer Autoren aus verschiedenen Sprachen ins Dänische. Das Spektrum reicht von Catull, Properz, Ovid über Petrarca, ShakespeareShakespeare, William (u.a. Sommernachtstraum), GoetheGoethe, Johann Wolfgang von (u.a. Götz von Berlichingen, Reineke Fuchs, Hermann und Dorothea), SchillerSchiller, Friedrich von (diverse Gedichte) bis zu TieckTieck, Ludwig (zweibändige Ausgabe von dessen Werken in Auswahl) und dem schwedischen Dichter Bernhard von Beskow (die Tragödien Torkel Knutsson, Kung Birger och hans ätt).3 Zu erwähnen ist hier auch die 1816 erschienene zweibändige Märchenanthologie Eventyr af forskiellige Digtere, die Märchen und märchenhafte Legenden von Musäus, Fouqué, Grimm, Tieck, Uhland, KleistKleist, Heinrich von u.a. enthält, sowie die aus dem Altisländischen übersetzte Velents Saga.4 Ein von der zeitgenössischen Übersetzungstradition abweichendes Unternehmen stellt Oehlenschlägers Übersetzung von HolbergsHolberg, Ludvig Komödien ins Deutsche dar, die er 1822/23 zum hundertjährigen Jubiläum von Holbergs „Danske Skueplads“ herausgab. 1844 fügt er diesem Grossprojekt eine deutsche Bearbeitung von Johan Herman Wessels Tragikomödie Kjærlighed uden strømper von 1772 hinzu, eine Parodie der klassizistischen französischen Tragödie, die er dem deutschen Leser mitteilen will.5

Die Vermittlung zwischen Sprachen, Kulturen, Dichtungs- und Gattungstraditionen erscheint als zentrale, verbindende Funktion dieser äusserst vielfältigen, heterogenen Übersetzertätigkeit, die ausserdem noch, wie erwähnt, den Sonderfall der Selbstübersetzung6Baggesen, Jens umfasst: Oehlenschläger hat den weitaus grössten Teil seines Gesamtwerks selber ins Deutsche übertragen.7Schleiermacher, Friedrich Eine spezielle Form dieser Autotranslation bilden jene Werke, die er, wie z.B. Die Inseln im Südmeere, zuerst auf Deutsch verfasste und anschliessend in seine Muttersprache „übersetzte“.8 Der Roman lässt sich daher in seiner Zweisprachigkeit nicht ohne weiteres anhand der Kriterien gängiger Übersetzungstheorien erfassen, die mehrheitlich auf der Basis „normaler“ Übersetzungsprozesse entstanden sind, d.h. sich auf Texte beziehen, die von einer anderen Person als dem Autor übersetzt wurden. Eine Forschungsrichtung der neueren Übersetzungswissenschaft stellt allerdings die Unterscheidung zwischen Selbstübersetzern und Übersetzern in Frage, da letztlich beide ein vergleichbares Verfahren benützten; es besteht jedoch auch eine Gegenposition, die dafür plädiert, Selbstübersetzer von der Übersetzungsthematik losgelöst als Autoren zu betrachten, die ihr eigenes Werk umschreiben („rewriting“; vgl. Boyden/De Bleeker 2013: 180). Diese beiden Positionen bilden die Eckpunkte eines Feldes, in dem u.a. Fragen nach der Motivation, der Funktion sowie der Zeitversetztheit resp. Gleichzeitigkeit der Selbstübersetzung eines Autors untersucht werden.9

Bei Oehlenschläger ist die Sachlage insofern komplizierter, als er die Rollen des Übersetzers und Selbstübersetzers in einer Person vereint, und ausserdem beide Übersetzungsformen in seinem Roman anwendet, indem er ihn nicht nur in zwei Sprachen verfasste, sondern auch Texte, vor allem Gedichte, verschiedener Herkunft darin integrierte, die er je nach Sprache in eine der beiden Versionen oder in beide übersetzte. Man kann diese pluritranslatorischen Phänomene auch als potenzierte Polyphonie betrachten, indem verschiedenste Stimmen im Roman hörbar werden und der Autor selber gewissermassen mit zwei Stimmen spricht, wodurch er einen intensiven kulturellen Transfer nicht nur zwischen zwei Sprachen, sondern aus einer Vielzahl verschiedener Kulturen in die dänische und/oder die deutsche Sprache generiert.

Am besten geeignet zur Untersuchung dieser Textsituation erscheint mir der Ansatz der Descriptive Translation Studies, vor allem ihre prozessorientierte Blickrichtung und ihre Tendenz, „den Übersetzungsprozess als ein komplexes Ensemble von intertextuellen und interkulturellen Beziehungen innerhalb einer bestimmten historischen Situation aufzufassen“ (Apel/Kopetzki 2003: 60). Die Einstufung der Selbstübersetzung als „Fortschreibung eines Werks“ (Lamping 1992: 216), als offene, für gegenseitige Ergänzungen und Veränderungen der Sprachen durchlässige Struktur könnte Hinweise für eine adäquate Beschreibung der Dynamik von Oehlenschlägers Roman im intertextuellen Beziehungsgeflecht zwischen verschiedenen Sprachen, Literaturen, Schauplätzen, etc. liefern. Stellenweise sollen aber auch andere, mehr sprachwissenschaftlich ausgerichtete Konzepte der Übersetzungsforschung beigezogen werden.

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