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1 Einleitung 1.1 Gegenstand der Untersuchung

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Das Werk Die Inseln im Südmeere/Øen i Sydhavet stellt im umfangreichen dichterischen Œuvre Adam Oehlenschlägers eine Seltenheit dar: Es ist der einzige Roman dieses Autors. Oehlenschläger als Romancier – eine Vorstellung, die für seine Zeitgenossen1 etwas Befremdliches haben musste, galt der Dichter doch seit seinen frühen, mit Begeisterung aufgenommenen Werken Digte, St. Hansaften-Spil und Aladdin als begabter, ja begnadeter Lyriker und Dramatiker, dies trotz ebenfalls schon in jungen Jahren verfasster Prosatexte wie der 1805 in einem Band zusammen mit Aladdin herausgegebenen, auf der Vǫlundarkviða der Liederedda basierenden Vaulundurs Saga, dem orientalischen Märchen Aly og Gulhyndy in der Sammlung Digtninger von 1811 oder der Novellensammlung Digtninger II von 1813. Diese Werke erlangten, obwohl teilweise noch in der sogenannten „Blütezeit“ von Oehlenschlägers Schaffen entstanden, nicht den gleichen Status wie seine frühen Gedichte und Dramen. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass sich Oehlenschlägers oft virtuose Sprachkunst in den Prosawerken nicht in gleicher Weise entfalten konnte wie in seinen Versdichtungen. Einer solchen Ansicht widerspricht jedoch – meines Erachtens zu Recht – die Analyse von Flemming Lundgreen-Nielsen und Mogens Løj, die einige der erwähnten Prosastücke in die zwölfbändige, zum 200-jährigen Jubiläum von Oehlenschlägers Geburtstag veranstaltete Werkausgabe aufnahmen und dem Autor in ihrem Vorwort eine nuancenreiche, gestalterisch bewusste Prosakunst attestieren (Lundgreen-Nielsen/Løj 1987: 7–16). Diese wurde aber offensichtlich von der Mehrheit der zeitgenössischen Leserschaft nicht wahrgenommen, was vielleicht einer traditionellen, aber eigentlich bereits im Laufe des 18. Jahrhunderts veraltenden Auffassung geschuldet ist, wonach Verse in der Dichtkunst ein höheres Ansehen haben als Prosa. Die Literaturwissenschaftlerin Lise Præstgaard Andersen fragt sich angesichts der Tatsache, dass Oehlenschläger nur einen einzigen Roman verfasste, ob der Autor in seinem Innersten nicht selber geglaubt habe, wahre Dichtung müsse in poetischer, d.h. gebundener Form geschaffen sein (vgl. Præstgaard Andersen, o.J.). Betrachtet man die insgesamt recht reichhaltige Prosaproduktion Oehlenschlägers, zu der auch verschiedene Übersetzungen gehören, so scheint diese Frage nicht wirklich berechtigt.

Doch trifft es zu, dass der Roman in zeitgenössischen Leserkreisen keine günstige Aufnahme fand, was sicher auch damit zusammenhing, dass er in den 1820iger Jahren entstand, d.h. zu einer Zeit, da Oehlenschläger seit längerem mit der sinkenden Akzeptanz seiner Publikationen zu kämpfen hatte. Zudem entsprach der Roman kaum der Lesererwartung, die der Titel geweckt haben dürfte: Es handelt sich bei dem Werk weder um einen Abenteuerroman noch um eine der damals beliebten Reiseerzählungen aus der Südsee, sondern um ein in Romanform dargebotenes textuelles Konglomerat aus einer Fülle von kunsttheoretischen Reflexionen, Prätexten, Zitaten, Binnenerzählungen, lyrischen Einlagen etc., das Ganze konstruiert auf dem Fundament von Schnabels Wunderlichen Fata und fast gleichzeitig in zwei Sprachen veröffentlicht – kurz, ein aus heutiger Sicht vielschichtiges und im Ablauf seiner mehrfachen Umgestaltung dynamisches Textgebilde, das in der Forschung bisher – wie ich meine, zu Unrecht – nur wenig Beachtung fand.

In der Vorrede zu seinem Roman Die Inseln im Südmeere2Cotta, Johann Friedrich beschreibt Oehlenschläger, wie sich seine Beziehung zu Schnabels Wunderliche Fata einiger Seeleute (besser bekannt als Insel Felsenburg)3 entwickelte und veränderte. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hatte er den Roman als Kind auf Dänisch gelesen; diese Vermutung legen eigene Aussagen über seine Sprachkenntnisse nahe, z.B.: „Ich war zwölf Jahre alt geworden […]; ich las nur dänisch“ (Selbstbiographie 1829, 1: 12).4 Diese Lektüre, die ihn in seiner Kindheit und Jugend begeistert hatte, inspirierte ihn damals zu mancherlei Phantasiebildern, die mit dem Gelesenen verschmolzen und sich zu etwas Neuem formten, weshalb ihn der ursprüngliche Roman bei einer späteren Lektüre enttäuschte. Er fand darin nur noch „einige schöne mit Kreide flüchtig hingeworfene Skizzenzüge“, die „mit Oehlfarbe ausgemahlt (sic) zu werden verdienten“ (IS I: IX).5Schmidt, Arno In diesen Worten liegt ein Schaffensplan, eine Art Poetik, die darauf abzielt, Schnabels Buch, das nun bloss noch als blasse, flüchtig geschriebene Kreideskizze empfunden wurde, zu einem farbigen Ölgemälde zu gestalten. Das Bild ist nicht neu: Wenige Jahre vor dem Erscheinen des Inselromans hatte Oehlenschläger im Vorwort zu seiner deutschen HolbergHolberg, Ludvig-Übersetzung das Verhältnis des Komödiendichters zu dessen Vorbildern (im Hinblick auf Jacob von Tybo) mit fast denselben Worten umschrieben: „Dann kann man aber auch wohl sagen, dass sich Holberg’s Stück zu jenen Plautischen und Terenzischen Scenen verhält, wie ein vollendetes Oelgemälde zu Skizzen, mit Kreide flüchtig hingezeichnet“ (Holberg’s Lustspiele 1822–1823, I: XV; gesperrt im Original, kursive Hervorhebung JM.) Auch für Holberg soll mit der Kontrastierung von Kreide und Ölbild die geringe Abhängigkeit seiner Dichtung vom Prätext betont werden. Eines der Ziele der vorliegenden Arbeit ist es, zu untersuchen, in welcher Weise sich die Umsetzung dieser Poetik in Oehlenschlägers Roman konkretisiert, was für ein „Bild“ diese „Ausmalung der Skizzenzüge“ entstehen lässt.

Am Ende seiner Vorrede gibt Oehlenschläger eine weitere Erklärung zur Schaffung seines Romans:

Da die Handlung hier meist in Deutschland spielt, und die Personen meistens Deutsche sind, habe ich auch diese Dichtung, wie den Correggio, zuerst deutsch geschrieben, und es ist keine Uebertragung aus dem Dänischen. […] ich weiss, dass ich auch Gönner und Freunde in Deutschland habe, die ihren dänischen Blutsverwandten, wenn auch mit etwas fremdem Accente, gern sprechen hören. (IS I: XIII–XIV; gesperrt im Original)

Das Zitat weist in eine Richtung, der ich in meiner Arbeit gern folgen möchte: Es deutet die zweisprachige Produktion des Autors an, welcher den grössten Teil seines voluminösen Gesamtwerkes selber auf Deutsch übersetzte, einige Dichtungen aber, wie im Zitat erwähnt, zuerst in deutscher Sprache verfasste.6 Nähe und Distanz, die sich im Hinweis auf die Blutsverwandtschaft und den fremden Akzent ausdrücken, zeigen den Autor als einen Grenzgänger „zwischen den Sprachen“ (Blödorn 2004),7 der sich nicht auf eine einzige Sprache festlegen möchte, sondern die Polyphonie, die Mehrstimmigkeit, den vielfältigen Klang bevorzugt. Tatsächlich liegt ja in der Erwähnung des Sprechens „mit etwas fremdem Accente“ die Andeutung einer von der Normalität, vom Standard leicht abweichenden Sprache, einer Variante also, die dem Zweiklang deutsch – dänisch eine weitere Tonalität hinzufügt. Auf dieser polyphonen Basis des Romans entwickeln sich in der Folge weitere Fassungen, die ihrerseits den Text vervielfältigen, dynamisieren, einem Prozess der fortwährenden Umformung aussetzen, an der nicht nur der Autor, sondern auch spätere Herausgeber beteiligt sind, d.h. auch die Urheberschaft des Textes gestaltet sich im Lauf der Zeit polyphon.

Dass neben Schnabels Roman – dem deklarierten Prätext – noch eine Vielzahl weiterer Prätexte, intertextueller Beziehungen, Gattungsmischungen, Erzählerstimmen, etc. die Gestalt von Oehlenschlägers Text bestimmt, lädt dazu ein, diesen insgesamt als polyphones Phänomen zu betrachten und der für den Text zentral erscheinenden Mehrstimmigkeit eine Untersuchung zu widmen, welche die verschiedenen textuellen „Stimmen“ herausarbeiten und aufzeigen soll, ob sich die These bestätigt, wonach dieser Roman eindeutige Zuordnungen auf mehreren Ebenen unterläuft und zudem in seiner Entstehungszeit neuartige literarische Verfahren für die Textproduktion fruchtbar machte.

Die Konzepte der Polyphonie und Dialogizität im Sinne BachtinsBachtin, Michail M. bilden die theoretische Basis der vorliegenden Untersuchung; sie sollen jedoch gleichzeitig für andere Theorien geöffnet werden, besonders für die eng mit Bachtins Auffassungen verbundene und teilweise von ihnen herstammende Intertextualität. Die Verbindung wird explizit hergestellt in Julia KristevaKristeva, Julias Aufsatz „Le mot, le dialogue et le roman“, der ihre vielzitierte Definition der Intertextualität enthält:

Chez BakhtineBachtin, Michail M. […] ces deux axes, qu’il appelle respectivement dialogue et ambivalence, ne sont pas clairement distingués. Mais ce manque de rigueur est plutôt une découverte que Bakhtine est le premier à introduire dans la théorie littéraire: tout texte se construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et transformation d’un autre texte. A la place de la notion d’intersubjectivité s’installe celle d’intertextualité, et le langage poétique se lit, au moins, comme double. (KristevaKristeva, Julia 1969: 85; kursiv im Original)8Kristeva, JuliaBachtin, Michail M.

Bei Bachtin werden […] diese beiden Achsen, die er Dialog respektive Ambivalenz nennt, nicht klar unterschieden. Aber dieser Mangel an Stringenz ist eher eine Entdeckung, die Bachtin als erster in die Literaturtheorie einführt: Jeder Text konstruiert sich als ein Mosaik aus Zitaten, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle der Idee der Intersubjektivität tritt jene der Intertextualität, und die poetische Sprache liest sich mindestens als eine doppelte.9

Ergänzend zu BachtinsBachtin, Michail M. und KristevasKristeva, Julia theoretischen Überlegungen werden für die Textanalyse auch weitere Intertextualitätskonzepte sowie Erkenntnisse der Übersetzungsforschung, der Psychoanalyse und der Gender Studies beigezogen. Die Polyphonie bildet also nicht nur den Gegenstand der Arbeit, sondern ist bis zu einem gewissen Grad auch dem methodischen Zugang eingeschrieben. Im Folgenden sollen die verschiedenen, meiner Arbeit zugrunde gelegten Theoriekonzepte kurz vorgestellt werden.

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