Читать книгу Licht am Ende vom Filz - Julianne Becker - Страница 10
Und ich habe mich so gefreut!
ОглавлениеAm nächsten Tag drängte es mich, meine Göttin anzuziehen. Dafür brauchte ich Informationen, ich hatte ja eigentlich keine Ahnung von Göttinnen und was die sie so anzogen. Von meiner Schwester, die wunderschöne Skarabäen-Käfer aus grünen Edelsteinen gravierte und mir einmal einen Skarabäus mit der Isis auf der Rückseite schenkte, wusste ich nur, dass es sich bei der Isis um eine ägyptische Göttin handelte, aber das war's auch schon. Ich hatte mich in diesem Leben noch nie damit beschäftigt.
Wie wurde Isis dargestellt im alten Ägypten? Welche Farben, welche Symbole begleiteten sie? Denn nun musste ich ja sehen, wie es weiterging. Also zog ich hochmotiviert los in die Berliner City und fand auf dem Weihnachtsmarkt am Potsdamer Platz einen Stand mit ägyptischen Motiven. Und dort kaufte ich alles, was der an Isis zu bieten hatte: Zwei Stofftaschen, eine Papyros-Zeichnung und einen Henkelkaffeebecher.
Gleich darauf betrat ich ein Einkaufszentrum und in meinem Ungeschick schlug die Tasche heftig gegen die Drehtür. Upps! Der Henkel am Becher zersplitterte laut und mir war, als hätte das eine Bedeutung, um mich herum spürte ich zudem ein Feld von Zorn. Zu Hause angekommen, zündete ich mir eine Kerze an, packte die gekauften Sachen aus und fragte nach innen, was los sei. Ich spürte wieder diesen puren Zorn, so mehr die Kraft selbst ohne irgend einen Zerstörungswillen, es ließ sich schlecht beschreiben. Diesmal aber als Stimme in mir und ich hörte deutlich:
„Ich bin Isis. Wie kannst du annehmen, dass eine patriarchale Souvenir-Kultur dir sagen kann, wie ich aussehen will? Was sollen diese alten Symbole und Farben? Ich bin zu dir gekommen, damit du mich so machst, wie ich jetzt aussehen will. Also höre mir zu!“
Whow! Was für eine Kraft floss da in mir! Und Isis hatte ja so recht. Betroffen warf ich alle Souvenirs weg und befragte stattdessen meine innere geliebte Isis, was sie anziehen wolle. Und fortan hielt ich mich daran. Einen Vormittag z. B. waren wir beide nur unterwegs, um Kissen für ihren Thron zu kaufen, die sie aber hinterher alle wieder verwarf. Die Göttin hielt mich sehr anspruchsvoll und königlich-weiblich in Atem, und in ihrer "edlen" Kompromisslosigkeit erinnerte sie mich ein wenig an Lady Africa.
Aber mittlerweile war es Dezember und ich fühlte mich nicht mehr in der Lage, ihre Wünsche weiter zu erfüllen, es lagen noch einige Bestellungen vor, die ich zu Weihnachten versprochen hatte und so setzte ich die noch gesichtslose Puppe mit dem Einverständnis der Göttin auf einen provisorischen Thron, hüllte sie in Tücher und vertröstete sie bis ins nächste Jahr.
Es war in der Woche vor meinem Geburtstag im Januar und ich hatte, wie ich glaubte, schon wirklich alle Verletzungen durch Männer in diesem Leben erneut durchlebt und losgelassen, und es bestand da wohl auch ein Zusammenhang zu den Themen "Göttin" und "Seelenpartner". Seit Sanat Kumaras Bemerkung zu Tom ließ ich außerdem all meine Sehnsüchte und Wünsche betreffend eines Partners hochkommen, ohne sie gleich wieder zu verdrängen, und außerdem trauerte ich um die vielen vergeblichen Hoffnungen, die ich mir in diesem Leben schon gemacht hatte.
Meine Geburtstagsstimmung hatte mich gerade in eine kindliche Vorfreude bezüglich Seelenpartner versetzt, in die Gewissheit, das würde nun werden mit Tom und mir, als Sanat Kumara unvermittelt in einer Plauderei zu mir sagte:
"Tom hat sich für eine andere Frau entschieden."
Was? Ich konnte es nicht fassen. Ich fragte nach. Ja, war er denn nun mein Seelenpartner oder nicht?
"Doch, Tom ist dein Seelenpartner, aber er hat sich für eine andere Frau entschieden. Das kommt vor."
Hatte ich das nicht verdient, so viel Glück? Offensichtlich nicht. Na klar, so war es doch schon immer in meinem Leben gewesen.
"Tom hat sich für eine andere entschieden!"
Schon in mein Poesiealbum hatte mir eine Schulkameradin damals geschrieben:
">Und ich habe mich so gefreut!< sagst du vorwurfsvoll, wenn dir eine Hoffnung zerstört wurde. Du hast dich gefreut, ist das nichts?"
Hatte dieses Mädchen geahnt, wie mein Leben verlaufen würde? Und nun das! Die aufgestiegenen Meister hatten mich doch ganz einfach verarscht! Meiner Freundin Sabeth, die gerade anrief, sagte ich, dass ich gerade schon wieder das ätherische Button am Pullover trage, auf dem steht:
"Channeln, nein danke!"
Ich war wütend, traurig, kurzum: Ich tobte schon wieder. Und heulte, heulte und heulte. Natürlich wird der Leser jetzt sagen, ja, wen hat sie denn da gechannelt, aber das muss ich als eine unzulässige Frage entschieden von mir weisen, denn ich hatte genügend Channelings erlebt, um für mich zu erkennen, dass man keinem die absolute Autorität geben sollte, jedes fühlte sich etwas anders an, sagte etwas anderes oder schon wieder das Gleiche. Aber vor allem hatte ich keine Lust mehr darauf, mir unausgesprochen unterstellen zu lassen, dass ausgerechnet ich kein sauberer Kanal sei. Nicht einmal von mir selbst! Es könnte schließlich ja auch an den anderen liegen und außerdem, die hätten es mir vielleicht auch noch bestätigt, was Sanat Kumara mir da sagte...
Aber wie sollte ich das nun einordnen? Ich kannte natürlich die Ausreden von Medien (Channel), wenn nicht eintraf, was sie vorhergesagt hatten: Der andere habe sich eben umentschieden und wäre nicht seiner Seele und damit seiner besten Lebensspur gefolgt. Aber was sollte dann das ganze Konzept von Seelenpartner, wenn dann sowieso alles so lief wie im übrigen Leben? Ich witterte plötzlich eine wichtige Einsicht.
Vielleicht war das ja genau die erste und dusseligste Idee von meiner Seele gewesen, diese Idee mit dem Seelenpartner, die Idee einer besonderen Beziehung? Möglicherweise war das ja erst die Ursache dafür, dass ich überhaupt in die hiesige unangenehm-angenehme Realität abstürzte? Hatte ich nicht im Laufe meines Lebens gründlich gelernt, dass ich all meine Liebesdramen nicht zu persönlich nehmen sollte? Eine spontane Stimmigkeit nach innen mit meiner Seele stand doch immer im Widerspruch zu jeder besonderen Beziehung.
Eigentlich spürte ich zum Beispiel, ich sollte in klarer frischer Waldluft spazieren gehen, aber ein wichtiger Mensch feierte genau an diesem Tag Geburtstag, also verschob ich das, was meine Seele gemeinsam mit meinem Körper für dringend wichtig erachtete, nämlich den Spaziergang, auf später. Und dieses später war manchmal nie. Und ich dachte wieder daran, dass St. Germain einmal zu mir sagte, ursprünglich sei der Mensch hier mit seiner Seele verbunden unterwegs gewesen und hätte sich nicht erst nach dem Tod mit ihr verbunden, da hätte es auch noch kein Astralreich gegeben, und das entstand auch erst, als die Menschen ohne Seelenverbindung nicht nur lebten, sondern auch noch starben.
Ich hatte in meinem Leben gelernt, immer mehr besondere Beziehungen loszulassen. Ich musste deshalb nicht auf Beziehungen verzichten, aber dieser besondere, verbindliche Charakter musste doch auch im Moment stimmen, denn nur in jedem einzelnen Moment war ich lebendig, nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft. Mein Leben und ich selbst wurden sonst zu einer Schattenexistenz, gesteuert von Terminkalendern und Bedürfnissen der anderen um mich herum. Und um mich davor zu schützen, musste ich mich dann sogar mit mir selbst terminlich verabreden, das muss man sich mal vorstellen, es war an Absurdität nicht zu überbieten: In meinem Notizbuch stand dann: Samstag. Zehn Uhr, Schwimmbad. Damit ich es auch ja nicht zuließ, dass wieder was von anderen dazwischen kam. Ja, ich lief schon fast als Zombie herum, also nur noch als seelenlose menschliche Hülle, die irgendwie dann doch noch funktionierte. Es war schon erstaunlich, wie lange das ein menschlicher Körper mitmachte, ohne in Krankheiten und Unfälle zu gehen.
Mir fiel einer der kleinen neugierigen Grünschnäbel ein, und ich musste lächeln bei dem Gedanken. Mit dieser knallgelben Kuschelente machte ich einen Ausflug im Doppeldeckerbus durch Berlin, sie hatte es sich so sehr gewünscht, mal mehr von der Stadt zu sehen. Meine Ente wollte ganz oben und vorne sitzen, und dann schaute sie und staunte. Und als wir die Schlossstraße in Steglitz passierten, sagte sie in meinem Kopf:
"Es ist ja unglaublich, dass diese Leute bei der Schwere und der Dichte und all diesem Zeug hier überhaupt noch leben!"
Und es klang so, als würde ich eine Fabrikhalle besichtigen mit ganz viel Lärm und Dreck und Dunkelheit, eine Umgebung, wie sie von Malern geschichtlich festgehalten worden waren, so sahen die Arbeitsbedingungen in den ersten Fabriken nach der Erfindung der Dampfmaschine aus. Und ich hatte mich auch bei diesen Abbildungen immer gefragt, wie Arbeiter das damals aushalten konnten und dennoch am Leben blieben.