Читать книгу Licht am Ende vom Filz - Julianne Becker - Страница 12
Die Göttin wird vollendet
ОглавлениеEigentlich erstaunlich: Tom wusste nicht einmal, was da in mir so tobte und stand doch ganz im Mittelpunkt meines Ringens um Ganzheit und Heilung. Und ich sah erstaunlicherweise auch noch keinen Zusammenhang zu der Puppe, dabei fand ich nach meinem Geburtstag und einem kuren Intermezzo mit Lady Africa endlich wieder Zeit und Muße, an der Göttin weiterzuarbeiten. Für ihr Kleid, das grün werden sollte, entwarf ich den Stoff selbst, denn es war mir in all diesen Umständen mehr als klar geworden, dass ich keinen Stoff kaufen sollte. Auf dunkelgrünem Seiden-Voile legte ich dazu Wollflocken und Seidenfasern in Grün- und Goldtönen zu Mustern aus, dabei achtete ich darauf, dass es fast durchsichtige Streifen ebenso gab wie blickdichte und behielt dabei meine Schnittgröße im Auge. Schnitte zu den Puppen anzufertigen fiel mir leicht, das hatte ich seit meinen Keramikpuppen von vor zwanzig Jahren drauf. Ich genoss es, auch das Kleid vollständig bis hin zum Stoff selbst zu entwerfen und auszuführen.
Ja, ich träumte dabei auch davon, mich und meinen dereinst schönen Körper eines Tages auch einmal selbst so exklusiv einzukleiden. Und hatte dabei wieder mal vergessen, dass ich nicht mehr so konnte wie früher, denn diese Näherei brachte mich nervlich ganz schön an die Grenze. Die auf dem grünen Seidenstoff ausgebreitete Wolle- und Seidefasern filzte ich nun ein, Nunofilztechnik nannte man das unter Filzern. Die goldenen Seidenfasern, die ja nicht mit der Wolle geschrumpft waren, kräuselten sich nun wie winzige Schlangenmuster auf dem grünen Untergrund, ein prachtvoller, wahrhaft königlicher Stoff. Ich betrachtete ihn beeindruckt. Als nächstes schnitt ich die Teile zu, die Arme trichterförmig aus dem durchsichtigem dunkelgrünen Voilerest ganz ohne Befilzung, das Kleid dagegen trägerlos mit besonders blickdichter und akzentuierter Oberpartie. Eigentlich fand ich das jammerschade, denn gerade der Busen war mir sehr gelungen, aber die Göttin bestand auf Etikette. Für die Näharbeit nahm ich mir viel Zeit und Ruhe und machte Pausen, sobald der Frust mich einholte und so ging es sehr langsam vorwärts. Schließlich konnte ich meine Göttin wahrhaft standesgemäß einkleiden.
Aber was sollte ich mit den Haaren machen? Ich hatte kein Geld um eine Echthaarperücke zu kaufen, auch nicht in Puppengröße. Und Plastikhaare auf Wollkörper erschien mir wie ein Stilbruch. Da fiel mir ein, dass eine Großtante mir ihren dicken nussbraunen Zopf geschenkt hatte. Den hatte sie aufgehoben, seit sie sich mit dreißig zu einer Kurzhaarfrisur entschloss. Ich holte ihn hervor. Das Haar befand sich immer noch in einem guten Zustand und wirkte besonders dick und sehr kraftvoll, Ja, das stimmte. Aber sollte ich nun wirklich auch noch eine Echthaarperücke knüpfen? Nicht, dass ich Knüpfen nicht gelernt hätte, in meinem Arbeitslehrestudium. Aber diese kleinfitzelige Arbeit war bestimmt nichts für meine Nerven! Und das Geld fehlte auch, um sie mir knüpfen zu lassen.
Da kam Isis mir zur Hilfe. Sie beschrieb mir nämlich, wie sie sich ihren Hut vorstellte. Wenn aber die Puppe einen Hut bekam, dann konnte ich darunter mit den Haaren ja ziemlich mogeln. Das freute mich. Ich legte mir die Haare auf einem Stoffband mittig zurecht, breitete ein zweites Band obenauf und nähte mit der Maschine darüber. Die so entstandene Haartresse nähte ich nun mit der Hand in Spiralen auf dem Isis-Kopf fest und filzte außerdem von unten nach oben ein paar Haare mit gleichfarbiger Wolle an die Kopfhaut, damit da kein Kahlkopf zu sehen war, falls jemand die Haare anhob. Ich legte ihr einen Mittelscheitel und schnitt die Frisur zurecht, ich entschied mich dabei für langes, gerade geschnittenes Haar, und so stimmte es auch.
Damit konnte ich äußerst zufrieden sein, die Puppe sah toll aus. Als nächstes modellierte ich den Hut ganz aus grobem Filz und bezog ihn mit Wolle und Seide, das Hellgrün des Kleides mit seidigem Gold. Die Göttin bat nun um zwei Hörner, von denen ein Schleier herabfallen sollte. Erst gab sie mir zu verstehen, dass zwischen diesen Hörnern eine goldene Scheibe hängen müsse, war aber später doch damit einverstanden, dass ich die goldene Scheibe nur andeutete, zwischen den Hörnern erhaben als Halbkugel auf dem Hut.
Nun fehlten nur noch die Finger und das ganze Gesicht der Puppe. Diese Arbeiten beanspruchten besonders viel Zeit und Hingabe. Die Füße hatte ich in gelbgoldene Pantoffeln gesteckt bzw. einfach aufgefilzt, so musste ich nicht auch noch die Zehen ausformen. Mit den vorhandenen Wollsorten und Nadeln war ich auch noch nicht zufrieden, aber besser ging es nicht.
Schließlich hörte der Kritiker in mir mit dem Herumgemäkel auf. Irgendwann würde ich in meiner Werkstatt viel mehr Farbnuancen und Wollsorten zur Auswahl besitzen, und dann würde ich noch schönere Puppen machen können. Aber mit meinen damaligen Mitteln war die Isis die bestmögliche Puppe, und damit in den dreißig Jahren Puppenmacherei mein bisheriges Meisterstück. Und so erklärte ich meine beste Puppe, die Göttinnen Isis, offiziell für vollendet und betrachtete sie zufrieden. Der Perfektionist in mir, der durchaus die paar Mäkel im Auge behielt, wurde auf das nächste Mal vertröstet. Ich sah mittlerweile auf eine fünfmonatige Arbeit zurück und staunte selbst über meine Leistung.
Ich liebte diese Puppe über alles und bewunderte sie immer wieder, vor allem ihre Kraft und ihren Ausdruck. Wäre es nur um das Filzen alleine gegangen, ich hätte die Puppe in hundert bis zweihundert Stunden herstellen können, selbst mit viel Liebe bis ins letzte Detail. Aber ich musste ja auch in mir selbst die Gaben der Göttin, diese Heilung und Ganzheit verankern, also ganz Frau sein, so dauerte es viel länger. Später wusste ich, dass ich mich eigentlich mit all diesen Prozessen selbst eingeweiht hatte in das Licht der Göttin.