Читать книгу Licht am Ende vom Filz - Julianne Becker - Страница 8
Ein Fass voll Zorn
ОглавлениеWährend die Puppe immer deutlicher Form annahm, merkte ich, dass irgendwie ganz viel Zorn in mir hoch kommen wollte, und zwar auf Männer. Das wirkte auf mich wie eine große, bedrohliche Feuerwand im Anmarsch, und so dachte ich vorsichtshalber über Evakuierung nach. Ich gab allen männlichen Freunden aus meinen Esoterik-Seminaren also bekannt, dass sie die nächste Zeit von Besuchen bitte absehen sollten, denn es gab da ein paar ganz liebe Freunde wie den Dieter, die öfter einfach mal spontan auftauchten. Es schien sie um so mehr zu locken, ich fand Blümchen oder Herzchen auf dem Fensterbrett, aber ich blieb eisern, es war wichtig: Keinen Kontakt, auch wenn ich nicht so ganz genau sagen konnte, warum.
Und dann ging ich wirklich fast täglich in einen solch kraftvollen Zorn, dass ich innerlich bebte, so kannte ich mich noch nicht. Gut, ich war auch früher schon ab und zu sehr wütend gewesen, aber das hier kam von viel tiefer, aus fast vulkanischer Tiefe und es fühlte sich auch so an. Ich baute dann vorsichtshalber um mich herum einen ätherischen Faradayschen Käfig (der echte schützt vor Blitzen). Diese Idee hatte ich jedenfalls, denn da floss eine riesige, zerstörerische Gewalt durch mich hindurch und ich wollte nicht, dass irgend jemand zu Schaden käme, wenn bei mir die Funken sprühten.
Ich ging außerdem zu einer Darmspülung, und auch da steckte ich meine Heilpraktikerin mit deren Einverständnis in einen Lichtschutzanzug. Es war nicht meine erste Sitzung, wir kannten uns schon eine Weile und so gab sie mir wohl einfach Narrenfreiheit. Sie hatte kaum angefangen, als ich auch schon in Zorn ging. Ich tobte bald ganz ungeheuerlich, ja ich schäumte buchstäblich vor Wut.
Meine Heilpraktikerin verharrte in einer stoischen Ruhe, obwohl meine Reaktion überaschend kam und sehr intensiv über uns beide hereinbrach, aber sie vertraute mir auch und ließ mich kommentarlos gewähren. Und nachdem ich ja schon zwei Wochen lang täglich diesen Zorn in Portionen entlüftet hatte, ging ich nun bei ihr außerdem in eine leichte Trance und fand mich endlich wieder in der Situation, die wohl zu meinem gewaltigen Zorn gehörte:
Ich befand mich in einem Tempel der Göttin. Ihr hatte ich Leben um Leben unter vielen Namen gedient, das wusste ich einfach. Und dieser Tempel wurde gerade von einer barbarischen, kriegerischen Männerhorde überrannt und erobert. Alles Heilige wurde dabei von ihnen gestohlen, zerstört oder gebrandschatzt, und alle meine Priesterinnen wurden außerdem brutal vergewaltigt. Als oberste Hohepriesterin stand ich in dieser Szene fassungslos da in einem ohnmächtigen, grenzenlosen und heiligen Zorn. Was wagten sich diese Barbaren! Und ich hatte meine Göttin und mein Allerheiligstes nicht schützen können!
Und bei meiner Heilpraktikerin in dem winzigen Behandlungsraum und in der heutigen Realität schrie und tobte ich nun wie eine Wahnsinnige. Ich schimpfte und wütete und schrie meine Gedanken und Gefühle aus dem Tempel laut durch den Raum. So lange hatte ich sie unterdrückt, nun entwich der Druck mit aller Macht. Vor allem die Ohnmacht der damaligen Situation war schwer zu ertragen, dass ich einfach nichts dagegen tun konnte, rein gar nichts. Ich hatte mein Allerheiligstes nicht vor dieser Tragödie bewahren können!
Ich litt so sehr, dass ich mich entschied, mich etwas aus der Trance zurückzunehmen. Dazu konzentrierte ich mich wieder mehr auf meinen Körper, meine Finger, meine Füße, mein ganzes Körperbewusstsein und milderte so die Erfahrung. Ich verließ den Tempel aber nicht vollstädig, blieb in diesem Gedanken-Gefühls-Cocktail und bebte immer noch unter all diesen Eindrücken, es war einfach so schrecklich, so unglaublich, eigentlich überhaupt nicht beschreibbar!
Wie konnte man mit einem heiligen Ort, mit heiligen Gegenständen und meinen heiligen Priesterinnen so umgehen! Und plötzlich begriff ich, dass es genau dieser Zorn war, der in meiner Emanzenzeit mein Interesse und Engagement für die Gleichberechtigung der Frauen gespeist hatte. Und die alte Emanze in mir dachte:
"Es braucht dreißig Generationen, um aus einem freien, wilden Wolf einen Pudel zu züchten."
Das hatte ich von einem Hundezüchter erfahren.
"Aber mit Vergewaltigung und Abrichtung durch die gleiche Spezies geht es beim Menschen viel schneller!"
Ich ließ mich wieder ganz auf die Trance ein und glitt in den Tempel zurück, mit all diesen schrecklichen Ereignissen, die sich weiter vor meinen Augen abspielten. Ich beobachtete das Entsetzen in den Augen meiner Priesterinnen, hörte sie angstvoll und in Schmerzen schreien und konnte nichts tun. Ich stand da wie versteinert, während ich innerlich fast vor Zorn platzte.
Und bei meiner Heilpraktikerin ließ ich nun endlich diesen Zorn zu und die erstarrten Gefühle frei fließen. Ich tobte und schrie nun schon eine halbe Stunde - und rutschte in eine weitere Erfahrung, denn die Priesterin in ihrer Erstarrung dort im Tempel fiel ebenfalls in eine Trance und glitt in die Zukunft, Jahrhunderte umfassend, wie in einem Zeitraffer. Und ich sah und verstand:
Diese Männer hatten sich meine Priesterinnen, die wie alle Frauen heilige weibliche Gefäße waren, einfach genommen und benutzt und sie würden später ihre gemeinsamen Kinder domestizieren und alle Mädchen ebenfalls nehmen und benutzen, in dem sie von klein auf deren Grenzen nicht respektieren, sie einschüchtern und abhängig halten würden. Und wenn sie die Mädchen nicht missbrauchten, so würden sie diese zumindest psychisch so abrichteten, dass sie ihnen als Haushälterinnen und Sexsklavinnen ein bequemes Leben garantierten.
Und dann begriff ich als Priesterin im Tempel auch, dass die Züchtung braver, folgsamer Frauen nie ganz erfolgreich sein würde, es würden immer auch kraftvolle, freie Frauen geboren, aber wer das alte Freiheits-Gen als Frau erbte, kam als ehrbare Frau nicht in Betracht, sie würde den ebenso domestizierten Männern der folgenden Generationen als Partnerin möglichst ausgeredet. Und gleichzeitig würde ihr die Aufzucht eigener Kinder ohne Mann zumindest ziemlich schwer gemacht. Auch die Männer würden ja nun genetisch leider meist zu Pudeln. Eine Züchtung erfasste immer beide Geschlechter.
Und dann sah diese Priesterin im Tempel in jeder Generation neben all den Pudeln immer wieder ein paar Wölfe durchkommen und die fanden dann genügend Pudel vor, die ihnen ein angenehmes Leben garantierten. Und die meisten wilden Männer mit dem Freiheits-Gen würden man in den kommenden Zeiten als Anführer und Entdecker in die Welt schicken und sie dort verheizen, ebenso wie viele Pudel, nur um die angenehmen Lebensverhältnisse von ein paar Herrschenden zu gewährleisten, und man nannte sie dann tapfere Helden. Und die freien, wilden Frauen würde man "böse" und "Hexen" nennen und im besten Fall an den Rand der Gesellschaft und der Dörfer drängen, aber in einigen Zeiten auch foltern und verbrennen. Ja selbst die Kinder einer stolzen, freien Frau würden, da in der Regel außerehelich, von der Dorfgemeinschaft diskriminiert und verfolgt.
Und die Priesterin sah: So würden sie auch mit der heiligen Mutter Erde selbst und der ganzen heiligen Natur umgehen, genau wie mit den heiligen weiblichen Gefäßen der Göttin: Alle zukünftigen Wolfs- und Pudelgenerationen würden alles und jedes Lebendige einfach nur zur eigenen Bequemlichkeit benutzen und maximal ausbeuten. Nichts und niemand war ihnen mehr heilig! Für wie viele dunkle Jahrhunderte? Ich konnte es nicht mehr sagen, die innere Schau erlosch. Ich stand dort im Tempel und sah dies alles in einer klaren Vision in innerer Hellsicht kommen und ich zerbarst fast vor Schock, Zorn und unendlichem Schmerz.
Und wir alle, die wir überlebten oder danach geboren wurden, fanden keinen Kontakt mehr zur Göttin. Dieser wilden Männerhorde war es mit einem einzigen Kriegszug und der Installation ihrer Herrschaft gelungen, uns unsere spirituelle Grundlage zu entziehen. Auch mein damaliges Ich kam nicht mehr durch zur Göttin, so sehr es sich anstrengte, es fühlte sich nur noch alleine und ausgesetzt auf einem Planeten, der sich in erschreckende Ereignisse stürzen würde. Die Tür zur Göttin hatte sich geschlossen. Dort im Tempel brach sie dann zusammen und weinte bitterlich.