Читать книгу Licht am Ende vom Filz - Julianne Becker - Страница 20

Leben mit Geistern

Оглавление

Aber warum merkten wir das dann nicht, dass wir fortlaufend Geister erschufen und mit denen so herumspielten? Erst einmal, weil sie nur indirekt durch ihre Wirkung erfahren werden konnten. Sie gehörten nicht in diese Realität. Hellsichtige Menschen mussten sich diesen anderen Dimensionen erst geöffnet haben, entweder durch Übung oder als angeborenes Talent. Und je nachdem, wie ein Mensch sich die Welt gerade erklärte, während er hellsah, war es dann ein Dschinn, ein Rabe, ein Waldgeist, ein Felsenzwerg oder ein Verbündeter. Vielleicht ließen sich so auch Visionen und Erscheinungen ganz allgemein erklären. Und meine eigene Entwicklung legte mir auch die Vermutung nahe: Je höher die Schwingung, umso mehr Ebenen öffneten sich. Hellsicht und andere Talente stellten sich ein. Die Geister kamen einfach, man musste sie gerufen haben. Apropos: Was wusste eigentlich Goethe darüber? Dieser Zauberschelm, der den Zauberlehrling dichtete...

Möglicherweise hatten auch nur unsre Seelen Zugriff zu diesem Schöpfungslaptop. Mit Ausrichtung auf Gott oder auf die eigene Seele wurde man nicht nur ein besserer Beobachter dieser Benutzeroberfläche, sondern auch ein viel kraftvollerer Schöpfer und Erzeuger von Wirkungsfeldern. Man wurde zu einem Geisterverstärker und Geistererschaffer, selbst wenn man es lange nicht merkte und sich nur wunderte, dass die eigenen Erfahrungen in allem, woran man glaubte, so großartig bestätigt wurden.

Whow, das hatte doch was: Wenn ich an ein Wunder glaubte, erschuf ich mir eigentlich selbst den Geist dieses Wunders, und diesen Geist sah ich dann wiederum oder zumindest seine Wirkung, um mir zu bestätigen, dass es doch tatsächlich Wunder gab.

Eine Freundin von mir berichtete eines Tages begeistert, sie habe so viele Berichte von Menschen gelesen, die ihren spirituellen Meister trafen und sich dann so wunderbar entwickelt hatten. Und da habe sie sich entschieden: Sie wolle nun auch ihren Meister treffen.

„Stell dir vor, was kurz darauf passiert ist,“ sagte sie zu mir. „Meine Reikischule informierte mich, dass im kommenden Monat ein Meister aus Indien zu Gast sein wird. Das ist er! Jetzt kann es bei mir so richtig los gehen. Da kommt doch ausgerechnet jetzt ein Meister aus Indien in dieses letzte Nest der deutschen Provinz, nach Birnenbaumenbach. Unglaublich!“

Sie wunderte sich, freute sich und fühlte sich in all ihren Erklärungen dazu bestätigt: Das war kein Zufall, dieser Meister kam für sie. Bestimmung, göttliche Führung, großes Glück! Für mich war daran vor allem interessant, wie viel Bedeutung sie diesem Meister gab, ohne ihn schon zu kennen. Ich spürte, sie vermutete ein schicksalhaftes Einwirken Gottes dahinter, so dass es in ihrem Leben wunderbar weiter ginge, und dem musste sie folgen. Wenn sich solche Wünsche erfüllten, musste sie auf einem guten Weg sein und dieser Meister war garantiert das Nonplusultra.

Gut, er hatte schon eine merkbar hohe Schwingung, das konnte ich neidlos feststellen, als ich mal mitkam. Er behauptete, er hab bereits eine Erleuchtung zweiten Grades verwirklicht, aber mich beeindruckte er nur sehr kurz. Vielleicht hatte ich selbst auf der nach oben offenen Richterskala der Erleuchtung schon den Grad von 3,14 verwirklicht und wusste es nur nicht, weil mir die Messlatte dazu fehlte? Mich befremdeten auch die Rituale mit Verbeugen und Hof halten um ihn herum. Kurzum, mein Meister wurde er nicht.

Aber die Begeisterung, wenn sich göttlich geführte Zufälle einstellten, so wie hier bei meiner Freundin und ihrer Idee, sie brauche nun endlich einen eigenen Meister, kannte ich nur zu gut auch von mir selbst. Jahrelang hatte ich mich so in wirklich jedes Abenteuer gestürzt. Aber was wäre, wenn alles ganz banal nur deshalb passierte, weil da ein paar Leute in der Umgebung Birnenbaumenbachs gleichzeitig intensiv von einem Meister geträumt hatten? Sie erzeugten dieses Feld, ihre Felder verbanden sich untereinander, schwollen an und wurden mächtiger und trafen im Ebay der schöpferischen Möglichkeiten auf das Feld eines anderen Menschen, der sich gerade als Meister definiert hatte und Schüler suchte. Das Geschäft kam dann schnell zustande. Beste Passung.

Aber gleichzeitig erschrak ich bei diesem Gedanken: Dann ereigneten sich alle Anekdoten mit den Lichtfilzlingen vielleicht auch genau deshalb, weil ich daran glaubte, als die große Puppenheilerin so ganz tief in mir drin. Denn ich wollte doch so gerne, dass meine Puppen eine Wirkung haben würden. Sie sollten nicht nur nett und langweilig herumsitzen und verstauben. Sie sollte eine größere Bedeutung haben. Gerade hatte ich schon gedacht, dass alle Geschichten rund um die Lichtfilzlinge endlich der Beweis dafür seien, dass meine Puppen göttlich oder zumindest etwas ganz Besonderes waren. Pustekuchen, zumindest wenn es nach meiner neuen, computertechnischen Adaption von St. Germains Realitätskonzept ging. Und schade, das war's dann wieder mal mit der göttlich geführten Zauberfilzerin.

St. Germain sagte dann übrigens auch noch etwas zu meinem Naturfilzcamp neben der Hütte, ganz am Anfang der Geschichte:

„Du hast damit gespielt, mit diesem Geist des Ortes, so halb im Spaß, und daraus ist dieses Gesicht entstanden, die Maske, die du an einen Baum gehängt hast. Aber es war keine Sklaverei, du hattest dir nur unbewusst die Unterstützung geholt vom Geist dieses Wiesentals. Und du hast dich auch sehr oft mit ihm verbunden, dadurch entstand das Gefühl, dass Gott dich liebt und du eins bist mit der ganzen Schöpfung. Nun, dieses Wiesental war genau der Teil der Schöpfung, in dem du dich gerade bewegt hast. Und die innige Vereinigung mit diesem sehr umfassenden Geist rief in dir glückliche Stimmungen hervor. In der Verbindung konntest du dich in der Hütte und in all diesen Umständen sicher fühlen. Und so machen das alle Menschen, die noch eine Beziehung zur Natur haben."

Das überzeugte mich. Ich dachte nach. Bis gerade eben hatte ich mich selbst außerhalb solcher Geister oder Wirkungsfelder vorgestellt, weil ich immer alles, was nicht „ich“ war, als außerhalb von mir dachte. Aber so konnte das ja überhaupt nicht funktionieren: Ich musste doch im Feld der Erde, des Sonnensystems, jedes Ortes, ja selbst im Feld meiner Klamotten herumlaufen. Ich selbst lebte in den Geistern. Dann gab es aber auch das Feld meines Berufes, meiner Herkunft, meiner Familie. Und alle waren verschachtelt.

Licht am Ende vom Filz

Подняться наверх