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Die Zeitenwende: Das Emanzipationsedikt von 1812

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Das „Edikt, betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“30 vom 11. März 1812, welches schließlich das General-Reglement von 1750 ablöste, die Schutzjudenschaft aufhob, den Zwangs- und Sonderabgaben ein Ende machte und die preußischen Juden zu „Einländern“ und „Staatsbürgern“ erklärte, ist in den Synagogengemeinden von Berlin, Breslau und Königsberg überschwänglich gefeiert worden. Bei der 100-Jahr-Feier des Ediktes im Jahre 1912 bemerkte Rabbiner Paul Rieger im Rückblick: „Der 11. März 1812 bedeutet für die preußischen Juden das Ende des Mittelalters. Er ist der erste Tag ihrer Neuzeitgeschichte.“31

Juden sollten künftig gleiche bürgerliche Rechte, Freiheiten und Pflichten genießen wie die Christen. Nicht nur sollte der Zugang zu akademischen Lehr-, Schul- und Gemeindeämtern gewährleistet sein, sondern auch das Ansiedlungsrecht in Stadt und Land, das Recht auf Grundbesitz, Gewerbefreiheit, die Militärpflicht – alles Rechte und Pflichten, die erkennen lassen, dass es den Reformern um Hardenberg ernst damit war, den preußischen Staat auch an dieser Stelle umzugestalten.

Sieht man sich im Rückblick das Edikt mit seinen einzelnen Paragraphen genauer an, entsteht allerdings auch der Eindruck, dass die Behörden eigentlich nur gewillt waren, die Juden zu „Bürgern auf Probe“ zu machen.32 Das zeigte sich beispielsweise daran, dass ihnen der Zugang zu den Staatsämtern, zu den Universitäten und zur Offizierslaufbahn de facto weiter verschlossen blieb. In Teilen der preußischen Beamtenschaft bezweifelte man ohnehin, dass die Juden tatsächlich so weit seien, dass sie den christlichen Bürgern gleichgestellt werden könnten.

Der Prozess der Emanzipation und damit der Gleichstellung mit den übrigen Staatsbürgern wurde dort nicht als ein Rechts-, sondern als ein Erziehungsvorgang begriffen. Die Juden, so wurde immer wieder geäußert, sollten sich erst einmal um eine „Verbesserung ihres Zustandes“ bemühen. Wenn ihnen das gelänge und sie darüber hinaus durch ihr Verhalten beweisen würden, dass sie tatsächlich „nützliche Bürger“ im preußischen Staatsverband seien, dann könne man sie auch zu Staatsämtern zulassen.

Das Edikt, das zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung als eines der fortschrittlichsten Gesetzgebungswerke für Juden in ganz Europa galt, regelte in 39 Paragraphen bisher strittige Fragen, wenn wohl auch nicht zur vollsten Zufriedenheit Hardenbergs und anderer an dem Werk Beteiligter. Auch die Repräsentanten der jüdischen Bevölkerung in Preußen hatten sich, was in manchen Bemerkungen und Kommentaren zum Ausdruck kam, von der neuen Gesetzgebung mehr erhofft, als im Edikt tatsächlich zugestanden wurde.

Die von jüdischer Seite erhobenen Forderungen hatten im Großen und Ganzen Eingang in das Edikt gefunden, allerdings mit einigen markanten Abstrichen. So konnten sich Juden zwar jetzt sowohl in Städten als auch auf dem Land nach Belieben niederlassen, auch konnten sie Grundstücke wie die Christen erwerben. Eheschließungen zwischen Christen und Juden aber, eine Forderung, die David Friedländer geäußert hatte, wurden nicht ermöglicht. Indem man es konsequent vermied, hierzu überhaupt Ausführungen zu machen, ergab sich die Ablehnung des Anliegens gewissermaßen schon von selbst. Im Einzelnen wird darauf noch einzugehen sein.

Den Vorstellungen preußischer Politiker, aber auch jüdischer Notablen wie David Friedländer und anderer reformorientierter Juden, kam es andererseits entgegen, dass im Edikt ausdrücklich festgelegt war, dass es künftig keine Sonderregelungen für Juden mehr geben sollte. Rabbiner und Judenälteste sollten beispielsweise nicht mehr über eine Sondergerichtsbarkeit verfügen.

Auch die privatrechtlichen Verhältnisse sollten künftig interner jüdischer Rechtsprechung entzogen und den allgemeinen Landesgesetzen unterstellt werden. Begrüßt wurde ausdrücklich, dass es Juden künftig gestattet sein sollte, akademische Lehr- und Schulämter zu übernehmen sowie kommunale Ämter zu bekleiden. Bei ausgemachten Judengegnern stieß das allerdings auf heftigen Widerstand.

Besorgnis und Missfallen erregte auf jüdischer Seite besonders der Paragraph 9 des Ediktes, der die Zulassung von Juden zu Staatsämtern beschränkte. Der Paragraph war so formuliert, dass er Widersprüche auslösen musste. Im Prinzip, interpretierte man, wolle der Staat den Juden zwar den Zugang zu Verwaltungsämtern ermöglichen, aber gleichzeitig sperrte man sich auch wieder gegen deren ungehinderten Zugang. Mit besagtem Paragraphen, der eine konkrete Regelung in die Zukunft verschob („behalten Wir Uns vor, in der Folge der Zeit gesetzlich zu bestimmen“) hielt man sich, das war der durchaus begründete Verdacht auf jüdischer Seite, eine Art Hintertür offen.

Wer die Formulierung in diesem Paragraphen sorgfältig las und entsprechend zu interpretieren wusste, verstand durchaus den mitschwingenden Subtext, der eigentlich nichts anderes besagte, als dass die Behördenvertreter den Juden nicht zutrauten, irgendwelche Staatsämter zu übernehmen. Die Juden, so die weit verbreitete Ansicht, die von Behördenseite immer wieder geäußert wurde, seien noch nicht „weit genug“, dass man ihnen solche Ämter anvertrauen könne.

Erst wenn die Juden sich zu „nützlichen Bürgern“ entwickelt hätten, könne man sie zu Staatsämtern zulassen. Sie zum Militärdienst zu verpflichten, sah man ohnehin weiter als eine Unmöglichkeit an. Hardenbergs bekannte Bemerkung „Ich stimme für kein Gesetz der Juden, das mehr als vier Wörter enthält: ‚gleiche Pflichten, gleiche Rechte‘.“33, die er bei verschiedenen Gelegenheiten gemacht haben soll, hatte sich noch nicht überall in den Köpfen festgesetzt und war eine Sicht, die zu dieser Zeit nur wenige Behörden-Mitarbeiter verinnerlicht hatten.

In der historischen Forschung wird häufig übersehen, dass das Edikt von 1812 den Juden in ihrer Eigenschaft als neue Staatsbürger auch auferlegte, feste Familiennamen anzunehmen.34 Jeder „geschützte oder konzessionirte Jude“, so hieß es in Paragraph 3 des Edikts, müsse binnen sechs Monaten „vor der Obrigkeit seines Wohnorts sich erklären, welchen Familien-Namen er beständig führen will“. Diese Auflage zielte darauf ab, das Trennende zwischen Juden und Christen aufzuheben. Es war allerdings auch eine Form der behördlichen Markierung, als die Wahl bestimmter Namen nach wie vor die Juden als Juden erkennbar machte.

Das Edikt vom 11. März 1812, in der Geschichtsschreibung vielfach erwähnt und gewürdigt, war zweifellos ein bedeutsamer Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung der Juden. Berücksichtigt werden sollte indes aber auch, dass damit nicht alle preußischen Juden in den Genuss der Gleichstellung kamen. Das Edikt galt nur für jene 29.538 privilegierten Juden, die zum Zeitpunkt des Erlasses auf preußischem Gebiet in den Grenzen, wie sie der Tilsiter Frieden 1807 diktiert hatte, ansässig waren.

Als das Edikt in Kraft trat, bestand Preußen aus den vier Provinzen Brandenburg, Pommern, Ostpreußen und Schlesien. Bei den Juden in den nach den Befreiungskriegen neu- bzw. wiedergewonnenen Provinzen wurde das Staatsbürgerrecht jedoch nicht zur Anwendung gebracht. Bis 1848 gab es deshalb im Königreich Preußen Juden mit und ohne Staatsbürgerrechte. Es war eine Widersprüchlichkeit, auf die in den darauffolgenden Jahrzehnten immer wieder hingewiesen wurde.

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