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Moritz Veit und der Aufbruch in die neue Zeit

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Einer derjenigen, die sich mit Nachdruck für die Gleichberechtigung der Juden einsetzten, war der Schriftsteller, Buchhändler, Verleger und Politiker Moritz Veit (1808–1864). Er entstammte der berühmten Veit-Familie, die sich im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts, aus Wien kommend, in Berlin niedergelassen hatte. Moritz’ Vater war der Kaufmann Philipp Veit, sein Onkel der Bankier Simon Veit, der zeitweilige Ehemann der Moses Mendelssohn-Tochter Brendel Mendelssohn. Seine Schulzeit absolvierte er u.a. am Berliner Joachimsthalschen Gymnasium, das er, wie Ludwig Geiger ausdrücklich erwähnt54, mit einem glänzenden Abgangszeugnis55 verlassen hat.

Im Haus seines Vaters versammelte sich regelmäßig an Donnerstagabenden ein Kreis kulturell Interessierter, zumeist Juden oder Personen jüdischer Herkunft. Zu ihnen gehörten nicht nur der Hegel-Schüler Eduard Gans, sondern auch Moses Moser, Daniel Lessmann, Gustav Schwab und Heinrich Stieglitz, ein heute weitgehend vergessener Philologe und Lyriker. Auch Heinrich Heine soll in diesem Kreis verkehrt haben. Angeblich hat ihn dort der Journalist Joseph Lehmann eingeführt, seit 1828 Redakteur der „Allgemeinen Preußischen Staatszeitung“ und seit 1832 Gründer und Herausgeber des „Magazins für die Literatur des Auslandes“ sowie in den Jahren 1849 bis 1866 Direktor der Niederschlesischen Eisenbahn in Glogau.

Eine lebenslange Freundschaft verband Moritz Veit seit seiner Berliner Studienzeit mit Michael Sachs, dem Rabbiner, Übersetzer und Unterstützer gemäßigter Reformbestrebungen innerhalb des Judentums. Sachs hatte es im Übrigen Veit zu verdanken, dass er als Rabbiner nach Berlin berufen wurde. Auf die Freundschaft der beiden war es auch zurückzuführen, dass die Bücher von Sachs im Verlag Veit & Comp., den Veit zusammen mit Joseph Levy (ab 1839 Joseph Lehfeldt) leitete, erscheinen konnten.

Welche Bedeutung Moritz Veit als Verlagsbuchhändler hatte, wird u.a. deutlich daran, dass der Verlag neben wissenschaftlichen Zeitschriften und enzyklopädischen Werken, forstwissenschaftlichen, physikalischen und militärischen Arbeiten auch die Bücher von Johann Gustav Droysen, Wilhelm Adolf Schmidt, Friedrich Carl von Savigny (8 Bde., 1839–1840) und anderen herausbrachte. Zum Beispiel erschienen im Verlag ebenfalls die damals vielgelesenen Bücher des Historikers Leopold von Ranke zur preußischen Geschichte.

Heute verwundert, dass Veit auch die Gesamtausgabe der Werke von Johann Gottlieb Fichte verlegerisch betreut hat. Im Rückblick stellt sich die Frage, ob er dessen Bücher ins Verlagsprogramm aufgenommen hätte, wenn ihm dessen judenfeindliche Einstellungen bewusst gewesen wären. Vermutlich hat er in Fichte nur den anregenden Philosophen gesehen und dessen politische Einstellungen nicht weiter beanstandet.

Fichtes judenfeindliche Einlassungen kannte er offensichtlich nicht, und wenn doch, hat er diese für sich anscheinend ausgeblendet und nicht für wesentlich empfunden. Bekanntlich hatte sich Fichte dagegen ausgesprochen, den Juden weitergehende Bürgerrechte zuzugestehen. Die alles besagende Begründung Fichtes verdient es, an dieser Stelle noch einmal zitiert zu werden: „Aber ihnen [den Juden] Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sey. Um uns vor ihnen [den Juden] zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dahin zu schicken.“56

Doch zurück zu den Anfängen von Veits Aktivitäten in den frühen 1830er Jahren, in denen er nicht nur erfolgreich als Verleger, sondern auch als Kritiker und Journalist arbeitete. Besonders zu nennen ist der von ihm herausgegebene „Berliner Musen-Almanach“ (1830/31), zu dem er nicht nur Goethe, sondern auch andere Autoren wie Achim von Arnim, Gustav Schwab, Leopold Schefer, Heinrich von Stieglitz und Adalbert Chamisso zur Mitarbeit gewinnen konnte. Der Almanach hatte allerdings nur eine kurze Lebensdauer; wegen mangelnder Absatzzahlen wurde das Erscheinen schon nach einem Jahr wieder eingestellt.

Seine eigenen Nachdichtungen veröffentlichte Veit zu dieser Zeit auch in dem von Michael Sachs herausgegebenen Buch „Stimmen vom Jordan und Euphrat“. In diesem „Buch fürs Haus“ fanden neben lyrischen Bearbeitungen zumeist von Sachs und Veit ausgewählte Erzählungen, Gedanken und Weisheitsregeln aus der talmudischen und midraschischen Literatur Eingang. Das Buch erschien in mehreren Auflagen, die letzte wohl 1891 im Verlag J. Kauffmann in Frankfurt a. M., und hatte beim Publikum großen Erfolg. Nicht nur Alexander von Humboldt war begeistert von dem Buch, auch Karl August Varnhagen von Ense zeigte sich sehr von den „Stimmen“ angetan, wie einem Tagebucheintrag (14. Mai 1850) von ihm zu entnehmen ist, in dem er diese „Blumenlese aus dem Talmud“57 lobend erwähnt.

Der am Ende des 19. Jahrhunderts von Ludwig Geiger herausgegebene Briefwechsel zwischen Veit und Sachs zeigt nicht nur, wie freundschaftlich eng sie über Jahrzehnte miteinander verbunden waren, sondern auch, was sie voneinander dachten und was sie gemeinsam planten. So hatten die beiden vor, gemeinsam eine „Bibel für Israeliten“ in deutscher Sprache herauszubringen. In den zahlreichen Briefen, die sie wechselten, werden Fragen dieser Art thematisiert. In einem der Briefe Veits an Sachs heißt es dazu: „Die Kernfolianten liegen aufgeschlagen / Und unter ihrer Bürde ächzt mein Pult“.58

Aufmerksamkeit erregte eine kleine, von Veit zusammengestellte Sammlung von Gedichten, die 1832 unter dem Titel „Polenlieder“59 erschien. Die Gedichte besangen den polnischen Freiheitskampf der Jahre 1830/31, der die Unabhängigkeit Polens vom russischen Zarenreich zum Ziel hatte. Mit diesem Bändchen, das die Polenbegeisterung im Deutschland jener Jahre spiegelt, stellte sich Veit hinter die polnischen Freiheitskämpfer und war bemüht, Parallelen zu den Vertretern freiheitlicher Anschauungen in Preußen zu ziehen. Wie viele andere Zeitgenossen sah auch Veit im Kampf der Polen ein Vorbild, an dem, wie er meinte, man sich auch in Deutschland orientieren könne.

Veit war als Verleger bemüht, sich immer dann zu Wort zu melden, wenn es darum ging, die Zensur zu bekämpfen, so auch auf einer Versammlung von 400 Buchhändlern am 10. Mai 1841 in Leipzig, auf der beraten wurde, wie künftig mit der Zensur und den Zensoren umgegangen werden sollte. Veit erklärte hier, der Buchhandel sollte Petitionen bei den deutschen Regierungen einreichen, in denen auf den „Unfug und die Tyrannei“ der Zensur verwiesen werde. Die Anwesenden stimmten dem Vorschlag „jubelnd“ zu, wie einem Polizeispitzelbericht zu entnehmen ist.60

Für Veits spätere politische Aktivitäten, die ihn über das Mandat des Berliner Stadtverordneten und das Amt des Stadtrates bis in das Vorparlament und als Abgeordneten bis in die Frankfurter Nationalversammlung führten, ist sein frühes Interesse für den Frühsozialisten Henri de Saint-Simon von Belang, über den er 1833 an der Universität Jena promovierte. Die Arbeit, die er eingereicht hatte, erschien unter dem Titel „Saint-Simon und der Saint-Simonismus. Allgemeiner Völkerbund und ewiger Friede“ (Leipzig, 1834). Schon damals attestierte man ihm immense Kenntnisse, Fleiß und Scharfsinn (Franz Horn) sowie gründliches Wissen, Universalität und geistvolle Gediegenheit (Christian Hermann Weiße).

Ein radikaler Demokrat ist Moritz Veit durch seine Beschäftigung mit Saint-Simon und dessen Lehren dennoch nicht geworden.61 Er blieb zeitlebens das, wozu er sich von Anfang an bekannt hatte – ein Liberaler, der sich in der Tradition des gemäßigten konstitutionellen Liberalismus stehend sah. Zugleich war er, wenn auch mit Abstrichen, ein Monarchist, der für die deutsche Einheit unter Führung Preußens eintrat. In den Parlamenten, in denen er tätig war, äußerte er sich im Plenum zwar selten, aber er arbeitete intensiv in den Kommissionen mit und stellte Anträge (u.a. zu Heimatrecht, Gewerbeordnung, Reichsbibliothek), die als inhaltsreich und weiterführend gerühmt wurden.

Ebenso wichtig wie seine politischen Aktivitäten und Bemühungen war sein Eintreten für die Belange der jüdischen Gemeinde in Berlin. Moritz Veit war zwar kein Anhänger der extremen Reform, aber das bedeutet nicht, dass er Reformen gegenüber grundsätzlich abgeneigt war. Ihm ging es in erster Linie darum, die allgemeinen rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen der jüdischen Bevölkerung in Preußen zu verbessern. Dafür setzte er sich ein, dafür hat er gekämpft.

Fast zehn Jahre lang, und zwar in den Jahren von 1839 bis 1848, war Veit Ältester der Berliner Jüdischen Gemeinde, danach langjähriger Vorsteher des Repräsentantenkollegiums. Zu verdanken ist ihm nicht nur eine Schulgründung Anfang der 1840er Jahre, sondern auch die Einrichtung eines Lehrerseminars („Schullehrer-Seminarium“)62. Ebenso bedeutsam war, dass Veit an der Ausarbeitung eines Gemeindestatuts mitgearbeitet hat, das 1847 in Kraft trat.

Nicht zu vergessen ist auch, dass Moritz Veit an den ersten Planungen zur Errichtung der Neuen Synagoge in Berlin beteiligt war. Bei der Grundsteinlegung, die am 20. Mai 1859 erfolgte, dürfte er noch anwesend gewesen sein, die feierliche Einweihung der im maurischen Stil erbauten Synagoge, die am 5. September 1866 stattfand, hat er jedoch nicht mehr persönlich miterlebt, ebenso wenig wie sein Freund Michael Sachs. Der Bau in der Oranienburger Straße, den eine weithin sichtbare goldene Kuppel schmückt, ist heute ein unübersehbares Wahrzeichen, das an die einstigen Glanzzeiten jüdischen Lebens in der Stadt Berlin erinnert.

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