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Der soziale Wandlungsprozess und seine Auswirkungen

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Wurden Juden im friderizianischen Preußen Rechte und Verbesserungen ihrer Lage zugestanden, dann spielten in der Regel kühle Nützlichkeitserwägungen eine Rolle. Von der Niederlassung einzelner, besonders talentierter jüdischer Zuwanderer versprach man sich wirtschaftliche Vorteile. Das änderte aber nichts daran, dass antijüdische Ressentiments auch weiterhin die Beziehungen zu den Juden ganz wesentlich bestimmten. So bemerkte der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. 1722 in einer „Instruktion“ an seinen Nachfolger in einem geradezu schroffen Ton: „Was die Juden betrift sein leider sehr viell in Unsere lender die von mir keine schutzbriffe haben die müsset ihr aus dem Lande Jagen, den(n) die Juden heuschrechen [Heuschrecken] einnes landes ist und Ruiniren die Kristen“2.

Der Nachfolger des Soldatenkönigs, der große Friedrich, allgemein als aufgeklärt und tolerant bezeichnet, war wie sein Vater ebenfalls nicht gut auf die Juden zu sprechen. Das zeigt das von ihm 1750 erlassene Generalreglement – Mirabeau hat es später bekanntlich als „loi, digne d’un cannibale“ („Gesetz, eines Kannibalen würdig“)3 bezeichnet. Dieses Gesetz bildete die Grundlage der Verfassung für die gesamte preußische Judenheit bis zum Jahre 1812. Erst mit dem Emanzipationsedikt von 1812, so problematisch es im Einzelnen war, schien sich die Lage der Juden allmählich zum Besseren zu wenden.

Vorangegangen waren allerdings schon einige wesentliche gesellschaftliche Veränderungen und Umbrüche. So ist hier der Wandlungsprozess von der ständisch-feudalen zur bürgerlich–kapitalistischen Gesellschaft zu berücksichtigen, der die Juden als soziale Kaste mehr und mehr aus ihrer Isolation herauslöste und in das allgemeine Wirtschaftsleben eingliederte. In diesem bemerkenswerten gesellschaftlichen Veränderungsprozess spielten Juden selbst eine gewichtige aktive Rolle – vor allem jene, die bereits in den Genuss von Privilegien gekommen waren, wie die Itzigs, die Ephraims, die Fraenkels und Veits.

Die Vertreter dieser berühmten Familien, in der Regel Männer, die als Münzpächter, Münzunternehmer, Silberlieferanten und Fabrikanten zu einigem Reichtum gelangten, waren, wie das die Publizistin und Philosophin Hannah Arendt im Rückblick sehr treffend zum Ausdruck gebracht hat, „noch einzelne, zu großem Glanz aufgestiegene Individuen, sie bildeten weder eine Kaste noch eine Klasse des Volkes“4. Sie trugen gleichwohl durch ihre erreichte Stellung mit dazu bei, die Akzeptanz ihrer Glaubensbrüder allmählich voranzubringen.

Dennoch war es nicht allein der sozioökonomische Wandel, der spürbare Veränderungen im Beziehungsgefüge zwischen Juden und Nichtjuden zur Folge hatte. Auch die überall Fuß fassenden Ideen der Aufklärung und Toleranz, die ein neues Denken anregten, sind zu berücksichtigen. Der Appell, sich von der Last ererbter Vorurteile zu befreien, sich von vernunftgemäßer Erkenntnis leiten zu lassen und den Aberglauben durch vernunftgeleitetes Wissen zu ersetzen, fand nicht nur bei aufgeklärten christlichen Theologen, Schriftstellern und Staatsbeamten Anklang, sondern fiel auch bei zahlreichen Juden auf fruchtbaren Boden. Sie begannen, sich nicht nur für die neuen kulturellen Wertbegriffe der europäischen Völker zu interessieren, sondern waren parallel dazu bemüht, sich sozial und kulturell in die jeweiligen Umgebungsgesellschaften zu integrieren.

Als der wohl wichtigste geistige Wegbereiter für den einsetzenden Umdenk- und Modernisierungsprozess gilt im Rückblick der Philosoph und Schriftsteller Moses Mendelssohn (1729–1786). Mendelssohn, seinerzeit eine Ausnahmeerscheinung, war zweifellos einer der ersten Juden in Preußen, die bemüht waren, in eigener Person Judentum und moderne Kultur miteinander in Einklang zu bringen.

Bis heute lebt der „Sokrates an der Spree“, wie Mendelssohn vielfach genannt wird, im allgemeinen historischen Bewusstsein fort, und zwar nicht nur als Freund des Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessing und Urbild von dessen „Nathan“, sondern auch als vielbeachteter Aufklärer und Reformer. Seine philosophischen Schriften, seine Bibel- und Psalmenübersetzungen, vor allem aber seine Schrift „Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum“5 trugen von jüdischer Seite erheblich zum Prozess der Gleichstellung der Juden in Preußen und anderen deutschen Ländern bei.

„Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum“ (1783) erregte bei den Zeitgenossen schon deshalb Erstaunen, weil der Autor ein quasi rechtloser Jude war, der das Recht für sich in Anspruch nahm, für seine unterdrückten Glaubensbrüder zu sprechen und für allgemeine Denk-, Glaubens- und Gewissensfreiheit einzutreten. Gesinnungen, Meinungen und Überzeugungen, so Mendelssohn, dürften weder durch den Staat noch durch die Kirche irgendwelche Einschränkungen erfahren: „Grundsätze sind frey. Gesinnungen leiden ihrer Natur nach keinen Zwang, keine Bestechung. Sie gehören für das Erkenntnißvermögen des Menschen, und müssen nach dem Richtmaß von Wahrheit und Unwahrheit entschieden werden.“6

Einige der von Mendelssohn gebrauchten Formulierungen klingen heute so, als ob sie nicht schon Ende des 18. Jahrhunderts geäußert wurden, sondern unmittelbar aus unserer Zeit stammen. So beispielsweise die Mendelssohnsche Feststellung: „Weder Kirche noch Staat haben also ein Recht die Grundsätze und Gesinnungen der Menschen irgend einem Zwange zu unterwerfen. Weder Kirche noch Staat sind berechtiget, mit Grundsätzen und Gesinnungen Vorzüge, Rechte und Ansprüche auf Personen und Dinge zu verbinden, und den Einfluß, den die Wahrheitskraft auf das Erkenntnißvermögen hat, durch fremde Einmischung zu schwächen.“7

Mendelssohn und seine Mitstreiter erlebten von nichtjüdischer Seite nur eine verhaltene Resonanz. Das hat sie aber nicht daran gehindert, sich trotz der ihnen entgegengebrachten Ablehnung immer stärker mit Preußen zu identifizieren. Man fing an, sich als „jüdischer“ Untertan zu begreifen, ein Bekenntnis, das sich allerdings nicht so sehr auf den Staat, sondern mehr auf das Hohenzollern-Herrscherhaus bezog. Zunehmend identifizierten sich die Juden mit König und Vaterland und signalisierten damit auch ihre Zugehörigkeit zum preußischen Staat.

Zahlreich sind die Dokumente, die das nunmehr entstandene Loyalitäts- und Zugehörigkeitsgefühl spiegeln. Sie reichen von dem Gedicht „Geoffenbartes göttliches Gesetz“, das der Berliner Schutzjude Simon Wolff Brandes dem Kurfürsten anlässlich seiner Krönung zum König 1701 widmete, über Moses Mendelssohns in hebräischer, aber auch in deutscher Sprache verfassten „Dank“- und „Friedenspredigten“ bis hin zu den patriotisch-nationalistischen Ermunterungsreden der Feldrabbiner im Ersten Weltkrieg.

Deutlich wird die Identifikation mit dem preußischen Herrscherhaus aber auch anhand der weniger bekannten Tatsache, dass z.B. in den Synagogen in Potsdam, Halberstadt und anderen Orten der Region seit Ende des 18. Jahrhunderts der preußische Königsadler mit dem Namenszug „Friedrich Wilhelm Rex“ in gusseiserner Form im Eingangsbereich, an der Bimah (dem Lesepodium) oder als Wandbemalung angebracht war. An den hohen jüdischen Feiertagen wurde der Landesherr bewusst mit ins Gebet eingeschlossen.

Bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wurden solche Gebete in den Synagogen gesprochen. Der Vater des Verfassers erinnerte sich beispielsweise daran, als Junge das Gebet gehört zu haben: „Herr der Welt und König der Könige, wir beten zu Dir um Deinen Schutz und Deine Gnade, Deinen Segen und Beistand für unseren König und Herrn Kaiser Wilhelm II. Behüte ihn vor jedem Übel und vor allem Leiden. Begnade ihn durch ein hohes glückliches Alter und daß alle seine heilsamen Wünsche in Erfüllung gehen mögen.“8

Allmählich entwickelte sich unter Preußens Juden eine Art Ergebenheits- und Untertänigkeitskultur. Zum einen spiegelte sie das jüdische Selbstverständnis jener Jahre, zum anderen aber hatte sie den Zweck, der Umgebungsgesellschaft die Anpassungsbereitschaft der im Lande lebenden Juden zu signalisieren. Zu Recht sind die Verlautbarungen, beziehungsweise die Bittschriften und Vorschläge, die zu entsprechenden Anlässen veröffentlicht wurden (so beispielsweise das Huldigungsgedicht anlässlich der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II. 1786: „O Gott! es lebe Wilhelm! Er beherrscht uns! Wie Thau das dürre Erdreich tränkt, so sey Er uns!/ Sein Anlitz leucht’ und lange Jahre noch!“9) als „poetische Zeugnisse der Vaterlandsliebe und der Fürstenverehrung“ (Ludwig Geiger) bezeichnet worden.

Im Kampf um die Freiheit

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