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Saul Ascher, die Deutschtümelei und der um sich greifende judenfeindliche Verschwörungsglaube

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Die nach 1815 wieder zunehmende Diskriminierung der Juden führte dazu, dass sich der Berliner Buchhändler, Privatphilosoph und freie Schriftsteller Saul Ascher (1767–1822) öffentlich zu Wort meldete. Ascher, eine Art „jüdischer“ Jakobiner, der sich als Schriftsteller und jüdischer Aufklärer schon in den 90er Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts mit seinen religionskritischen und politischen Schriften einen Namen weit über die Grenzen Preußens hinaus gemacht hatte,48 veranlasste die um sich greifende Deutschtümelei in christlichen Kreisen, eine Schrift unter dem Titel „Die Germanomanie. Skizze zu einem Zeitgemälde“ (1815) zu veröffentlichen.

Besagte Schrift knüpfte an die Streitschrift „Eisenmenger der Zweite“ (1794) an, mit der Saul Ascher seinerzeit den Philosophen Fichte vehement attackiert hatte. Mit Fichte, so seine Ansicht, hätte eine neue Epoche der Judenfeindschaft begonnen. Hätte man früher Juden aus religiösen Gründen als Volk der Gottesmörder verfolgt, so würde Fichte nunmehr politische Argumente benutzen, um den Juden Bürgerrechte vorzuenthalten. Der Historiker Walter Grab ist seinerseits später sogar so weit gegangen, Fichte als einen Ahnherrn des völkischen Antisemitismus zu bezeichnen.49

In der „Germanomanie“ attackierte Ascher nicht nur die „Christlich-Deutsche Tischgesellschaft“, die er des antifranzösischen Patriotismus und der Judenfeindschaft bezichtigte, sondern griff auch den Kreis um Achim von Arnim, Clemens Brentano und den Philosophen Fichte an. Deren Weltbild sah Ascher nicht nur als verschroben, sondern auch als gefährlich an. Zu Recht hat Walter Grab in diesem Kreis die Anfänge einer deutschen Volkstumsideologie verortet, die im völkischen Denken Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert ihren Niederschlag fand und sich anschließend rasch verbreitete.

Manches, was Saul Ascher schon Jahre zuvor an Fichte kritisiert hatte, insbesondere der christlich-germanische Judenhass, hat dann auch Eingang in den Kreis der „Tischgesellschaft“ gefunden. Ascher, der der „Tischgesellschaft“ und ihren Mitgliedern zutiefst misstraute, sah in ihr eine geheimbündlerische Vereinigung, deren Verbot er für unabdingbar hielt.50

Saul Ascher war nicht nur ein entschiedener Gegner von Zeitgenossen wie Ernst Moritz Arndt und dem Turnvater Jahn, sondern griff in seiner „Germanomanie“ auch eifernde Deutschtümler („Germanomanen“) vom Schlage eines Jakob Fries (1773–1843) und Friedrich Rühs (1781–1820) an. Die beiden Professoren, der eine Philosoph in Jena, der andere Historiker in Berlin, wollten die Juden wieder ins Ghetto zurückstoßen und sie durch das Tragen eines Abzeichens kenntlich machen sowie mit einer Sondersteuer belegen.

In der Hetze gegen Juden tat sich besonders Jakob Fries hervor. In seiner Abhandlung „Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden“ (1816) verstieg sich Fries, der im Übrigen Karl Marx, wenn auch in absentia, mitpromoviert hatte, sogar zu unverhüllten Morddrohungen, wenn er bemerkte, diese „Kaste“, womit er die Juden meinte, gehöre mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Es waren Überzeugungen, die vor allem in der Welt der Romantik jener Jahre einen großen Zuspruch fanden.

Saul Ascher, der die beiden Professoren als Wirrköpfe und Fanatiker verspottete, bestritt in seiner „Germanomanie“, dass die Voraussetzung für das Deutschtum der Juden das christliche Bekenntnis sei, wie das zu dieser Zeit Fries, Rühs und andere behaupteten. Für ihn, und das machte Saul Ascher zu einem Wegbereiter republikanisch-demokratischer Überzeugungen, stehe fest, dass das Grundprinzip des modernen Rechtsstaates nicht das religiöse Bekenntnis, sondern nur die Bereitschaft zur Befolgung seiner Gesetze sein könne.

Auf dem Wartburgfest 1817, das als „Nationalfest“ bei Eisenach in Thüringen stattfand und bei dem rund 500 Studenten deutscher Universitäten, meist Burschenschaftler, der Völkerschlacht bei Leipzig und des 300. Jahrestages des Thesenanschlags Martin Luthers gedachten, wurde zwar die Volksvertretung, die Pressefreiheit und die Abschaffung der Spaltung in ein katholisches und protestantisches Deutschland gefordert – aber es kam auch zur Verbrennung von missliebigen Büchern. Es sind dies die Anfänge eines überzogenen deutschen Nationalismus, der gepaart war mit judenfeindlichen Ansichten.

Neben dem „Code Napoléon“, dem verhassten Gesetzeswerk der Franzosen, das von 1807 bis 1815 in den linksrheinischen Gebieten und in einigen Rheinbundstaaten galt, wurde von den Gefolgsleuten des Turnvaters Jahn u.a. Aschers „Germanomanie“, begleitet mit dem Feuerspruch („Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen unser Volksthum und Deutschthum spotten und schmähen“), den Flammen überantwortet. Das veranstaltete Autodafé während des Wartburgfestes war ein zutiefst symbolischer Akt, der ein Jahrhundert später, im Mai 1933, den Nationalsozialisten bei ihren Bücherverbrennungen als nachahmenswertes Vorbild galt.

Der Dichter Heinrich Heine, zu dieser Zeit noch Student und Burschenschaftler, der zwar nicht persönlich beim Wartburgfest anwesend war, aber von den Vorgängen dort wusste, äußerte drei Jahre später in seinem Schauspiel „Almansor“ den berühmt gewordenen Vers: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher/ Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“51 Es war ein Satz, der zwar nicht unmittelbar auf den Verbrennungsakt beim Wartburgfest anspielte, aber eine geflügelte Sentenz wurde, die von der Nachwelt auf alle Bücherverbrennungen bezogen wurde.

Einige Jahre später spottete Heinrich Heine über den einst auf der Wartburg herrschenden „Teutomanismus“, den er mit folgenden Worten charakterisierte: „[…] hier aber, auf der Wartburg, krächzte die Vergangenheit ihren obscuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und gethan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren!“ Man hätte dort, so Heine weiter, „nichts Besseres zu erfinden“ gewusst, „als Bücher zu verbrennen“52.

In der jüdischen Bevölkerung herrschte tiefe Besorgnis, man hätte es beim Wartburgfest mit einem Rückfall vor das Emanzipationsedikt von 1812 zu tun. Es war ein Verdacht, der nicht unbegründet war. Denn verstärkt wurde die um sich greifende Besorgnis auch noch durch eine Reihe anderer Ereignisse wie die „Hep-Hep“-Ausschreitungen im Sommer des Jahres 1819, insbesondere in ländlichen Gegenden überall in Deutschland, bei denen aufgebrachte Bauern und Handwerker Juden misshandelten und ihre Wohnungen plünderten. Mit dem Ruf „Jude, verreck!“ wurde auch an Synagogen Feuer gelegt. Offensichtlich waren es diese Ereignisse, die Abraham Mendelssohn, den zweitältesten Sohn Moses Mendelssohns, veranlassten, seine Kinder taufen zu lassen.

Nicht zu unterschätzen waren die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse (September 1819), mit denen in Reaktion auf liberale und nationale Tendenzen in Preußen als auch in anderen Bundesstaaten die Meinungsfreiheit wieder eingeschränkt wurde und die sogenannte Demagogen-Verfolgung ihren Anfang nahm. Die Einschränkung allgemeiner Freiheitsrechte ging, wie sich alsbald zeigen sollte, einher mit der Zurücknahme der Versprechungen, die man wenige Jahre zuvor den Juden gemacht hatte. Es waren Restriktionen, wie sie etwa in der revidierten Städteordnung von 1831 festgelegt wurden. Sie führten u.a. dazu, dass kommunale Ämter den Juden auch weiterhin verschlossen blieben.

Das allgemeine politische Klima war nun durch und durch vergiftet, und zwar nicht nur in Preußen, sondern mehr oder weniger überall in Deutschland. Das Trennende saß tief. Liberale Ideen, mit denen u.a. die Forderung nach voller Gewährung der Bürgerrechte für die Juden einherging, galten außer in Westfalen, Baden und einigen kleineren Fürstentümern als per se verdächtig. Wer sich für eine republikanisch-demokratische Verfassung einsetzte, war automatisch ein „Judenfreund“ – und damit jemand, dem man mit Misstrauen begegnete und den man seine Ablehnung spüren ließ.

Die Ablehnung fortschrittlicher Ideen, die man insbesondere den Juden anlastete, führte dazu, dass man in der Verbindung von Liberalismus und den sich verstärkenden „jüdischrationalistischen Tendenzen“ ein toxisches Gebräu erblickte, das vergiftend wirke. Es sei dies, so glaubte man, eine Gemengelage, welche die Gesellschaft in ihrer Existenz und in ihren christlichen Grundfesten gefährden würde. Ein Trend, den man stoppen, eine Entwicklung, die man keinesfalls zulassen wollte.

Die Vertreter des sich herausbildenden christlich-germanischen Konservativismus, jene Politiker also, die die ständische Ordnung durch die liberale These von der Gleichheit aller Menschen bedroht sahen, warnten davor, sich auf das, was sich als jüdisch-liberaler Republikanismus zu erkennen gab, einzulassen. Geschähe das, so meinte man, wäre das ein Weg, der geradezu zwangsläufig ins Verderben führen müsse. Die „Gleichmacherei“ könnte letztlich die Konsequenz haben, dass nicht nur die Juden, sondern auch das Proletariat und möglicherweise auch die Frauen emanzipiert werden wollten.

Die Juden, gleichgültig wie sie sich definierten beziehungsweise wie sie sich der christlichen Umgebungsgesellschaft gegenüber zu erkennen gaben, sah man nach wie vor als eine isolierte, abgesonderte und nicht dazugehörige Randgruppe an – wohlgemerkt nicht nur in Preußen, sondern auch in den meisten anderen deutschen Staaten. Rechtliche Gleichstellung wurde wieder zum Ausnahmefall, und auch die persönliche Unversehrtheit war keine Selbstverständlichkeit mehr. Man müsse, so war zu hören, den Juden im Juden „todtschlagen“, oder ihn, wie es in einer anderen ähnlich gearteten Formulierung hieß, „in sich selbst vertilgen“. Nur dann, so der absurde Glaube, könne der Deutsche als Deutscher gerettet werden.53

Im Kampf um die Freiheit

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