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3. Die Bedeutung der Autonomías

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Eine der weitreichendsten (und bis heute nicht abgeschlossenen) Veränderungen, die die Verfassung von 1978 für Spanien brachte, war die Dezentralisierung. Hier lag auch der größte Konfliktstoff bei ihrer Ausarbeitung, denn einerseits gehörte die Forderung nach regionaler Autonomie zu den Kernanliegen der antifranquistischen Opposition, andererseits war den konservativen Kräften, die Armee eingeschlossen, an einer möglichst effizienten zentralistischen Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet gelegen. Die Autonomieregelungen waren es, die den Altfranquisten Fraga Iribarne bewogen, sich bei der Abstimmung über die Verfassung der Stimme zu enthalten, und die die AP zahlreiche prominente Mitglieder kosteten, und an ihnen scheiterte auch das Referendum über die Verfassung im Baskenland. Der in der Verfassung gefundene Kompromiss hat offensichtlich die Hardliner auf beiden Seiten nicht überzeugt. – Wie sieht diese Kompromisslösung nun aus? Da sind zunächst grundsätzliche Aussagen der Verfassung zu nennen, die auf die regionale Vielfalt Spaniens rekurrieren. So wird schon in der Präambel der Wille bekundet, „alle Spanier und Völker Spaniens“ in Bezug auf „die Ausübung der Menschenrechte, ihre Kulturen und Traditionen, Sprachen und Institutionen zu schützen“. Artikel 2 lässt die Nöte bei der Konsensfindung erkennen, wenn er einerseits die „unauflösliche Einheit der spanischen Nation“ postuliert, andererseits aber den „Nationalitäten und Regionen“, die sie konstituieren, das „Recht auf Autonomie“ zubilligt. Damit sind zwei Konfliktpunkte angesprochen: Wie sind die Begriffe „Nationalität“ und „Region“ voneinander abzugrenzen und welche Konsequenzen hat die Unterscheidung (es wird davon ausgegangen, dass mit den „nacionalidades“ die „historischen“ gemeint sind, also Baskenland, Galicien und Katalonien; gesagt wird es freilich nicht)? Und wie weit kann die Autonomie reichen, ohne die staatliche Einheit zu gefährden? Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Autonomiediskussion ist die Sprachenfrage. Hier erkennt die Verfassung zwar die „distintas modalidades lingüísticas de España“ als zu schützendes Kulturgut an und eröffnet die Möglichkeit, in den betroffenen Comunidades Autónomas die offizielle Zweisprachigkeit einzuführen. Aber sie stellt auch klar, dass im gesamten Staatsgebiet das Kastilische Amtssprache ist und dass alle Spanier die Pflicht haben, es zu beherrschen, und das Recht, es anzuwenden (Art. 3). Von den Sprachexperten der Comunidades Autónomas, insbesondere in Baskenland, Katalonien und Galicien, wird immer wieder kritisiert, dass umgekehrt für die Regionalsprachen weder eine entsprechende Pflicht noch ein Recht verfassungsmäßig verankert sind und folglich von einer gleichberechtigten Zweisprachigkeit nicht die Rede sein kann.

Ausführlichere Richtlinien in Bezug auf die Comunidades Autónomas enthält Kap. III des Titels VIII (Art. 143–158) und eine Reihe von der Verfassung angehängten „Zusatz“- bzw. „Übergangsregelungen“. Aus diesen Bestimmungen geht hervor, dass bei der Gliederung des neuen spanischen Staates kein föderalistisches Modell angestrebt wird, sondern eher ein regionalistisches. Freilich wird hier die territoriale Neugliederung noch nicht gestaltet – es wird noch nicht einmal die Anzahl der Comunidades Autónomas festgelegt, geschweige denn andere Daten, wie ihre Grenzen oder Benennungen. Stattdessen wird den Provinzen die Möglichkeit eröffnet, sich allein oder in Zusammenschlüssen als Comunidades Autónomas zu konstituieren, wenn dies ihrem Willen entspricht („Dispositionsgrundsatz“) und sie die festgelegten Bedingungen erfüllt haben. Und es bleibt jeder Comunidad Autónoma selbst überlassen, sich ein eigenes Autonomiestatut zu geben, das, nachdem es vom Zentralparlament angenommen wurde, als institutionelle Grundlage der Comunidad Autónoma dient. Diese Statuten enthalten heute in der Regel fünf Titel zu folgenden Bereichen: Grundprinzipien des jeweiligen Autonomieprozesses, Kompetenzen der Comunidad Autónoma, Geldquellen zur Finanzierung dieser Kompetenzen, politische und administrative Institutionen, Procedere zur Reformierung der Statuten.

Die Verfassung sieht zwei Zugangswege zur Autonomie vor: Den „gewöhnlichen“ Weg nach Art. 143, nach dem die Initiative für den Autonomieprozess von sämtlichen betroffenen Provinzialräten (Diputaciones) sowie ⅔ der Gemeinden (deren Bevölkerungszahl mindestens der Mehrheit der Wahlberechtigten entsprechen muss) ausgehen muss. Ist diese Initiative erfolgreich, so kann die nun gebildete Comunidad Autónoma eine Reihe von Kompetenzen übernehmen, die in Art. 148 aufgelistet sind. Diese Kompetenzen sind zum größten Teil administrativer Natur und führen nicht notwendigerweise zur Einrichtung von politisch relevanten Institutionen wie Regionalparlamenten. Nach Ablauf von fünf Jahren kann die Comunidad Autónoma ihre Statuten reformieren, um sukzessive weitere Kompetenzen zu übernehmen. Der Rahmen wird dabei von Art. 149 abgesteckt, der all die Materien aufführt, in denen dem Staat die alleinige Kompetenz vorbehalten bleibt. Die Kompetenz in Materien, die nicht in Art. 149 aufgelistet sind, die aber die Comunidad Autónoma dennoch nicht übernehmen will, verbleibt beim Staat. Der zweite Weg zur Autonomie wird in Art. 151 festgelegt: Wenn außer den Provinzialräten auch ¾ der Gemeinden der betreffenden Provinzen, deren Bevölkerungsanteil wiederum mindestens die Mehrheit der Wahlberechtigten ausmachen muss, die Initiative tragen und diese Initiative darüber hinaus in einem Referendum von der absoluten Mehrheit der Wähler jeder Provinz befürwortet wird, kann die zu bildende Comunidad Autónoma ohne die Wartezeit von fünf Jahren sogleich den vollen Kompetenzumfang übernehmen. Das bedeutet, dass dieser Weg von vornherein auch auf eine politische Autonomie der Regionen ausgerichtet ist. Die Offenheit dieser Regelungen, die die territoriale Neugliederung als Prozess definieren, der weitgehend der Initiative der Provinzen überlassen wird, entspricht zwar dem Konsenscharakter der gesamten Verfassung, hat aber andererseits dafür gesorgt, dass die Autonomiefragen bis heute zu den konfliktträchtigsten der spanischen Politik zählen.

Neben diesem grundsätzlichen Problem erschweren weitere Formulierungen den Autonomieprozess: So enthält die Verfassung diesbezüglich zahlreiche Kann-Bestimmungen, die einigen Spielraum in der Anwendung lassen. Und in den Auflistungen der Materien, die in den Kompetenzbereich von Staat oder Comunidad Autónoma fallen, wird nicht deutlich zwischen der gesetzgebenden und der administrativen Kompetenz im jeweiligen Bereich unterschieden, so dass Kompetenzstreitigkeiten unvermeidbar waren.


Abb. 5: Die sprachliche Gliederung Spaniens (2011)

All diese Punkte haben dazu geführt, dass die Auseinandersetzungen im Ablauf der Autonomieprozesse häufig von der politischen Bühne in den Bereich der Justiz verlagert wurden. In den 80er Jahren wurde das Verfassungsgericht regelrecht mit Klagen überschwemmt, so dass allmählich dessen Entscheidungen zu einer die Verfassung ergänzenden Rechtsgrundlage für das Verhältnis zwischen Zentralregierung und Comunidades Autónomas wurden. Konflikte ergeben sich durch die Kompetenzverteilung zwischen Staat und Comunidad Autónoma in den Fällen, in denen beide sich die Kompetenzen teilen, wenn etwa der Staat in einer Materie für die Rahmengesetzgebung, die Comunidad Autónoma hingegen für die Durchführungsgesetzgebung zuständig ist. Große Auseinandersetzungen gab es um die LOAPA (Ley Orgánica de Armonización del Proceso Autonómico), die 1982 verabschiedet wurde und die legislativen Kompetenzen der Comunidades Autónomas deutlich beschnitten hätte. Ein Jahr später wurde das Gesetz jedoch vom Verfassungsgericht in 14 von 38 Artikeln für verfassungswidrig erklärt und daraufhin außer Kraft gesetzt. Ein strukturelles Problem ist das Fehlen einer Institution, die der Zusammenarbeit zwischen Zentralstaat und Comunidades Autónomas einen Rahmen geben könnte.

Die ersten Regionen, die den verfassungsgemäßen Autonomieprozess eröffneten, waren, wie zu erwarten, das Baskenland und Katalonien. Sowohl das baskische „Statut von Gernika“ als auch das katalanische „Statut von Sau“ wurden im Oktober 1979 von der jeweiligen Bevölkerung in einem Referendum angenommen und traten anschließend in Kraft. Neben diesen gehörte auch Galicien zu den „historischen Nationalitäten“, denen die Verfassung (in der zweiten Disposición transitoria) den Zugang zur Autonomie nach Art. 151 erleichterte, da sie bereits in der Zweiten Republik ein Autonomiestatut besaßen, das per Plebiszit gebilligt worden war. In Galicien war die Wahlbeteiligung von nur 28 % bei der Abstimmung über das Autonomiestatut (1980) ein deutliches Zeichen für das geringe Interesse der Bevölkerung an diesem Prozess.

Der größte Teil der übrigen Regionen entschied sich für den langsamen Weg zur Autonomie nach Art. 143, aber Andalusien, Valencia und die Kanaren nahmen sich die historischen Nationalitäten zum Vorbild und wollten wie sie möglichst rasch über Art. 151 das höhere Kompetenzniveau erreichen. Das sah die UCD-Regierung mit Unbehagen, da der politische Gegner PSOE in Andalusien und Valencia eine starke Basis und daher gute Aussichten auf einen Sieg bei künftigen Regionalwahlen hatte. Also versuchte sie den „nicht-historischen“ Regionen den Zugang zur Autonomie über Art. 151 zu verweigern, was in Andalusien indes nicht gelang. Das Referendum von Februar 1980 verfehlte zwar knapp das von der Verfassung geforderte Ergebnis, zeigte aber deutlich den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung, den schnellen Weg zur Autonomie einzuschlagen. So stimmte schließlich die Suárez-Regierung dem Begehren zu und Andalusien konnte als einzige „nicht-historische“ Region den ‚Königsweg‘ zur Autonomie nach Art. 151 beschreiten.

Um die Auseinandersetzungen in Bezug auf das Procedere der einzelnen Autonomieprozesse definitiv zu beenden, schlossen UCD und PSOE 1981 die ersten Acuerdos Autonómicos (Autonomiepakte), die den Weg nach Art. 143 für alle verbleibenden Comunidades Autónomas festschreiben, aber Sonderregelungen für Valencia, die Kanaren und Navarra (aufgrund der anerkannten Foralrechte) vorsehen. 1983 erhielten mit Extremadura, den Balearen, Madrid, Kastilien und León die letzten Regionen ihr Autonomiestatut und die Phase der Konstituierung des „Autonomiestaates“ Spanien kann als abgeschlossen betrachtet werden. Er besteht aus siebzehn Comunidades Autónomas, die in Bezug auf Fläche, Bevölkerungsdichte und Pro-Kopf-Einkommen beträchtliche Unterschiede aufweisen. Dazu kommen die beiden autonomen Exklaven in Marokko, Ceuta und Melilla. Die Festlegung der Grenzen orientierte sich an der Gliederung in Provinzen, die auf den Reformer Javier de Burgos zurückgeht, der 1833 Spanien nach dem französischen Vorbild in 49 Provinzen eingeteilt hatte (die 50. Provinz entstand 1927 durch die administrative Zweiteilung der Kanaren). Obwohl die Gliederung in Provinzen die historisch gewachsenen Strukturen zerschlagen hatte und in den einzelnen Regionen als ungeliebtes zentralistisches Instrument galt (und gilt), hat sie bis heute überlebt. Die Comunidades Autónomas bestehen in der Regel aus dem Zusammenschluss mehrerer Provinzen, in einigen Fällen auch nur aus einer einzigen.


Abb. 6: Gliederung nach Comunidades Autónomas (2011)

Außer den geografischen, demografischen und ökonomischen Unterschieden bestand zwischen den Comunidades Autónomas zunächst aufgrund der verschiedenen Zugangswege auch ein beträchtliches Kompetenzgefälle, das für permanente Unruhe sorgte. Einerseits wollten die Comunidades nach Art. 143 möglichst bald mit denen des bevorzugten Zugangs gleichziehen, andererseits strebten vor allem Katalonien und das Baskenland weiterhin nach einer Ausweitung ihrer Kompetenzen. Als in allen Comunidades nach Art. 143 die gesetzliche 5-Jahresfrist verstrichen war und die Kompetenzerweiterung in Angriff genommen werden konnte, bot die Verfassung erneut zwei Wege zu diesem Ziel: entweder nach Art. 148.2 durch Reformierung der Autonomiestatuten innerhalb der Comunidades Autónomas oder nach Art. 150.2 durch ein nationales Organgesetz (wie im Falle der schon verabschiedeten Sonderregelungen für Valencia und die Kanaren). Die PP-regierten Comunidades Autónomas optierten für den ersten, die PSOE-regierten für den zweiten Weg. Schließlich bereitete der zweite Autonomiepakt zwischen der PSOE-Zentralregierung und dem PP den Weg für die Ley Orgánica de Transferencia de Competencias (1992), die durch den Transfer von umfangreichen weiteren Kompetenzen an die zehn betroffenen Comunidades Autónomas auf eine Nivellierung hinwirkte. Die heute noch relevanten Kompetenzdifferenzen finden sich zum einen im Finanzbereich, wo Baskenland und Navarra aufgrund des Foralsystems Sonderrechte genießen, zum andern im Gesundheitswesen und der Inneren Sicherheit (autonome Polizei in Baskenland: Ertzaintza und Katalonien: Mossos d’Esquadra) sowie in regionalspezifischen Bereichen wie Sprache oder Insellage. Da die Fragen der finanziellen Ausstattung selbstverständlich zu den vitalsten in der Autonomiediskussion gehören, spielen die Unterschiede zwischen den beiden Comunidades Autónomas mit Foralsystem und denjenigen mit „gewöhnlichem“ Finanzierungssystem eine große Rolle. Das Foralsystem überlässt die Erhebung und Verwaltung der staatlichen Steuern (vor allem Lohn- und Einkommens-, Körperschafts- und Mehrwertsteuer) den Comunidades Autónomas selbst, die ihrerseits dem Staat eine gewisse Summe (cupo) zuweisen, die sich nach den staatlichen Ausgaben in der Comunidad berechnet. Das gewöhnliche System hingegen funktioniert umgekehrt: Der Staat erhebt die wichtigen Steuern selbst und weist den Comunidades Autónomas einen ihrem Bedarf entsprechenden Anteil, der sich nach Fläche, Bevölkerungsdichte etc. errechnet, zu. Die Comunidades Autónomas ihrerseits erheben und verwalten einige weniger bedeutende Steuern wie z.B. die Erbschaftssteuer und können Zuschläge auf die staatlichen Steuern erheben. Es liegt auf der Hand, dass das Foralsystem eine deutlich größere Selbständigkeit in Finanzfragen bringt und von daher auch von anderen Autónomas, allen voran Katalonien, immer wieder Vorstöße unternommen werden, um dieses System zu übernehmen. Die schrittweisen Erfolge dieser Bemühungen sind darin ersichtlich, dass ein steigender Anteil an Lohn- und Einkommenssteuer von den Comunidades Autónomas selbst eingezogen wird, der sich zurzeit auf 30 % beläuft. Das war eines der Zugeständnisse, die die Katalanen 1996 für ihre Unterstützung der PP-Regierung aushandelten.

Einen gewissen Ausgleich zwischen den wirtschaftlich sehr unterschiedlich entwickelten Comunidades Autónomas soll ein Kompensationsfonds schaffen (vergleichbar dem deutschen Länderfinanzausgleich), aus dem der Staat den finanzschwächeren Comunidades unterstützende Mittel zukommen lässt, um damit dem in Art. 138 der Verfassung geforderten Solidaritätsprinzip Genüge zu tun. Was die Ausgaben betrifft, so bestehen ebenfalls Unterschiede zwischen den einzelnen Comunidades Autónomas, die zum einen auf das Foralsystem, zum andern aber auch auf das noch immer nicht völlig homogene Kompetenzniveau (etwa im Gesundheitswesen) zurückzuführen sind. Auf jeden Fall ist die finanzielle Autonomie der Comunidades Autónomas kontinuierlich gewachsen, was an ihrem steigenden Anteil an der Gesamtheit der öffentlichen Ausgaben abzulesen ist.

Auf institutioneller Ebene ähneln die siebzehn Comunidades Autónomas einander heute sehr: Alle verfügen über eine gesetzgebende Versammlung mit einer Kammer, die in allgemeiner Wahl gewählt wird, einen von diesem Parlament gewählten und vom König ernannten Präsidenten und einen Regierungsrat mit exekutiver Funktion (Consejo de Gobierno, Junta, Consell Executiu, Diputación Foral/General …). Der Präsident hat die doppelte Rolle des höchsten Repräsentanten seiner Comunidad Autónoma und zugleich eines Repräsentanten des Staates innerhalb der Comunidad inne (daneben wird die Zentralregierung von einem Delegado repräsentiert, der für die beim Staat verbliebenen Kompetenzbereiche, die in den einzelnen Comunidad Autónoma variieren, verantwortlich ist). Ansonsten funktionieren Parlament und Regierung ganz ähnlich wie auf staatlicher Ebene. Den Ministerien entsprechen die Consejerías, an deren Spitze ein Consejero steht, Regierungsrat und Präsidenten sind dem Parlament gegenüber politisch verantwortlich.

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