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KAPITEL 3

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Das Oktavo

Quellen: E. L., Madame S., A. Vingström,

die Damen N. und C. Kallingbad

In jeder Straße gab es Kuppler und Wichtigtuer, die ein Dutzend heiratsfähiger Mädchen nennen konnten – die aber waren entweder arm oder schon alte Jungfern. Pflichtschuldig stellte ich eine Liste zusammen, die ich meinem Vorgesetzten zeigen konnte, schindete aber Zeit, indem ich erklärte, vor einer Heirat ohne echte Gefühle zurückzuschrecken. Er bot an, sich für mich in seinen »höheren« Kreisen umzuhören, doch ich hegte keinerlei Zweifel, dass diese Mädchen so tugendhaft wie unattraktiv und stumpfsinnig waren. Und gerade als ich kurz davorstand, aus diesem erbärmlichen Grüppchen eine Frau wählen zu müssen, tauchte Carlotta Vingström auf. Wir trafen zufällig zusammen, als ich geschäftlich mit ihrem Vater zu tun hatte, einem erfolgreichen Weinhändler, der ein konfisziertes Schiff aus Spanien auslösen wollte. Carlottas Haar war honigblond, ihre Haut von warmem Pfirsichrosa, und sie hatte üppige Rundungen, die auf eine üppige Küche schließen ließen. Carlottas Anblick inmitten all dieser Flaschen und Fässer verleitete mich dazu, ihr noch am selben Tag ein Sträußchen zu kaufen. Mit ihr könnte ich meinen roten Rock behalten und nebenbei das Eheglück finden!

Carlottas Mutter hatte ihre Tochter zweifelsohne darauf vorbereitet, ein, zwei Sprossen auf der sozialen Leiter hinaufzuklettern, Carlotta jedoch schenkte mir, binnen weniger Minuten nachdem wir einander vorgestellt worden waren, einen koketten Blick. Ich eilte nach Hause und schrieb einen Brief, doch es kam keine Ant-wort. Ich hatte eben keine Ahnung, wie man um eine Frau warb! Also spazierte ich an jenem Sommerabend zu einer Partie Boston Whist und einem schönen Portwein zu Sofias Haus und hoffte, die Karten würden mir weiterhelfen. Es war ein Sonntag, der Abend war beliebt für Bälle und Feste, in der Ferne hörte ich, wie ein Waldhorn geblasen wurde – Auftakt zu einem Gelage. Der Klang hob meine Stimmung, und ich stieg die gewundene Steintreppe zwei Stufen auf einmal hinauf. Katarina, Madame Sparvs Hausmädchen, begrüßte mich mit der spröden Sachlichkeit, die gegenüber Spielern angebracht war, und ich gesellte mich an einen Tisch voller reicher, unerfahrener Spieler. Gerade wollte ich meinen Stich mit der Dame einstreichen, da beugte sich Madame Sparv zu mir und flüsterte: »Ganz kurz, Herr Larsson, es ist wichtig.« Wie die Höflichkeit es gebot, stand ich auf und folgte ihr durch den Saal.

»Was ist passiert?«, fragte ich leise. Mir fiel auf, dass sie die Hände rang.

»Nichts ist passiert. Ich hatte eine Vision. Und wenn sie einen anderen Menschen betrifft, stehe ich unter Schwur, sofort davon zu berichten.« Sie hielt inne, nahm meine Hand und starrte auf meine Handfläche. »Hier sind die gleichen Hinweise.« Sie blickte lächelnd auf. »Liebe und Verbundenheit.«

»Wirklich wahr?«, fragte ich bass erstaunt.

»In meinen Visionen sehe ich die Wahrheit. Sie ist aber nicht immer so zart. Kommen Sie.«

Sie ging zur Treppe, und ich folgte ihr in ihr Zimmer im Oberstock. Wie in den Spielsälen gab es auch hier schwere Vorhänge und einen dicken Teppich, aber es roch weniger nach Tabakrauch und mehr nach Lavendel, die Temperatur wurde absichtlich kühl gehalten. Der Raum war gemütlich und schlicht eingerichtet – nur ein runder Holztisch mit vier Stühlen, eine Anrichte mit Weinbrand und Wasser und zwei Ohrensessel neben einem Ofen mit moosgrünen Kacheln. Ich hatte schon einigen Kartenlege-Sitzungen beiwohnen dürfen, für gewöhnlich wenn ein einsamer, schüchterner Kunde wünschte, einen anderen Normalsterblichen an seiner Seite zu haben. Bis auf eine Sitzung fand ich alle unseriös. Doch jenes eine Mal hatte Madame Sparv erklärt, sie habe eine Vision, und uns gebeten, sie nicht anzusehen. Ich machte meine Augen fest zu, doch ich spürte solch eine Energie in diesem Raum und eine solche Feierlichkeit in ihrer Stimme, dass ich vor Aufregung Gänsehaut bekam. Eine gewisse Dame N. wurde in den markerschütterndsten biblischen Worten über ihr Schicksal aufgeklärt. Als die Dame das Zimmer verließ, war sie blass und zitterte, und sie kam nie wieder. Ich redete mir ein, alles sei Theater gewesen, doch kurz darauf wurden die düsteren Prophezeiungen wahr. Daraufhin zeigte ich mich bezüglich Madame Sparvs Gabe wachsamer – und war weniger geneigt, an ihren Sitzungen teilzunehmen. Eine Vision von Liebe und Verbundenheit war jedoch ein unleugbar gutes Omen. »Was genau haben Sie in Ihrer Vision gesehen?«, fragte ich.

»Sie, Herr Larsson. Die Vision hatte ich heute Nachmittag.« Sie nahm einen Schluck Wasser aus einem Glas von der Anrichte. »Ich weiß nie, wann eine Vision kommt, aber nach all den Jahren kenne ich die Hinweise, die sie ankündigen. Ich habe dann einen merkwürdigen metallischen Geschmack im Rachen, der wie eine Schlange meine Zunge hinaufkriecht.«

Wir setzten uns an den Tisch, sie legte die Hände flach auf ihre Schenkel, schloss kurz die Augen, schlug sie dann wieder auf und lächelte. »Ich sah eine Weite aus glitzerndem Gold wie Münzen, die zu einer himmlischen Musik tanzten. Dann verschmolzen alle miteinander und bildeten einen goldenen Weg. Und auf diesem Weg wanderten Sie.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Sie haben Glück, Herr Larsson – Liebe und Verbundenheit kommen nur zu wenigen.«

Ich verspürte diese angenehme Spannung, die mit der Übereinstimmung von Fragen und Antworten einhergeht, und erzählte ihr von dem Dekret meines Vorgesetzten: dass ich ein achtbarer Ehemann werden müsste, um meinen Posten beim Amt zu behalten.

»Dann war diese Vision kein Zufall«, sagte sie.

»Und dennoch steht mir nicht der Sinn nach einer ernsthaften Bindung.«

Sie langte über den Tisch hinweg und legte ihre Hand auf meine. »Man kann sie schwerlich vermeiden. Menschen treten in unser Leben, ohne dass wir sie darum gebeten hätten, und sie bleiben, ohne eingeladen zu sein. Sie übermitteln uns Erkenntnisse, die wir nicht erbeten haben, und schenken uns Dinge, die wir nicht wollen. Dennoch brauchen wir sie.« Sie beugte sich zu einer schmalen Schublade unter der Tischplatte hinunter und zog ein Kartendeck sowie ein zusammengerolltes Musselin-Tuch hervor. »Diese Karten benutze ich für die höchste Form der Weissagung, das Oktavo. Da Sie in meiner Vision so deutlich in Erscheinung traten, möchte ich diese Legetechnik bei Ihnen anwenden.«

Sie mischte ausführlich, hob drei Stapel ab und legte sie wieder aufeinander. Ich frage Madame Sparv, warum sie Karten brauchte – ihre Vision sei doch sicherlich ausreichend. Mit einer einzigen Bewegung kippte sie den Stapel und fächerte die Karten in einem weiten Bogen auf dem Tisch auf.

»Karten sind geerdet, aber sie sprechen die Sprache des Unbekannten. Sie dienen mir als Übersetzer und Führer und können uns zeigen, wie man eine Vision wahr macht.« Sie beugte sich zu mir vor und flüsterte: »In meinem eigenen Leben und während meiner Sitzungen begann ich Muster zu sehen, die die Zahl Acht beinhalteten. Ich gelangte zu der Überzeugung, dass wir von Zahlen regiert werden, Herr Larsson. Ich glaube nicht, dass Gott ein Vater ist, sondern dass Er eine unendliche Zahl ist, und die drückt sich am besten in der Acht aus. Die Acht ist das alte Symbol der Ewigkeit. Liegend ist sie das Zeichen, das Mathematiker Lemniskate nennen. Stehend ist sie ein Mensch, dessen Schicksal es ist, wiederum in die Unendlichkeit zu fallen. Mathematisch wird diese Philosophie ›Göttliche Geometrie‹ genannt.«

Sie entrollte das Tuch. In der Mitte war ein rotes Quadrat dargestellt, umgeben von acht exakt spielkartengroßen Rechtecken, die ein Oktogon bildeten. Das Quadrat und die Rechtecke waren nummeriert und benannt. Über diesem Diagramm waren hauchdünne geometrische Formen, Kreise und Linien gezogen. Madame Sparv fuhr mit dem Zeigefinger das zentrale Quadrat und den mittleren Kreis nach. »Der mittlere Kreis ist der Himmel, das Quadrat darin die Erde. Geteilt werden sie durch das Kreuz, das die vier Elemente bilden. Die Schnittpunkte ergeben das Achteck, die heilige Form.«

»Woraus leitet sich diese Geometrie ab?«, fragte ich. Mathematik und Magie waren sehr en vogue.

»Das finden Sie nicht in der Broschüre eines billigen Orakels vom Markt. Das ist das Wissen von Geheimgesellschaften, uraltes Wissen, das einer Elite vorbehalten ist. Ich darf Ihnen meine Quelle nicht nennen, aber es gibt da den einen oder anderen Herrn, der bereit ist, eine Dame darin zu unterweisen. Ich habe niemals mehr erhalten als elementare Anleitungen, diese Philosophie aber steht überall für uns geschrieben. Gehen Sie zur Katharinenkirche auf Södermalm, ihr Turm übermittelt eine bedeutende Botschaft. Gehen Sie in jede beliebige Kirche, Herr Larsson – das Taufbecken ist fast immer achteckig. Diese Form steht für den achten Tag nach der Schöpfung, wenn der Lebenszyklus von neuem beginnt. Es ist der achte Tag nach dem Einzug Jesu in Jerusalem. Das Oktavo ist die Kartenverteilung der Wiederauferstehung.«

»Und was ist das kleine Quadrat ganz in der Mitte?«, fragte ich. »Es steht für Ihre Seele, die auf ihre Wiedergeburt wartet. Ein Ereignis, das ein Oktavo nahelegt, wird Sie unweigerlich grundlegend verändern.« Sie fasste über den Tisch hinweg und drückte zwei Finger mitten auf meine Brust. Ich spürte die beiden miteinander verbundenen Kreise auf meinem Brustbein. »Sie müssen die Ringe der Acht durchlaufen, um zum Ende zu gelangen«, sagte sie.

Mein Mund war plötzlich staubtrocken. »Aber die Acht hat kein Ende.«

Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln und zog ihre Hand zurück. »So, wie auch die Seele kein Ende hat.«

Sie fuhr fort: »Die ausgelegten Karten stehen für acht Menschen.« Sie berührte jedes Rechteck auf dem Tuch. »Jedes Ereignis, das dem Suchenden widerfahren könnte, und zwar ausnahmslos jedes, kann mit einem Kreis von acht Personen in Beziehung gesetzt werden. Und diese acht müssen zur Stelle sein, wenn das Ereignis eintreten soll.«

»Mehr als drei Menschen zugleich halte ich nicht aus, Madame Sparv, und das auch nur, wenn diese mir am Spieltisch gegenübersitzen«, sagte ich.

»Weniger geht nicht, und mehr finden Sie nicht. Diese acht Menschen können rückblickend ohne Schwierigkeiten ausgemacht werden, aber während man das Oktavo legt, erkennt man sie erst, kurz bevor das Ereignis eintritt. Der Suchende kann es dann in die Richtung beeinflussen, die er wählt. Sie müssen die acht nur antippen. Nehmen Sie es als Schicksal hin, als freiwillige Bindung.«

»Und aufgrund welches bevorstehenden Ereignisses wollten Sie nun ein Oktavo legen?«

»Es ist ein Ereignis von herausragender Bedeutung, ein Wendepunkt. Die meisten Menschen haben ein oder zwei solche Momente in ihrem Leben, aber ich kenne auch einige, die hatten vier. Liebe und Verbundenheit, die ich für Sie gesehen habe, stehen für solch ein Ereignis. Eine Vision ist oft der Katalysator dafür.«

»Das gibt mir die Hoffnung, dass ich wirklich diesen goldenen Weg einschlagen könnte! Aber ich durfte ja schon bei Ihren Sitzungen zugegen sein und habe Sie nie zuvor ein Achteck legen sehen.«

»Richtig, Herr Larsson, das ist nicht für jedermann. Ich muss das Oktavo anbieten, und der Suchende muss es akzeptieren. Er muss einen Eid leisten, dass er den Weg bis zum Ende geht.«

»Waren diese Suchenden denn in der Lage, die Ereignisse zu beeinflussen, die ihnen vorhergesagt wurden?«

»Nur diejenigen, die dem Eid, den sie geschworen hatten, auch gefolgt sind. Für jeden von ihnen hat sich die Welt verändert, und ich würde sagen, zu ihren Gunsten. Die anderen gingen im Sturm zugrunde, den sie nicht sehen wollten. Ich kann Ihnen versichern, dass mir das Wissen, das ich aus meinem letzten Oktavo gezogen hatte, große Sicherheit und Annehmlichkeiten geschenkt hat.«

»Sicherheit und Annehmlichkeiten …« Ich deutete auf den Weinbrand, der auf Madame Sparvs Anrichte stand. Sie nickte, ich goss mir ein Glas ein. Ich könnte das Oktavo dazu nutzen, Carlotta Vingström in mein Hochzeitsbett zu bekommen. Das würde mir meine Position im Amt sichern und mir zweifellos eine großzügige Mitgift bescheren, ganz zu schweigen von den Freuden, die Herrn Vingströms exzellenter Weinkeller bietet. Ein goldener Weg, in der Tat! Ich setzte mich wieder und rieb mir die Hände, um sie zu wärmen, wie ich es vor jeder Partie tat. »Dann sollte ich dieses Spiel der Acht also aufnehmen«, sagte ich.

»Wollen Sie? Es ist kein Spiel.«

»Ja«, sagte ich und faltete meine Hände im Schoß.

»Und Sie schwören, es zu vollenden?«

Ich nahm noch einen Schluck Weinbrand und stellte das Glas ab. »Ich schwöre.«

Auf einmal wurde es totenstill. Madame Sparv drückte das Kartendeck zusammen und reichte es mir. »Wählen Sie Ihre Karte – diejenige, der Sie am ähnlichsten sind.«

So begannen all ihre Sitzungen: Wenn der Suchende ein Anliegen hatte, bat sie ihn, eine Karte zu wählen, die ihn im Lichte seiner Frage am besten repräsentierte. Dass meist Könige, Damen und der eine oder andere Bube gewählt wurden, muss nicht betont werden; während einer normalen Sitzung konnte man bei der Dunkelheit, den flackernden Kerzen und dem ablenkenden schweren Atem des Suchenden die Karten auch kaum erkennen. Aber dieses hier war nicht das Standarddeck. Die Karten waren alt, aber nicht übermäßig abgenutzt, sie waren schwarz bedruckt und handbemalt. Es waren deutsche Karten, und statt der üblichen Farben Karo, Herz, Pik und Kreuz zeigten sie Kelche, Bücher, Weingefäße und etwas, das aussah wie ein Pilz, tatsächlich aber ein Stempelkissen war. Die Bildkarten bestanden aus zwei Buben, dem Unter und dem Ober, sowie dem König; die Dame war zur Zehn herabgestuft. Bild- und Augenkarten waren gleichermaßen mit einer verschlungenen Ornamentik aus Flora, Fauna und menschlichen Figuren aus jedem Lebensabschnitt verziert. Ich war versucht, die Karte zu ziehen, auf der drei Männer fröhlich in einem riesigen Weinfass schwelgten, denn ich dachte voller Zuneigung an den Bacchus-Orden.

»Denken Sie daran, Herr Larsson: In diesem Spiel sollen Sie sich weder schmeicheln noch selbst kritisieren. Lassen Sie sich Zeit, bis Sie sich gefunden haben.«

Dreimal sah ich das ganze Blatt durch, bevor ich meine Wahl traf. Die Karte zeigte einen jungen Mann auf einem Weg, aber er blickte über seine Schulter zurück, als würde ihm jemand oder etwas folgen. Vor ihm auf dem Boden lag ein Buch, aber er achtete nicht darauf. Am Wegrain blühte eine Blume, doch auch sie fand keine Beachtung. Dass er einen roten Rock, wie ein Sekretär, trug, war mir gleich aufgefallen. Madame Sparv nahm die Karte und legte sie lächelnd in die Mitte des Diagramms.

»Der Unter der Bücher. Das halte ich für eine gute Wahl. Bücher sind das Zeichen für Strebsamkeit, und ich weiß, dass Sie hart für Ihren Rock gearbeitet haben. Diesem Mann stehen zwar alle Möglichkeiten offen – das Buch, das Schwert, die Blume –, er aber nutzt sie nicht. Noch nicht.« Ich spürte ein Kribbeln im Nacken. Madame Sparv nickte zu dem Diagramm hin. »Die graphische Darstellung zeigt die Rollen, die Ihre acht Personen spielen werden. Es kann sein, dass sie nicht in der genauen Reihenfolge vorkommen, und ihre Rollen sind auf den ersten Blick auch nicht immer ersichtlich: Der Lehrmeister kann wie ein Hanswurst daherkommen, und der Gefangene scheint nicht befreit werden zu müssen. Beim Oktavo muss man einen dritten oder auch vierten Blick auf die Menschen um einen herum werfen und sich vor überstürzten Urteilen hüten.« Sie mischte noch einmal und bat mich, abzuheben, dann schloss sie die Augen und drückte das Deck wieder zwischen ihren Handflächen zusammen. Vorsichtig legte sie eine Karte halblinks unter den Suchenden. »Karte 1. Der Gefährte.« Dann legte sie im Uhrzeigersinn sieben weitere Karten zu einem Achteck aus:

Sie blickte lange auf die Karten und murmelte die Namen aller acht.

»Wer ist das nun?«, fragte ich schließlich, und mein Blick wurde von der liebreizenden Dame der Weingefäße angezogen. Carlotta?

»Das weiß ich noch nicht. Wir wiederholen das Legen, bis eine Karte zweimal vorkommt; das ist das Zeichen, dass sie bleiben will. Sie kommt dann an die erste freie Stelle im Diagramm.« Sie ließ mir kurz Zeit, damit ich mir die Lage der Karten einprägen konnte, dann sammelte sie alle bis auf den Unter der Bücher wieder ein und mischte. »Zweiter Durchgang. Aufgepasst!« Sie legte weitere acht Karten aus.

Ich wartete gespannt auf die Dame, aber diesmal lag dort ein ganz anderes Grüppchen. »Wo ist meine Liebeskönigin?«, fragte ich.

Sie schob die acht Karten zurück in den Stapel und begann wieder von neuem.

»Wenn bei dieser Runde keine wiederkommt, mache ich mir ein Kreidezeichen auf einer Schiefertafel.«

Dieses Mal drückte Madame Sparv die Karten lange in den Händen, bevor sie sie legte. Ich beobachtete alles sehr genau, konnte aber nichts Merkwürdiges feststellen, außer dass es mir in diesem Zimmer übermäßig warm vorkam. »Kann ich das Fenster einen Spalt öffnen?«, fragte ich leise.

»Schsch!«, zischte sie mich an, dann legte sie die dritte Runde.

»Da ist sie!« Ich spürte das Prickeln, das alle Spieler kennen, wenn die Karte kommt, auf die sie gewartet haben.

»Ihr Gefährte.« Madame Sparv legte die Dame der Weingefäße auf die erste Position im Diagramm und lehnte sich zurück. Sie lächelte nicht mehr wie ein Mädchen auf der Suche nach einer Liebschaft. »Der Gefährte, in diesem Fall eine Sie, ist von entscheidender Bedeutung, denn die acht anderen kreisen auf ihrer Bahn. Sie wird in Ihrem Leben, in Ihren Gesprächen, Ihren Träumen auftauchen. Sie wird von Ihnen angezogen und Sie von ihr. Sie können zusammenarbeiten oder Widersacher sein.«

»Ich bin sicher, dass wir ein harmonisches Paar werden«, sagte ich.

»Die Dame der Weingefäße ist eine Frau mit Macht und Möglichkeiten, die Weingefäße stehen für Überfluss. In der Regel für Geld. Allerdings kann jeder Karte die Rolle eines Wohltäters oder aber eines Gegners innewohnen. Sehen Sie den nicht passenden Ärmel? Die abgestreiften Handschuhe? Dort ist der rankende Wein der Verstrickungen. Mit anderen Worten: Seien Sie vorsichtig!«

»Ich fühle mich ziemlich sicher, Madame Sparv. Denn könnte der Ärmel nicht einfach nur modisch sein, und könnte sie die Handschuhe nicht abgestreift haben, damit ich ihre warme Hand ergreife? Der rankende Wein ist die reiche Ernte, das Gefäß bringt einen berauschenden Wein an meinen Tisch, wahrscheinlich aus Vingströms Kellerei«, sagte ich und sah Carlottas vollen, weichen Mund vor mir.

»Nicht so übermütig, Herr Larsson«, schnaubte Madame Sparv. »Das hier hat nichts mit den Kartenspielen zu tun, die Sie kennen. Der Gefährte kann Sie zur Liebe führen, ohne zwingend selbst der Liebende zu sein. Wir müssen noch weitere sieben Personen treffen.«

»Aber sie könnte es sein.«

»Ja, sie könnte es sein«, sagte sie widerwillig. Sie nahm das ganze Deck und setzte es mit dem Bild nach unten mitten auf das Diagramm.

»Sind wir etwa schon fertig?«, fragte ich zu laut für dieses intime Beisammensein.

»Das Ritual schreibt vor, die Karten bis zum folgenden Tag ruhen zu lassen, sobald eine Position ausgefüllt ist.«

»Aber es ist Ihre Erfindung. Sie können das Ritual ändern, wenn es Ihnen beliebt.«

»Das Ritual kommt durch mich, nicht von mir. Es kommt vom Göttlichen. Oder vielleicht von den Karten selbst. Ich weiß es nicht. Das Oktavo erfordert acht aufeinanderfolgende Nächte. Morgen und in den sechs kommenden Nächten treffen wir uns wieder.« Sie nahm Feder und Tinte aus der Tischschublade und notierte sich meine persönliche Karte und die meines Gefährten in einer dünnen, ledergebundenen Kladde. »Kommen Sie gegen elf Uhr«, sagte sie und löschte die Tinte mit Sand aus einem Streuer.

»Ich soll wirklich jede Nacht kommen?«, fragte ich.

»Ja, Herr Larsson, Sie haben einen Schwur geleistet.«

»Ihre Stammbesucher haben sicherlich keine Geduld für ein so langwieriges Spiel …«

Sie lachte und ging zu ihrer Tonpfeife und dem Zündstein auf der Anrichte. »Für jemand, der nur neugierig ist, würde ich das Oktavo niemals legen. Das wäre so, als verlangte man von einer Schankwirtin, wie ein Alchimist zu denken. Die Sache ist viel zu ernst. Und es steht zu viel auf dem Spiel.«

»Und was steht auf dem Spiel?«

Sie zündete mit dem Zündstein eine Kerze an, hielt sie an ihre Pfeife und saugte am Mundstück, um die Flamme in den Pfeifenkopf zu ziehen. Sie sog den Rauch ein, blies aber nur einen einzelnen Ring wieder aus. »Liebe, Herr Larsson«, sagte sie mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen. »Liebe und Verbundenheit.«

Das Stockholm Oktavo

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