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KAPITEL 6
ОглавлениеKassiopeia
Quellen: E. L., Madame S.
Madame Sparv sah bleich und müde aus, ihre Tränensäcke hingen ein wenig schlaffer hinunter als üblich. Sie stellte ein Tablett mit zwei Gläsern und einer Flasche auf den Tisch, dann setzte sie sich mir gegenüber, so steif wie ihr Holzstuhl mit der geraden Lehne. »Eine ereignisreiche Mittsommernacht, Herr Larsson.«
Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und über die Bartstoppeln, die an meinem Kinn sprossen. »Ja, und kein Ereignis lief so, wie ich es geplant hatte. Haben Sie gesehen, dass meine Carlotta mit diesem … diesem Trampel abgezogen ist? Man hat mir meine Zukunft gestohlen!«
Vom Tablett nahm Madame Sparv einen langen, schlanken Gegenstand, der in einem blauen Seidenfutteral steckte, ihre Hände zitterten leicht, als sie die Hülle abzog und Kassiopeia enthüllte.
»Und dann das da!«, schimpfte ich weiter. »So ein fahrlässiger Schwindel angesichts solch niedriger Einsätze.«
»Das ist kein niedriger Einsatz. Die Uzanne hat mir ein wertvolles Exemplar gegeben, vor allem wenn die Geschichte von der düsteren Herkunft des Fächers wahr ist. Ich werde den neuen Fächerhersteller fragen, Christian Nordén. Er wird wissen, wer und was Kassiopeia ist.«
»Ich weiß, dass sie mindestens ein Monatssalär wert ist«, erwiderte Madame Sparv.
Ich goss mir ein Glas Armagnac ein, Geschirrgeklapper und die Stimmen der Bediensteten drangen durchs Treppenhaus herauf. »Übrigens, ich erwarte eine Beteiligung.«
»Ich habe nicht vor, Kassiopeia zu verkaufen, aber ich werde mich natürlich erkenntlich zeigen.« Sie hielt mir Kassiopeias Blatt hin. »Fällt Ihnen etwas auf?« Sie drehte den Fächer und betrachtete die gemalte Landschaft, »Der Sonnenuntergang, der von Indigoblau zu Orangerot verläuft, die Wolken, die sich am Himmel türmen, das prächtige Haus, die schwarze Reisekutsche … Das war meine Vision für Gustav.«
»Ja!« Ich beugte mich vor und studierte das betörende Bild. Ich stellte mir vor, ich würde selbst die Kutsche besteigen und an einen Ort unvorstellbarer Freuden gefahren werden. »Ich hatte gleich so ein komisches Gefühl, als ich den Fächer auf dem Tisch liegen sah.«
Aus Madame Sparvs Gesicht sprachen Schrecken und Erstaunen zugleich. »Gustav war der festen Überzeugung, die Vision würde sich auf Frankreich beziehen, dabei steht sein eigenes Haus auf dem Spiel. Das wurde heute Abend deutlich.« Sie strich mit dem Finger über das Fächerblatt. »Ich muss ein Oktavo legen.«
»Aber ich habe den König sagen hören, er habe keine Zeit.«
»Nein, Herr Larsson, ich will es für mich selbst legen.« Sie faltete Kassiopeia zusammen und schob sie in ihren Seidenkokon zurück. »Gustav hat zwar etwas mit dieser Vision zu tun, aber ich habe mich geirrt, als ich dachte, sie sei für ihn. Die Vision bezieht sich auf mich. Ich habe die Aufgabe, sein Haus zu schützen.« Sie steckte Kassiopeia in ihre Tasche und tätschelte sie ein paarmal, als könne diese womöglich verschwinden.
»Mit Verlaub, aber ich frage mich, was Sie dem König zum Schutz anbieten wollen.«
»Mein Oktavo. Die Erkenntnis, die mein Oktavo mir schenkt, kann den Verrat ersticken, bevor er eintritt.«
»König Gustav hat zwanzig Jahre lang allen Intrigen getrotzt, Madame Sparv. Und die Patrioten, die wir heute Abend gesehen haben? An einem Tag hasst Herzog Karl seinen Bruder, am nächsten vergießt er wieder Tränen der Liebe und Hingabe für ihn. Pechlin steht mit einem Bein im Grab, und die Uzanne ist … eine Fächersammlerin.«
»Und eine höchst anspruchsvolle dazu. Kassiopeia ist ein Objekt der Macht. Ich habe vor, sie einzusetzen. Vielleicht müssen wir sie entmachten oder verzaubern, vielleicht aber auch zerstören.«
»Wir? Warum sagen Sie wir?«
Sie nahm ihre Pfeife vom Beistelltisch und zündete sie an einer Wachskerze an. »Wir sind Partner, Herr Larsson. Ich kann mich um Herzog Karl kümmern – er ist ein Glaubender und wird mich aufsuchen. Aber ich will, dass Sie mehr über die Uzanne herausfinden: Wer sind ihre Verbündeten, welche Schwächen hat sie, wie will sie Karl auf den Thron bringen? Und passt die Dame der Weingefäße denn nicht genau auf die Uzanne? Ihre Gefährtin.«
»In dieser Rolle sehe ich sie nicht. Und wie soll ich mich der Uzanne nähern? Beim Kartenspiel?«
»Nehmen Sie die Tür, die Carlotta Ihnen öffnet.«
»Carlotta? Carlotta ist mit diesem Trottel von Soldat davongetänzelt, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen!« Ich leerte mein Glas in einem Zug. »Andererseits hatte das arme Mädchen ja gar keine Wahl. »Sie ist eine … Gefangene.« Ich stellte mein leeres Glas ab und setzte mich aufrecht hin. »Mein Oktavo, Madame Sparv. Es ist fast Mitternacht.«
Sie nickte und richtete schnell den Tisch her. »Heute Nacht suchen wir den Lehrmeister, der sie unterweisen wird.« Wir sprachen nicht, während sie die Karten auslegte. Nach fünf Runden kam die dritte meiner acht Karten.
»Der Lehrmeister. Die Acht der Bücher. Bücher sind die Farbe des Zwists.«
»Ich meine mich zu erinnern, dass Sie sagten, sie seien die Farbe des Strebens.«
»Jede Farbe hat ihr Gutes und ihr Schlechtes. Manches Streben ist von schlechter Art. Lernen ist heilig, es erhebt den Menschen in den Himmel, aber mit Dogmen und grausamen Gesetzen werden Menschen erobert und versklavt. Neues Gedankengut konkurriert mit altem. Die Wissenschaft stürzt die Welt und richtet sie wieder auf.« Sie betrachtete das Bild eine Weile aus der Nähe. »Diese Karte steht für eine Frau oder einen Mann als Lehrmeister. Zwei Blumen blühen, eine weiße, eine rote – Gegensätze irgendwelcher Art. Aber die Acht bedeutet Wiedergeburt. Vielleicht strebt auch Ihr Lehrmeister danach. Es ist jemand, der hinaufklettern will – vielleicht den Baum der Erkenntnis oder die Leiter des Erfolgs. Er ist schlau, aber auch empfänglich für Schmeichelei und Nachahmung. Sehen Sie den Papagei?«
»Mir kam gleich mein Vorgesetzter im Amt in den Sinn. Ständig quakt er Bibelverse vor sich hin und gibt mir Ratschläge für die Wahl meiner zukünftigen Gattin.«
»Hm.« Sie zog an ihrer Pfeife. »Aber die Musik, die die beiden so zwanglos teilen, erinnert nicht an eine Hymne im Gesangbuch.«
»Ich wollte heute Nacht mit Carlotta eine Hymne auf Eros singen«, sagte ich und starrte das Paar auf der Karte an.