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KAPITEL 4
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Quellen: E. L., Madame S., Katarina E.
Nachdem die Dame der Weingefäße erschienen war, fühlte ich mich ermutigt, Carlotta am nächsten Morgen einen Brief zu schreiben; die Antwort kam mit der Nachmittagspost. Sie schrieb, sie finde meine geheimnisvolle Geschichte mit den Acht verlockend und meine Feder energisch und wolle mir bald Zeit und Ort nennen, wo wir uns treffen könnten. Bereits ein Fortschritt auf dem goldenen Weg! Meinem Vorgesetzen und den Kollegen auf dem Amt berichtete ich, dass ich einen ehelichen Fang am Haken hätte und wir dies bald mit einem kräftigen Punsch feiern würden. Als der Abend kam, konnte es für mich nicht früh genug elf Uhr schlagen, und so ging ich beizeiten in die Gråmunkegränd, um mir die Zeit beim Whist zu vertreiben. Ich klopfte bei Madame Sparv an, und nach einiger Zeit öffnete Katarina die Tür einen Spaltbreit.
»Sekretär! Madame Sparv sagte, Sie würden um elf kommen.«
Ich lugte über ihre Schulter. Der Flur war leer, die Spielsäle waren dunkel. »Wo sind die Spieler?«
»Sie müssen noch warten.« Katarina führte mich in den Warteraum der Suchenden, eine kleine Kammer neben der Treppe, die in den Oberstock hinaufführte. Eine einzelne Kerze in einem Wandleuchter aus Glas beleuchtete den Raum, drei Holzstühle standen an der Wand. Ich wartete fast eine Stunde, bis ich endlich Schritte auf der Treppe hörte. Ich trat in den Flur, um zu sehen, wer die Stille an den Spieltischen zu verantworten hatte, und hörte Madame Sparvs dringliche Stimme: »Nein, Gustav, diese Vision war eine Warnung an Euch!«
Dann stimmte es also! Ich wich wieder in den Warteraum zurück und beobachtete meinen König hinter der Tür. Das erste Mal hatte ich König Gustav bei seiner Krönung gesehen, damals war ich acht Jahre alt und er ein sechsundzwanzigjähriger Held voller Jugend. Als Gustav an diesem schönen Maimorgen vorbeigeritten war, glitzerte es golden vor dem hellblauen Himmel, und ich fing eine der Münzen auf, die er geworfen hatte, ganz sicher nur für mich. In den folgenden zwei Jahrzehnten hatte König Gustav einen schillernden Hof, das Königliche Theater, die Oper und die Schwedische Akademie begründet. Voltaire hatte ihn den »aufgeklärten Monarchen« genannt.
Jetzt zog der König weiße Lederhandschuhe mit Paspeln aus Silberfäden an, die im Licht der einsam brennenden Wandleuchte glänzten. »Ich finde Ihre Vision gar nicht so düster, Sofia.«
Madame Sparv schnaufte ärgerlich, König Gustav drehte sich um, und ich konnte endlich sein Gesicht sehen. Er hatte einen dicken Bauch bekommen, und er ging gebeugt, als würde das Gewicht der Jahre ihn langsam niederdrücken. Er sah aus wie jeder andere Mann seines Alters, und er suchte Antworten wie jeder andere Suchende auch.
»Das war unhöflich, Sofia, und Sie wissen, dass ich es nicht despektierlich meine. Verraten Sie mir noch einmal Ihre Vision, und ich sage Ihnen, was ich daraus ersehe.«
Madame Sparv schloss die Augen. »Die Sonne geht unter, der Himmel färbt sich von Blau zu einem feurigen Orangerot im Westen, Wolkenbänke reichen weit in den Himmel hinauf. Da steht ein stattliches, schönes Haus wie ein Palast, davor wartet eine große schwarze Reisekutsche, die Pferde blähen die Nüstern und bäumen sich auf, sie wollen unbedingt fort. Wind kommt auf, ein tosender Sturm. Die Kutsche, die Pferde und der schöne Palast werden hinweggefegt wie Sand und schweben über Stockholm wie Diamanten, wie Sterne, dann fallen sie in die tintenblauen Tiefen des Riddarfjärden und sind weg. Alles verloren, Gustav. Alles.« Sie packte ihn am Arm: »Diesen Wind finde ich bedrohlich. Er kann nicht aufgehalten werden.«
»Wir können den Wind nicht aufhalten, teure Freundin, und ich will mit ihm segeln.« König Gustav nahm Madame Sparvs Hand und hielt sie. »Ich bin begeistert von dieser Vision, Sofia, Sie haben die Bedeutung missverstanden, nicht weil Ihnen die Gabe dazu fehlt, sondern die Information. Versuchen Sie, es von meiner Warte aus zu sehen: Ein feuriger Sonnenuntergang, ein majestätisches, aber leeres Haus, das von einem Sturm hinfortgeweht wird – das deutet auf die Revolution in Frankreich hin, auf den König und die Königin, die zu Unrecht und gegen ihren Willen festgehalten werden.« Gustav dämpfte die Stimme, aber seine Erregung klang durch: »Diese Vision bestätigt den Erfolg eines Rettungsplans, der gerade in die Tat umgesetzt wird. Der junge Graf von Fersen ist in Paris und sorgt für die Durchführung, und eine schwarze Reisekutsche spielt dabei eine zentrale Rolle – genauso wie Sie es geschildert haben. Die Königsfamilie wird getarnt zu einer Burg nahe der luxemburgischen Grenze fahren. Gegen Mittsommer geht die Fahrt los, das Haus wird gerettet, die revolutionären Verräter werden wie Staub in der Seine zerstieben.«
»Ihr kennt meine Gefühle für Frankreich. Ich wäre überglücklich über Euren Erfolg«, sagte Madame Sparv. »Aber diese Vision betrifft Euch! Und der Wind … der Wind ist ein schreckliches Zeichen. Ihr müsst Euch um Euer eigenes Haus kümmern.«
»Ja, mein Haus wirkt leer.« Der König ließ ihre Hand los und zupfte an einem losen Faden seines Handschuhs. »Seit ich den Bürgerlichen einige Privilegien eingeräumt habe, hat sich gezeigt, wer die wahren Getreuen an meinem Hof sind. Aber ich muss die Monarchien in allen Ländern unterstützen, wenn der Adelsstand an sich überleben soll.« Der König winkte, und ein Offizier tauchte aus dem dunklen Flur auf. »Ich bin zum Regieren geboren so wie Sie zum Hellsehen. Wir können uns dem nicht entziehen, sosehr wir es auch wünschten.«
»Bitte bleibt. Wir könnten heute Nacht mit dem Oktavo beginnen«, sagte sie.
»Ich habe keine acht Nächte für Sie, selbst wenn ich es wollte. In wenigen Stunden breche ich nach Aix la Chapelle auf. Dort werde ich die Familie des französischen Königs empfangen.« Er nahm einen blauen Seidenrock, den der Offizier ihm reichte, und gab Madame Sparv einen Lederbeutel. »Danke für Ihre Anteilnahme, Sofia.«
»Wir sind alte Freunde, Gustav«, sagte sie liebevoll.
»Ich baue auf die wenigen, die mir bleiben«, sagte er. »Der Polizeichef ist verfügbar, wenn Sie ihn brauchen. Und Bischof Celsius tut Buße; er und seine Klerisei werden Sie nicht länger belästigen.« Der König beugte sich vor und küsste Madame Sparv auf die Wange. »Ich melde mich, sobald der französische König in Sicherheit ist. Dann müssen Sie mich dafür bezahlen, dass ich die Zeichen richtig gedeutet habe!«
Sie lachte, und ich hörte, wie sich die Schritte der beiden entfernten. Draußen stand keine Kutsche, es war ein kurzer, feuchter Fußmarsch von der Gråmunkegränd zur Sankt-Nikolai-Kirche, der Storkyrkan, gleich dahinter lag das königliche Schloss.
»Madame Sparv!«, flüsterte ich aus dem Warteraum heraus. Erschrocken fuhr sie herum. »Ich bin’s – Larsson.«
Ihre Schultern entspannten sich, aber ihre Stimme war barsch: »Gustav sieht nicht gern Spione, die nicht in seinen Diensten stehen.«
»Katarina hat mich hereingelassen«, sagte ich, immer noch verblüfft darüber, meinem König so nah gekommen zu sein. »Ist er oft bei Ihnen zu Gast?«
»Nicht so oft, wie ich es mir wünschen würde. Wir sind seit über zwanzig Jahren befreundet, Herr Larsson.«
»Wie sind Sie dem König denn begegnet? Sie müssen damals noch sehr jung gewesen sein.«
»Gustav ging mit seinem jüngsten Bruder Fredrik Adolf nach Frankreich – Herzog Karl war nicht eingeladen. Die Mutter fand ihn unwürdig.«
»Und die Prinzen brauchten eine Hellseherin?«
Sie lachte und setzte sich auf einen der Stühle im Wartezimmer. »Sie brauchten eine Wäscherin mit ausgezeichneten Französischkenntnissen. Mein Vater war Handwerksmeister, er arbeitete auf Schloss Drottningholm. Er hatte von der bevorstehenden Reise gehört und meine Dienste angeboten, weil er fand, das wäre meine Chance, dem Königshaus zu dienen und eine sichere Stelle zu bekommen – Freier mieden Mädchen mit der Gabe der Hellsichtigkeit, und so war dies unsere große Hoffnung für meine Zukunft. Außerdem wollte Vater unbedingt, dass ich meine Heimat kennenlernte – er hatte Angst, ich könnte sie vergessen. Mein Französisch war tadellos, und meine Mutter hatte mir die Geheimnisse des Bleichens und Stärkens gut vermittelt. Ich begleitete diese fröhliche Entourage als Dienerin, doch meine Hellsichtigkeit weckte das Interesse des Kronprinzen, und ich wurde gut behandelt. Gustav und sein kleiner Bruder Fredrik eroberten Paris im Sturm – Bälle und Jagdgesellschaften mit König Ludwig und Marie Antoinette, sie trafen die Brüder Montgolfier mit ihrem Riesenballon und verkehrten in den exklusivsten Salons. Karl ist darüber bis heute verärgert.«
»Haben Sie König Gustav in Paris die Karten gelegt?«
»Das konnte ich damals noch nicht, ich verließ mich auf meine Visionen. Ich sah, dass die Krone für ihn greifbar war, und sagte es ihm. Einige verspotteten mich, sie schimpften mich eine Hure des Teufels und Schlimmeres. Aber Gustav war mein getreuer Beschützer. Der alte König starb, während wir in Paris waren, Gustav wurde im Mai 1772 gekrönt. Noch immer schätzt er intuitives Wissen und sucht oft die Nähe von Menschen, die sich auf diese Kunst verstehen: Magier, Astrologen, Geomanten. Jüngst hat er einen Alchimisten angestellt, der die königlichen Schatullen füllen soll.«
Ich saß auf dem Stuhl neben ihr. »Und welches Bedürfnis erfüllen Sie?«
»Sein Bedürfnis nach echter Freundschaft und Wahrheit. Nichts weiter.« Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Das wagen nur wenige zu bieten, und noch weniger wird deren Rat befolgt, wie Sie gesehen haben. Aber er ist ein großartiger König, Herr Larsson.«
»Ein großartiger König«, wiederholte ich. »Und er hat ganz sicher recht, Madame Sparv. In Bezug auf die Vision, meine ich. Sein Verständnis der Welt übersteigt Ihres bei Weitem.«
»Dennoch ist er ein Mann. Er sieht, was er sehen will.« Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, als wollte sie gleich einschlafen. »Doch kommen wir jetzt am besten wieder zu Ihnen«, nuschelte sie und rieb sich die Augen. Wir gingen die Stiege hinauf und setzten uns an den Tisch. Sommerregen prasselte gegen die Scheiben, im Zimmer war es kühler als in der Nacht zuvor. Sie nahm die beiden bekannten Karten aus dem Stapel, mischte lange und legte das Deck dann in die Mitte des Tischs.
Ich hob ab, sie legte aus. Nach vier Runden tauchte die zweite Karte meines Oktavos auf: Der Gefangene war das Ass der Stempelkissen. Wir beugten uns vor und studierten die Karte.
In der Mitte am oberen Rand eines Wappenschildes war das Antlitz eines Cherubs zu sehen. Direkt unter seinem Kinn schwebte ein Vogel. Zwei Löwen standen sich in getrennten Feldern gegenüber, einer hielt eine keimende Saat oder einen Wurzelstock in den Tatzen.
»Das Ass ist ein junger Mensch oder einer mit begrenzter Erfahrung und formbarem Geist. Es steht für einen Neubeginn und kann weiblich oder männlich sein«, sagte sie.
»Rohrkolben. Die stehen auf jeden Fall für Armut«, sagte ich, als ich die zwei Pflanzen sah, die zu beiden Seiten des Stempelkissens über dem Engelskopf in die Höhe ragten. Ich dachte an meine verarmten Cousins; alle Rohrkolben, die sie nicht aßen, verwendeten sie als Kerzen, indem sie sie in Wachs tauchten und den Stiel wie einen Docht anzündeten.
»Nicht notgedrungen. Das Stempelkissen steht für Handel und Wandel, es kann also jemand sein, der aus wenigen Mitteln etwas machen kann. Er steht in enger Verbindung mit Ihrem Gefährten – und die Königin der Weingefäße symbolisiert Reichtum –, also kann er von der Freundschaft mit ihr profitieren. Jedenfalls ist das Ihr Gefangener.«
Ich sah den hübschen Cherub an. »Könnte das Carlotta sein?«
»Vielleicht. Aber die Karten verraten ihre lebenden Pendants erst, wenn alle acht an ihrem Platz sind.«
»Ich kann nicht warten, Madame Sparv!«
»Das müssen Sie aber. Noch weitere sechs Tage.« Sie lächelte über meine Ungeduld. »Sie sind ja nicht zusammen mit Gustav im Aufbruch zur französischen Königsfamilie begriffen, oder, Herr Larsson?«
»Meine Königin ist hier in der Stadt.«
»Wenn Sie sich sicher sind, können Sie Ihren Gefangenen halten oder freilassen, je nachdem, was am besten zu Ihrem wahren Ziel führt, was auch immer es sei.«
»Ich kenne mein wahres Ziel.«