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KAPITEL 12

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Der Schlüssel

Quellen: E. L., Madame S., A. Vingström

Um drei Uhr entschuldigte ich mich bei der Kaffeegesellschaft und überquerte auf dem Weg zu Vingströms Weinhandlung den Stortorget, den großen Platz. Endlich war ich so weit, meine Liebe zu Carlotta zu bekunden, aber als ich ankam, war das Geschäft zu, die Holzläden waren geschlossen. Ich war am Boden zerstört, gleichzeitig aber auch seltsam erleichtert. Ein Hausmädchen kam aus dem Hof, es blieb kurz stehen, um die Stiefel zu binden, und ich fragte nach dem Grund für diesen frühen Ladenschluss.

»Die Vingströms verabschieden genau zu dieser Stunde ihre Tochter, Herr, sie bricht nach Finnland auf.«

»Finnland?« Mir schien es den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ich musste mich an der Hausmauer festhalten. »War ein Leutnant dabei?«

Errötend wandte sich das Mädchen ab. »Nein. Ich habe weder einen Offizier gesehen, noch habe ich von einem gehört.«

»Warum reist sie dann ab? Wann kommt sie wieder?«

Das Mädchen starrte auf seine Füße. »Wie es scheint, muss Fräulein Vingström Buße tun für ihr lasterhaftes Leben und muss von den Versuchungen der Stadt ferngehalten werden.« Das Mädchen machte einen Knicks und lief davon, bevor ich noch etwas darauf erwidern konnte. Ich fragte den Tabakhändler an der Ecke, den Metzger, alle Leute, die ich auf der Straße antraf, konnte aber nicht mehr in Erfahrung bringen. Völlig ungläubig ging ich nach Hause und legte mich bis fast elf Uhr aufs Bett.

Als ich in jener Nacht zu Madame Sparv kam, roch es im oberen Zimmer noch schwach nach Rasierwasser, auf der Anrichte stand ein halbvolles Glas mit einer klaren Flüssigkeit. »Ist das Wodka?«, fragte ich. »Darf ich?«

»Sie sind aufgebracht«, sagte sie.

»Sie ist weg, Madame Sparv.« Ich setzte mich in den Lehnsessel, roch am Inhalt des Glases und stellte es wieder hin. Es war Wasser.

»Wer ist weg?«

»Carlotta. Verschwunden, einfach so!« Ich schnippte mit den Fingern. »Und ich kann nicht herausfinden, warum – abgesehen von irgendeiner verleumderischen Geschichte über ihre angebliche Unzucht. Ich kann Ihnen versichern, dass sie mit mir nicht unzüchtig war! Ich habe lediglich einen Kuss bekommen.«

Madame Sparv tätschelte mir die Schulter und rief die Treppe hinunter nach einer Flasche, dann saßen wir schweigend da, bis Katarina mit Wodka und einem Glas kam. Ich schenkte drei Fingerbreit ein und trank aus. »Sie wurde nach Finnland geschickt. Finnland! Und was soll ich meinem Vorgesetzten jetzt sagen? Dass er warten muss, bis ich meine acht Karten erneut zusammenhabe? Er wird mir den Rock vom Leib reißen und meinen Hintern vor die Tür kicken, bevor es Mittag geschlagen hat. Das Oktavo hat jetzt keinen Sinn mehr.«

Madame Sparv stand auf und ging zum Tisch, wo noch die Karten vom Vorabend lagen. »Ich habe einen goldenen Weg für Sie gesehen, und ich glaube noch immer daran. Und vergessen Sie nicht, dass Carlotta möglicherweise gar keine Ihrer acht Karten ist. Vielleicht hatte sie nur die Rolle inne, Sie zum Oktavo zu führen und dann abzureisen.«

Ich quittierte das lediglich mit einem Grummeln.

Madame Sparv legte die sieben bekannten Karten und meine persönliche Karte zur Seite und mischte den Rest. »Wir dürfen nicht aufgeben. Denken Sie doch an den König und die Königin von Frankreich – so nah am Ziel, und dann … Aber sie machen weiter. Es sind schon neue Pläne in Vorbereitung. Von Fersen ist standhaft und mutig. Gustav wird nicht zulassen, dass sie leiden. Wir machen weiter.«

Ich schenkte mir ein weiteres Glas ein und starrte in die farblose Flüssigkeit.

»Wir brauchen nur noch eine Karte. Also los.« Madame Sparv mischte lange und reichte mir bei jeder Runde den Stapel, um abzuheben. Ich betrachtete sie eingehend, es ging alles wie immer vonstatten. Wir legten die Runden aus, bis der Schlüssel kam, die Neun der Kelche.

»Wieder Kelche. Das ist gut, oder?«, wagte ich mich vor. »Ich nehme es als ein gutes Zeichen.«

Madame Sparv sagte nichts, sie legte nur mit leicht zitternden Händen mein vollendetes Oktavo auf das Tuch. Sicherlich war sie genauso froh wie ich, dass es endlich vollständig war. Als Letzte legte sie meine persönliche Karte in die Mitte. Sie schloss die Augen, wir saßen eine Weile still da. Die Glocken der Storkyrkan schlugen Mitternacht, ich konnte Katarinas Schritte auf der Treppe nach unten hören, dann die Stimme des Hausmeisters, schließlich wurde es ruhig. Madame Sparv schlug die Augen wieder auf und faltete ihre Hände im Schoß. »Nachdem das Oktavo nun vollendet ist, werden auch die Acht langsam kommen, denn die Karten rufen nach ihnen. Sie werden angezogen wie Eisenspäne von einem Magneten. Finden Sie sie, dann können Sie den Ausgang Ihres wichtigen Ereignisses beeinflussen.«

»Vielleicht werden sie mich zu Carlotta führen oder sie zu mir zurückbringen.« Ich betrachtete dieses Glücksrad, das angefüllt war mit Fremden und mit Hoffnung. »Aber wie werde ich sie denn überhaupt erkennen?«

»Seien Sie wachsam und denken Sie stets an die Karten. Dann wird Ihr Blick immer wieder auf denselben Personen haften bleiben, und Ihr Ohr wird sich an ihre Namen gewöhnen. Sie kommen zu Ihnen in Tag- und in Nachtträumen, in Gesprächen, zufälligen Begegnungen, die sich mit eigenwilliger Regelmäßigkeit immer wiederholen werden. Setzen Sie sie mit den Hinweisen in Verbindung, die die Karten Ihnen gegeben haben. Und fragen Sie mich um Hilfe.«

»Wir haben gar nicht über die letzte Karte gesprochen, Madame Sparv«, sagte ich. »Ich muss die Neun der Kelche verstehen, wenn ich den Schlüssel finden soll.«

Sie sah mich an, ihr Lächeln war echt und herzlich. »Sie hatten recht mit den Kelchen – eine ausgezeichnete Farbe auf dieser Position, denn Liebe ist vorhergesagt. Und da ist auch wieder die Lilie. Wiederauferstehung. Frankreich.« Sie beugte sich über das Oktavo, ihre Fingerspitzen verharrten an der Tischkante. »Sehen Sie die Verteilung der neun Kelche: Acht Kelche umschließen einen, das ist eine Widerspiegelung des Oktavos an sich. Neun ist die letzte einstellige Zahl, insofern ist es eine Zahl der Vollständigkeit, der Vollendung und zugleich eine Zahl von universellem Einfluss. Verheißungsvoll, würde ich sagen. Hervorragend für Sie.« Sie nahm den restlichen Stapel und blätterte die Karten mit dem Zeigefinger auf, dabei merkte sie gar nicht, dass sie mit dem kleinen Finger einen Spalt bildete. »Wie der Gefährte ist auch diese Person entscheidend mit Ihrem wichtigen Ereignis verbunden.«

»Aber da sind keine Menschen.« Ich beugte mich vor und inspizierte die Karte. »Da ist ein Vogel, sein Kopf steckt im Rachen eines Untiers«, sagte ich und bekam auf einmal Angst, dass diese Karte das Symbol für die wirkliche Bedeutung des Ehestandes sein könnte.

Madame Sparv legte den Kartenstapel auf den Tisch und bedeckte meine Hände mit ihren. »Das ist meine Karte, Herr Larsson. Ich bin Ihr Schlüssel.«

Das Stockholm Oktavo

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