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Antinatalismus, universaler

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Als Adressaten der antinatalistischen Moraltheorie kommen nur Menschen in Frage, von denen der Antinatalismus allerdings auch verlangt, nach Möglichkeit keine weiteren leidensfähigen Tiere ins Dasein treten zu lassen. Dies gilt für den agrarischen Bereich wie auch für Wildtiere, deren Verebben mittels Sterilisation auf möglichst leidfreie Weise einzuleiten ist. Wer wäre so gewissenlos, vor dem Hintergrund des nachstehend von Romain Rolland (1866–1944) in seinem Roman „Jean-Christophe“ Ausgeführten ein weiteres Nutztier ins Dasein treten zu lassen?

„Die namenlosen Martern, die der Mensch diesen unschuldigen Wesen zufügt, zerrissen ihm das Herz. Wenn ihr den Tieren doch nur einen Schatten von Vernunft zugestehen wolltet! Macht euch klar, welch schrecklicher Alptraum die Welt für sie sein muss: All diese gleichgültigen Menschen, die beim Schlachten blind und taub sind, die es ausnehmen, zerschneiden, lebendig kochen und sich amüsieren, wenn sie sich unter Schmerzen winden. […] Millionen Tiere werden jeden Tag auf ganz überflüssige Weise ohne jeglichen Gewissensbiss massakriert. Wer darauf hinweist, läuft Gefahr, sich lächerlich zu machen. Und hierin besteht das unverzeihliche Verbrechen. Er schwört der Menschheit Rache. Und wenn Gott existiert und all dies toleriert, so trifft sein Racheschrei Gott. […] Wenn Gott sich nur den Stärksten als gut erweist, wenn es für die Entrechteten keine Gerechtigkeit gibt, für die niederen Wesen, die den Menschen hingeopfert werden, so gibt es keine Güte und keine Gerechtigkeit.“ (Romain Rolland, Jean-Christophe, S. 1316)

Schief zum universalen Antinatalismus steht die Position Herbert Marcuses, dem nicht bloß eine befreite menschliche Gesellschaft vorschwebte, sondern zudem eine befriedete Tierheit, wofür der Mensch einzustehen habe. In einem Interview mit dem Spiegel im Jahr 1967 antwortet Marcuse auf die Frage der Redakteure, ob denn auch Tiere gegen – von Menschen wie Tieren ausgehende – Grausamkeit geschützt werden sollen und können:

„MARCUSE: Ja, in dem Sinne und soweit als – ich bin kein Zoologe – Grausamkeit unter den Tieren einfach durch Unsicherheit, Schwäche und Not bedingt ist, ja. Das glaube ich schon. Ob man je verhindern können wird, daß der große Fisch den kleinen frißt? Vielleicht kommen wir noch mal dazu, wenn nämlich der große Fisch genug Nahrung hat, so daß er den kleinen nicht braucht.

SPIEGEL: Herr Professor, ist das nicht der Garten Eden? Ist das, was Sie lehren, nicht eigentlich Religion?

MARCUSE: Warum eigentlich? Nein! Ich spekuliere in keiner Weise auf irgendwelche übernatürlichen und übermenschlichen Kräfte. Die Idee der Befriedung der Natur ist eine geschichtliche, keine metaphysische. Sie muß von den Menschen selbst kommen und von der menschlichen Gesellschaft erarbeitet werden.“ (Der Spiegel Nr. 35/1967, S. 118)

Marcuse gibt an, nicht auf übernatürliche Kräfte zu spekulieren – aber er verrät uns auch nicht, welche Nahrung wir Raubtieren geben sollen, damit sie sich nicht länger von anderen Lebewesen ernähren. Es geht nicht darum, dass der große Fisch „genug“ Nahrung hat, sondern dass Menschen ihm andere Nahrung als die bereitstellen, die er sich von Natur aus suchen würde. Gefragt wäre also ein globales Fütterungsprogramm, in dessen Rahmen Menschen die Raubtiere der Erde mit Kunstfleisch zu versorgen hätten. Nicht einmal Marcuse dürfte ernsthaft in Erwägung gezogen haben, dass sich die Abermilliarden Raubfische in den irdischen Meeren mit Kunstfisch füttern ließen. Ganz abgesehen von den Myriaden auf unserem Planeten wimmelnden Insekten. Hieraus ist nun allerdings der Schluss zu ziehen, dass eine „Befriedung der Natur“ allein auf dem Wege eines anthropogenen, vom Menschen in die Wege geleiteten Verebbens aller empfindenden Spezies zu erzielen wäre.

Antinatalismus

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