Читать книгу Das Traumbeben - Karl-Heinz Witzko - Страница 6

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Ich will mich nun dem Süden widmen, wenn auch nicht dem tiefen, wiewohl einer von denen, über die ich zu berichten habe, von dort stammt. Vom palmenbestandenen Ikarilla sei erzählt, dem südlichsten Reich der Ehernen Liga. Es ist ein gesegnetes Land, dessen Bewohner jährlich mehrere Ernten einbringen und sich des Reichtums zweier Meere erfreuen: des Ozeans des Morgens und des Golfs von Ikarillia. Letzterer ist nicht nach dem Königreich benannt, wie so mancher vor schnell annehmen mag, sondern nach einer seit langem zerstörten, einst mächtigen Stadt. Während ich dies niederschreibe, erscheint es mir geradezu schicksalhaft in seiner Bedeutung, worin sich der Name der vergessenen Stadt Ikarillia und des heutigen Landes Ikarilla unterscheiden: einem einzelnen I.

Beherrscht wird das Land vom eisenblitzenden Adel, der seine Pferde höher schätzt als seine Untertanen. Das kommt gewiß nicht von ungefähr, denn die Fürsten Ikarillas sind Eroberer aus dem benachbarten Huarama, dem Land der ungezähmten Reiter.

Ich erwähnte bereits, daß es schwierig sei, über eine Zeit zu berichten, die uns entgleitet. Das gilt um so mehr, wenn der wichtigste Zeuge jener Tage seine Erinnerungen wie im Rausch niedergeschrieben zu haben scheint, aber nicht trunken von Wein, sondern von Worten, Bildern und Gedanken. Dabei wissen wir nicht einmal, wer dieser Zeuge war, der uns voller Leidenschaft von Herrschaft und Tyrannei berichtet, von Aufsässigkeit und Freiheitsstreben, von Liebe und Freundschaft, aber auch von Neid, Verrat und Mord. Und der im Gegensatz dazu beinahe gefühllos die schreckliche Katastrophe das Jahres 460 beschreibt.

War er ein Mann oder eine Frau? Wir kennen seinen Namen nicht, nur de beiden Vivo-Runen, mit denen er all seine Schriften unterzeichnete – zu Anfang mit , später mit.

Die erste Rune bedeutet »I« und steht ohne Zweifel für eine Wendung aus der LINGUA DEI: IGNORABIMUS – wir werden es nie wissen. Die zweite Rune ist das Zeichen für Nichts und Leere. Gewiß hat dieses Wandlung Wichtiges zu bedeuten. Doch was? Spiegelt sie Frage und Antwort wider, eine Entwicklung, oder ist sie lediglich eine Korrektur? Wir werden es wohl nie erfahren.

Daher will ich meine Erzählung knapp, vor dem Tag beginnen, als der Weiße Wanderer die Welt verheerte. Ich gehorche damit den Worten von : »Es ist eine Geschichte voller Anfänge. Fließt, Kinder, fließt! Vergeht in Farben!«

SCHWESTER

DOLORES,

CHRONIK EINER

VERLORENEN ZEIT,

BD. IV, NIEDERGELEGT ZU CANTAMO

IM 542. JAHR DER

ABWESENHEIT

GOTTES

Das Traumbeben

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