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Der Vertreter der himmlischen Mächte

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Irgendwo in Ikarilla, Bodenhöhe, am 17. Tag des Hitzemondes, im 458. Jahr der Abwesenheit Gottes

Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij wußte um das Ansehen, das er bei seinem gefiederten Gefolge genoß. Seinen beachtlichen Ruf verdankte er den Reglosen Rindern von Riij, den Ertrunkenen auf dem Dach von Diij und – nicht zu vergessen – den vielen Baumelnden an den Bäumen von Ffchee. Diesen bedeutenden Entdeckungen war zuzuschreiben, daß Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij nur noch selten alleine flog. Sobald er die Flügel spreizte und leicht schüttelte, um sich nach ein paar Hüpfschritten vom Boden zu erheben, folgte umgehend jeder andere scharfsichtige Geier in Sichtweite seinem Beispiel. Sie stiegen in Scharen zum Himmel auf!

So hatten sie es auch gehalten, als Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij nach Norden aufgebrochen war. Bis Sonnenuntergang war er geflogen und nicht wieder umgekehrt.

In der Nacht war er nicht geflogen. Doch am nächsten Tag war er erneut geflogen und nicht umgekehrt.

Danach war abermals ein Tag angebrochen, an dem er nach Norden geflogen und nicht umgekehrt war.

Der ganze Schwarm hatte ihn begleitet und war nicht wieder umgekehrt. Nachts war niemand geflogen. Aber alle Geier waren ihm unermüdlich nach Norden gefolgt.

Genau so, wie Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij seinem Gespür gefolgt war. Es hatte ihn in das Land geführt, das weit ins Meer hinausreichte. Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij und sein Gefolge hatten sich auf einer fast kahlen Anhöhe niedergelassen. Die meisten Geier standen bewegungslos. Einige schritten steif durch die Versammlung, ein paar Männchen hüpften auf ihr Weibchen. Wenn es nach ihnen hackte, so merkten sie, daß sie sich vertan hatten. Alle warteten darauf, daß etwas geschah. Alle warteten unruhig darauf, Fiiij-den-Flinken-Hacker-fiiij zu seiner neuesten Entdeckung zu begleiten.

Selbst Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij wartete, aber nicht unruhig. Denn er wußte, daß er sich auf sein Gespür verlassen konnte. Gegenwärtig war das Gespür zwar abwesend, aber derlei war schon früher vorgekommen. Das Gespür würde sich ganz gewiß wieder einstellen. Denn er, Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij, war noch nie erfolglos gewesen. Er war nach Norden geflogen und nicht umgekehrt. Nachts war er nicht geflogen. Doch Tag um Tag war er nach Norden geflogen und nicht umgekehrt. Er war seinem Gespür gefolgt. Sein Gespür hatte ihn noch nie enttäuscht. Seit sehr langer Zeit hatte es Fiiij-den-Flinken-Hacker-fiiij von Wonne zu Wonne geführt. Er hatte nicht hungern müssen. Er war satt geworden. Viele hatten sich laben können. Niemand hatte hungern müssen. Daß das Gespür augenblicklich nirgends zu sehen war, war kein Grund zur Beunruhigung. Iiech-das-Zuverlässige-Gespür-iiech würde zurückkommen, wie es immer zurückgekehrt war. Erneut würde es Fiiij-den-Flinken-Hacker-fiiij und sein Gefolge dorthin führen, wo es überreich Nahrung gab. Daß er dieses Mal tagelang hatte fliegen müssen, ohne umzukehren – nur nachts nicht! –, verhieß Großes.

Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij öffnete den Schnabel. Sofort merkte er, wie sehr alle darauf warteten, daß er ihnen ein Ziel wiese, denn mit einemmal lag so viel Spannung in der Luft wie sonst nur, kurz bevor sich der gesamte Schwarm erhob, um zu fliegen: vielleicht für eine kleine Strecke oder auch bis zum Ende des Tages, aber ganz bestimmt nicht nachts.

Doch jetzt gab es kein Ziel. Daher gab es keinen Anlaß, die Geier zu beachten, die ihn zu locken versuchten, in dem sie vor ihm hüpften, das Gefieder schüttelten, die Flügel ausbreiteten und aufgeregt riefen.

Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij wartete geduldig mit geöffnetem Schnabel.

Urplötzlich schloß und öffnete er ihn mehrmals abwechselnd hintereinander: »Klapp-klapp-klapp!«

Welche Aufregung deswegen um ihn herum ausbrach! Keiner im Schwarm blieb stumm! Alle zischten, grunzten, kreischten, so laut sie konnten. Vergessen war, daß sie darauf gewartet hatten, daß er die Richtung wiese, in der große Dinge zu entdecken waren. Vergessen war alles andere. Denn keiner von ihnen vermochte zu klappern wie ein Storch. Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij war der einzige, den das Geräusch nicht erregte.

Am Himmel entdeckte er einen weißen Strich. Zweifellos stammte er von einem herabfallenden Stein. Daran war nichts ungewöhnlich, ebensowenig wie an der Abwesenheit des Gespürs. Das würde sich schon irgendwann wieder einstellen! Und so etwas wie jetzt kam gelegentlich vor. Manche Steine lagen auf dem Boden, andere fielen vom Himmel, aber die meisten lagen einfach nur da und bewegten sich nicht. Es sei denn, man hackte nach ihnen. Dann sprangen sie weg, kullerten Abhänge hinab oder stürzten in Schluchten. Doch meistens blieben sie ruhig liegen. Wenn sie das nicht taten, sich also bewegten, dann eher gemächlich. Nicht wie die Steine, die vom Himmel fielen. Die flogen so schnell, daß ihnen ein Geier kaum mit dem Auge folgen konnte. Erst wenn sie am Boden lagen, verhielten sie sich ruhig. Wie jeder andere Stein.

Aber manche von ihnen flogen auch nachts!

Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij schüttelte sich unangenehm berührt. Er erinnerte sich schwach, einmal von seinem Gespür an einen Ort geführt worden zu sein, wo zuhauf Steine geflogen waren. Sie waren nicht vom Himmel gefallen, jedenfalls nicht zunächst. Sie waren vom Boden aufgestiegen und danach erst vom Himmel gefallen. Dann waren sie ruhig liegengeblieben, oft inmitten vieler Entdeckungen. Die flogen auch nie nachts!

Urplötzlich wußte Fiiij-der-Flinke-Hacker-fiiij, warum das Gespür weg war. Hier war das Ziel! Völlig überraschend erhob er sich flügelschlagend in die Luft. Sein Gefolge schloß sich ihm eilends an.

Das Traumbeben

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