Читать книгу Fantasy Collection III - Karl-Heinz Witzko - Страница 16

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Nächtlicher Angriff

»Packt zusammen, macht schon!«, trieb Wolf seine Gefährten an, sobald er aufgestanden war. Dunkle Wolken bedeckten den Himmel, und obwohl der Regen aufgehört hatte, tropfte es noch immer von Blättern und Zweigen.

Balderdachs, der sich gerade wieder um ein Feuer kümmerte, wandte sich um.

»Das sieht dir ähnlich«, knurrte er warnend. »Am längsten von uns allen ratzen und dann den Sklaventreiber spielen. Gewöhn dir das ganz schnell ab, klar?«

»Schon gut«, lenkte Wolf ein. »Wir müssen uns eben ein wenig beeilen. Wenn′s genehm ist. Natürlich hättet ihr mich auch einfach wecken können!«

»Ohne mich.« Balderdachs schüttelte den Kopf und grinste. »Du hast lauter geschnarcht als Zilber sonst. Das hat was zu bedeuten, dachten wir uns.«

»Hat es auch. Ich habe schlecht geschlafen.«

Noch sieben Tage, dachte er und biss die Zähne zusammen.

»Wenn ich nur wüsste, wo wir sind«, sprach er seine Gedanken laut aus. »Ich habe das Gefühl, wir sind Téan Hu noch keinen Zoll näher gekommen. Wir dürfen uns auf keinen Fall verspäten!«

»Wolf hat Recht«, pflichtete ihm Balderdachs bei. »Wir müssen uns ranhalten, schließlich sind wir die Einzigen, die wissen, was dem König blüht!«

»Im Moment ist dieses Wissen keinen lumpigen Groschen wert«, brummte Zilber.

»Das bisschen Regen wird uns nicht umbringen.«

Niemand widersprach, doch Wolf sah insbesondere Falbe und Zilber an, dass sie seine Meinung nicht teilten. Kaum dass sie sich auf den Weg gemacht hatten, ging ein sintflutartiger Wolkenbruch nieder, der sie wieder völlig durchnässte. Starke Böen von Norden vertrieben den Nebel, peitschten den Wanderern aber wie zur Strafe schwere Tropfen in Gesichter und Ohren.

Fast hätte Wolf den schmalen Pfad übersehen, der sich etwa eine Meile von der Eiche entfernt in südwestlicher Richtung durch den Wald zog.

»Schaut!«, rief er seinen Gefährten zu und deutete voraus. »Die Straße muss ganz in der Nähe sein!«

Knapp drei weitere Meilen folgten sie dem Trampelpfad. Dass er regelmäßig begangen wurde, bewiesen die Spuren menschlicher Stiefel, in denen sich das Regenwasser sammelte. Zunächst führte er im Zickzack einen sanft ansteigenden Hang hinauf und schlängelte sich dann durch dichtes Tannengehölz. Als sich dieses endlich lichtete und Wolf sehen konnte, was dahinter lag, blieb er einen Moment lang stehen, um aufzuatmen. Dann drehte er sich zu den anderen um.

»Jetzt kann das nächste Dorf nicht mehr weit sein«, verkündete er triumphierend.

Auf Höhe eines Meilensteins mündete der Pfad auf die Straße.

Die dreistellige Zahl auf dem Stein war verwittert und nicht mehr lesbar. Die Straße selbst war ein grasbewachsener Streifen, gerade so breit, dass zwei Fuhrwerke aneinander vorbei passten. In den Furchen, die viele Wagenräder im Laufe der Zeit gegraben hatten, stand knietief das Wasser. Zu beiden Seiten markierten aneinandergelegte Wackersteine den Straßenverlauf.

Wolf hatte beschlossen, seine Gefährten trotz aller Risiken in der nächsten Siedlung rasten zu lassen. Sie machten sich in westlicher Richtung auf den Weg und folgten der Straße für mehrere Stunden. Der Wald zu ihrer Linken wurde immer öfter von Lichtungen durchbrochen und ging schließlich in flache grüne Hügel über, die auch die Landschaft auf der rechten Seite überzogen. Hier und da wuchsen vereinzelte Sträucher und kleinere Baumgruppen. Manchmal konnte man in der Ferne die dunkle Fläche eines Sees oder Weihers zwischen zwei Kuppen liegen sehen, seltener abgeerntete Felder oder brachliegende Rübenäcker.

Bis zum Mittag hatte der Regen aufgehört, doch es blieb bewölkt und windig. Sie begegneten niemandem, was Wolf nur recht war. Doch außer mehreren mit Brettern vernagelten Blockhütten stießen sie auch nicht auf Gehöfte, Dörfer oder andere Siedlungen. Er fürchtete um die Laune seiner Begleiter. Balderdachs hatte sein Beil aus dem Gürtel gezogen, während sie vergeblich an der Tür eines Holzhauses rüttelten, und sich nur böse knurrend davon abhalten lassen, das blinde Fenster einzuschlagen. Erst als die Hügel hinter ihnen zurückblieben und die Landschaft vollends eben wurde, deutete Falbe nach vorn und rief:

»Da muss jemand wohnen!«

Auch Wolf konnte in der Nähe Leben riechen. Und tatsächlich – nach einer weiteren halben Wegstunde erreichten sie einen Weiler mit einem halben Dutzend Häuser, die sich um einen kleinen Platz mit einem Brunnen gruppierten. Ein halbhoher, unfertiger Wall aus Steinen und Holzpfählen umgab das Dörfchen. Menschenkinder spielten im Schlamm neben dem Tor und blickten die vier Streuner aus großen Augen an, als diese ohne Umschweife hindurchgingen.

»Seid gegrüßt«, sagte ein Mann, der in der Nähe des Walls gestanden und die Ankömmlinge bemerkt hatte. Er trug einfache wollene Kleidung, einen Strohhut auf dem Kopf und eine Sense über der Schulter. Sein Gesicht war kantig und ernst. »Wer seid Ihr, und was wollt Ihr hier in Krottenried?«

Erst bei dieser Frage wurde sich Wolf darüber bewusst, dass ihr Aussehen nicht gerade Vertrauen erweckte. Ein wenig zu dicht vor dem Bauern blieb er stehen.

»Ich bin Wolf von Tanár«, sagte er und stellte auch seine Gefährten mit Namen vor. »Wir sind Wanderer auf dem Weg nach Téan Hu«, fügte er hinzu. »Wir sind müde und suchen eine Unterkunft für die Nacht.«

Die Menschen in Lesh-Tanár schätzten einen gewissen Abstand zu ihrem Gegenüber. Das hatte Wolf vergessen. Der Mann wich einen Schritt zurück und pflanzte seine Sense neben sich in den Boden, ohne die vier Streuner aus den Augen zu lassen. »Wir dagegen sind einfache Bauern«, sagte er, »und wir haben nicht viel anzubieten. Aber was wir haben, teilen wir gerne mit Gästen, sofern sie keinen Unfrieden im Sinn haben.«

Zilber nahm dieselbe Haltung wie der Bauer ein, indem er sich auf seinen Speer stützte. An der Spitze klebte noch Blut von seiner letzten Jagdbeute.

»Wenn wir danach aussehen, trügt der Schein«, sagte er und entblößte grinsend sämtliche Zähne.

Wolf ertappte sich dabei, wie er erfolglos versuchte, die Witterung des Bauern aufzunehmen. Um sein hastiges Schnuppern zu vertuschen, fuhr er sich mit dem Handrücken über die Nase und zwang sich zu einem Lächeln.

Der Bauer musterte ihn und Zilber argwöhnisch. Die eigenwillige, starre Mimik der Streuner war ihm offensichtlich mehr als fremd.

Wolf versuchte es mit einer leichten Bewegung seines Schwanzes. Obwohl jeder Streuner sofort sehen musste, dass sie gekünstelt wirkte, war die Botschaft klar: Ich führe nichts Böses im Schilde. Magst du mir vertrauen?

Der Bauer achtete nicht darauf. Seine Augen waren starr auf Wolfs Gesicht geheftet.

Dieser wandte den Blick von ihm ab und schaute stattdessen zu Boden.

»Wie gesagt, wir sind ziemlich müde«, wiederholte er.

Das Neigen seines Kopfes zeigte endlich Wirkung.

»Na gut«, sagte der Bauer. »Folgt mir.«

Er ging voran und führte sie auf das zweitgrößte der Häuser zu. Wolf spürte, dass die Blicke aller Bewohner auf sie gerichtet waren. Es schienen ausschließlich Menschen zu sein, denn er konnte keinen einzigen Streuner entdecken, geschweige denn wittern. Im Gehen schnappte er verschiedene Gerüche auf – eine Mischung aus Heu und Schweiß, regennassem Holz und vergorenem Tierfutter, einer Frau, die kürzlich geboren hatte, schmutzigen Kleidern und Kindern.

Das Innere der Hütte erwies sich als recht behaglich. Acht fellbehangene Stühle gruppierten sich um einen klobigen Holztisch, auf dem Geschirr und Wasserkrüge bereitstanden.

Lodernde Flammen im Kamin erwärmten die Stube. Eine Stiege in der Ecke führte auf den Dachboden.

»Dies ist unser Gästehaus«, sagte der Bauer, der sich seines Arbeitsgeräts entledigt hatte und als Letzter eingetreten war. »Oben könnt Ihr ausruhen. Meine Nichte Fréda wird Euch die Lager herrichten. Ich bin übrigens Mauran und stehe zu Eurer Verfügung, wenn Ihr mich braucht. Was darf ich Euch bringen?« Balderdachs, der mit lautem Getöse einen Stuhl zurechtgerückt, sich darauf niedergelassen und die Füße auf den Tisch gelegt hatte, verlangte einen Humpen Bier. Zilber nickte, und auch Wolf und Falbe schlossen sich an. Letzterer stand tropfend und zitternd am Feuer.

»Und dann etwas Handfestes zu essen«, setzte Balderdachs hinzu. »Beim Großen Fang, hab ich einen Hunger.«

Mauran verschwand in einem Winkel und begann zu rumoren. Bald darauf kam er mit vier derben Tonkrügen zurück, die er vor seinen Gästen auf den Tisch stellte.

»Euer Bier ist schal!«, stellte Balderdachs fest, nachdem er einen Schluck davon genommen hatte.

»Ich weiß«, erwiderte der Bauer. »Ihr müsst verzeihen.«

Wolf kostete das Gebräu. Es schmeckte scheußlich, doch er verkniff sich eine entsprechende Bemerkung. Dass man sie überhaupt aufnahm und nach den Regeln des Gastrechts verköstigte, war nicht selbstverständlich. Die Bewohner des Weilers waren bestimmt bettelarm. Das bewies auch das Essen, das ihnen ein Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren auftischte: gebratene Blutwurst mit vor Alter dunkelgelben, süß schmeckenden Erdäpfeln. Während Balderdachs und Zilber heißhungrig über das ihnen vorgesetzte Mahl herfielen, dankte Wolf dem Bauern für dessen Gastfreundschaft. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Falbe mit dem Blick jede Bewegung von Maurans Nichte verfolgte, bis diese ins obere Stockwerk entschwand.

»Ihr sagtet, Ihr seid auf dem Weg nach Téan Hu …« Der Bauer hatte ebenfalls am Tisch Platz genommen, um ihnen beim Essen Gesellschaft zu leisten. »Darf man fragen, was Euch in die Stadt der Untergehenden Sonne zieht?«

»Wir sind Streuner«, erwiderte Wolf, dem keine überzeugende Lüge einfallen wollte, »und auf der Ewigen Wanderung, die unsere Vorväter in längst vergangenen Zeiten begannen. Könnt Ihr uns sagen, wie weit die Stadt noch entfernt ist?«

»Zu Fuß sind es ungefähr zehn Tagesmärsche.«

»Gibt es einen schnelleren Weg als die Straße?«

Mauran schüttelte den Kopf. »Nur Brieftauben und Reiter sind schneller. Aber hier in der Gegend sind Pferde nicht zu bekommen.«

Verdammt, dachte Wolf.

»Sorgt Euch nicht und ruht Euch erst einmal aus. Übrigens wird Euer Essen kalt. Ihr habt noch kaum einen Bissen genommen.«

Verstimmt über die Ahnungslosigkeit des Bauern, widmete Wolf sich seiner Blutwurst, um nicht unhöflich zu erscheinen.

Mauran musterte ihn zufrieden, während er schmatzend seinen Hunger stillte.

Fréda kam zurück und brachte Nachschub, den vor allem Zilber zu schätzen wusste. Er rührte die Erdäpfel nicht an und verschlang stattdessen mehr Blutwurst als Balderdachs und Wolf zusammen.

»Ich nehm auch noch was«, sagte Falbe. Sie ging um den Tisch herum und füllte seinen Teller erneut. Selbst ihrem Onkel musste auffallen, dass der Jungstreuner sie dabei wie gebannt anstarrte. Fréda lächelte und errötete, wandte sich um und verließ fluchtartig die Stube.

»Ihr müsst das Verhalten meiner Nichte entschuldigen«, meinte der Bauer mit öliger Stimme. »Wir haben nicht oft Besuch hier draußen. Streuner hat Fréda bisher nur aus den alten Geschichten gekannt. Ihr seid die ersten, die sie leibhaftig zu Gesicht bekommt.«

»Verstehe«, brummte Wolf und schalt sich einen Dummkopf, während Falbe unschuldig seinen Schwanz kreiseln ließ.

Keine drei Dutzend Menschen lebten in Krottenried, doch bis Mauran die vier Gäste ihnen allen vorgestellt hatte, war der Abend hereingebrochen. Wolf gab sich wortkarg; zum Glück wurden ihm die wenigsten Fragen gestellt. Balderdachs dagegen berichtete ausschweifend von seiner Heimatstadt Orilac, von Tanár und von den Kohleminen im Schneegebirge – die er vermutlich erfunden hatte.

Nachdem der Rundgang absolviert war, kehrten sie wieder ins Gästehaus zurück. Mauran holte eine Gallone Wein hervor und freute sich sichtlich über die Dankbarkeit, die ihm seine Gäste angesichts der Köstlichkeit entgegenbrachten.

»Auf Euch und auf die blühende Zukunft der gesamten Streunerschaft«, sagte er, als sie die Becher hoben.

»Auf die Menschen«, gab Wolf höflich zurück. »Auf ihre Gastlichkeit und ihre kundigen Winzer.«

Mauran lachte. »Möge Eure Wanderschaft unter einem guten Stern stehen.«

»Auf Krottenried!«, fiel Balderdachs lautstark ein. »Auf sein Gästehaus und auf seinen … Sensenmann!« Er lachte grölend.

»Auf Eure erlesene Blutwurst«, grinste Zilber und nippte vornehm an seinem Becher.

»Auf Eure erlesene Nichte!« Falbe stürzte sein Glas in einem Zug hinunter.

»Genug geprostet«, unterbrach Wolf mit scharfer Stimme seine Gefährten. »Ihr müsst verzeihen«, wandte er sich an den Bauern, der längst nicht mehr lachte. »Unsere Trinksprüche hören sich manchmal ein wenig direkt an, sie sind aber stets herzlich gemeint.«

Mauran nickte kühl. »Nun, Ihr seid bestimmt müde von Eurer langen Reise. Den Weg nach oben werdet Ihr allein finden. Wann brecht Ihr morgen auf?«

»Bei Sonnenaufgang«, erwiderte Wolf. »Wir wären Euch sehr dankbar, wenn Ihr uns rechtzeitig wecken könntet.«

»Das wird sich machen lassen.« Mauran stand auf, wünschte eine gute Nacht und empfahl sich.

»Na, großartig«, murmelte Wolf und leerte seinen Becher.

»Wirklich groß artig habt ihr das gemacht. Aber was soll′s – wir werden dieses Nest gleich nach dem Frühstück verlassen und

nie mehr zurückkehren.«

»Eben.« Balderdachs leckte sich die Lefzen und blinzelte vergnügt.

»Und jetzt zu wichtigeren Dingen. Ihr habt gehört, was Mauran gesagt hat. Es sind zehn Tagesreisen bis Téan Hu. Wir kommen zu spät, es sei denn, wir kaufen uns irgendwo Pferde. Oder …« Er hielt inne. »Kommt schon, Leute, wollt ihr mich etwa alles alleine machen lassen? Ich warte auf eure Vorschläge!«

»… wir stehlen sie«, murmelte Falbe mit angelegten Ohren. »Was Pferdedieben blüht, wisst ihr ja.«

»… wir schicken eine Brieftaube.« Balderdachs ahmte mit den Händen den Flügelschlag eines Vogels nach. »Die wäre um einiges schneller als wir. Nur … an wen schicken wir sie?« Wolf seufzte resigniert.

»Wenn wir nicht fliegen und nicht reiten können«, schaltete sich Zilber in die Diskussion ein, »dann rennen wir eben.«

Eine Weile brütete jeder für sich über eine mögliche Lösung nach. Irgendwo draußen bellte ein Hund. Der Wind hatte den Tag über nicht nachgelassen, sondern blies nun stärker denn je.

Jede Bö fing sich in den Ritzen und Fugen des Gebäudes und ließ die alten Balken immer wieder knarren und ächzen.

»Es ist spät«, sagte Wolf. »Morgen früh werde ich entscheiden, was wir tun. Jetzt gehe ich schlafen.«

Die Stube unter dem Dach war sehr eng. Nicht einmal mitten im Raum konnte er aufrecht stehen, ohne die schräge Decke zu berühren. Fréda hatte für die Gäste Strohlager mit alten, zerschlissenen Decken bereitet und eine Schüssel mit Wasser sowie eine Kerze danebengestellt. Wolf entledigte sich seiner Waffen. Unendliche Müdigkeit überkam ihn. Er gähnte, streckte sich und legte sich auf dem von der Stiege am weitesten entfernten Lager zur Ruhe nieder.

Er erwachte an einem durchdringenden Geräusch, das die Stille unerbittlich zerstörte. Missmutig drehte sich Wolf auf die andere Seite und blickte zu Zilber hinüber, der gut und fest schlief, so überlaut, wie er schnarchte. Selbst in der Finsternis warf sein blütenweißes Fell einen schwachen Schimmer zurück.

Wolf fragte sich, ob zu Hause in Orilac wohl eine Streunerin auf ihn wartete. Eine, die ihn brauchte und vermisste.

Vielleicht bedeutete ihr sein Schnarchen genauso viel wie ihm Lúpas Fauchen. Ja, Zilber hatte bestimmt ein Mädchen, wenn nicht zwei oder drei. Er war ein prächtiger Streuner; die weiblichen Wesen mussten scharenweise hinter ihm her sein.

Oder er hinter ihnen …

Die Stiege ächzte.

Wolf erstarrte. Der Wind heulte ums Haus, die alten Bretter knarrten, und Zilber schnarchte. Das Geräusch der Stiege war neu, stach deutlich heraus. Er spürte, wie sein Herz zu klopfen begann, und griff langsam und so leise er konnte nach seinen Waffen. Wieder ächzte eine Sprosse. So einen Ton gab sie nur von sich, wenn jemand seinen Fuß daraufsetzte. Wolf drückte sein Gesicht ins Stroh und zwang sich, ruhig und flach zu atmen. Er heftete seinen Blick auf die Luke und wartete.

Wieder knarrte es ächzend, diesmal mitten in einen von Zilbers Schnarchern hinein. Wolf spürte, wie sich der Kamm seines Rückenfells aufstellte. Kalt und hart lag das Heft seines Schwertes in seiner Hand.

In der Lukenöffnung wurde ein schwarzer Umriss sichtbar. Er war trotz des nur wenig helleren Hintergrunds gut zu erkennen. Langsam drehte er sich hin und her, dann schob sich die dunkle Gestalt weiter aufwärts.

Wolf schloss die Augen, als die dunkle Gestalt erneut den Kopf wandte. Ob der Eindringling wusste, dass er wach war?

Zilber grunzte im Schlaf, schnaufte schwer – und schnarchte weiter.

Wolf öffnete die Augen einen Spalt.

Die schattenhafte Gestalt hatte sich über Falbe gebeugt, blickte jedoch wie versteinert zu Zilber hinüber. Als dessen Schnarchen gleich mäßig weiter ging, drehte sie sich langsam um und streckte beide Arme nach dem Hals des Jungstreuners aus. Ein leises, kaum hörbares Geräusch drang an Wolfs Ohr, als würde ein zu dicker Faden durch das Öhr einer Nadel gezogen.

Falbe seufzte im Schlaf.

Die Hände nahe an seinem Hals, beugte sich der Schatten tiefer herab, hob die Ellbogen ein wenig an … und schien ruckartig einen Knoten zu machen.

Die Kerze flammte auf, und der Schatten erstarrte.

Langsam und mit aufgestelltem Rückenfell erhob sich Balderdachs, das Beil zwischen den gefletschten Zähnen, von seinem Lager.

Falbe, der keinen Laut von sich gab, hatte den Rachen aufgesperrt. Panisch starrte er auf die in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt über ihm. Seine Arme und Beine zuckten.

Zilber sprang ebenfalls auf, und mit einem Satz war auch Wolf auf den Füßen. Er hatte viel zu lange gezögert. Der Vermummte ließ von seinem Opfer ab und wirbelte herum. Sein rechter Arm schnellte hervor. Wolf duckte sich blitzschnell. Et was durchschnitt fauchend die Luft, streifte sein Ohr und riss Fell und Haut mit sich, bevor es in den Dachbalken hinter ihm einschlug.

Wolf fühlte kaum den Schmerz. Das Schwert in beiden Händen, stürmte er dem Angreifer entgegen. Dieser vollführte einen geschmeidigen Sprung rückwärts und verschwand im Flug durch die Luke nach unten. Wolf sprang hinterher. Kaum dass er unten ankam, hörte er, wie die Tür des Gästehauses ins Schloss fiel. Während Balderdachs und Zilber sich nicht darüber einigen konnten, wer von ihnen die Stiege zuerst hinunterklettern sollte, hechtete er zur Tür. Sie war von außen verriegelt.

»Wie kommen wir hier raus?«, rief Wolf, als die anderen ihm endlich gefolgt waren.

»Das Fenster«, sagte Zilber mit fiebriger Jägerstimme.

Balderdachs griff im Laufen nach seinem Beil und holte zu einem gewaltigen Schlag aus. Mit einem Knall barsten Glas und Rahmen, die Scherben fielen draußen zu Boden. Rasch beseitigte er mit weiteren Hieben ein paar hervorstehende Splitter, dann kletterten sie nacheinander ins Freie.

Zilber schnupperte in hastigen Zügen.

»Mir nach!«, rief er und preschte los.

Wolf wusste, dass er Zilbers Nase und Augen vertrauen konnte.

Sie nahmen die Verfolgung auf – um das Gästehaus herum, zwischen zwei kleineren Wohnhäusern hindurch, am Brunnen vorbei und hinter die Ställe am Rand der Siedlung. Über ein paar aufgestapelte Futterkisten gelangten sie auf ein niedriges Dach und sprangen von dort aus über die Pfähle, die Krottenried von der Außenwelt abgrenzten. Wolf rollte sich beim Aufkommen auf der regenweichen Erde ab und war froh, dass er sich nichts gebrochen hatte.

Die Duftspur und Fußabdrücke des schwarzgekleideten Angreifers führten um die Siedlung herum und zurück zur Straße. Dort bogen sie nach Westen ab.

»Ich kann ihn sehen«, rief Zilber über die Schulter zurück. Er ließ sich auf alle viere nieder und spurtete in einem Tempo los, das einer Raubkatze alle Ehre gemacht hätte.

Wolf, der sein Schwert in der Hand hatte, musste sich weiter auf seine Beine verlassen. Auch Balderdachs zog den aufrechten Lauf vor. Obwohl sie beide mindestens so schnell waren wie der beste menschliche Läufer, vergrößerte sich ihr Abstand zu Zilber. Trotzdem konnte auch Wolf den Fliehen den bald sehen.

Sein schwarzes Gewand flatterte hinter ihm drein.

Wahrscheinlich bremste es ihn.

»Balder!«, rief Zilber auf einmal. »Das Beil!« Er beschleunigte die Schrittfolge seiner Beine, richtete sich im Laufen auf – und hatte plötzlich die Arme wieder frei.

Balderdachs holte seine Waffe hervor und warf sie im Laufen nach vorn. Zilber drehte sich blitzschnell um, pflückte sie lässig mit der rechten Hand aus der Luft, legte noch einmal an Geschwindigkeit zu und holte aus …

»Nicht«, rief Wolf. »Wir brauchen ihn lebend!«

Doch das Beil flog bereits durch die Luft – und traf nur Sekundenbruchteile später sein Ziel. Das Blatt durchschlug das Gewand des Fliehenden und fraß sich ihm mit einem beißenden Geräusch in den unteren Rücken. Er stieß einen kurzen, schaurigen Schrei aus und stürzte der Länge nach hin.

Zilber kam gleich darauf bei ihm zum Stehen, wobei sein buschiger Schwanz kreisend half, den Schwung zu dämpfen.

Balderdachs im Schlepptau, erreichte Wolf die beiden wenig später. Der weiße Streuner, dessen Atem überraschend ruhig ging, schaute ausdruckslos auf die Gestalt in der schwarzen Kutte hinunter. Der Gefällte gab neben gehetztem Keuchen verhaltene Schmerzenslaute von sich. Mit der Rechten versuchte er, sich die Kapuze vom Kopf zu ziehen; der linke Arm vollführte auf der Erde robbende Bewegungen. Schließlich hielt er inne und ließ sich auf die Seite kippen. Der Griff des Beils ragte ihm grotesk aus dem Rücken. Entschlossen beugte sich Wolf hinunter, um es herauszuziehen.

»Lass stecken«, befahl Zilber knapp. »Sonst verblutet er uns vorzeitig. Jetzt frag ihn alles, was du wissen willst. Viel Zeit bleibt nicht mehr.«

Wolf blickte ihn an und unterdrückte einen Anflug von Übelkeit. Anstatt nach dem Beil griff er nach der Kapuze des Gefallenen und zog daran. Ein Gesicht mit Fell und spitze, angelegte Ohren kamen zum Vorschein.

»Ein Streuner!«, entfuhr es ihm. Damit hatte er nicht gerechnet. Die Schwertkämpfer im Heulenden Elend waren Menschen gewesen. Die Fußspur, der sie bis eben gefolgt waren, hatte er nicht genau betrachten können.

Selbst Balderdachs hatte die Augen ungläubig aufgerissen. Zilber dagegen schaute genauso kalt und unberührt auf sein Opfer herab wie zuvor.

Der Streuner wandte den Kopf.

»Tod … dem Streunerverräter«, presste er hervor.

Mein Haus! Graubart! Die blutige Botschaft!

Ein Sturm der Wut brach in Wolf los. Mit der freien Hand packte er das schwarze Gewand unter dem Kinn des Streuners, riss ihn in die Höhe und schrie: »Mörder!«

Dessen Lider begannen zu flattern, obwohl seine Augen unverwandt auf Wolf gerichtet waren. Dann zogen sich seine Mundwinkel nach hinten. Er lachte tonlos.

Wolf ließ ihn los, und sein Kopf sank zu Boden. Dabei glitt eine Kette aus seinem Gewand, die er um den Hals trug und an der ein kleiner Stein von schmutzig brauner Farbe und bizarrer Form befestigt war.

»Wo ist der Schnitter?«

»Darfst … dreimal raten«, murmelte der Streuner mit hasserfülltem Blick.

Wolf setzte ihm die Spitze seines Schwertes an die Kehle. »Wer ist der Schnitter?«, blaffte er. »Wie hat er herausgefunden, dass ich von ihm weiß? Und wo hält er sich auf? Rede, mach schon!«

Zur Antwort spuckte ihm der Vermummte vor die Füße. »Wir könnten ihn foltern«, schlug Zilber in einem Tonfall vor, der beiläufig klingen sollte und doch eilfertige Vorfreude verriet.

»Halt′s Maul und überlass das mir«, wies ihn Wolf scharf zurecht. »Ich hab meine eigenen Methoden.«

»Werden dich nicht … weit bringen, deine … Methoden. Werden untergehen, Téan Hu … der Westkönig … und alle anderen Könige … Bist machtlos gegen den … Schnitter.«

»Ach ja?«, fuhr Wolf seinen Feind an. »Wie lange spionierst du mir schon nach, du abgerichteter Hund? Machst für ihn die Drecksarbeit und wirst ja nicht einmal pünktlich dafür bezahlt!«

»Brichst mir … fast das … Herz.«

Wolf wurde klar, dass er den Kerl austricksen musste, um etwas von ihm zu erfahren.

»Ich weiß, was der Schnitter vor hat«, sagte er verächtlich.

»Was meinst du, warum ich auf dem Weg nach Téan Hu bin? Ich werde dort sein, wenn in zwölf Tagen«, er pausierte wirksam, »der Anschlag auf den Westkönig passiert.«

»In …ze hn Tagen«, verbesserte ihn der Streuner.

Wolf hielt den Atem an. Diese Information hatte ihm gefehlt.

»Hältst dich wohl … für besonders schlau, Wolf von … Tanár«, stammelte der Verwundete, nachdem ihm aufgegangen war, dass er einen Fehler gemacht hatte. Das Sprechen schien ihn mehr und mehr Kraft zu kosten, doch noch immer grinste er hämisch.

»Werde … gar nichts … mehr sagen, jetzt.«

Wolf wandte sich hilfesuchend an Zilber und stellte ihm im Flüsterton eine Frage.

»Wölfen, die das Vieh angreifen«, antwortete dieser mit rauer Stimme, »pflegen die Jäger im Norden bei lebendigem Leib das Fell abzuziehen. Genau so auch Hunden, die nicht gehorchen wollen. Ich habe einige Übung darin.« Auffordernd streckte er Wolf die Hand hin. »Gib mir dein Schwert, das ist scharf genug.«

In den Augen ihres Feindes stand nackte Angst. Seine rechte Hand glitt hinter seinen Rücken und erreichte den Griff des Beils.

»Halt«, sagte Balderdachs und trat mit einem Fuß auf sein Handgelenk. »Das machen wir dann schon selber. Hinterher.« Er warf Zilber einen boshaften Blick zu. Dessen Miene verriet ungezügelten Blutdurst, als Wolf ihm nach einigem Zögern Medimóntier reichte.

Der Streuner versuchte, um sich zu schlagen und seine Hand freizubekommen – doch vergeblich. Dann bemerkte er die Kette mit dem Stein, der direkt neben seiner Wange auf der Erde lag. Bevor Wolf oder einer der beiden anderen ihn daran hindern konnte, hatte er mit den Zähnen danach geschnappt.

»Es lebe der Schnitter«, murmelte er und biss hart auf den vermeintlichen Stein. Er zerbarst knirschend zwischen seinen Zähnen, und der Streuner schluckte hastig. Augenblicklich begannen ihn Krämpfe zu schütteln. Sein Atem stockte und setzte bald ganz aus, er rollte ein-, zweimal wild die Augen, bläulicher Schaum kam aus seinem Mund, die Hände krallten sich in seinen Hals … und dann bewegte er sich nicht mehr.

Wolf beugte sich erneut zu ihm hinunter, stupste ihn an, rüttelte ihn. Doch der schwarzgekleidete Streuner reagierte nicht mehr.

»Verdammt«, murmelte Wolf. »Verflucht noch mal!«, schrie er dann, um sich seiner Enttäuschung Luft zu machen. »Wie konnte das passieren? Wir hatten ihn. Er hätte uns alles erzählt, was ich wissen muss. Bei Soŋurds faulen Zähnen! So ein elender Mistkerl!«

»Er muss Cataclým bei sich gehabt haben«, murmelte Balderdachs und fügte erläuternd hinzu: »Das ist eine Art Nuss mit einer grünlichen Flüssigkeit im Innern. Wenn man sie verschluckt …« »Streuner«, unterbrach ihn Zilber grübelnd. Er hatte sich abgewandt und schien mit seinem Blick den westlichen Horizont abzusuchen. »Unter den Dienern des Schnitters sind Streuner …« Da fiel Wolf siedendheiß ein: »Wir müssen nach Falbe sehen!«

»Nicht nötig«, widersprach Zilber. Er drehte sich zu ihnen um und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Da ist er schon.«

Es dauerte eine Weile, bis Wolf und Balderdachs den Jungstreuner im Halbdunkel ebenfalls aus machen konnten.

Unsicher wankte er ihnen entgegen. In einer Hand trug er ihre in Krottenried verbliebenen Habseligkeiten, in der anderen eine dünne Schlaufe aus Draht. Ein hässlicher Ring verunzierte das Fell an seinem Hals und, wie Wolf aus der Nähe sehen konnte, die Haut darunter.

»Du hast mich schon wieder gerettet«, sagte er zu Balderdachs, räusperte sich und ließ den Schwanz halbherzig pendeln.

»Danke.«

»Scheint wohl dein Schicksal zu sein, ständig in Lebensgefahr zu geraten.« Balderdachs musterte ihn belustigt, dann beugte er sich herab und zog das Beil aus dem Körper des Toten. Bei dem Geräusch, das dabei entstand, zitterten Falbes Ohren und Schnurrhaare.

»Was hat er mit dir gemacht?«, wollte Wolf wissen.

»Ich habe nur einen Ruck am Hals gespürt. Dann sah ich einen Schatten über mir. Er hat das hier fest gehalten.« Er hob die Hand mit der Schlaufe.

Nehme lieber wieder den Draht, nächstes Mal, schossen Wolf die geflüsterten Worte durch den Kopf, die er in Tanár belauscht hatte. Eine furchtbare Ahnung stieg in ihm auf.

»Ich konnte nicht atmen. Der Druck war entsetzlich. Mein Kopf … Ich …« Falbe stockte und rieb sich die Druckstelle.

Schweißperlen traten ihm auf die Lippen. Er atmete tief durch, bevor er weitersprach. »Irgendwann bekam ich wieder Luft. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Erst nachdem ihr fort wart, konnte ich aufstehen. Dieser Mauran hat mir die Stiege hinuntergeholfen. Dann hat er mir unsere Sachen zugeworfen und mich fortgeschickt. Wir sollten bloß nie mehr wiederkommen, hat er gesagt. Dabei wollte ich doch nur …«

»Ist doch egal«, meinte Balderdachs und stupste den Jungstreuner mit dem Ellbogen freundschaftlich in die Flanke. »Du lebst noch, das ist die Hauptsache. Der hier wäre sonst dein Mörder gewesen.« Er wies auf die Leiche am Boden.

»Außerdem ist er der Mörder des Nordkönigs«, sagte Wolf, der daneben in die Hocke gegangen war.

»Was?« Balderdachs näherte sich und blickte ihm über die Schulter.

»Der Draht, seine seltsame Art zu reden – dieser Streuner hier hat den König von Hauraro umgebracht. Er war einer der beiden, die ich an der Ruine der alten Stadtmauer belauscht habe.« »Bist du dir ganz sicher?«, fragte Balderdachs, dessen Schwanzspitze und Lefzen vor Aufregung bebten.

»Nein«, gestand Wolf, »aber ziemlich.« Er schlug das Gewand des Toten zurück und zog es unter ihm hervor. Obwohl es am Rücken blutig und zerrissen war, beschloss er, es mitzunehmen. Vielleicht würde er es brauchen können. Dann besah er sich den toten Streuner genauer. An dessen Gürtel war ein einfaches Jagdmesser mit Horngriff und leicht geschwungener Klinge befestigt, die in einem ledernen Futteral steckte.

»Schaut, Freunde!«, triumphierte er. »Die Waffe, mit der der Nordkönig …« Er brach ab, weil Balderdachs ihn plötzlich unbändig zornig anstarrte. Seine Ohren waren halb gesenkt, die Lefzen gehoben, die Hände zu Fäusten geballt. Wolf vermochte den plötzlichen Stimmungsumschwung nicht zu deuten und wandte sich wieder der Leiche zu. Er schnupperte an dem toten Körper, doch der Duft war ihm gänzlich unvertraut.

»Was könnte er sonst noch bei sich haben …?« Er musste nicht lange überlegen. Doch die Pläne des Palasts von Téan Hu, die dieser Streuner bei der nächtlichen Begegnung mit dem anderen Diener des Schnitters in Empfang genommen hatte, konnte er bei ihm nicht finden.

»Was ist das?«, fragte Zilber er staunt und zog aus einer Seitentasche der ledernen Hose, die der Königsmörder unter dem Gewand trug, drei handtellergroße sternförmige Metallstücke hervor. Er befühlte die Spitzen. »Messerscharf«, ließ er die anderen wissen.

Wolf griff sich ans linke Ohr, was einen stechenden Schmerz verursachte. An seinen Fingern klebte Blut.

»Damit muss er mich getroffen haben. Anscheinend eine Art Waffe.«

»Das hätte ins Auge gehen können«, murmelte Zilber, der sich die Sterne fasziniert von allen Seiten besah und dessen anerkennender Tonfall nicht recht zu seinen Worten passen wollte. Schließlich steckte er die merkwürdigen Sterne ein wie wertvolle Jagdtrophäen. Wolf erhob sich.

»Und was machen wir jetzt mit ihm?«, fragte er ratlos.

»Spar dir deine Fürsorge!«, zischte Balderdachs immer noch aufgebracht. »Er ist ein gemeiner Mörder, und er hat einen der sieben Könige auf dem Gewissen. Muss ich dir denn schon wieder sagen, was das bedeutet? Er hat Glück, wenn ihn die Raben fressen. Sonst wird das nämlich der Große Fang tun, sobald er vor Rósgurds Tor der Ewigkeit steht und vergeblich um Einlass bittet.«

»Aber wir können ihn doch nicht einfach so hier liegenlassen«, warf Falbe zaghaft ein.

Balderdachs warf ihm einen wütenden Blick zu.

»Nein«, meinte Zilber, »so nicht.« Er nahm seinem Freund das Beil aus der Hand, und während Falbe sich rasch abwandte und ein paar Schritte entfernte, zertrümmerte er dem Toten mit einigen kräftigen Hieben und vor Vergnügen peitschendem Schwanz den Schädel – gerade so, als hackte er Feuerholz und freute sich auf einen gemütlichen Abend am Kamin. Endlich warf er Balderdachs sein Werkzeug, von dem blutige Knochensplitter herunterfielen, wieder zu.

»Nur für den Fall, dass das mit dem Cataclým nicht ganz geklappt hat«, sagte er achselzuckend, als er Wolfs mahnenden Blick bemerkte. »Außerdem wird ihn so niemand erkennen, der ihn hier findet.«

»Seine Freunde werden ihn erkennen«, gab Wolf knurrend zurück. »An seinem Geruch. Und an seinem Fell.«

»Wie dumm von mir!« Zilber griff sich an die Stirn wie ein Gelehrter. »Soll ich es ihm noch rasch abziehen? Dauert nicht lange!«

»Nein!«, fielen ihm seine drei Begleiter einstimmig ins Wort. »Hast du nichts anderes im Hirn!«, schalt ihn Wolf kopfschüttelnd.

»Kannst wohl nie genug kriegen, Zilber, alter Freund.«

Balderdachs zwinkerte dem weißen Streuner zu.

»Du bist unerträglich!«, ergänzte Falbe.

»So«, sagte Zilber lauernd und bewegte sich geschmeidig auf Falbe zu. Dicht vor dem Jungstreuner blieb er stehen, feine Bluttropfen seines zerhackten Opfers auf dem Pelz. Er hob die Lefzen. Sein Schwanz und sein Nackenfell waren steil aufgerichtet. Halblaut fuhr er fort: »Ich bin also unerträglich für dich, Kleiner. Dabei bist du doch die Klette. Du bist hier der Störenfried. Aber das hat dir noch keiner beigebracht, und du bist wohl zu beschränkt, um es von alleine zu kapieren.« Seine Armmuskeln spannten sich, und er fixierte den Jungstreuner, ohne zu blinzeln.

»Buh!«, machte er dann, kurz und plötzlich.

Falbe taumelte erschrocken zurück, und Zilber lachte.

»Lassen wir das die beiden unter sich klären«, sagte Wolf und winkte Balderdachs, ihm zu folgen. »Ich muss dich was fragen.«

Fantasy Collection III

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