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Virbis′ Vermächtnis

Reingewaschen vom Blut seines Feindes entstieg Zilber dem See, schüttelte sich kraftvoll und kam dann erhobenen Hauptes auf seine Freunde zugeschritten – eine strahlende Erscheinung, von der jede tierische Wildheit wie abgefallen war. Selbst das Wesen als Streuner schien er überwunden zu haben, um für den Moment einem Gott zu gleichen. So, dachte Wolf, musste Soŋurd ausgesehen haben, bevor sein Rivale Gurlóki ihm der Sage nach das Fell geraubt hatte und er zur verfaulenden Knochengestalt hatte werden müssen, die alle Stummen über den Fluss zwischen der Welt der Toten und der Lebenden brachte.

Vielleicht, setzte er den Gedanken fort, stand Balderdachs gerade jetzt an Gardéthels Ufer und wartete darauf, dass Soŋurd mit seinem Kahn anlegte, um ihn auf die andere Seite zu bringen, zum Tor der Ewigkeit …

»Und jetzt«, sagte Zilber mit klarer Stimme, »lasst uns dem Heer von General Nachtschatten beitreten und alle Schnitter und Mörder dieser Welt das Fürchten lehren.«

»Du hast deine Sprache wiedergefunden?«, fragte Wolf knapp. »Ich hatte sie nie verloren.«

»Sondern deinen Verstand? Du hättest mich vorhin fast umgebracht!«

»Du bist zu einem ungünstigen Zeitpunkt aufgetaucht.«

» Ungünstig? Ich verstehe. Was, beim Großen Fang, war mit dir los?«

»Wollen wir das nicht woanders besprechen?«, mischte sich Falbe ein. »Ich könnte ein ganzes Fass Bier vertragen.«

Auch Wolf war danach zu mute, sich die trockene Kehle mit viel Wein zu spülen. Sie machten sich auf den Weg zur nächsten Wirtsstube. Dort verschanzte sich jeder erst einmal hinter seinem Tonkrug, so dass lange Zeit trübsinniges Schweigen herrschte. Falbe schüttete hemmungslos Bier in sich hinein, Wolf trank sich von einer Viertelgallone zur nächsten, und Zilber hielt den Wirt mit schier unstillbarem Verlangen nach Ziegenmilch auf Trab.

»Noch eine?«, bot Wolf an, als Zilber irgendwann vergeblich in seiner Hosentasche nach Geld kramte. Er legte ihm drei Groschen hin.

»Woher hast du die?«

»Ist doch egal.« Wolf wusste, dass Zilber die Münzen um seines männlichen Stolzes willen ausschlagen würde, wenn er erfuhr, dass sie von Lacríma stammten.

»Balder muss noch mindestens fünf Knittel in den Taschen gehabt haben …«

»Gegen sein Leben hätte ich auf alles Geld der Welt mit Freuden verzichtet«, antwortete Wolf bitter.

Zilber sah ihn trübe an und nickte.

»Er war nie geizig … hat mir immer das Bier bezahlt«, sagte Falbe dumpf, stürzte den Rest seines Krugs hinunter und rülpste hinter vorgehaltener Hand.

»Brauchst wohl noch etwas Übung, hm?«, kommentierte Wolf und ließ ihnen allen Nachschub bringen.

»Auf Balder!«, sagte er, und sie ließen ihre Trinkgefäße gegeneinander krachen.

»Auf meinen besten Freund«, sinnierte Zilber, während Falbe bereits gurgelnd schluckte. »Ich werde ihn vermissen.«

Wolf wartete ab, da Zilber offenbar fortfahren wollte. Doch stattdessen hielt er seinen Krug in der Hand und starrte schweigend ins Leere. Sein Blick war stumpf, und doch lag in seinen kalten blauen Augen unsäglicher Schmerz und eine mit Worten nicht zu beschreibende Sehnsucht. Wolf schämte sich, ihn kurz zuvor verflucht zu haben.

»Du hast ihn einmal deine Beute genannt«, sagte er unbeholfen. »Vielleicht lag es daran, dass ich dachte, du hättest ihn … Ach, wie auch immer, es tut mir leid.«

»Du elender Schwachkopf«, schnarrte Zilber und knallte seinen Krug auf den Tisch. »Was hätte ich für einen Grund gehabt, Balder zu töten?«

Wolf nahm einen großen Schluck Wein, um ihm nicht ins Gesicht schauen zu müssen.

Werd bloß nicht wütend …, be schwor er Zilber in Gedanken. Und erzähl mir endlich alles …

Falbe schien für den Augenblick genug Bier zu haben. Er hatte die Hände auf den Bauch gelegt, sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen.

»Er war mein bester Freund!«, fuhr Zilber mit zornblitzenden Augen fort. »Nie habe ich einem Streuner mehr vertraut als ihm. Wäre er nicht gewesen, würde ich heute noch stumm wie ein Tier durch den Schattenwald irren – wenn ich nicht schon längst tot wäre, gefressen von einem, der stärker ist als ich. Balder habe ich nicht nur mein Leben zu verdanken, sondern viel mehr. Eigentlich alles, was ich heute bin.«

»Wer ist dann der andere Zilber?«, hakte Wolf ein. »Der nicht sprechen kann? Und dem ich meine Faust an die Fresse setzen musste, damit er mir nicht die Gurgel durchbeißt?«

Zilber musterte ihn, ohne eine Miene zu verziehen. Mit dem Handrücken rieb er sich flüchtig den Unterkiefer und nahm dann einen Schluck von seiner Ziegenmilch.

»Er heißt nicht Zilber«, erwiderte er. »Denk dir ein abgelegenes, sehr schmales Tal Hunderte von Meilen nordöstlich von Orilac, weit hinter dem jenseitigen Rand des Schattenwalds. In diesen entfernten Gebieten Lesh-Tanárs leben die Streuner noch in Gilden. Wer innerhalb einer Gilde geboren wird, wächst mit ihren Regeln und Traditionen heran, lernt die gleiche Tätigkeit wie die Älteren und bleibt bis zu seinem Lebensende Mitglied der Gemeinschaft.«

Wolf legte skeptisch den Kopf schief. Nach seinem Wissen hatten sich die letzten Gilden schon vor Jahrhunderten aufgelöst. Zilber nahm keine Notiz von seiner Reaktion.

»Das Tal besteht aus einer langgezogenen Wiese mit Korbweiden. Die Hänge zu beiden Seiten oberhalb davon sind dicht bewaldet. Den Talgrund entlang fließt ein Fluss, an kaum einer Stelle breiter als zwei Mannslängen, aber von tückischer Strömung und unwägbarer Tiefe. Nun stell dir einen Streunerjungen namens Frostpardel vor. Er gehört zur Jägergilde und lebt mit seinen beiden älteren Brüdern in diesem Tal. Es ist ihr alleiniges Jagdrevier. Der Wald ist reich an Beute. Aber noch ein Vierter lebt dort. Frostpardels bester Freund.«

Wolf begann die Geschichte zu langweilen. Er kratzte sich ausgiebig unter der Achsel und äugte in seinen fast leeren Weinkrug.

»Virbis ist ein Findelkind, vermutlich stammt er aus der Goldgräbergilde, genau weiß es niemand. Frostpardels Familie hat ihn als Säugling aufgenommen. Seit jeher sind die beiden unzertrennlich. Zum Zeichen ihrer Freundschaft trägt jeder von ihnen ein ledernes Band um den Hals mit dem Eckzahn eines Keilers, den sie einmal gemeinsam erlegt haben. Virbis ist ein guter Jäger. Außerdem hasst er den Fluss und hält sich normalerweise fern vom Wasser. Er kann nicht schwimmen.«

»Ich verstehe nicht, was das alles mit meiner Frage oder mit Balder zu tun hat«, gab Wolf zu bedenken.

»Kannst du auch nicht, wenn du mir nicht zuhörst«, versetzte Zilber. »Frostpardels Geschwister haben ihren ungewollten Bruder noch nie leiden können. Tagtäglich lassen sie Frostpardel ihre Abneigung gegen Virbis spüren. Der dagegen merkt nichts davon, und wenn es ihm doch bewusst ist, so würde er es niemals zugeben. Stattdessen versucht er ständig, es allen dreien recht zu machen, schließlich haben sie ihn als gleichwertiges Familienmitglied in ihre Gilde aufgenommen.«

Leises Schnarchen drang aus Falbes Ecke.

»Als Frostpardel eines Tages im Frühsommer allein auf der Jagd ist, bitten seine Brüder Virbis, sie zu begleiten. Sie wollen mit dem Kanu den Fluss hinunterfahren und angeln. Er fühlt sich nicht wohl bei dem Gedanken, in das Boot zu steigen, willigt jedoch ein, um die beiden nicht vor den Kopf zu stoßen. Dass sie vorhaben, ihn ein für alle Mal von seiner Angst vor dem Wasser zu kurieren, ahnt er nicht.«

Wolf schaute auf, weil Zilber eine Pause machte. Mit eisigem Blick starrte er auf die Tischplatte, als sähe er nicht das raue, abgenutzte Holz, sondern unheilvolle Ereignisse aus einem anderen, längst vergangenen Leben.

»Als Frostpardel spät am Abend zurückkommt, braten seine beiden Brüder Fisch über dem Feuer. Sie begrüßen ihn nicht. Er fragt nach Virbis. Normalerweise empfängt sein Freund ihn immer als Erster, wenn er allein auf der Jagd war. Sie zucken die Schultern. Keine Ahnung. War verschwunden, als sie vom Angeln zurückkamen. Frostpardel wundert sich. Virbis hat nichts von seinen Sachen mitgenommen: Hasenprügel, Wildspeer, Fasanschleuder, Jagdmesser, alles ist an seinem Platz. Nichts fehlt, nicht einmal die Angelrute. Er solle sich bloß keine Sorgen machen, raten ihm die Brüder, der Ausreißer werde schon wiederkommen, und wenn nicht heute, dann morgen oder am nächsten Tag oder im nächsten Monat.

Frostpardel wartet, doch Virbis kommt nicht wieder. Nicht im nächsten Monat und auch nicht im übernächsten. Der Sommer ist vorbei, als ihm klar wird, dass sein Freund nie mehr zurückkommt. Aber er ahnt, dass seine Brüder mehr wissen, als sie zugeben. Ständig werfen sie ihm scheue Blicke zu, wenn er mit ihnen zusammen ist, und ergehen sich in leisem Getuschel, wann immer sie glauben, dass er es nicht bemerkt. Und wenn sie mit ihm Arbeit oder Essen teilen, sind sie nicht mehr derb und ruppig wie früher, sondern vorsichtig und zurückhaltend, als fürchteten sie, ihm zu viel abzuverlangen. Er kann das weibische Getue nicht ertragen, verliert die Geduld, schreit die beiden an, aber die schweigen nur und glotzen und nicken.« Wolf schwieg und glotzte und nickte. Worauf wollte Zilber hinaus?

»Eines Morgens im Herbst, die Luft ist kühl und staubtrocken, kommt Frostpardel gähnend aus seiner Hütte gekrochen. Sein ältester Bruder scheint noch zu schlafen, der mittlere ebenfalls. Er beschließt, die beiden zu wecken. Die Tür zur Hütte des Zweitältesten steht nur angelehnt. Er stößt sie auf.

Sein Bruder baumelt an einem Strick vom Dachbalken. An seinen Lippen und Augen laben sich die Fliegen. Auf dem Tisch liegt ein Stück Leder, bekritzelt in seiner ungeübten krakeligen Handschrift.

Ich kann die Schuld nicht länger ertragen. Wir wollten ihn nicht ertränken. Es war ein Unfall. Er ist wild geworden, als er ins Wasser sollte. Er ist gestolpert und mit dem Nacken auf die Bootskante aufgeschlagen. Da hat er nur noch geröchelt. Wir dachten, das kalte Wasser würde ihm guttun. Aber er ist untergegangen wie ein Stein. Wir dachten, er würde sich nur einen Scherz mit uns erlauben. Aber er ist nicht mehr hochgekommen. Wir haben das Versprechen gegenüber unserem Vater gebrochen. Wir haben die Gilde verraten. Wir sind schuldig. Der Große Fang wird mich richten.«

Wolf musste schlucken. Er ahnte, wie die Geschichte weitergehen würde.

»Nachdem Frostpardel das Geständnis seines Bruders gelesen hatte, flutete die Wahrheit über Virbis′ Verbleib seinen Verstand mit alles erstickendem Schmerz. Er hörte auf zu denken, wurde mit seinem ganzen Wesen ein Jäger. Und ein Rächer. Er weckte den ältesten Bruder nicht, sondern lauerte ihm hinter der Hüttentür auf, schlug ihn nieder, als er herauskam, und fesselte ihn an eine der Weiden am Flussufer.« »Und dann?«, fragte Wolf, weil Zilber wieder eine Zeit lang schwieg.

»Dann hat er ihn mit bloßen Händen und Zähnen bei lebendigem Leib in Stücke gerissen«, sagte Zilber mit sanfter Stimme.

»Als sein Bruder verstummt war und seine Seele auf dem Weg in den Höllenschlund des Großen Fangs, färbte die Dämmerung den Himmel rot, wie auch Frostpardel den Fluss und die Erde blutgetränkt hatte. Dann witterte er etwas: den Duft der Ferne. Es war ein kühler Herbst, wie geschaffen zur Jagd.

Die leeren Hütten seiner Brüder und das entweihte Tal seiner Welpenzeit ließ er hinter sich. Frostpardel wanderte flussabwärts. Das Gewässer verbreiterte sich. An einem weitläufigen Kiesstrand fand er irgendwann das Skelett eines Streuners, von der Strömung angeschwemmt. Um den Hals hing ihm noch das Band mit dem Keilerzahn.

Frostpardel begrub seinen verlorenen Freund allein. Ins Grab legte er ihm auch seinen eigenen Umhänger. Danach ging er nach Westen, ohne die Meilen zu zählen. Er erreichte den Schattenwald und verbrachte ein ganzes Jahr in dessen Dunkelheit, als schweigender Jäger. Und dann …«

»… dann bist du irgendwann Balderdachs begegnet«, führte Wolf den Satz zu Ende. »Der nicht als deine Jagdbeute enden wollte. Also hast du wieder zu denken angefangen.«

»Er hat verhindert, dass ich das Raubtier blieb, das ich war«, nickte Zilber. »Außerdem verdanke ich ihm meinen neuen Namen.« »Du bist …«

»… Zilberpardel von Orilac. Ich habe mir geschworen, niemals in die Gebiete östlich des Schattenwalds zurückzukehren.«

Wolf leerte den Rest seines Weins.

»Das alles ist lange her«, sagte er. »Du könntest vergessen. Und verzeihen.«

»Wem denn? Meine Brüder sind tot.« Zilber durchbohrte ihn geradezu mit seinem Blick. »Virbis ist tot. Balder ist tot! Verzeihen? Vergessen? Du weißt nicht, wovon du redest.«

Unvermittelt musste Wolf an Lúpa denken. Was würde er wohl tun, wenn sie getötet werden würde? Und Lacríma – nein, Lacríma durfte niemals sterben. Er würde sie beschützen, schließlich gehörte sie ihm, für immer!

»Hast du es nicht Balder zu verdanken, dass du wieder normal geworden bist?«, sagte er laut und mit dem plötzlichen Verlangen, Zilber zu reizen. »Anstatt für den Rest deines Lebens deinen toten Brüdern zu grollen, könntest du froh sein, dass du ihm begegnet bist.«

Zilber starrte ihn sekundenlang an – und brach auf einmal in bellendes Gelächter aus.

»Normal?«, fragte er, kaum dass er sich beruhigt hatte. »Wer oder was ist schon normal, Wolf? Du etwa? Ein Streuner, der eine Menschenfrau liebt?«

»Sie ist eine Albin«, verbesserte ihn Wolf.

Falbe grunzte im Schlaf.

»Umso schlimmer«, brummte Zilber missmutig. »Jedenfalls grolle ich niemandem, erst recht nicht den beiden Stummen, die einmal meine Brüder waren. Sie haben für ihre Tat ja gebüßt. Und natürlich bin ich dankbar, dass ich Balder kennen durfte – auch wenn sein Tod mir aufs Neue gezeigt hat, dass in mir noch ein anderes Wesen schlummert.«

»Eins, das nach Blut giert und seinem Freund dafür die Kehle durchbeißen würde?«

Zilber schluckte genüsslich den Rest seiner Ziegenmilch.

»Alles, was lebt, befindet sich in ständiger Angst, getötet zu werden«, gab er zur Antwort. »Ich liebe diese Angst. Ich liebe es, sie zu verursachen. Ich liebe es, sie zu erleiden.«

Wolf schüttelte schnaubend den Kopf und schwieg. Offenbar zog es Zilber an diesem Abend vor, sich nicht provozieren zu lassen.

»Falls du es noch nicht gemerkt hast: Das Leben spielt ein tödliches Spiel mit uns«, fuhr dieser fort. »Ohne Gnade, ohne Gerechtigkeit und erst recht ohne Rücksicht darauf, ob wir dabei draufgehen oder nicht. Einer wie ich braucht weder zu verzeihen noch zu vergessen, weil ihn jeder Schmerz härter macht. Was mir das Leben nimmt, hole ich mir vom Leben zurück.«

»Deshalb wirst du auch irgendwann sterben«, konterte Wolf. »Im Gegenteil: Nur deshalb lebe ich noch. Vergiss nicht, wie oft ich auch deinen Pelz schon gerettet habe!«

»Umso mehr geht mir Balders Tod an die Nieren«, brummte Wolf mit leisem Vorwurf. »Im Moment tröstet mich nur die Gewissheit, dass du ihn schon gerächt hast.«

»Hab ich das?«, Zilber blickte ihn verwirrt an. »Ach so, der Pelzjäger. Ich, äh … kann mich nur dunkel daran erinnern, was zwischen heute Nacht, als wir … aus der Stadt zurückkamen … und unserem Abschied von Balder vorhin am See passiert ist.« »Das wundert mich nicht«, sagte Wolf prompt. »Du warst völlig weggetreten.«

»Ich wollte dich nicht angreifen«, murmelte Zilber mit halb angelegten Ohren. »Tut mir leid.«

»Nicht der Rede wert. Reiß dich das nächste Mal einfach zusammen. Sonst fängst du halt wieder eine.« Wolf ballte die Faust und grinste ihn an.

»Keine Angst, mein Freund. Ich habe sowieso andere Pläne. Ich werde nach Süden gehen. General Nachtschatten wird nicht ohne mich klarkommen, auch wenn er das noch nicht weiß. Da fällt mir ein – willst du mir nicht helfen und mich begleiten? Dabei könntest du aufpassen, dass mich nicht plötzlich die Blutgier überkommt. Wie Balder bisher.«

»Ach, auf einmal sagt dir Lacrímas Idee zu?«

»Mit deiner Albin hat das gar nichts zu tun. Du hast doch erzählt, dass das Pack, das der Schnitter um sich geschart hat, dem Heer beitreten soll. Also wird auch er selber nach Hylándia gehen. Wäre es da nicht dumm von uns, hierzubleiben? Oder sogar mit leeren Händen in unsere Heimatstädte zurückzukehren? Ich sage, wir müssen die bisherige Fährte weiterverfolgen. Vergiss nicht, dass der Schnitter dich wahrscheinlich beobachten lässt. Willst du etwa jetzt klein beigeben?«

Wolf hätte erwidern können, dass ihn Zilbers Selbstsucht anödete, dass er nicht hierhergekommen war, um auf irgendjemanden aufzupassen, und dass er hier derjenige war, der die Entscheidungen traf, ja schon getroffen hatte. Andererseits – warum mit ihm über seine Mission, geschweige denn über sein Mädchen streiten?

Mit Zilber über mein Mädchen streiten?

Wolf musterte ihn prüfend. Ein äußerst unangenehmer Verdacht beschlich ihn: Ob Zilber gerade wegen Lacríma nach Süden zu gehen vorschlug? Was, wenn er in Wahrheit hinter Wolfs Rücken ihre Fährte verfolgte …?

»Was starrst du so?«

Ihm blieb nur eine Wahl. Er musste Zilber im Auge behalten – obwohl ihm bei dem Gedanken, dass er womöglich jederzeit wieder ausrasten konnte oder im Kampf aus lauter Blutgier willkürlich feindliche wie eigene Soldaten abschlachtete, ein wenig mulmig zumute war.

»Also gut, ich helfe dir«, sagte er. »Wie Balder bisher.«

Sie besiegelten den Pakt mit einem ausgiebigen Nasenreiben.

Zilbers Lebensatem war klar und ohne die leiseste Note von versteckter Angst oder verheimlichten Absichten, geschweige denn dass ein in ihm schlummerndes Ungeheuer zu wittern war. Wolf war ein wenig beruhigt.

»Darauf sollten wir anstoßen«, sagte Zilber mit einem Grinsen, das seinen Nasenrücken kräuselte. »Natürlich nur, wenn du bereit bist, noch ein paar Groschen mehr zu opfern.«

»Muss ich sowieso. Hast du nicht auch einen Bärenhunger? Falbe, aufwachen, sonst gibt′s nichts zu essen!«

Sie verbrachten fast den ganzen Tag in der Wirtsstube. Am Abend schickten sie Falbe los, die in ihrer früheren Behausung verbliebenen Sachen zu holen. Er gehorchte mit vor Furcht eingezogenem Schwanz. Wolf nickte anerkennend, als der Jungstreuner unversehrt zurückkam. Keiner von ihnen wollte auch nur eine weitere Nacht in der Zelle verbringen, an deren Wänden Balderdachs′ Blut klebte. Stattdessen fragten sie den Wirt nach einer Bleibe. Für wenig Geld bot er ihnen eine Dachkammer an.

In dieser und den darauffolgenden Nächten quälten Wolf schlimme Träume. Er ertappte Zilber und Lacríma, die sich in wilder Umschlingung einander hingaben … Er war auf der Flucht vor einem Pelzjäger, der ihn mit einer verstimmten Leier verfolgte, zu der er schauerliche Klagelieder sang … Unter verdorrten Weiden stand er am Ufer eines Sees mit blutrotem Wasser; Balders Grab war geschändet worden, zu seinen Füßen klaffte nur ein leeres Loch … Er kam zurück nach Axthill, aber Lúpa war fort, hatte Tanár für immer verlassen … Und stets hing über Wolf das weit aufgerissene Auge, mit dem der Schnitter ihn anstarrte und jeden seiner Schritte beobachtete …

Tagsüber besuchte er mehrmals Lacrímas Villa, doch sie war nie dort anzutreffen. Erst am letzten Tag des Monats begegnete er ihr in einer Seitenstraße, kaum dass er die Wirtsstube verlassen hatte. Fast hätte er sie nicht erkannt: Ihr langes Haar war zurückgebunden, so dass ihre Elbenohren nun unübersehbar hervorstachen. Sie trug eine einfache, aber fein gearbeitete Lederrüstung mit schuppenartigem Silberbesatz, einen dunkelgrünen wollenen Umhang sowie einen Bogen samt Köcher mit grüngefiederten Pfeilen.

»Was machst du denn hier?«, fragte er verdutzt.

»Dich an morgen früh erinnern«, raunte sie und blickte sich geheimnistuerisch um. »Zu Sonnenaufgang, auf dem Palastberg. Bring deine Freunde mit. Je früher ihr da seid, desto besser …«

»Balder ist tot«, sagte er.

»Was?« Lacrímas Gesicht wurde kalkweiß. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie blieb stumm.

Wolf wunderte sich insgeheim über ihre Bestürzung, schließlich hatte sie Balderdachs bestimmt nicht sonderlich geschätzt. Laut sagte er: »Ein Pelzjäger.«

»Aber Zilber lebt?«

»Er und Falbe werden mich begleiten.«

»Seid pünktlich morgen.« Überraschend schnell schien sich Lacríma wieder gefasst zu haben. »Kennst du den Weg?«

Er verneinte, und sie beschrieb ihn in knappen Worten.

»Ich muss weiter«, schloss sie.

Wolf trat dicht an sie heran, um sich nasenreibend zu verabschieden. Beim letzten Mal hatte sie es genossen. Doch nun wich sie zurück und wandte sich zum Gehen.

»Wo warst du die ganze Zeit?«, erhob er vorwurfsvoll die Stimme. »Dein Haus steht leer, ich kann dich nirgends finden, und dann tauchst du plötzlich auf und tust so, als träte ich dir zum allerersten Mal unter die Augen! Was soll das?«

Sie blieb stehen und drehte den Kopf halb zu ihm zurück. » Er beobachtet uns«, flüsterte sie.

Wolf wandte sich suchend um. Als er sich wieder zu Lacríma umdrehte, war diese wie vom Erdboden verschluckt.

»Waffen«, sagte Wolf, »sind das Wichtigste für einen Soldaten. Ohne sie ist er in der Schlacht verloren. Wir haben eine Schlacht vor uns und sollten deshalb Gebrauch davon machen.

Eigentlich haben wir viel zu lange damit gezögert, nicht?«

»Halt keine Volksreden, lass uns lieber sehen, was wir haben.« Zilber hob die Lefzen und kratzte sich einen seiner Reißzähne. »Abgesehen von denen hier natürlich. Die werden oft unterschätzt.«

Wolf hielt sich nicht mit Zilbers Gebiss auf, sondern überschaute das vor ihm liegende Waffenarsenal: Medimóntier, die beiden Saï, das Messer, das er Tánatos abgenommen hatte. Dazu kamen Zilbers Armbrust, in deren Griff ein Fach mit weiteren Bolzen und der Spannwinde eingearbeitet war, sowie die beiden verbliebenen Zackensterne, die ebenfalls Tánatos gehört hatten.

»Wo ist eigentlich Balders Beil abgeblieben?«, fragte er.

»Meine schwarze Kutte vermisse ich übrigens auch.«

Zilber zuckte die Achseln. »Hat vielleicht beides der Pelzjäger mit gehen lassen.«

»Wie auch immer … hier …« Wolf reichte Falbe das Messer des Königsmörders. »Vielleicht wirst du es brauchen können.«

»Meint ihr nicht, dass die Armee uns sowieso mit Schwertern und Rüstungen ausstatten wird?«, fragte der Jungstreuner, während er das Futteral mit dem Messer an seinem Gürtel befestigte.

»Verlassen wir uns nicht drauf«, brummte Wolf. Dass er ein Vermögen für Medimóntier ausgegeben hatte und es nicht einmal im Traum gegen ein derbes Breitschwert eintauschen würde, verschwieg er.

»Ich kann′s kaum erwarten, bis es losgeht!«, schwärmte Falbe. »In der Truppe hier kennt mich niemand und …«

»Dann wird dir ja das Weglaufen diesmal umso leichter fallen, Kleiner«, versetzte Zilber und knuffte ihn in den Bauch.

»Krümmst dich ja jetzt schon vor Angst. Und so einer will Soldat werden? Wärst du bei den Frauen und Welpen nicht besser aufgehoben?«

Falbe wehrte ihn ab. »Und du bei den Sängern und Liedermachern!«, konterte er. »Würde zu deinem Fell passen, das hat ja schließlich schon Soŋurd bewiesen …« Er duckte sich, da Zilber sämtliche Muskeln spannte, und bemühte sich, seine Provokation durch ein vorsichtiges Schwanzwedeln abzumildern.

»Wärst du mit mir zusammen in einer Gilde gewesen, Kleiner«, grollte Zilber, »dann würdest du dir dreimal überlegen, ob es klug ist, mir gegenüber die Klappe so weit aufzureißen!« »Hört auf«, mahnte Wolf. »Schon vergessen, dass der Westen uns braucht? Wo bleibt eure militärische Disziplin?«

»Lass mich das klären«, knurrte Zilber.

»Nein«, sagte Wolf scharf. »Hast du übrigens bei deiner Audienz mit General Nachtschatten nicht behauptet, in drei Gilden zugleich gewesen zu sein? Wie willst du das gemacht haben?«

»Du hast dich verhört«, widersprach Zilber. »Ich sagte, ich verfüge über das Wissen dreier Gilden. Das ist etwas anderes.« Wolf tauschte einen zufriedenen Blick mit Falbe. Das Ablenkungsmanöver schien geglückt zu sein, worüber der Jungstreuner sichtlich erleichtert war.

»Natürlich stamme ich aus der Jägergilde. Die Geschichte habe ich euch ja erzählt. Aber ich hatte meine Fähigkeiten im Jagen früh genug vervollkommnet. Nachdem Virbis und meine Brüder tot waren, wollte ich etwas Neues lernen. Bei den Kampfstreunern habe ich mich besonders lange rumgetrieben. Balder hat mich aber noch zu einigen anderen Gildemeistern geführt. Dank ihm kann ich auch …«

Zilber hielt inne und schaute Wolf flüchtig an.

»… zaubern?«, fragte dieser ironisch.

Zilber setzte ein schwer zu deutendes Grinsen auf. »Wer weiß?«

Der Truppenübungsplatz lag unweit von Lacrímas Villa auf dem Plateau des Tafelbergs am Fuße der westlichen Palastmauer. Der Weg dorthin war zum Zweck der Musterung vorübergehend ausgeschildert worden. Zunächst hatte man sich in den äußersten Nordwesten Téan Hus zu begeben. Dort begann ein steiler Pfad, der sich im Zickzack den Hang hinaufschlängelte. Wolf, Zilber und Falbe waren unter den Ersten gewesen, die dem Aufruf folgten und sich auf dem Übungsplatz einfanden. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, der größte Teil des Areals lag noch im Schatten. Ein kalter Wind von Südwesten wehte über den Tafelberg. An der Palastmauer waren in regelmäßigen Abständen klobige Holztische aufgestellt worden, hinter denen Skriptoren saßen. Ein paar Dutzend Leute standen bereits Schlange. Schilder wiesen denjenigen den Weg, die lesen konnten, alle anderen wurden von bereitstehenden Wachen entsprechend abgefertigt: Menschen hatten sich ganz links einzureihen, Elben eine Reihe weiter. Danach kamen Streuner mit schwarzem Fell, gefolgt von allen übrigen Streunern. Eine eigene Abteilung bildeten die Berufssoldaten. Dort war am wenigsten los, vielleicht weil die meisten von ihnen bereits registriert oder zum Wachdienst eingeteilt waren. Zuletzt gab es noch eine Meldestelle für nicht-waffenfähige Heeresdiener wie Knappen, Stallburschen, Fahnenträger und Köche.

»Dann mal los«, sagte Wolf und marschierte auf die überschaubare Zahl schwarzfelliger Artgenossen zu, die sich vor dem Tisch des entsprechenden Skriptors eingefunden hatten. »Bis später, Freunde!«

Falbe nickte ihm zu und ging in Richtung der benachbarten Schlange davon, wo schon ein paar Streuner schwatzend und johlend darauf warteten, an die Reihe zu kommen.

Wolf stutzte, als er sah, dass Zilber bei ihm blieb. »Was ist?«

»Du bist hier falsch«, mahnte Wolf. »Steht auf den Schildern.«

»Dass ich hier falsch bin?« Zilber kniff prüfend die Augen zusammen. »Dann kann ich nicht lesen.«

»Da steht, dass du schwarzes Fell haben musst, um dich hier anzustellen. Du musst da rüber!«

»Hier geht es aber schneller. Wir sind gleich dran.«

»Unbelehrbar wie immer, was?«, knurrte Wolf und drehte sich zu ihm um. Zufällig fiel sein Blick auf die Registrierungsstelle der Berufssoldaten. Er war überrascht, dort General Nachtschatten persönlich zu entdecken, der wütend mit der Faust auf die Tischplatte schlug und eindringlich auf den Skriptor einredete.

»… zwei? Dann … Ersatz, aber … plötzlich!«, drangen seine Befehle in Wortfetzen herüber.

»Der Nächste bitte«, sagte jemand, und Wolf brauchte einen Moment, bis er merkte, dass er gemeint war. Er trat an den Tisch heran.

»Name?«, fragte der Skriptor kurz.

Geht das schon wieder los. Die Szene erinnerte ihn unangenehm an das Verhör im Königspalast von Tanár, kurz bevor er von General Várun empfangen worden war.

»Wolf von Tanár«, sagte er.

Der Skriptor blickte auf.

»Und der da hinter dir … Ihnen, das ist wohl Zilber von Orilac?«

»War das geraten oder verraten?«, fragte dieser kühl zurück.

»Er ist hier falsch«, sagte der Skriptor statt einer Antwort.

»Das habe ich ihm auch schon klarzumachen versucht«, bemerkte Wolf.

»Sie aber auch. Wenden Sie sich bitte beide an die vorletzte Meldestelle – Berufssoldaten. Dort erwartet man Sie bereits.« »Wie das?«, brachte Wolf verdutzt heraus.

»Der Nächste bitte«, sagte der Skriptor mit einer wedelnden Handbewegung.

General Nachtschatten bemerkte natürlich, dass sich jemand dem Tisch näherte, an dem er gerade beschäftigt war. Misstrauisch hob er den Kopf und heftete seinen Blick auf Wolf und Zilber, ohne dabei den Redefluss seiner Anweisungen zu unterbrechen.

»… Mótuhi. Fähiger Reiter, der Kerl, wüsste sonst niemanden, der Ábanas Eins übernehmen könnte. Für Zwei bis Fünf habe ich mir auch schon Kandidaten überlegt. Was die neuen Rekruten betrifft, die Streuner werden in Brigaden zu je hundertzwanzig Mann eingeteilt, bei den anderen ist mir die Zahl schnuppe, solange sie regelmäßig eingehalten wird.«

Der Skriptor kam kaum mit dem Schreiben hinterher.

»Was fehlt jetzt noch?«

»Die Hauptleute für Basalt Drei bis Fünf, General«, meldete der Skriptor prompt.

»Rappe, Fuchs und Panther. Auf die drei kann ich mich voll und ganz verlassen. Ihre Feldwebel sollen sie sich gefälligst selber aussuchen. Als Ersatz für diesen Drückeberger, dem Zwei unterstellt war, könnte ich mir Läufer vorstellen. Nein, warten Sie. Ich hab′s mir anders überlegt.«

Wolf und Zilber waren mittlerweile ebenso herangekommen wie ein Knappe, der General Nachtschatten eine Nachricht zuflüsterte. Die beiden hatten jedoch keine Schwierigkeiten, ihn zu verstehen.

»Zwei Streunerbrigaden sind komplett, Herr. Außerdem hätten wir die ersten hundert Männer zusammen. Hauptmann Namenlos erbittet, seine Brigade Syól nennen zu dürfen.«

»Genehmigt«, gab Nachtschatten zurück.

»Hauptmann Namenlos?«, wiederholte Zilber schnaubend und fügte respektlos hinzu: »Klingt ja geheimnisvoll. Nicht ganz so obskur wie Nachtschatten , versteht sich.«

Der General fixierte ihn mit eisigem Blick.

»Euren Namen, Störenfried im weißen Pelz, kenne ich ebenfalls bereits«, sagte er mit warnendem Kehlenrollen. »Er klingt kein bisschen geheimnisvoll, sondern verweichlicht und eitel.«

Zilber öffnete den Rachen, um etwas zu sagen, und klappte ihn verblüfft wieder zu. Offenbar hatte er nicht mit einer solchen Abfuhr gerechnet.

»Und Ihr müsst Wolf von Tanár sein«, fuhr der General fort, ohne Zilber weiter zu beachten. »Euer Ruf ist Euch vorausgeeilt.« Er wandte den Blick ab und sprach in leierndem Tonfall weiter. »Hauptmann der Armee von Tanár, maßgeblich beteiligt an der glorreichen Niederschlagung der aufständischen Lehnsleute von Lesh vor zehn Jahren; vor drei Jahren Ernennung zum Anführer der Leibgarde des Königs der Mitte. Ganz netter Werdegang!«

Zilber starrte den General an, als hätte er Wolf gerade zu seinem Blutsbruder erklärt.

Wolfs Gedanken überschlugen sich. Er hatte den Faden verloren und versuchte, ein Gefühl aufkommender Panik zu ersticken.

»Hier liegt eine Verwechslung vor …«, begann er.

»Ich weiß«, knurrte der General, den Blick aus seinen schwarzen Augen wieder unverwandt auf ihn geheftet. »Hätte mir das Ganze besser merken sollen. Die Ernennung war schon vor vier Jahren. Vor drei Jahren kam die Ehrenmitgliedschaft im Senat hinzu.« Seine Schwanzspitze zuckte anerkennend.

Wolf überlegte fieberhaft, was er sagen sollte, um Zeit zu gewinnen.

»Du hast mir nie erzählt …«, begann Zilber schließlich, brach den Satz jedoch ab, da Wolf gleichzeitig zu einer Antwort auf Nachtschattens Worte ansetzte.

»Darf ich fragen, wer Euch das alles über mich gesagt hat?« »Das war ich«, sagte eine wohl vertraute Stimme.

Wolf zuckte zusammen – wieder einmal hatte er Lacríma nicht herankommen hören. Sie stand dicht hinter ihm.

»Auf meine Hauptleute kann ich mich verlassen«, sagte Nachtschatten, »aber die Elbenkrieger sind nicht nur auf dem Schlachtfeld unschlagbar.« Er wandte den Kopf und nickte Lacríma anerkennend zu. »Danke. Er scheint eine gute Wahl zu sein. Bleibt doch, Anführerin, während Wolf von Tanár vereidigt wird. Doch zuerst …«

Der General beugte sich zackig vor, um Wolf nach Streunerart zu begrüßen. Sein Duft war herb und ungebärdig, als lauerte unter seinem beherrschten Äußeren eine ungeheure Wut, der er, wenn überhaupt jemals, dann in der Schlacht freien Lauf ließ. Als er sich wieder aufrichtete, glaubte Wolf für einen kurzen Moment, Zweifel in Nachtschattens Augen aufflackern zu sehen. Der Eindruck verschwand sofort, als der General weitersprach. »Verzeiht, dass ich Euch und Euren Begleitern bei unserer ersten Begegnung nicht die gebührende Ehre erwiesen habe. Ich konnte nicht ahnen, wen ich vor mir hatte.« Erst jetzt schaute er Zilber wieder an. »Das gilt auch für Euch, ehrenwerter und weitgereister Zilberpardel aus Orilac. Ich …«

»Was wisst Ihr über mich?«, fiel ihm Zilber – hastig und alarmiert, fand Wolf – ins Wort.

»Dass Ihr der Großmeister der Ersten Jägergilde Orilacs seid«, begann Nachtschatten aufzuzählen. »Dass Ihr den jetzigen Großmeister der Ersten Fleischergilde Orilacs in zwei Jahren ablösen werdet. Und dass man Euch aus der Kampfstreunergilde geworfen hat, gleich nachdem Ihr den Rang eines Meisters erreicht hattet, weil Ihr beim Prüfungskampf, den strengen Regeln der Gilde zum Trotz, Euren Gegner getötet habt. Genauer gesagt habt Ihr ihm, unmittelbar nachdem die Ringrichter Euch zum Sieger erklärten, mit bloßen Händen den Kopf vom Leib gerissen.«

Zilber knirschte vor Wut mit den Zähnen.

»Was noch?«, stieß er hervor.

Der General setzte ein kühles Reißzahnlächeln auf. »In Eurer Heimat seid Ihr als der Schlächter von Orilac bekannt.«

»War das alles?«, bellte Zilber mit gefletschten Zähnen.

»Mehr brauchen wir nicht, um Euch als Hauptmann eine der Streunerbrigaden anführen zu lassen«, erwiderte der General leise. »Eure eigenen Leute werdet Ihr wohl verschonen, wenn Ihr auf dem Schlachtfeld erst einmal genügend feindliche Opfer zu Gesicht bekommt, die Ihr niedermetzeln könnt.«

Zilber hielt einen Moment lang inne. Wolf nutzte die Gelegenheit zum Nachdenken. Was hatte Lacríma nur wieder alles an Lügenmärchen zusammengesponnen – zumindest was ihn betraf! Bei Zilber war er nicht einmal sicher, ob die von Nachtschatten aufgezählten Meriten, so schauerlich sie waren, sogar auf Tatsachen beruhen mochten. Doch wie sollte Lacríma all das erfahren haben? Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Sie lächelte verhalten, doch aus ihren Augen sprach Häme wie ein grünliches Flackern.

»Dann steht der Vereidigung von Euch beiden also nichts im Wege«, proklamierte General Nachtschatten gewichtig. »Folgt mir, auch Ihr, Anführerin. Alle anderen: Rührt euch!«

Fantasy Collection III

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