Читать книгу Fantasy Collection III - Karl-Heinz Witzko - Страница 17

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In der Falle

»Wie ich die Kerze angezündet habe? Rate mal.« Balderdachs hob eine Hand, knickte die beiden mittleren Finger ein und hielt sie mit dem Daumen fest. Zwischen den Spitzen von kleinem und Zeigefinger bildete sich ein blauer Blitz. »Magie«, sagte er geheimnisvoll lächelnd und schüttelte die Hand aus, so dass die Erscheinung verpuffte.

»Aber dazu musst du wach gewesen sein …?«

»Zilber hat mich geweckt, weil er bemerkt hatte, dass sich jemand anschlich.«

»Zilber hat geschlafen«, wandte Wolf in einer Mischung aus Verblüffung und Misstrauen ein. »Ich habe ihn schnarchen hören!«

»Das war ein Trick«, antwortete Balderdachs achselzuckend. »So ist er nun mal – immer auf der Hut.«

»Mag sein«, nickte Wolf. »Und doch habe ich das Gefühl, er und du, Balder – darf ich dich auch so nennen? –, ihr beide seid mehr, als ihr zu sein vorgebt. Deine Fähigkeiten übersteigen die eines gewöhnliches Abenteurers jedenfalls bei weitem, genau wie deine Kenntnis irgendwelcher politischer Umstände und …«

»Hast du nicht selbst gesagt, dass du froh bist, uns zu haben?«, unterbrach ihn Balderdachs mit leiser Stimme, in der ein kehliges Rollen mitschwang.

»Bin ich auch. Ich frage mich nur, warum ihr mir verschweigt, wer ihr wirklich seid.«

»Du hast uns bisher nicht danach gefragt.«

Wolf stutzte.

»Wer bist du wirklich, Balderdachs? Und wer ist Zilber?«

»Ich«, erwiderte Ersterer mit feierlich gesenkter Stimme, »bin der Sohn des Königs des Ostens, Balderdachs Streuner Prinz von Orilac, der dem Palast den Rücken gekehrt hat, um sich wie ein Vagabund in der Welt herumzutreiben und andere Länder und Völker kennenzulernen, bevor ihn das Alter und die Verpflichtungen des Throns davon abhalten.« Er breitete theatralisch die Arme aus. Wolf fühlte sich an die Märchen erinnert, die Balderdachs in Krottenried zum Besten gegeben hatte. »Und Zilber heißt eigentlich Spross des Zwielichts, weil er keine Eltern hat, sondern als Säugling von einer der königlichen Wäscherinnen aus dem Fluss gefischt wurde, der in den Tiefen des Schattenwalds östlich von Orilac entspringt. In einem Binsenkorb brachte sie ihn in den Palast, wo er als mein Kamerad und Spielgefährte aufgewachsen ist. Später werde ich ihn zu meinem königlichen Berater machen.« Balderdachs grinste, als er hinzufügte: »Hin und wieder wird er auch in der Palastküche als Schlachter gebraucht.«

»Sehr komisch«, sagte Wolf trocken.

»Siehst du!«, fuhr Balderdachs auf. Er blieb stehen und blickte Wolf herausfordernd in die Augen. »Du willst die Wahrheit? Du kennst sie bereits: Ich bin Balderdachs Streuner von Orilac, versoffen und ein Hitzkopf und bei allen Lehrmagiern als hoffnungsloser Fall verschrien, weil die paar Zaubersprüche, die ich draufhabe, jedes zweite Mal schiefgehen. Noch dazu habe ich einem jungen Deserteur geholfen und werde ihn nun nicht mehr los. Du siehst, ich bin ein Nichtsnutz, ein Tunichtgut!«

Wolf nickte, obwohl er ihm nicht glaubte.

»Und Zilber ist …«

»… der beste Streuner, den die Welt je gesehen hat«, führte Balderdachs seinen Satz zu Ende. »Und ein noch besserer Freund.«

»Er könnte weniger schnarchen«, sagte Wolf matt.

»Ein schnarchen des Kopfkissen ist bequemer, als du ahnst. Ich kann ohne sein Fell im Nacken schon gar nicht mehr ein schlafen.«

»Nun übertreib mal nicht«, brummte Wolf befremdet.

Er hat mir immer noch keinen reinen Káwha ein geschenkt, dachte er missmutig. Sonst würde er nicht so viele Worte verschwenden. Getroffene Hunde bellen.

»So, genug von uns erzählt«, sagte Balderdachs, als hätte er Wolfs Gedanken gelesen. »Fürs Erste.«

»Du verschweigst mir also noch immer einiges«, bemerkte Wolf. Balderdachs musterte ihn mit funkelnden Augen und schwieg.

»Wer ich bin?«, rief Zilber und lachte bellend. »Was soll die Frage?«

»Nicht so laut«, presste Wolf zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Die beiden da vorn müssen doch nicht alles mitkriegen, was wir bereden, oder?«

Zilber schnaubte anerkennend und legte die Ohren an.

»Du gefällst mir«, sagte er. »Weil du darauf achtest, wer dich hören oder riechen kann. Du verfolgst eine kluge Strategie und kannst auf dein Glück vertrauen. Deshalb habe ich mich dir angeschlossen. Du bist ein großartiger Jäger und ein noch besserer Kämpfer. Vielleicht kann ich von dir lernen.«

»Jetzt lenkst du von meiner Frage ab«, stellte Wolf fest.

Genau wie Balderdachs, fügte er in Gedanken hinzu.

»Vielleicht musst du sie anders stellen«, knurrte Zilber schelmisch. »Wer ich bin, habe ich dir nämlich schon längst gesagt.«

»Und trotzdem, was weiß ich über dich? Du bist ein Streuner aus Orilac, der in seiner Jugend verhext wurde. Von klein auf bist du ein Jäger und hast außerdem unübersehbaren Spaß am Töten.«

»Das ist doch schon einiges.« Zufrieden wedelte Zilber mit dem Schwanz.

»Finde ich nicht«, widersprach Wolf. »Was wolltest du zum Beispiel in Tanár?«

»Gar nichts. Balder wollte dort hin.«

»Natürlich. Balder. Und wozu?«

»Vielleicht hatte er fürs Erste genug von der Wildnis. Ihn verlangt es normalerweise als Ersten nach einem Dach über dem Kopf.«

»Wieso hat er Orilac dann überhaupt verlassen?«

»Aus Abenteuerlust.« Zilber kratzte sich mit dem Fingernagel an einem der oberen Reißzähne herum und prustete vergnügt.

»Das Leben in der Stadt ist langweilig. Das Leben da draußen, noch dazu wenn ich dabei bin, ist es nicht.«

Wolf grinste ihn an und nutzte die entstehende Pause, um zu überlegen. Zilber schien es ehrlich mit ihm zu meinen.

Vielleicht war dies die beste Gelegenheit, mehr über ihn zu erfahren.

»Wie seid ihr zwei euch eigentlich begegnet? Ihr scheint euch schon recht lange zu kennen, dabei seid ihr so verschieden.«

Zilber riss seinen Speer in die Höhe, nahm Anlauf und schleuderte ihn mit einem gepressten Schrei der Anstrengung nach vorn.

Alarmiert griff Wolf nach seinem Schwert. Sein Herz setzte für einen Schlag aus, als er sah, wie Zilbers Waffe sich auf ihrer bogenförmigen Flugbahn neigte – und direkt auf Balderdachs zuraste.

»Er ist meine Beute«, stieß Zilber hervor und sandte Wolf einen verschlagenen Blick.

Der Speer bohrte sich einen halben Schritt neben Balderdachs in den weichen Erdboden.

»Ich hätte ihn fast getötet«, fuhr Zilber fort, während Wolf zu verstehen versuchte, was gerade passiert war. »Auf der Jagd im Schattenwald. Muss schon fast ein Dutzend Sonnenläufe her sein. Aufgrund seiner Spur hielt ich ihn für einen Jungbären. Als ich ihn stellte, war er eigentlich so gut wie tot. Selbst ich erkannte zu spät, dass ich versehentlich einen Streuner gejagt hatte. Aber er ist ein Zauberer, weißt du? Er wehrte mich magisch ab und griff seinerseits an. Ich weiß nicht, wie lange wir gekämpft haben. Irgendwann verloren wir den Spaß daran und fanden heraus, dass wir eigentlich die besten Freunde werden könnten. Wir sind es bis heute geblieben.«

Balderdachs hatte sich umgewandt. Er zog den Speer aus der Erde, nahm ihn wie einen Kampfstock in beide Hände und stellte sich breitbeinig auf die Straße.

»Ganz schön leichtsinnig, das da eben«, murmelte Wolf, dem nichts Besseres einfallen wollte. Sein Herz hämmerte. Er hatte schon das Schlimmste befürchtet. »Seltsame Freunde seid ihr.

Balder hätte nur einen einzigen Schritt zur Seite machen müssen, und er wäre tot gewesen.«

»Das gehört zu unserem Spiel«, erwiderte Zilber.

Sie hatten die beiden anderen fast erreicht.

»Sagt dir der Name ›Spross des Zwielichts‹ etwas?«, fragte Wolf unvermittelt.

»Nein … Sollte er?«

»Schlecht gezielt, was?«, sagte Balderdachs heiser, als sie nahe genug herangekommen waren. Sein Nasenrücken kräuselte sich drohend.

»Von wegen, schlecht gezielt.« Zilber ließ sich auf alle viere sinken und umschlich seinen Freund mit angelegten Ohren und aggressiv auf Halbmast gestelltem Schwanz. Balderdachs folgte ihm mit dem Blick.

»Willst du damit sagen, du hast mich absichtlich verfehlt?«

»Wäre es dir lieber, wenn ich aus Versehen getroffen hätte?«, knurrte Zilber, schnappte mit den Zähnen nach dem Speerschaft und entwand ihn Balderdachs, der dabei das Übergewicht bekam und rücklings zu Boden fiel. Die beiden rangen knurrend mit einander, bis es Zilber gelang, seinen Freund zu überwältigen und in den Schwitzkasten zu nehmen.

»Gewonnen«, verkündete er grinsend und ließ von Balderdachs ab. Sie rappelten sich auf. Für einen kurzen Moment starrte Zilber missmutig auf die Flecken, die Gras und Erde beim Ringen auf seinem Fell hinterlassen hatten. Dann versöhnte er sich mit Balderdachs durch ein kurzes Nasenreiben.

»Ihr zwei Kindsköpfe«, grinste Wolf. »Hoffentlich habt ihr euch bis Téan Hu nicht gegenseitig den Schädel eingeschlagen.«

Bis zum Nachmittag war der Rauch, der aus den Schornsteinen Krottenrieds aufstieg, am östlichen Horizont verschwunden.

Dafür waren Wolf und seine Gefährten an zahlreichen weiteren Dörfern vorbeigekommen, die längst nicht mehr nur Menschen bewohnten. Je weiter sie nach Westen kamen, desto gleichmäßiger mischte sich die Bevölkerung, und in manchen Siedlungen waren Streuner oder Scherenschrecken sogar in der Überzahl. Wolf beäugte Rikkulins Artgenossen mit großem Argwohn.

Auch auf der Straße begegneten sie ab und zu Wanderern und Bauern. Einige Male mussten sie Fuhrwerken ausweichen, die schwerbeladen von einem Dorf ins nächste rumpelten. Doch nach wie vor legten sie auch lange Strecken durch anscheinend völlig unbewohnte Gebiete zurück. Manchmal führte die Straße stundenlang an Feldern und Obstwiesen entlang. In der Einsamkeit fühlte sich Wolf am sichersten, zumal er nicht ausschließen konnte, dass der Schnitter von einem der Dörfer aus die Straße beobachten ließ. Wahrscheinlich tobte er vor Wut, weil die vier dem nächtlichen Attentäter entkommen waren. Ob seine Schergen schon jetzt den nächsten blutigen Angriff planten?

Am frühen Abend erreichten Wolf und seine Begleiter ein kleines Gehöft, das etwa eine Wegstunde vom nächsten Dorf entfernt und abseits der Straße zwischen ein paar Feldern lag. Dort lebte ein Bauer namens Kámahi. Er war ein Mensch von knapp fünfzig Jahren. Unter der Bedingung, dass sie ihm alle Neuigkeiten aus den Städten berichteten, nahm er die vier unerwarteten Gäste gerne bei sich auf.

»Der Prinz des Ostens ist spurlos verschwunden«, erzählte Balderdachs mit dramatischen Gebärden, während der Bauer mehr Wein ausschenkte, als ihm wahrscheinlich lieb war. »Der König von Orilac hat eine Belohnung von zehn Unzen auf jeden Hinweis über den Verbleib seines Sohnes ausgesetzt. Wir sind auf der Suche nach ihm. Auf Ewiger Wanderung kann ein Streuner Geld immer gut gebrauchen, was, Zilber?«

Wolf sträubten sich angesichts dieser Lügen die Nackenhaare, doch er zwang sich zu konsequentem Schweigen. Der Wein war schwer und samtig und schmeckte einfach zu köstlich.

Nachdem die fünfte Gallone zur Hälfte geleert war, erhob sich Kámahi schwerfällig und lallte etwas Unverständliches vor sich hin.

»Auch dir eine gute Nacht!« Balderdachs zog vor dem davonwankenden Bauern einen imaginären Hut. »Schlaf wohl und träum was Schönes. Sollte nicht schwer sein bei der Menge, die du gebechert hast! Du könntest so manchen Streuner spielend …« Er unterbrach sich, da Wolf ihn mit einer Hand hart beim Brustfell packte.

»Was denkst du dir nur wieder, du alter Säufer!«, wies er ihn zurecht. »Wenn er morgen kapiert, dass seine ganzen Vorräte alle sind …«

»Und wenn schon«, wehrte Balderdachs lachend ab. »Er hat uns das Gast recht gewährt, oder?« Er hob seinen Becher. »Ein guter Jahrgang. Schenk mir ruhig noch was ein, Falbe.«

»Ihr seid unverbesserlich«, murmelte Wolf.

Nach allem, was sie in Krottenried er lebt hatten, bestand er darauf, ab wechselnd Wache zu halten. Doch die Nacht verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Am nächsten Morgen waren sie lange vor ihrem Gastgeber wach und bemühten sich darum, in dem ihnen fremden Haus ein möglichst zivilisiertes Frühstück herzurichten.

»Es ist nicht mehr weit bis Téan Hu«, sagte Wolf, während sie sich an Sauerbrot, Zwiebelbutter und verschrumpelten Flaumäpfeln gütlich taten. »Spätestens seit vorletzter Nacht sind wir dem Schnitter wirklich eine Zecke am Hintern. Wir sollten Vorkehrungen treffen, bevor wir die Stadt erreichen.

Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dazu.«

»Was für Vorkehrungen?« Zilber musterte ihn skeptisch und mit schiefgelegtem Kopf.

Siegessicher lehnte Wolf sich zurück.

»Kaut erst mal zu Ende.«

»Was soll denn das werden?« Neugierig schaute ihm der Jungstreuner über die Schulter.

Wolf hatte ihren Gastgeber unsanft geweckt und einen Eimer mit Holzkohle, einen mit Wasser, einen großen Mörser samt Stößel und mehrere Reisigpinsel verlangt. Nach und nach hatte er die Kohle zerstoßen und in das Wasser eingerührt. In dem Eimer waberte nun eine tiefschwarze dickliche Flüssigkeit.

»Das müsste reichen«, sagte er und tauchte einen Pinsel hinein. »Gib mir deine Hand, Falbe.«

Der Jungstreuner gehorchte, zuckte jedoch erschrocken zurück, als Wolf über das hellbraune Fell seines Handrückens einen dicken schwarzen Strich zog.

»Das sind also deine Vorkehrungen?« Zilber verzog die Lefzen. »Du willst uns alle schwarz anmalen?«

Wolf nickte. »So fallen wir weniger auf.«

»Stimmt nicht ganz. Wenn wir alle so aussehen wie du, verringert sich für dich die Gefahr, getötet zu werden. Wer von uns anderen dabei draufgeht, ist dir wohl schnuppe!«

Mit eingezogenem Schwanz beäugte Falbe seinen bemalten Handrücken.

»Unsinn«, versuchte Wolf ihn und Zilber zu beruhigen. »Ich verringere die Gefahr, in der wir alle schweben. Nur wenn uns die Schergen des Schnitters nicht erkennen, haben wir eine echte Chance, etwas gegen sie auszurichten und den Westkönig zu retten.«

Der Bauer blickte ratlos von einem Streuner zum anderen, wahrscheinlich ohne aus ihnen so recht schlau zu werden.

Zilber verschränkte die Arme vor der Brust. In seiner Kehle rollte es, und seine blauen Augen funkelten streitlustig.

»Und du selber musst dich natürlich nicht anmalen. Sehr praktisch für dich. Aber nicht mit mir! Ich habe keine Angst vor deinem Schnitter, und ich scheue auch keinen Kampf.«

»Ach, Zilber, sei kein Spielverderber«, schaltete sich Balderdachs in die Auseinandersetzung ein. »Oder hast du etwa doch Angst – vor ein bisschen Farbe? Mach schon, Wolf, bei mir gibt′s ja nicht allzu viel zu tun.« Er kniete sich hin und senkte den Kopf.

Wolf tauchte den Pinsel in die Flüssigkeit und machte sich an die Arbeit. Im Nu hatte er die weißen Streifen auf Balderdachs′ Kopf und Rücken sowie die Spitzen seiner Ohren und seines Schwanzes übermalt.

»So, fertig«, sagte er. Balderdachs erhob sich.

»Wenn ich euch zum ersten Mal sähe, könnte ich euch nicht auseinander halten«, staunte Falbe verblüfft. »Ihr geht glatt als Zwillinge durch!«

»Ist ja schon gut!« Missgelaunt schnappte sich Zilber einen Pinsel. »Wagt es nicht, mich anzurühren«, knurrte er, als Wolf seine Hilfe an bot. »Das krieg ich schon alleine hin.«

»Dann wären wir fertig, oder?« Falbe verbarg seinen Arm hinter dem Rücken und schnupperte unbeteiligt an seiner Schulter.

Wolf und Balderdachs warfen einander schadenfrohe Blicke zu, dann griff sich jeder von ihnen einen Pinsel.

Der Jungstreuner legte die Ohren an, gähnte und versuchte auch sonst alles, um sich aus der Affäre zu ziehen.

»Ich finde, mein Fell ist doch auch so schon dunkel genug, und …«

Weiter kam er nicht, denn im nächsten Augenblick fielen die beiden gemeinsam über ihn her, warfen ihn auf den Rücken und badeten ihn regelrecht in der dunklen Farbe. Falbe winselte unterwürfig, schnappte halbherzig nach Wolfs Pinsel und versuchte, sich die Kohle aus dem Fell zu lecken, wo immer er es mit der Schnauze erreichen konnte.

»Streuner – man kann nur froh sein, wenn man sie wieder vom Halse hat«, murmelte der Bauer kopfschüttelnd. Draußen schlugen die Hunde an, und er verließ die Stube um nachzusehen, was sie in Aufregung versetzte.

»So, jetzt musst du trocknen«, sagte Balderdachs keuchend, nachdem sie Falbe den Rest des Eimers über den Rücken gekippt und sorgfältig verteilt hatten. Nach heftigem Kampf war das Fell des Jungstreuners endlich ebenfalls rabenschwarz.

»Geht mir auch so«, sagte Zilber hinter ihnen. Sie wandten sich zu ihm um. »Wie sehe ich aus?«

Wolf klappte die Kinnlade herunter.

Falbe starrte ihn einen Moment lang sprachlos an, um dann in glucksendes Lachen auszubrechen.

Balderdachs schloss halb die Augen. »Zilber, du bist ein ausgemachter Halunke. Aber das ist es wohl, was dem Großen Fang so an dir gefällt. Sonst hätte er dich nämlich schon längst verschlungen.«

Drei schwarze Streifen zierten Zilbers Gesicht: zwei an den Wangen und ein dritter, der vom Nasenrücken aus über die Stirn nach hinten lief.

»Dreh dich mal um«, verlangte Balderdachs. »Da fehlt noch was. Lass mich dich komplettieren.« Mit seinem Pinsel führte er den mittleren Streifen weiter und über Zilbers Nacken bis zum unteren Rücken, wo er ihn elegant auslaufen ließ.

Das gedämpfte Bellen und Knurren der Hofhunde draußen ging in ein Jaulen über – und verstummte.

Vor Vergnügen peitschte Balderdachs mit dem Schwanz die Luft. »Jetzt siehst du erst recht aus wie mein …«

»Das geht nicht«, unterbrach ihn Wolf genervt. »Er braucht eine Sonderbehandlung, genau wie Falbe.«

»Und wieso?«, fuhr Zilber auf. »Die Verwirrung unter den Dienern des Schnitters wird groß genug sein. Außerdem werden sie als Erstes mich angreifen, wenn sie uns zu sehen bekommen. Das gibt euch genügend Zeit zu handeln. Sei doch endlich zufrieden!«

»Sie sollen keinen von uns an greifen, du Dickkopf!«, bellte Wolf zurück. »Was nutzt du uns tot, weil dir ein Pfeil aus dem Hinter halt im Rücken steckt?« Drohend fuchtelte er mit dem Reisigpinsel vor Zilbers Nase herum. »Schluss mit deiner Eitelkeit. Du wirst von oben bis unten schwarz angemalt, genau wie wir anderen auch!«

»Kannst es ja versuchen«, gab Zilber heiser zurück und dehnte knackend seine kräftigen Arme.

Die Haustür wurde auf gestoßen. Schwere Schritte polterten in den Durchgang zur Stube.

»Da kommt jemand«, sagte Falbe unnötigerweise. »Vielleicht könntet ihr das Streiten ausnahmsweise auf später …«

»Sie kommen!«, rief Kámahi, der im selben Augenblick durch die Tür gewankt kam. Seine Stimme, obwohl laut, klang seltsam gebrochen, und er schien nicht fähig, einen Fuß gerade vor den anderen zu setzen. Er strauchelte und musste sich abstützen.

»Na, macht dir der Wein noch immer zu schaff en?«, spottete Balderdachs.

Der Bauer hob abwehrend die Hand. »Meine Hunde … Wer auch immer hinter euch her ist … sie sind hier.« Er musste husten. Dabei kam ein Schwall Blut aus seinem Mund und ergoss sich auf seine wollene Kleidung.

»Was …?«, begann Wolf entsetzt.

Kámahi brach zusammen. Unterhalb des rechten Schulterblatts ragte ihm ein schwarzgefiederter Pfeil aus dem Rücken.

»Zeit zum Aufbruch, scheint mir«, sagte Zilber in kalter Ruhe. Er trat ans Fenster und schaute hinaus.

Wolf packte seine Waffen, Falbe und Balderdachs rafften das übrige Gepäck an sich.

»Wo sind die Wasserschläuche?«

»Vergiss sie!«

»Duckt euch!«, schrie Zilber.

Im nächsten Moment barst die Fensterscheibe, und ein Gegenstand kam so schnell hindurchgeflogen, dass es unmöglich war, ihm mit dem Blick zu folgen. Hohl pochend schlug er in die gegenüberliegende Wand ein.

»Ein Brandpfeil!«

Helle Flammen leckten von dem ölgetränkten Lappen, der um den Schaft des Pfeils gewickelt war, an der Holzwand empor.

»Nichts wie weg hier!«, rief Wolf und eilte voraus. Die Haustür stand halb offen. Er spurtete durch den Vorraum darauf zu – da packte ihn jemand am Arm und hielt ihn zurück.

»Was ist denn noch?«

Zilber, der ihn mit ein paar Sätzen ein geholt hatte, deutete nach draußen.

»Sie werden das Gehöft um stellt haben«, raunte er. »Wenn du jetzt da rausgehst, haben sie dich mit Pfeilen gespickt, bevor du auch nur einen von ihnen zu Gesicht bekommst.«

»Ach, entschuldige, dass ich raus wollte. Dir ist aber schon klar, dass diese verdammte Bude hier brennt , oder?«

Ein zweiter Brandpfeil schlug in die Wand der Stube ein. Falbe und Balderdachs waren zum Glück bereits in den fensterlosen Vorraum nachgekommen.

»Wartet hier!« Bevor einer von ihnen widersprechen konnte, war Zilber, seinen Speer fest umklammert, durch die Tür nach draußen getreten. In seltsam gebückter Haltung sah er sich um, schnupperte argwöhnisch und winkte ihnen dann, ihm rasch zu folgen.

»Glück für uns, sie sind noch auf der anderen Seite«, zischte er. »Wir müssen so schnell wie möglich unter Leute kommen. Mir nach, zur Straße. Rennt. Rennt um euer Leben!«

Wolf hörte Balderdachs etwas murmeln, das nur eine Zauberformel sein konnte: Eire Ana Fámatu Iwai. Er spürte ein Kribbeln in seinen Gliedern und fühlte sich mit einem Mal leichter und kraftvoller als sonst. Zilber klemmte sich den Speer zwischen die Zähne und stürmte auf allen vieren davon. Wolf und die anderen folgten ihm.

Das kleine Gehöft brannte nach kurzer Zeit lichterloh. Die schwarze Rauchsäule, die wie ein drohender Finger in den wolkenfreien Himmel stach, war viel weiter zu sehen als die Flammen. Als Wolf sich hastig umsah, erblickte er außerdem sechs berittene Krieger, die in vollem Galopp hinter ihnen her waren. Große Langbögen hingen ihnen über den Schultern. Manche von ihnen hielten die Zügel nur mit einer Hand und schwangen in der anderen scharfe Sichelschwerter. Ihre Gewänder flatterten im Wind. Bis auf das rhythmische Schlagen der Hufe war nichts von ihnen zu hören, und doch glaubte Wolf die Wut, die von ihnen ausging, förmlich spüren zu können.

»Gegen die Pferde haben wir keine Chance«, rief er seinen Freunden zu. »Sie werden uns einholen!«

»Wart′s ab!«, antwortete Balderdachs.

Tatsächlich schien sich der Abstand mit der Zeit eher zu vergrößern. Sie bewegten sich ganz nach Streunerart fort, auf allen vieren, die Schwänze wie Standarten in die Höhe gereckt. Verblüfft stellte Wolf fest, dass er dabei nicht müde wurde.

Die Straße flog unter ihm dahin, und er fühlte sich, als könnte er noch Dutzende von Meilen weit laufen. Er wandte den Kopf, um Zilber neben ihm etwas Ermutigendes zuzurufen, da drängte ihn dieser hart aus der Bahn.

Ein Pfeil kam an der Stelle herab, wo eben noch Wolfs Nacken gewesen war, und malmte sich in die Erde. Abrupt hielt Zilber an, wirbelte herum und sprintete ihren Verfolgern zweibeinig entgegen.

Wolf verlangsamte seine Schritte, um über die Schulter beobachten zu können, was er vorhatte. Zilber holte aus und schleuderte seinen Speer. Die Waffe schoss in den Himmel, während ein zweiter Pfeil zwischen Balderdachs und Falbe in den Boden fuhr. Erschrocken stoben sie auseinander. Nun sah Wolf auch den Schützen. Der Speer beschrieb eine perfekte Kurve und traf. Er biss sich durch Gewand und Kettenhemd eines der Reiter und spießte ihn knirschend auf. Den Langbogen noch in der Hand, fiel der Getroffene rücklings vom Sattel. Sein Pferd ging wiehernd durch.

»Weiter, los!« Zilber hatte die anderen wieder eingeholt, preschte an ihnen vorbei, und Wolf beeilte sich, Schritt zu halten. Der Abstand zu ihren Verfolgern war ein ganzes Stück geschrumpft. Dreien der verbliebenen fünf waren die Kapuzen vom Kopf geweht worden. Zwei von ihnen waren Menschen, der dritte ein Streuner.

»Ein Dorf«, rief Balderdachs. »Wie es aussieht, beginnt hier das Herrschaftsgebiet des Westkönigs.«

Wolf schaute nach vorn. Sie näherten sich einer Ansammlung von vielleicht zehn Dutzend Hütten. Von einem hölzernen Wachturm im Zentrum, der das höchste Gebäude der Siedlung um das Doppelte überragte, wehte eine ausgeblichene gelbe Flagge mit einer roten Sonne darauf.

»Halt!«, rief einer der Wachleute, als Wolf und seine drei Gefährten auf sie zustürmten. »Wer seid Ihr? Stehen bleiben!« »Pferdediebe!«, bellte Zilber, so dass der Wachmann verdutzt schwieg. »Das da hinter uns sind Pferdediebe!« Er deutete zurück. »Sie sind über den Hof des Bauern Kámahi hergefallen, ein paar Wegstunden östlich von hier, haben ihn und seine Hunde getötet und das Haus niedergebrannt!«

Die Wächter griffen zu ihren Waffen. Einer von ihnen rief nach Verstärkung.

»Wir haben sie gestellt, und jetzt sind sie hinter uns her«, heizte Zilber sie an. »Haltet sie auf! Tötet sie!«

Schon gesellten sich ein paar Krieger zu den Wachen, und die kleine Truppe formierte sich zum Kampf. In dem entstandenen Tumult merkte keiner, dass sich die vier fremden Streuner in die Siedlung stahlen und zwischen ein paar Häusern verschwanden.

»Gut gemacht«, lachte Wolf grimmig.

»Frech gelogen ist rasch geflohen, was?« Balderdachs klopfte Falbe auf die Schulter. »Diese Taktik hat auch schon unserem jungen Freund hier das Leben gerettet, zu Hause in Orilac.« Zilber verschnaufte hechelnd und grinsend. Vom Tor war noch eine ganze Weile wilder Kampfeslärm zu hören.

An einem Brunnen machten sie kurz Halt.

»Habt ihr gemerkt, dass ich euch behext habe?«, fragte Balderdachs, der sich zufrieden die Nase leckte. »Der Zauber sollte noch eine Weile anhalten. Wenn wir gleich weiterlaufen, können wir heute noch drei Tagesmärsche schaffen, vielleicht sogar mehr.«

»Wieso hast du mir nicht gleich gesagt, dass du einen solchen Zauber beherrschst?«, wandte sich Wolf an ihn.

»Ich beherrsche ihn nicht. Es war nur ein Versuch.«

Balderdachs tauschte einen flüchtigen Blick mit Zilber. »Ist einer der komplizierteren Sprüche. Manchmal findet eben auch ein blindes Huhn ein Korn.«

Wolf beließ es dabei. Er wusste den Zauber spätestens am selben Abend zu schätzen, als sie nach Dutzenden von Meilen in der Schenke irgendeines Weilers saßen und mit vollen Krügen Starkbier auf ihre geglückte Flucht anstießen. Die berittenen Krieger, so sie überhaupt noch lebten, würden ihren Vorsprung nicht in drei Tagen auf holen können. Aus purer Zufriedenheit trank sich Wolf an diesem Abend buchstäblich unter den Tisch. Er bekam nur noch wie von ferne mit, dass Balderdachs ihn irgendwann eine Stiege hinauf- und in einer Kammer auf ein Strohlager hievte.

Am nächsten Morgen erwachte er mit dröhnendem Schädel. Auf einem Hocker stand ein Tablett mit einem reichhaltigen Frühstück bereit.

»Der Wirt hatte zum Glück noch eine Stube frei für uns«, sagte Balderdachs, der wohl schon länger auf war. Er reichte Wolf einen Trunk aus drei rohen Eiern, Rote-Bete-Saft und reichlich Honig. »Gibt Kraft, das Zeug.«

»Wo sind die anderen beiden?«, fragte Wolf, nachdem er das Gebräu hinuntergestürzt und sich Röstkáwha eingeschenkt hatte. »Zilber hat draußen Wache geschoben«, antwortete Balderdachs. »Wo Falbe ist, weiß ich nicht. Er wollte sich das Dorf ansehen. Da war es nach Mitternacht.«

Sie waren noch nicht mit dem Frühstück fertig, da kam der Jungstreuner zurück. Wolfs feiner Nase entging nicht, dass Falbe die Nacht mit einer Streunerin verbracht hatte – vermutlich einer, die für solche Dienste Geld nahm. Oder einer, die sich einsam fühlte, weil ihr Partner unterwegs war. So wie ich.

Hoffentlich blieb Lúpa ihm treu. Wenn nicht, so konnte er es ihr kaum verübeln. Nur die Mondgöttin wusste, wann er nach Tanár zurückkehren würde, wenn überhaupt.

Falbe summte zufrieden vor sich hin. Als er Wolfs tadelnden Blick bemerkte, erwiderte er ihn mit spöttischem Glanz in den Augen.

»Na, ist dir das viele Bier bekommen?«

»Danke, und dir deine Eroberung? Die Streunerin, meine ich?«

»Allerdings«, versetzte Falbe und riss sich ein Stück Fladenbrot ab. »Sie war ziemlich heiß und wollte mich gleich mehrmals. Als sie endlich eingeschlafen war, bin ich gegangen.« Er stopfte sich Brot und Butter zwischen die Zähne und plauderte kauend weiter. »Das ist das Problem mit unseren Weibern. Sie sind nicht leicht zufriedenzustellen. Da lob ich mir die Menschenfrauen, die sind genügsamer.«

Wolf blickte zu Balderdachs hinüber, doch der schien sich an der Unterhaltung nicht beteiligen zu wollen.

»Menschenfrauen?«

»Ja«, sagte Falbe, der nach dem Räucherschinken hatte greifen wollen. Er hielt in der Bewegung inne. »Was dagegen?«

»Nein.« Wolf musste daran denken, wie sich der Jungstreuner in Krottenried gegenüber der Nichte des Bauern benommen hatte.

»Streuner und Menschen können miteinander keine Kinder zeugen«, belehrte ihn Falbe und grinste schelmisch. »Das macht die ganze Angelegenheit sehr viel einfacher. Eine Menschenfrau rumzukriegen ist übrigens nicht schwer. Die meisten von ihnen sind heiß auf unser Fell. Und sie mögen auch unsere …«

»Du musst wissen, was du tust«, unterbrach ihn Wolf kopfschüttelnd. Er hielt nicht viel von solchen Verbindungen. Menschen und Streuner waren einfach zu verschieden. Er war froh, dass er seine Lúpa hatte. Niemals würde er sie mit einer Menschenfrau betrügen!

Die Tür öffnete sich, und ein Mann im schwarzen Kapuzenumhang trat in die Kammer. Vor Schreck stieß Wolf seinen Becher um und sprang auf.

»Lass nur«, sagte Balderdachs beschwichtigend. »Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass sich Zilber deinen Umhang ausgeborgt hat.«

Dieser schlug die Kapuze zurück und lachte.

»Müsst ihr mich so erschrecken!« Stöhnend setzte sich Wolf wieder hin. »Mein schöner Káwha! Klopf das nächste Mal vorher an.«

Zilber schälte sich aus dem Gewand und legte es zusammen.

»Die alte Frau von gegenüber war so freundlich, das gute Stück zu waschen und zu nähen«, sagte er und nahm ebenfalls Platz.

»Sieht fast aus wie neu. Währenddessen hab ich mich ein bisschen umgehört. In diesem Kaff scheinen wir sicher zu sein. Übrigens konnte ich in Erfahrung bringen, wie weit es noch ist.«

»Nämlich?«

»Drei Tagesmärsche.«

Wolf rechnete nach. In vier Tagen war das Treffen der Schergen des Schnitters. Er blies die Luft durch die Zähne, wie es seine menschlichen Kollegen in der Zimmerei gern taten, wenn sie seine Arbeit lobten.

»Zilber, du bist großartig! Packen wir zusammen. Je eher wir aufbrechen, desto größer unsere Chance, noch rechtzeitig herauszufinden, wo dieses Treffen stattfinden soll.«

Fantasy Collection III

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